Classement thématique série 1848–1945:
II. LES RELATIONS INTERGOUVERNEMENTALES ET LA VIE DES ETATS
II.2 ALLEMAGNE
Imprimé dans
Documents Diplomatiques Suisses, vol. 7-II, doc. 118
volume linkBern 1984
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Archives | Archives fédérales suisses, Berne | |
Cote d'archives | CH-BAR#E2300#1000/716#103* | |
Titre du dossier | Berlin, Politische Berichte und Briefe, Militärberichte, Band 20 (1919–1919) |
dodis.ch/44329
Wirtschaftliches. Bekanntlich ist im September ds. Jahres zwischen dem Stahlwerk Becker A.-G. in Willich/Rheinland und der Continentalen Handels A.-G. in Zürich, ein Vertrag abgeschlossen worden über eine regelmässige und langjährige Lieferung von Kohle aus den Zechen «Präsident» «und Herbeder Steinkohlenbergwerke».2 Dieser Vertrag, in welchen seither die S.B.B. eingetreten sind, und der als ein für die Schweiz günstiger betrachtet werden kann, ist im September durch drei Ministerien der deutschen Regierung genehmigt worden und sollte demgemäss zur Ausführung gelangen. Leider ist aber bis zur Stunde noch keine Tonne Kohle nach der Schweiz gelangt, obwohl die Continentale Handelsgesellschaft in der abgelaufenen Woche drei Millionen Franken in bar zur Verfügung gestellt hat. Diese bedauerliche Tatsache ist zurückzuführen auf die passive Resistenz des Reichskohlenkommissärs, hinter welchem anscheinend das Syndikat der anderen Kohlenwerke steckt, welches schon dem Zustandekommen des Vertrages die grösstmöglichen Schwierigkeiten bereitet hat. Auf Veranlassung des hiesigen Vertreters der A. G. Becker bin ich nun beim Reichsminister des Auswärtigen vorstellig geworden und habe auf die sehr fatalen Folgen wirtschaftlicher und politischer Natur hingewiesen, welche entstehen müssten, wenn dieser, durch die deutsche Regierung genehmigte Vertrag weiterhin durch einen Reichsbeamten sabotiert würde. Herr Müller zeigte volles Verständnis für die Sache und versprach mir, mit allem Nachdruck dahin zu wirken, dass diese Widerstände einmal gründlich aus dem Weg geräumt werden. Er ist sicher in dieser Richtung auf die Unterstützung des Reichsfinanzministers und des Reichswirtschaftsministers rechnen zu können und versicherte mich, dass die deutsche Regierung den Vertrag unter Überwindung grosser wirtschaftlicher Bedenken ratifiziert habe, weil sie die politische Bedeutung dieser Transaktion richtig eingeschätzt habe und weil ihr daran gelegen gewesen sei, der Schweiz Entgegenkommen zu zeigen. Angesichts dieser Bedeutung des Vertrages gehe es schlechterdings nicht an, dass aus wirtschaftlichen Sonderinteressen dessen Ausführung gehemmt werde.
Ich hoffe, dass nunmehr die Schwierigkeiten behoben werden.
Heute besuchte mich der Ihnen wohlbekannte Ministerialdirektor Dr. Simons, der bis vor kurzem der massgebende Jurist im Auswärtigen Amte war und seit einigen Monaten die Direktion des Reichsverbandes der deutschen Industrie (Bund der Industriellen) führt. Herr Simons sprach mir von den Schwierigkeiten, welche sich zufolge des niederen Standes der deutschen Valuta im Handelsverkehr mit der Schweiz ergeben und welche in der Schweiz zum Rufe nach Einfuhrverboten oder Ausgleichzöllen geführt haben.3 Herr Simons sagte mir, dass in massgebenden deutschen Kreisen selbst der lebhafte Wunsch bestehe, Vorkehrungen zu treffen, durch welche den in der Schweiz beklagten Übelständen entgegengetreten werden könne. Er glaubt nicht, dass dieser Zweck durch die in der Schweiz in Aussicht genommenen Abwehrmassnahmen erreicht werden könne und solle, sondern denkt vielmehr an eine interne Organisation von Fachgruppen, welche preisregulierend wirken müsste. Es würde sich also um die Bildung von Syndikaten in Deutschland handeln, welche den Preis der auszuführenden Waren einheitlich normieren und dabei die Valutadifferenz angemessen berücksichtigen würden. Auf diese Weise könnte einerseits die illoyale Unterbietung gegenüber Eigenproduktion der Schweiz unterbunden und anderseits bewirkt werden, dass das deutsche Nationalvermögen nicht einseitig unter der schlechten Valuta zu leiden hätte. Diese interne Organisation sollte, nach Ansicht des Herrn Simons, mit der Zeit ausgedehnt werden auf das internationale Gebiet, indem zwischen den Syndikaten oder Fachgruppen der verschiedenen Länder einheitliche Preisnormierungen erfolgen würden.
Ich habe mich zu dieser Anregung nicht ausgesprochen, weil ich vorerst die Ansicht unseres Volkswirtschaftsdepartementes kennenlernen möchte. Im allgemeinen habe ich den Eindruck, dass der vorgeschlagene Weg wohl zum Ziele der Abwehr illoyaler Valutakonkurrenz führen könnte, aber ich verkenne auch die Gefahr nicht, welche in der Folge liegen würde, dass allgemein eine Erhöhung der Preise für Lieferungen nach dem Auslande eintreten würde; auf den ersten Blick scheint mir diese Gefahr deshalb nicht allzu gross, weil die Konkurrenz auch hier für einen vernünftigen Ausgleich sorgen dürfte.
Beiliegend ein Ausschnitt aus dem Berliner Tageblatt vom 15. laufenden Monats, welcher in einer Korrespondenz «Die Stimmung in Süddeutschland» ein überzeugendes Bild der wirtschaftlichen Lage bietet.
Politisches. Wie in einem früheren Berichte in Aussicht gestellt, habe ich nun auch mit dem Minister des Auswärtigen die Frage des Beitrittes der Schweiz zum Völkerbund besprochen. Herr Müller steht in dieser Frage ganz auf dem Standpunkte des Reichskanzlers und ist mit diesem der Ansicht, dass Deutschland gar keinen Grund habe, gegen den sofortigen Beitritt der Schweiz zu sein, sondern ganz im Gegenteil wünschen müsse, dass alle Neutralen und vor allem die Schweiz sobald als möglich ihre Stimme im Rate der Völker geltend machen können. Es gebe ja wohl in Deutschland Leute, welche aus Opposition zum Völkerbund die Verweigerung des Beitrittes der Neutralen wünschen, aber diese Leute bilden die grosse Minderheit. Ich bemerkte, dass wir diese Frage des Beitrittes zunächst als eine ganz interne betrachten, dass uns aber daran gelegen sei, den Eindruck nicht aufkommen zu lassen, dass in dem allfälligen Beitritt eine Parteinahme für die eine der Völkergruppen erblickt werden könne. Herr Müller war der Meinung, dass zu einer solchen Annahme offenbar kein Grund vorliege, indem sich gewiss niemand der Illusion hingeben könne, dass die Verweigerung des Beitrittes irgendwelchen Einfluss ausüben könne auf den Gang der Ereignisse und auf die Konstituierung des Völkerbundes überhaupt.
Man hat mir seiner Zeit in Bern nahegelegt, von der deutschen Regierung eine Erklärung darüber zu erwirken, dass Deutschland in allfälligen Massnahmen, welche die Schweiz als Mitglied des Völkerbundes gegen Deutschland ergreifen müsste, nicht einen neutralitätswidrigen Akt erblicken würde.4 Ich habe vorläufig davon abgesehen, diese Frage zu stellen, weil es mir nicht klug erschien, die im allgemeinen so guten Dispositionen und die vernünftige Auffassung der deutschen Regierung zu brüskieren. Meines Erachtens dürfte die Feststellung der Tatsache, dass man hier den sofortigen Eintritt der Schweiz begrüssen würde, genügen, um allfällige Bedenken nach obiger Richtung zu zerstreuen. Man weiss ja in Deutschland, zu welchen Konsequenzen der Beitritt ipso facto führen muss, und wenn man nichtsdestoweniger den Beitritt wünscht, so liegt darin der Beweis, dass man die Konsequenz mit in den Kauf nimmt.
Beiliegend je ein Ausschnitt aus dem «Tag» vom 19. laufenden Monats und der «Vossischen Zeitung» vom 20. gleichen Monats, mit Artikeln über «Skandinavien und der Völkerbund» und «England und der Völkerbund».
Anlässlich einer Besprechung, die ich letzter Tage wieder mit dem Unabhängigen Leader Dr. Cohn hatte, hat mir der Genannte verschiedene interessante Mitteilungen gemacht über den Inhalt der Dokumente über die Vorgeschichte des Krieges, die ungefähr Mitte November veröffentlicht werden sollen. Nach Cohn liefern diese Dokumente den unumstösslichen Beweis, dass Deutschland nicht nur Kenntnis gehabt habe von dem Ultimatum Österreichs an Serbien, sondern dass es selbst auf die Stellung dieses Ultimatums hingewirkt habe.
Diese Dokumentensammlung ist durch den Unabhängigen Kautsky angelegt worden, der einen bezüglichen Auftrag durch die Revolutionsregierung erhalten hatte. Als dann die jetzige Regierung ans Ruder gekommen sei, habe sie eine Kommission eingesetzt (Graf Montgelas und Professor Schücking), welche den Auftrag hatte, die Kautsky’sche Sammlung «überzuprüfen». Wenn es nach dem Willen dieser Kommission und der Regierung gegangen wäre, hätte man zahlreiche Dokumente gar nicht oder in abgeschwächter Form veröffentlicht. Diese Absicht sei aber vereitelt worden durch die Tatsache, dass Kautsky eine Abschrift von sämtlichen Dokumenten genommen und mit deren Veröffentlichung auf eigene Faust gedroht habe. Unter diesen Umständen habe sich die Regierung dem Zwang der Lage gefügt und zugegeben, dass alle Dokumente unverändert publiziert werden «mit Ausnahme von vier bis fünf Aktenstücken, welche Bezug haben auf das Verhältnis zu Neutralen». Diese Erklärung soll in dem Begleitbericht zur Veröffentlichung ausdrücklich aufgenommen werden.
Dr. Cohn sprach mir von zwei Dokumenten, die hauptsächlich belastend seien. Zunächst von Aufzeichnungen über einen Kronrat, der am 5. oder 6. Juli in Potsdam stattgefunden habe und in welchem ausdrücklich beschlossen worden sei, «mit den Vorbereitungen für den Krieg zu beginnen». Von diesem Dokument war bekanntlich auch schon in der Presse die Rede und es ist von der Regierungsseite aus bestritten worden, dass darin der Beweis liege, dass man tatsächlich den Krieg wollte.
Das zweite Dokument enthält einen Bericht des Grafen Tschirschky, des deutschen Botschafters in Wien, in welchem der Genannte auf die gereizte Stimmung in Wien hinwies und beifügte: «Ich bemühe mich, die Gemüter zu beruhigen und klar zu machen, dass Österreich doch nicht auf eigene Faust vorgehen könne, sondern auch auf seinen Bundesgenossen Rücksicht nehmen müsse». Am Rande dieses Dokumentes soll sich eine handschriftliche Bemerkung des Kaisers mit folgendem Wortlaut finden: «Was macht denn Tschirschky für Unsinn, wer hat ihn denn dazu ermächtigt».
Weiter sollen Berichte der deutschen Vertretung in Wien veröffentlicht werden, aus welchen hervorgehe, dass die grösste Sorge des Grafen Berchtold gewesen sei, das Ultimatum so scharf zu fassen, dass «eine anständige Regierung gar nicht darauf eingehen könne».
Morgen sollen die Verhandlungen vor der parlamentarischen Untersuchungskommission über die Kriegsursachen beginnen und zwar zunächst in der Abteilung, welche die verschiedenen Friedensmöglichkeiten während des Krieges zu erforschen hat. Unter den Programmpunkten für diese Verhandlung findet sich auch die sog. «Mission Sulzer», über deren Bedeutung Sie durch die Deutsche Gesandtschaft in Bern unterrichtet sein sollen.5 Herr Müller sagte mir heute neuerdings, dass es sich dabei um ganz unverfängliche Dinge handle.
Es soll morgen zunächst Graf Bernstorff, sodann Jagow, Zimmermann und eventuell Bethmann-Hollweg einvernommen werden. Das Auswärtige Amt hat mir eine Zutrittskarte versprochen, die aber noch nicht eingegangen ist. Wenn ich sie rechtzeitig erhalte, werde ich an der Sitzung teilnehmen, um Ihnen allfällig telegraphieren zu können.
In der Vossischen Zeitung vom 20. laufenden Monats hat Georg Bernhard dieses «Staatsgericht» in interessanter Weise besprochen, ich lege den Artikel im Ausschnitt bei.
Am Samstag besuchte mich der Chef der hiesigen italienischen Mission Minister Bordanaro, der mir bestätigte, dass als Botschafter Italiens in DeutschlandGiacomo De Martino in Aussicht genommen sei, der Generalsekretär der Consulta und zur Zeit Sekretär der italienischen Delegation in Paris. Bordanaro sprach mir auch von der wahrscheinlichen Verzögerung der Ratifikation des Friedens, welche übrigens auch hier in Berlin sehr bedauert wird und böses Blut macht.
Er meinte, der Hauptgrund liege in der Tatsache, dass die Ausführung des Vertrages noch gar nicht vorbereitet sei. Daneben nannte er auch die Ungewissheit über die Haltung des amerikanischen Senates und die Schwierigkeiten, die sich daraus ergeben müssten, dass die Vertreter Amerikas in den verschiedenen Kommissionen noch fehlen.
In ähnlichem Sinne sprach mir auch der Chef der «Mission économique française en Allemagne», Herr Professor Haguenin, der den meisten Herren des Bundesrates bekannt zu sein scheint und den ich Ihnen deshalb nicht erst als hochintelligenten und ruhig denkenden Mann bezeichnen muss. Er sprach ausserordentlich objektiv von den Beziehungen zwischen Deutschland und Frankreich, beklagte sehr die Kurzsichtigkeit, die in dieser Hinsicht in Frankreich noch allgemein herrsche. Nach Haguenin sind beide Länder unbedingt darauf angewiesen, sich wirtschaftlich zu nähern. Bis dahin habe sich wohl Minister Loucheur zu einer bezüglichen Erklärung aufgerafft, aber zur Tat sei es noch nicht gekommen. Vielleicht bessere sich das, wenn einmal der Friedenszustand förmlich hergestellt sei.
Interessant war mir die Bemerkung Haguenin’s, dass der grösste Fehler, den Frankreich bei den Friedensverhandlungen gemacht, darin bestanden habe, dass es den Zusammentritt der Konferenz in Frankreich angenommen und das Präsidium übernommen habe.
Von Clemenceau zitierte er ein Wort, das er im letzten Gespräch mit Haguenin gesprochen haben soll und das mir interessant genug scheint, um hier wiedergegeben zu werden: «Je veux envers l’Allemagne une politique de conciliation, mais non de réconciliation.»
Nächster Tage werde ich nun auch mit dem Chef der englischen Militärmission Zusammentreffen und damit habe ich dann alle mir nötig und zulässig scheinenden Verbindungen mit den inoffiziellen Vertretungen der Ententestaaten hergestellt; die Herren haben übrigens alle ihrerseits die Initiative für die Anknüpfung dieser Verbindung ergriffen und ich bin natürlich gerne darauf eingegangen.
- 1
- Rapport politique: E 2300 Berlin, Archiv-Nr. 20/2.↩
- 2
- Cf. no 115.↩
- 3
- Cf. no 105.↩
- 4
- Remarque marginale de la main de Calonder: Ich ersuche das betr. Mitglied des BR mich darüber zu orientieren. 24.11.1919. C.↩
- 5
- Note marginale de la main de Calonder: Siehe dazu die Notiz von Minister Lardy. Il s’agit sans doute de la notice du 21 octobre disant: M. Müller, Ministre d’Allemagne, me dit qu’il est chargé de nous informer qu’aucune confidence concernant la Suisse (M. Sulzer ou aucune autre personnalité suisse) ne sera publiée à l’occasion de l’enquête qui se fait sur la «Schuldfrage» sans notre assentiment. (E 2300Berlin, Archiv-Nr. 20/2).↩
Tags
Énergie et matières premières Charbon