Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 7-I, doc. 366
volume linkBern 1979
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
Archival classification | CH-BAR#E2300#1000/716#103* | |
Dossier title | Berlin, Politische Berichte und Briefe, Militärberichte, Band 20 (1919–1919) |
dodis.ch/44111
Zufolge der vollständigen Absperrung der Stadt München habe ich im Aufträge der Schweizerischen Gesandtschaft in Berlin zugleich die mir für die schweizerischen Staatsangehörigen notwendig erscheinenden Schritte getan und entsprechende Massnahmen getroffen.
Sonntag, den 13. April wurde die ca. acht [Tage]2 lang regierungsfähige
«Räte-Republik» mit Dr. Franz Lippe an der Spitze gesprengt und durch eine
kommunistische Regierung ersetzt. Die derzeitigen Machthaber erklärten uns gegenüber, dass sie die Schweiz, die Schweizerbürger und den Schweizerkonsul
nicht anerkennen können, da es nach ihrer Auffassung nur noch «Weltbürger»
gäbe. Politische Grenzen seien gleichfalls verschwunden. Dementsprechend sei es
auch der kommunistischen Räte-Regierung bzw. dem Vollzugsrat der Betriebsund Soldatenräte, die ihren Sitz im Wittelsbacher Palais aufgeschlagen hat, nicht
möglich, den Schweizern, wie überhaupt den Neutralen gegenüber, irgendwelche
Zugeständnisse zu machen.
Immerhin konnte ich auf energische Vorstellungen hin sofort erreichen:
1.) Die Freigabe der Bank-Depots der Schweizer Staatsangehörigen, sowie
freies Verfügungsrecht über offene und geschlossene Depots, Beteiligungen usw.
Zu diesem Zwecke wurde für Schweizer Werttitel und Wertsachen ein besonderes
neutrales Depot unter Schweizerflagge errichtet, ebenso für Barguthaben ein besonderes Checkkonto. Auch erklärte ich ausdrücklich, dass bei einer allenfallsigen Beschlagnahmung oder Plünderung dieser Depots die Schweiz sich sogleich
an deutschen Kapitalien oder Guthaben in der Schweiz schadlos halten werde.
2.) Die Befreiung der Schweizer Staatsangehörigen von der zwangsweisen Einreihung in die Rote Garde (Einzelne Fälle von Einreihung unter Drohung der
Ausschliessung vom Geschäfte usw. gelangten mit zur Anzeige).
3.) Die Befreiung der aus der Schweiz eingeführten Lebensmittelpakete von der Beschlagnahmung.
4.) Die seit der November-Revolution bereits zum dritten Mal verlangte
zwangsweise Ablieferung aller Waffen (auch von Dekorationswaffen) beantwortete ich der Stadtkommandantur gegenüber dahin, dass dies nach meiner Auffassung einer Enteignung von Privateigentum gleichkomme und deshalb von uns
nicht gebilligt werden könne.
Auf dringendes Verlangen der Schweizer Staatsangehörigen in Augsburg, welche Stadt gleichfalls von allen Seiten gänzlich abgeschlossen ist, erteilte ich Herrn
Direktor Hauptmann Dr. Labhart aus St. Gallen Vollmacht, in dringenden Fällen
mit den dortigen Behörden, Arbeiter-, Betriebs- und Soldatenräten geeignete
Massnahmen zu treffen.
Zu unserem lebhaften Bedauern blieb von Bern der von mir wiederholt verlangte Kurier aus, obgleich ein solcher über den Arlberg-Innsbruck-Rosenheim ohne
jede Schwierigkeit - von Buchs bis Innsbruck sogar mit Schnellzug! - hätte reisen
können. So blieb das Konsulat ohne jede Verbindung mit Bern und Berlin. Einzig
Samstag den 19. April traf von der Schweizerischen Gesandtschaft Berlin ein
Funkentelegramm ein, in welchem die Gesandtschaft sich nach dem Befinden der
Schweizerkolonie in München erkundigte. Auf gleichem Wege antwortete ich
nach Berlin, dass grössere Beschwerden über Plünderungen, Enteignungen usw.
bis jetzt nicht vorgekommen seien. Die Funkenstation München, die unter Kontrolle der Roten Garde arbeitet, hat sich bereit erklärt, von mir jederzeit Telegramme nach Berlin befördern zu wollen, natürlich nur zensurierte und nicht chiffrierte Mitteilungen. Andererseits hat mir der Vollzugsrat die Erlaubnis gegeben,
unter den gleichen Bedingungen Telegramme auf normalem Wege nach der
Schweiz befördern zu lassen. Höchstwahrscheinlich bleiben diese Telegramme
gleichwohl in München unbefördert liegen.
Ebenso konnte ich zufolge Fehlens jeder Verbindungsmöglichkeit nicht in Erfahrung bringen, ob wir gleichwohl Sichtvermerke (Visum) für die Schweiz - unter anderem auch für die Messebesucher in Basel - ausstellen dürfen. Wahrscheinlich am 12. April stellte der damalige Bayerische Ministerpräsident Hofmann
«zum Besuche» seiner kranken Frau Gemahlin (Deutsche Heilstätte in Davos) an
mich das Ansuchen, ihm von mir aus sogleich ein kurzfristiges Visum zu erteilen,
welchem Ansuchen selbstredend nicht stattgegeben werden konnte. Auf telegraphischem Wege stellte ich dann beim Auswärtigen Amte ein solches Gesuch. Es
interessiert mich nun sehr, von Ihnen zu vernehmen, ob die betreffenden Telegramme betreffend der Einreise von Ministerpräsident Hoffmann in Bern eingetroffen sind und wie das Gesuch voraussichtlich behandelt wird. Von Hoffmann nachstehenden Persönlichkeiten bin ich in den letzten Tagen wiederholt angefragt worden, wann die Genehmigung zur Einreise für Hoffmann eintreffen wird.
Schliesslich möchte ich noch darauf hinweisen, dass der derzeitige Vollzugsrat
der Betriebs- und Arbeiterräte noch nicht organisiert ist. So hat das einstige Ministerium des Äusseren bis jetzt noch keinen Chef erhalten. Dr. Lewien, der wenigstens nach aussen als eigentlicher Führer der derzeitigen Regierung angesehen
wird, ist nie zu haben. Auch zeichnet er keine Aufrufe, Verordnungen usw. In
Aussicht sind sog. «Kommissionen», darunter vielleicht auch eine solche für
Ausländer, genommen. Einer oder zwei der Vollzugsräte teilten mir unverhohlen
mit, dass innerhalb kürzester Zeit von ihnen aus der Kommunismus nach der
Schweiz übergreifen werde. Dies sei nur eine Frage von kürzester Frist. Ebenso
wurde vom Wittelsbacher Palais in den letzten Tagen an der Spitze von Proklamationen der in der Schweiz ausgebrochene «Generalstreik» verkündigt. Jeden
Nachmittag um 3 Uhr finden derartige Bekanntgaben von seiten der derzeitigen
Regierung statt. Ebenso erklärte uns ein Herr vom Vollzugsrat, dass die neue Regierung von der Schweiz keine Almosen (ich machte auf die Versorgung von
1000 Münchener Kindern in St.Gallen und Umgebung aufmerksam!) benötige;
auch werden «sie» die notwendigen Lebens- und Bedarfsmittel schon an den richtigen Stellen zu holen wissen.
Von den Schweizerkolonien in Nürnberg und Lindau, Kaufbeuren, Kempten
usw. liegen mir keine Mitteilungen vor, da München, wie bereits erwähnt, seit 10
Tagen fast gänzlich abgeschlossen bzw. eingeschlossen ist.
Sollten dem Politischen Departement von mir weitere Mitteilungen erwünscht
sein, so ersuche ich um gefl. baldige Benachrichtigung an mich (Hotel Limmathof, Baden). Sehr wahrscheinlich werde ich wegen Reorganisation des Konsulats
München ohnehin bei Herrn Professor Töndury in Bern vorsprechen.
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