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Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 7-I, doc. 325
volume linkBern 1979
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
Archival classification | CH-BAR#E7350#1000/1104#342* | |
Dossier title | Berichte (1914–1918) | |
File reference archive | 6.2. |
dodis.ch/44070 Le Chef de l’Etat-major général de l’Armée suisse, Th. von Sprecher, au Conseil fédéral1
DER VÖLKERBUND UND DIE SCHWEIZ. MILITÄRISCHE BETRACHTUNG.
Die Frage des Beitrittes der Schweiz zu dem in Paris sich vorbereitenden Völkerbunde hat, abgesehen von der moralischen, für uns im Wesentlichen zwei Seiten, eine politische und eine militärische, die selbstverständlich an manchen Punkten sich berühren. Wenn wir es hier auch vornehmlich mit der militärischen Seite zu tun haben, so ist es daher doch unvermeidlich die andere hie und da ebenfalls in den Kreis der Betrachtung zu ziehen.
Drei Punkte des Pacte-Projektes von Paris sind es namentlich, die für einen allfälligen Beitritt der Schweiz von Bedeutung sind:
Punkt 1. Die in Art. XVI vorgesehene Teilnahme an einer militärischen Aktion gegen ein ungehorsames Glied des Bundes oder ein anderes, ausser dem Völkerbunde stehendes widerspenstiges Staatswesen (Art. XVII).
Punkt 2. Die Gestattung des Durchmarsches fremder, an der Vollstreckung eines V.B.-Entscheides teilnehmender Heeresteile durch die Schweiz, der Beförderung von Truppen und Kriegsmitteln durch die Schweiz, der Benützung des Schweiz. Gebietes für kriegerische Zwecke und Handlungen aller Art; Benützung der Schweiz. Flugplätze, der Schweiz. Verkehrsmittel, Telegraph, Telephon, Funkentelegraphie; Errichtung solcher Anstalten in der Schweiz; Betrieb der Spionage von der Schweiz aus etc. etc.
Punkt 3. Die Teilnahme an der in Art. XVI vorgesehenen wirtschaftlichen Absperrung des Staates oder der Staaten, gegen welche die Vollstreckung sich richtet; und andrerseits die Lieferung von Lebens- und Kriegsmitteln und von beliebigen Bedarfsartikeln an die kriegführenden Staaten des Völkerbundes.Wie haben wir uns zu den in den 3 Punkten erwähnten Bedingungen zu stellen vom Standpunkt einer klaren und ehrlichen Auffassung unserer überlieferten, immerwährenden Neutralität?
Seit die Schweiz bei europäischen Kriegen förmliche Neutralitäts-Erklärungen abgegeben hat, ist unsere Neutralität, stets als eine unbedingte angesehen worden. Schon 1805 bei Eröffnung des Krieges von Napoleon gegen Österreich und Russland betont die Tagsatzung in ihrer öffentlichen Neutralitäts-Erklärung, dass die Schweiz in dem bevorstehenden Kriege sich vollkommen neutral verhalten werde. Auch während des jetzigen Weltkrieges ist die Auffassung unserer Neutralität, wie sie in den Vorschriften für die Truppenkommandanten über die Handhabung der Neutralität vom 21. Dez. 1912 und in der V.O. des Bundesrates betr. die Neutralität vom 4. August 1914 zum Ausdruck gekommen ist, die einer unbedingten, absoluten Neutralität.
Diese Auffassung schliesst nicht nur irgend welche ausdrückliche Einschränkung des neutralen Verhaltens zu Gunsten resp. Ungunsten des einen oder ändern Kriegführenden aus, sondern ebenso die sog. wohlwollende Neutralität, die nichts als eine verschleierte Parteinahme ist, zu der man sich aber nicht zu bekennen wagt.
Wie die in der Verfassung ausgesprochene Unabhängigkeit und Selbständigkeit der Schweiz Verletzung unseres Gebietes und jede fremde Einmischung in unser politisches Leben ausschliesst, so hat die Aufnahme der Neutralität in das schweizerische Grundgesetz vornehmlich den Sinn, dass andrerseits wir selbst für alle Zeit jeder Einmischung in fremde politische Händel, vor allem jeder Teilnahme an fremden Kriegshändeln, entsagen.
Bei unserer Betrachtung können wir nur von der Annahme ausgehen, dass das Schweizer-Volk auch in Zukunft an dem eingelebten und bewährten Grundsatz der ewigen Neutralität festhalten wolle; ja wir zweifeln nicht, dass eine Urabstimmung dies in’s helle Licht stellen würde. Im Wesentlichen verlässt auch das Memorandum, das der Bundesrat seinem Völkerbund-Entwurfe beigegeben hat, diesen Boden nicht.
Bemerkungen zu Punkt 1.
So ist zunächst ohne weiteres klar, dass von einer Mitwirkung der Schweiz bei einer nach Art.XVI bzw. XVII des «Pacte» von den Staaten des Völkerbundes vorzunehmenden Vollstreckung keine Rede sein kann. Für den Völkerbund ist dies jedenfalls ohne nennenswerte Bedeutung, fällt doch die allfällige Teilnahme der kleinen schweizerischen Armee kaum in’s Gewicht neben den mächtigen Zuzügen, welche dem V.B. für seine Zwecke von Seite der Gross-Staaten zur Verfügung gestellt würden. Niemals würde auch unser Volk es begreifen, dass es seine Wehrmacht einsetzen solle zur zwangsweisen Durchführung eines politischen Entscheides in oder gar ausserhalb Europas, der von einem Areopag gefällt würde, in dem die Stimme der kleinen Schweiz, wenn sie überhaupt sich erheben dürfte, ungehört verhallen müsste.
Zu Punkt 2.
Unserer Ansicht nach aber ist mit dem Wesen unserer Neutralität ebensowenig vereinbar wie Punkt 1, die vom Art.XVI des «Pacte» vorgesehene Benützung schweizerischen Gebietes für eine Straf- oder Vollstreckungs-Expedition des Völkerbundes. Schon 1813 ist der Marsch der verbündeten Heere durch die Schweiz gegen Frankreich als eine flagrante Verletzung unserer Neutralität empfunden und auch erklärt worden. Wenn man sich nicht dagegen zur Wehr setzte, so geschah es einerseits in dem Gefühl, dass es nicht verstanden worden wäre, wenn die Schweiz plötzlich den Standpunkt strikter Neutralität hätte unbedingt geltend machen wollen, nachdem sie jahrelang nicht nur Durchmärsche fremder, besonders französischer Truppen durch ihr Gebiet gestattet, sondern sich ganz unter die französische Botmässigkeit gestellt und selbst dauernd ein starkes Truppenkontingent für die napoleonischen Feldzüge gegen die Alliierten geliefert hatte. Selbstverständlich spielte bei dem Verzicht auf militärischen Widerstand gegen den Durchmarsch der Alliierten auch die Schwäche der schweizerischen Armee gegenüber den Massenheeren der Verbündeten eine wichtige Rolle und ebenso die ganz mangelhafte Organisation und Ausrüstung der schweizerischen Kontingente. Grundsätzlich aber befanden sich damals schon Vorort und Tagsatzung auf dem Standpunkt, dass die Inanspruchnahme unseres Gebietes für die Operationen gegen Frankreich eine Verletzung unserer Neutralität sei. - Noch viel mehr ist diese Anschauung heute in unserm Volke allgemein verbreitet und festgewurzelt, und wir hielten es für ganz unmöglich, dem bodenständigen Schweizerbürger die Auffassung beizubringen, der Durchmarsch fremder Truppen, wenn auch ohne aktive Teilnahme unserer Armee, vertrage sich mit unserer Neutralität. Übrigens steht auch die Haager-Konvention betr. die Rechte und Pflichten der Neutralen fest und bestimmt auf diesem Boden und es erhellt daraus deutlich, dass, solange man unbeeinflusst durch andere Ziele das Neutralitätsverhältnis betrachtete, die massgebendsten Staats- und Völkerrechts-Lehrer in dieser Auffassung einig waren, (s. Haager-Abkommen vom 18. Okt. 1907 Art. 1 & ff.)
Wir können aber auch sagen, dass der Völkerbund kein Interesse daran hat, die Schweiz diesen Standpunkt aufgeben zu lassen; ja wir glauben, nach den Erfahrungen des Weltkrieges vielmehr sagen zu dürfen, dass für Europa nach wie vor die ungeschmälerte und unbedingte Aufrechterhaltung der schweizerischen Neutralität (einschliesslich unseres Asylrechtes) von grösstem, unbestreitbarem Werte ist und bleibt. Wir sind auch überzeugt, dass die Völker, wenn sie ihre Stimme frei und unbeeinflusst abgeben können, sich unfehlbar zu Gunsten der Fortdauer unserer absoluten Neutralität aussprechen würden. Dass die Erreichung der Ziele des Völkerbundes nicht abhängt von einer Änderung der schweizerischen Neutralitätspolitik oder gar von einem Aufgeben der Neutralität durch Gestattung der Benützung unseres Gebietes für kriegerische Unternehmungen fremder Staaten bzw. des Völkerbundes, dies möchten wir auf den folgenden Seiten in Kürze nachweisen. Wir werden dabei gegenteils erkennen, dass der Satz noch heute volle Gültigkeit hat, der das Hauptmotiv enthält, das für die Anerkennung der schweizerischen Neutralität durch die europäischen Mächte im Jahre 1815 massgebend war: «Les Puissances... reconnaissent authentiquement... que la neutralité et l’inviolabilité de la Suisse et son indépendance de toute influence étrangère sont dans les vrais intérêts de la politique de l’Europe entière.» (sig. Autriche, France, Gde. Bretagne, Portugal, Prusse, Russie). Ist der Satz aber für Europa noch richtig, so ist nicht einzusehen, wieso er den Interessen aussereuropäischer Staaten entgegenstehen sollte. Das schweizerische Gebiet fällt in dieser Beziehung wesentlich nur in Betracht, wenn es sich um die Operation gegen eine Nachbarmacht der Schweiz oder gegen eine Verbindung benachbarter Mächte handelt.
Je weiter entfernt ein Staat, gegen den die Exekution sich richtet, von der Schweiz ist, um so weniger Bedeutung hat eine allfällige Benützung schweizerischer Operations- und Transportlinien, schweizerischer Flugplätze usw. - Dieses liegt schon in der Kleinheit der Schweiz begründet, derzufolge der Umweg neben der Schweiz vorbei verhältnismässig um so geringer ist, je entfernter das Operationsziel liegt.
Im folgenden Abschnitt A wird die Frage: «Hat die Schweiz eine Bedeutung für die militärische Beherrschung der Nachbarstaaten»? allgemein behandelt; dann werden im Abschnitt B, unter Auslassung der Operationen gegen Staaten, die schweizerisches Gebiet nicht berühren, die Fälle besprochen, in denen sich die Vollstreckungsaktion des Völkerbundes richtet gegen:
a. Deutschland, b. den Staat östlich der Schweiz, heisse er nun Donau-Konföderation oder Österreich, c. Italien, d. Frankreich; ferner e. gegen mehrere Staaten, nämlich a und b, a und c (evtl. a, b und c), sowie c und d.
Bei den folgenden Betrachtungen wird angenommen, dass alle europäischen Staaten und von Amerika wenigstens die Vereinigten Staaten dem Völkerbunde beigetreten seien.A.
Hat die Schweiz eine Bedeutung für die militärische Beherrschung
ihrer Nachbarstaaten?
Zur Zeit der Revolutionskriege, namentlich im Jahre 1799, wurde sowohl von französischer als von Seite der Alliierten (Österreich, Russland) Gewicht auf den Besitz der Schweiz gelegt, da manche Feldherrn der Ansicht waren, dass sich von der grossen Wasserscheide Europas aus ein entscheidender strategischer Einfluss auf die nördlich und südlich der Alpen liegenden Kriegschauplätze ausüben lasse. Man glaubte, von der Schweiz aus sowohl Süddeutschland als Oberitalien, sowie die beidseitig der Alpen nach Wien führenden Wege «beherrschen» zu können. Die Geschichte zeigt aber, dass dieses ein Irrtum war, und dass die kriegerischen Ereignisse in der Schweiz keineswegs die Bedeutung erreichten, die den Operationen andrer Armeen von gleicher Stärke auf ändern Kriegschauplätzen zukam.
Man könnte versucht sein, eine Bedeutung des militärischen Besitzes der Schweiz für den grossen Krieg zu folgern aus dem Zug Bonapartes (1800) über den Grossen St. Bernhard; doch ist zu beachten, dass die allgemeinen und besondern Verhältnisse damals ganz anders waren als sie heute sind und auch in Zukunft sein werden. Die Reserve-Armee Bonapartes war nicht stärker als ein heutiges Armeekorps; die Überraschung konnte nur gelingen, weil die in Oberitalien befehligenden österreichischen Generale Flanke und Rücken ihrer Truppen in den Alpen so ungenügend gesichert hatten, dass sich die verhältnismässig schwachen französischen Kräfte in Oberitalien vereinigen und über Mailand zur Entscheidungsschlacht gegen Alessandria-Marengo vormarschieren konnten. Bei den heutigen Massen und Nachrichtenmitteln ist eine solche Unternehmung überhaupt nicht mehr denkbar. - Übrigens machte auch schon damals das lange Defilee des Aosta-Tales den Vormarsch zu einem äusserst unsichern und es hing an einem Faden, dass nicht am Fort de Bard die ganze Operation scheiterte. Weiter spricht der Verlauf der Operationen Massénas, Erzherzog Karls und Suwaroffs von 1799 in gleichem Sinne. Namentlich zeigt der Marsch Suwaroffs über die Alpen gegen Masséna, wie die Schwierigkeit des Geländes alle Berechnungen von Zeit und Raum im Gebirge über den Haufen wirft und wie mit verhältnismässig geringen Kräften weitausholende Bewegungen von Massen, die in anderem Gelände entscheidende Erfolge erringen könnten, aufgehalten und vereitelt werden können. Besonders lehrreich ist in der Hinsicht ein Vergleich zwischen der Wirkung der zwei Schlachten bei Zürich und der der Schlacht bei Stockach im offenem Gelände Süddeutschlands. Während die strategische Lage der Schweiz durch die beiden Zürcher Schlachten nicht wesentlich verändert wurde, wird Jourdan durch die Misserfolge von Ostrach und Stockach gezwungen, nicht nur an den Schwarzwald sondern bis über den Rhein zurückzugehen.
Später hat Napoleon, wohl gutenteils auf Grund dieser Erfahrungen, nie mehr die Schweiz als Basis für einen Feldzug benützt, obschon z.B. 1805 und 1809 sowohl nördlich als südlich der Alpen operiert wurde. Das blieb so bis zum Feldzuge von 1814. In diesem wurde von der Armee Schwarzenberg, nach einem Linksabmarsch aus Mitteldeutschland, die Schweizergrenze zwischen Basel und Schaffhausen überschritten und dann der Vormarsch über die schweizerische Westgrenze nach Frankreich angetreten. Niemand wird aber diese exzentrische Operation, durch welche die Armeen der Verbündeten (350,000 Mann) von Holland bis gegen Lyon verzettelt wurden, als nachahmenswert bezeichnen. Napoleon erhielt durch diese Trennung der Armeen des Gegners Gelegenheit zu glücklichen Offensivstössen, und erst als östlich Paris die Vereinigung der Verbündeten wieder stattgefunden hatte, konnte die Entscheidung zu deren Gunsten herbeigeführt werden.
Aus der Kriegsgeschichte lässt sich also nicht nachweisen, dass sich aus der Schweiz hinaus unter günstigen Verhältnissen eine Offensive gegen irgend einen der Nachbarstaaten durchführen lässt. Trotzdem ist noch zu untersuchen, ob sich nicht die Grundlagen der Kriegführung seither so geändert haben, dass die zentrale Lage der Schweiz in einem künftigen Kriege besser ausgenützt werden kann, als es früher der Fall war, oder ob im Gegenteil nicht eine Verschiebung der Verhältnisse stattfand, welche die Bedeutung der Schweiz als Ausgangsland für eine Offensive oder auch nur als Durchzugsgebiet noch mehr vermindert hat, als dieses in den grossen Kriegen früherer Zeiten bereits der Fall war.
Der Weltkrieg 1914/18 hat gezeigt, dass die Entscheidung keineswegs allein auf dem Schlachtfelde fällt, sondern dass die Völker Europas und ihre Heere ohne überseeische Verbindungen nicht mehr zu bestehen vermögen. Dadurch wird allein schon die Bedeutung der in der Mitte Europas, weitab vom Meere liegenden, an Verpflegungs- und Kriegsmitteln armen Schweiz für die grosse Kriegführung wesentlich verringert. Je enger in einem Kriege Heer und Flotte Zusammenarbeiten, um so kleiner wird das militärische Interesse an den Binnenländern. Bei einer Exekution des Völkerbundes gegen irgend einen europäischen Staat wird ganz gewiss die Seesperre eines der ersten und wirksamsten Kampfmittel sein; daraus ergibt sich die ausschlaggebende Bedeutung der Seestreitkräfte, deren Tätigkeit um so wirkungsvoller sein wird, je besser sie mit dem Auftreten der Landheere in Zusammenhang gebracht wird.
Die kleinen Heere des Revolutionszeitalters stellten nur geringe Ansprüche an den Nachschub, da sie den grössten Teil ihrer Bedürfnisse aus dem Operationsgebiete befriedigen konnten. Im Kriege 1870/71 reichte die Heimat noch aus, um den Nachschub sicherzusteh n. Das ist seither anders geworden. Die Basis, aus der die Heere ihre Bedürfnisse beziehen, erstreckt sich weit über Europa hinaus. Noch grösser wird die Bedeutung der überseeischen Verbindungen bei den Heeren sein, die vom Völkerbund aufgestellt und zum Teil von jenseits des Ozeans auf den Kriegschauplatz gebracht werden. Dadurch wird ganz naturgemäss auch das Operationsgebiet der Armeen mehr gegen das Meer verlegt. (1914/18: vermehrte Bedeutung von Flandern und des Artois gegenüber Lothringen infolge des Einsatzes englischer Streitkräfte.)
Ferner sind folgende allgemeine Grundsätze zu beachten:
Auch der Völkerbund wird bei Bezwingung eines unbotmässigen Staates nach den allgemeinen Grundsätzen der Kriegführung handeln müssen, also mit seinen Massen gegen die Quellen der feindlichen Widerstandskraft vorgehen, um diese zu zerstören.
Die Heeresmassen können zu einheitlichem und wirksamem Einsatz nur in einem Gebiete gebracht werden, das freie Bewegungen gestattet, also in gut gangbarem Gelände ein enges Netz von Verkehrswegen aller Art besitzt.
Die Kriegserfahrung lehrt, dass Flusslinien den militärischen Operationen geringere Schwierigkeiten entgegenstellen als Gebirge und grosse Waldgebiete.
Noch nach 1871 war es allgemeine Lehre, dass das hauptsächliche, ja das einzige Ziel militärischer Operationen die Zertrümmerung der feindlichen Streitkräfte in der Schlacht sein müsse, und dass alle ändern Ziele, insbesondere die Eroberung von Gebietsteilen, erst in zweite Linie zu stellen seien. Nun zeigt aber die Erfahrung, dass es Gebiete gibt, die von keiner Armee ohne entscheidende Nachwirkung preisgegeben werden dürfen: die Industriegebiete, aus denen die Heere die Mittel beziehen, die ihre Kampfkraft erhalten. Fallen diese in Feindeshand, so hört der Widerstand auf, auch wenn die Armee noch nicht in der Schlacht zertrümmert wurde. Infolgedessen wird jede Armee suchen, diese Gebiete zu dekken und daraus ergibt sich ganz naturgemäss der Zusammenstoss der gegeneinander angesetzten Hauptkräfte in der Richtung der Kohlen- und Eisengebiete, wo die hauptsächlichsten Kriegsindustrien ihren Sitz haben.
Versucht man, diese allgemeinen Sätze auf die militärische Bedeutung der Schweiz anzuwenden, so erkennt man sofort, dass kein von Schweizerboden aus leicht erreichbares Gebiet irgend eines Nachbarstaates eine ausschlaggebende Bedeutung für dessen Widerstandskraft im Kriege hat. Als Ausnahme kann in beschränktem Masse die Gegend von Mailand angesehen werden; hier liegen jedoch andre Schwierigkeiten vor, die im besondern Teil dieser Darlegungen noch behandelt werden.
B. Die Verhältnisse bei einer Exekution des Völkerbundes gegen einen oder mehrere
Nachbarstaaten der Schweiz.
a.) Gegen Deutschland.
Für Deutschland handelt es sich beim Widerstand gegen eine Exekution des Völkerbundes um einen Zweifronten-Krieg, bei dem die Hauptgefahr von Westen her kommt. Die Ostgruppe des Völkerbundes (Polen, Tschecho-Slowaken, Südslaven, die ehemals russischen Randstaaten und allenfalls die deutsch-österreichische Gruppung) wird jedoch unter allen Umständen einen bedeutenden Teil der deutschen Streitkräfte festhalten, vermutlich aber ebenfalls in der Lage sein, in deutsches Gebiet einzudringen. Die von der Natur gegebene Richtung jeder aus Polen und Böhmen gegen Deutschland unternommenen Operation ist Schlesien und Sachsen. Süddeutschland kommt kaum ernstlich in Betracht, doch muss auch Bayern gegen die von Südosten (Südslawien und allfällig östlicher Nachbar der Schweiz) von den Deutschen ausreichend gesichert werden.
Für die stärkern, in Frankreich und Belgien, u.U. auch in Holland sich sammelnden Kräfte des Völkerbundes geht die wirksamste Operationsrichtung unzweifelhaft durch das rheinisch-westfälische Industriegebiet und durch Mitteldeutschland, rechter Flügel nördlich am Schwarzwald vorbei durch Franken (= allgemeine Richtung Napoleons 1806). Auf diesem Wege wird am schnellsten der Anschluss an die tschechische Armee erreicht, so dass dann die Armeen des Völkerbundes eine einheitliche Masse bilden. Ausserdem wird Süddeutschland auf diese Weise von seinen Verbindungen mit dem Gebiet nördlich des Main abgeschnitten und so abgesondert, dass seine Widerstandskraft rasch zusammenbrechen muss.
Ein Angriff aus dem Eisass gegen Osten stösst im Schwarzwald auf solche Schwierigkeiten, dass er nur als Nebenoperation angesehen werden kann, die, ohne ein wichtiges Ziel zu haben, verhältnismässig starke Kräfte von der Hauptarmee abzieht. Stehen die Armeen des Völkerbundes einmal in Franken, so bricht die badische Front der Deutschen von selbst zusammen.
Von Süden, also von der Schweiz her, ist auf der Front Bodensee-Basel keine nennenswerte Wirkung zu erzielen. Allerdings würde das engmaschige Verkehrsnetz der Nordschweiz den Aufmarsch einer starken Armee erleichtern; aber das vorliegende deutsche Gebiet eignet sich weder für Operationen grossen Stils, noch würde dessen Besetzung einen dem Kraftaufwand entsprechenden Einfluss auf die Gesamtlage ausüben:
1. der Bodensee einerseits und der Schwarzwald anderseits beschränken den Ausfallraum aus der Schweiz nach Norden auf den schmalen Raum zwischen Konstanz und Waldshut (etwa 70 km);
2. weder der Schwarzwald noch Hohenzollern noch Oberschwaben sind Gebiete, wo Deutschland in seiner Widerstandskraft getroffen wird, und selbst die Besetzung von Ulm und Stuttgart hätte lange nicht die tatsächliche oder auch nur die moralische Bedeutung wie die Einnahme von Frankfurt oder der rheinischen Industriestädte, die alle von Westen her viel leichter zu erreichen sind, als Stuttgart oder Ulm von Süden;
3. die Niederwerfung Bayerns kann von Nordwesten her, also aus Franken, viel leichter und rascher bewerkstelligt werden, als von Südwesten, wo das Strassen- und Eisenbahnnetz viel weniger dicht ist und der Bodensee und das östlich anschliessende Gebirge recht unbequeme Hindernisse bilden.
Die Tätigkeit der gegen Deutschland eingesetzten Flotten ist hier nicht behandelt; je kräftiger diese auftreten, um so näher wird das Schwergewicht der Operationen von den Grenzen der Schweiz weggezogen.
b.) Gegen den Staat östlich der Schweiz.
Die Grenzen des Staates östlich der Schweiz sind noch nicht festgesetzt, doch lässt sich heute schon soviel erkennen, dass er mit seiner schmälsten Front an die Schweiz grenzen wird, während er nach Norden, gegen Deutschland, und nach Süden, gegen Italien und Südslawien, viel ausgedehntere Grenzen haben wird.
Von der Schweiz nach Osten führt nur eine durchlaufende Operationslinie, die Arlberglinie, die ein langes Defilee ist, wo die Verteidiger des Vorarlberg und des Tirol mit verhältnismässig schwachen Kräften zähen Widerstand leisten können. Zur Umgehung des Arlberg könnte allerdings ein Stoss aus Graubünden gegen Landeck längs der Innschlucht geführt werden; diese Unternehmung würde aber auf grosse Geländeschwierigkeiten stossen und ihre Ausdehnung weiter gegen Osten wäre nicht möglich, denn südlich des Inntales bildet die Gruppe der Ötztaler- und Stubaieralpen ein allzugrosses Hindernis. Nördlich der Arlberglinie und des Inntales zwischen Landeck und Kufstein ist das Gelände für grössere militärische Operationen in der Richtung von Westen nach Osten nicht verwendbar.
Dagegen gibt es aus Bayern, Böhmen und Mähren eine grosse Zahl von Operationslinien gegen die Linie (Landeck-) Imst-Innsbruck-Selzachtal-Wien, bei deren Erreichen jeder Widerstand zusammenbrechen muss, wenn gleichzeitig von Süden her, aus Italien und Südslawien, gegen Norden vorgegangen wird. Auch hierzu sind die Verhältnisse viel günstiger, als für eine Offensive aus der Schweiz, weil die im Gebirge zurückzulegende Strecke viel kürzer ist, und ausserdem nicht nur eine, sondern eine grössere Zahl von Operationslinien vorhanden ist.
Im ganzen darf jedoch als ausgeschlossen angenommen werden, dass überhaupt einmal der Versuch unternommen wird, in dem schmalen Hochgebirgsstreifen zwischen dem Vorarlberg und Wien gegen die Armeen des Völkerbundes zu kämpfen, sofern von dort aus gleichzeitig Front nach Norden und Süden gemacht werden muss.
c.) Gegen Italien.
Während sowohl gegen Deutschland als gegen den Staat östlich der Schweiz die Flotte des Völkerbundes nur eine Nebenrolle spielen kann, wird sie bei einer Exekution gegen Italien einen entscheidenden Einfluss ausüben, denn allein schon die Möglichkeit einer grossen Unternehmung zur See zwingt Italien, einen sehr grossen Teil seiner Streitkräfte zur Küstensicherung und zur Verteidigung seiner Häfen zu verwenden, also die Verteidigung seiner Landgrenzen wesentlich zu schwächen.
Die italienische Landgrenze zerfällt in drei geographisch und politisch scharf getrennte Abschnitte:
vom Meere bis zur Mont Blanc-Gruppe (Westfront),
von der Mont Blanc-Gruppe bis zur Stilfser-Joch-Ortler-Gruppe (Nordfront),
östlich der Ortler-Gruppe (Ostfront noch nicht bestimmt).
Jeder dieser Abschnitte bildet ein Operationsgebiet für sich. Abgesehen von dem Küstenschutz entsteht daraus für Italien ein Krieg auf mehreren Fronten.
Die Ostfront zerfällt auf alle Fälle in zwei Abschnitte, den südslawischen und deutsch-österreichischen. Mit Rücksicht auf die schwierigen Geländeverhältnisse der Kärntner und Tiroler Grenzen wird hier das Hauptgewicht der Operationen um so mehr in das Küstenland und Krain verlegt werden, als von den Südslawen eine grössere militärische Leistung erwartet werden kann, als von Deutsch-Österreich. Immerhin wird der Offensive gegen Italien von Osten her eine geringere Bedeutung beigemessen werden müssen, als der Offensive über die italienische Westfront, weil sich gegen diese viel leichter starke Streitkräfte vereinigen lassen, als in irgend einem ändern Abschnitt der italienischen Landgrenze. Ausserdem laufen die Gebirgspässe der Westalpen konzentrisch gegen die Linie Cuneo-Turin zusammen. Als günstig muss für einen Angriff gegen Italien von Westen her ferner bezeichnet werden:
der Aufmarsch kann auf der Front Col di Tenda-Mont Cenis dicht am Gebirgskamm, gedeckt durch die französischen Grenzbefestigungen, erfolgen;
der Abstieg vom Kamm der Westalpen in die Ebene ist verhältnismässig kurz;
der Angriff ist unmittelbar gegen das bedeutendste italienische Industriegebiet gerichtet;
die Operation lässt sich mit Vorteil mit einer Flottenunternehmung grossen Stils gegen die ligurische Küste verbinden, wodurch eine viel grössere Wirkung erzielt werden kann, als in irgend einem ändern Teil des oberitalienischen Kriegschauplatzes.
Wer nur die Karte betrachtet, ohne das Gelände zu kennen, könnte auf den Gedanken kommen, dass die Offensive gegen Cuneo-Turin zweckmässig unterstützt werden könnte durch einen Vorstoss aus der Schweiz gegen Chivasso-Novara-Mailand. Eine solche Unternehmung würde jedoch auf ausserordentliche Schwierigkeiten stossen, die in der Hauptsache in den besondern Geländeverhältnissen, dann aber auch in den Kriegsvorbereitungen Italiens liegen. Allerdings ist die italienische Westfront ebenfalls befestigt, aber Frankreich hat den italienischen Forts gegenüber mindestens ebenso starke Befestigungen, die sehr wohl geeignet sind, als Ausgangspunkte des Angriffs zu dienen; das ist an der schweizerischen Südgrenze nicht der Fall. Die dort gebauten, mehr als bescheidenen Befestigungen liegen so, dass sie zur Unterstützung eines Angriffs nicht taugen, sondern nur als reine Abwehrmassregeln angesehen werden können, während der Wirkungsbereich der italienischen Befestigungen sich weit in schweizerisches Gebiet hinein erstreckt.
Die schweizerisch-italienische Front zerfällt in drei Abschnitte:
der Westflügel, mit dem einzigen fahrbaren Übergang des Grossen St. Bernhard, zwischen dem Mont Blanc und den Penninischen Alpen;
das Zentrum im Gebiet der oberitalienischen Seen;
der Ostflügel vom Comer-See bis zum Ortler.
Eine Offensive aus der Schweiz über den Grossen St. Bernhard, dessen Passhöhe von den italienischen Befestigungen aus beherrscht wird, und seine Nebenpässe, stösst in südlicher Richtung auf das unüberschreitbare Massiv des Gran Paradiso (über 4000 m); sie muss also, auch wenn sie vom Kleinen St. Bernhard her unterstützt wird, dem Tal der Dora Baltea folgen, das von den Italienern vollständig und in mehreren hintereinander liegenden Stellungen zur Verteidigung vorbereitet worden ist. Es würde sich hier also um eine langwierige und viel Kraft verbrauchende Unternehmung handeln, bis endlich bei Ivrea der Ausgang aus dem Gebirge erkämpft wäre. Dann stände aber die aus dem Tal sich entwickelnde Kolonne ganz zusammenhanglos da, hinter sich einen auch im Sommer oft verschneiten Pass von mehr als 2400 m ü.M., etwa 150 km von der Eisenbahn im Rhonetal entfernt. (Die Verbindung über den Kleinen St. Bernhard nach Bourg-St. Maurice ist noch etwas weiter. Die Strassen haben hier, wie das bei vielen ändern schweiz. Bergstrassen der Fall ist, zum Teil so enge Kehren, dass ein ungehinderter Verkehr normaler Lastautomobile kaum möglich ist.)
Dem Ostßügel der schweizerisch-italienischen Front liegt die Kette der Bergamasker Alpen vor, die durch starke neue Befestigungen gegen Norden gesichert ist. Eine Offensive aus dem Puschlav und durch die Val Camonica gegen das Gebiet des Iseo-Sees kann als ausgeschlossen angesehen werden; jede solche Unternehmung über die Graubündner Grenze muss dem Lauf der Gewässer folgen, die sich am Nordende des Comer-Sees vereinigen. Dort stösst die Offensive ebenfalls auf starke Befestigungen und wenn diese überwunden sind, so bleibt immer noch der Durchzug durch die langen Defileen beidseitig des Comer-Sees zu erzwingen, bis endlich bei Como oder südlich Lecco der Ausgang in die Ebene erreicht wird. Auch hier würde die Verbindung mit der nächsten Normalbahnstation im Ausgangsgebiet der Offensive ausserordentlich lang sein: Lecco-Chur über den Splügenpass etwa 160 km.
Günstiger scheinen die Verhältnisse zu sein für eine Offensive aus der Schweiz im Gebiet der italienischen Seen, da hier das schweizerische Gebiet bis an den Rand der italienischen Ebene heranreicht; doch ist das tatsächlich viel mehr Schein als Wirklichkeit, denn die Seen schränken die militärische Bewegungsfreiheit ganz erheblich ein, trotzdem zwei Eisenbahnlinien gegen die Mitte der schweiz.-italienischen Front führen.
Auf die Benützung des Simplontunnels kann überhaupt nicht gerechnet werden, denn sein Südausgang ist in italienischem Besitz und mit grossen Mitteln zur Sperrung und Zerstörung vorbereitet. Infolgedessen erhält auch die Simplonstrasse nur untergeordnete Bedeutung, zumal sie vor ihrer Ausmündung in die Ebene westlich des Langensees noch besonders durch ständige Befestigungen gesperrt ist, und die auf dieser Operationslinie angesetzte Kolonne völlig getrennt die Gegend von Borgomanero-Sesto Calende erreichen würde, sofern es ihr gelänge, alle Hindernisse zu überwinden. Hier würde die Verbindung bis zur nächsten Normalbahnstation (Brig) etwa 125 km betragen und die Überwindung der Simplonstrasse mit grossen Lastauto-Kolonnen wäre keineswegs leicht.
Bei einer Operation gegen Italien mit Basierung auf die Gotthardbahn muss damit gerechnet werden, dass die Italiener dem Angriff zuvorkommen und sich durch einen Handstreich Bellinzonas bemächtigen, was ihre militärische Lage bedeutend verbessern würde, da zur Sperrung des Tessintales nördlich Bellinzona verhältnismässig schwache Kräfte ausreichen. Aber auch wenn der Talkessel von Bellinzona zur Bereitstellung der zum Angriff gegen Italien bestimmten Truppen benützt werden kann, so beschränkt sich doch die Operationsmöglichkeit auf drei Strassen, die alle enge Defileen sind, welche von den Italienern unter günstigen Umständen beherrscht werden und daher leicht zu sperren sind;
die Strasse westlich des Lago Maggiore kann leicht unterbrochen und vom Ostufer des Sees unter Feuer gehalten werden; der Entwicklungsraum ist durch das Massiv des Gridone stark eingeschränkt und der Cannobino bildet einen schwer zu überwindenden Abschnitt;
Strasse und Eisenbahn nach Luino liegen unter dem Feuer von auf dem Westufer des Sees aufgestellten Geschützen und können ebenfalls leicht unterbrochen werden; auch hier sind die Entwicklungsmöglichkeiten durch die Steilhänge des Tamaro-Massivs sehr eingeschränkt. Auf jeden Fall sind die Ufer des Langensees nicht geeignet, eine grosse Offensive durchzuführen. Aber selbst wenn alle diese Schwierigkeiten überwunden werden könnten, so stiesse der Angriff an der Tresa und am Toce auf neue, sehr starke Verteidigungsabschnitte;
die dritte Operationslinie, über den Monte Ceneri durch das Gebiet von Lugano, wird von den Höhen südlich des Luganer-Sees (Gebiet von Lanzo d’Intelvi) so beherrscht, dass sowohl alle gegen die Tresa führenden Strassen und Wege, als auch alle Zugänge zu Lugano bis nahe zum Monte Ceneri unter dem Feuer italienischer Geschütze liegen, für welche die Stellungen hinter den fast unangreifbaren Höhen von Lanzo d’Intelvi vorbereitet sind. So lange diese im Besitz der Italiener sind, muss ein Übergang über den Damm von Melide und auch ein Vordringen über Tresa hinaus als unmöglich angesehen werden. Aber selbst die Besetzung des Gebietes von Lugano ist erst dann genügend gesichert, wenn man von Bellinzona aus durch das Joriogebiet den obern Comer-See und die Senke von Porlezza-Menaggio erreicht hat. Ohne jede durchlaufende fahrbare Verbindung gegen die Gotthardbahn müsste dann der Angriff gegen das Gebiet von Intelvi und den Monte Generoso angesetzt werden, was ausserordentliche Schwierigkeiten verursachen würde.
Hat der Angreifer endlich die Defileen des Luganer-Sees und die Tresa hinter sich, so stösst er auf die Befestigungen - die von den Italienern auf Linie Brunate-Como-Campo dei Fiori-Varese angelegt worden sind und die angegriffen werden müssen - mit leicht zu beschädigenden Verbindungen dicht hinter der Kampffront. Sind auch diese Sperren überwunden, so befindet sich die schmale Angriffsfront Varese-Como allerdings nahe bei Mailand, aber unter verhältnismässig ungünstigen Umständen: ganz vereinzelt und auf die eigne Kraft angewiesen, nur eine einzige Eisenbahn im Rücken gegenüber einem Gegner, dem zur Vereinigung seiner Kräfte eine grosse Zahl von Strassen und Eisenbahnen zur Verfügung steht.
Konnte man sich bei der Behandlung der operativen Bedingungen für eine Exekution gegen Deutschland und den Staat östlich der Schweiz auf eine allgemeine Darstellung beschränken, so war hier eine eingehende Auseinandersetzung der strategischen und taktischen Verhältnisse notwendig, da es sich bei einem Angriff aus der Schweiz gegen Italien um ganz eigenartige Entwicklungen aus dem Gebirge gegen die Ebene handelt, deren Schwierigkeiten allzu leicht unterschätzt werden.
d.) Gegen Frankreich.
Bei einer Exekution des Völkerbundes gegen Frankreich werden die Hauptkräfte von England, Deutschland und Belgien zu stellen sein, deren natürlicher Versammlungsraum zwischen der Pfalz und der belgischen Küste liegt. Die sich daraus ergebende Angriffsrichtung geht mit dem linken Flügel durch Lothringen nördlich der Vogesen vorbei, ähnlich wie 1914, wobei die Beantwortung der Frage, in welcher Richtung die Hauptkräfte angesetzt werden, nicht versucht wird, da ihre Lösung von den besondern Umständen abhängt, unter denen der Krieg begonnen und durchgeführt wird.
Das Eisass kommt zunächst nicht in Betracht, denn die Vogesen und die stark befestigte Burgunder Pforte bilden Hindernisse, die um so eher vermieden werden, als der Zusammenhang der gegen Frankreich eingesetzten Streitkräfte beim Angriff durch Lothringen besser gewahrt wird und sich kein operatives Ziel in ersterer Richtung befindet, das aus der Gegend nördlich oder nordwestlich der Vogesen nicht ebensogut erreicht werden könnte.
Frankreich wird genötigt sein, einen Teil seiner Kräfte gegen Italien und unter Umständen auch gegen Spanien stehen zu lassen, obwohl weder die franz.-italienische Alpen-, noch die Pyrenäengrenze sich für eine grosse Offensive nach Frankreich hinein eignen, es sei denn, dass gleichzeitig eine ernsthafte Flottenunternehmung im Golfe du Lion stattfindet. Diese dürfte namentlich dann wirksam sein, wenn durch sie die Verbindungen Frankreichs mit Afrika unterbrochen werden. Ferner wird die Sicherung der Küsten des Kanals und des Atlantischen Ozeans bedeutende französische Streitkräfte beanspruchen, die 1914-1918 zur Verwendung auf dem Schlachtfelde frei waren.
Gegenüber einer grossen Offensive im Norden und der Absperrung Frankreichs gegen Süden käme die Wirkung einer Offensive durch den schweizerischen Jura gegen Dijon und das Plateau von Langres kaum in Betracht, namentlich wenn man die zur glücklichen Durchführung eines solchen Unternehmens notwendigen starken Kräfte berücksichtigt. Von noch geringerem Einfluss auf die Gesamtlage wäre ein Stoss gegen Südwesten, auf Lyon, da er ebenfalls eine vereinzelte Unternehmung wäre, die starke Kräfte vom Hauptkriegsschauplatz abziehen würde und selbst im Falle des Gelingens ohne nennenswerten Einfluss auf die Gesamtentscheidung wäre. Auch wenn Lyon genommen würde, so wäre dadurch die französische Südostgrenze keineswegs für eine italienische Offensive genügend geöffnet.
Man darf nicht ausser Acht lassen, dass Frankreich in der Lage ist, seine Reserven sehr rasch von dem nördlichen Kriegschauplatz nach Südosten und Süden zu verschieben, also auf den innern Linien zu operieren, um so jede Trennung der in Frankreich eindringenden Streitkräfte zu Teilerfolgen auszunützen. Dem wird am besten entgegengearbeitet durch Vereinigung möglichst starker Kräfte auf dem rheinisch-belgischen Kriegschauplatz (1815) und Festhalten französischer Kräfte an den südlichen Grenzen und an den Küsten infolge dauernder Bedrohung.
In diesem grossen Rahmen kommt die Grenzstrecke Basel-Genfersee nicht in Betracht, denn die Vereinigung und Bewegung der zu einer grossen Unternehmung nach Frankreich hinein notwendigen Streitkräfte hinter und im Jura würde bei dem bestehenden Mangel an guten Strassen Schwierigkeiten machen, die in keinem Verhältnis stehen zu dem zu erwartenden Nutzen. Die östlich Deutschland und der Schweiz verfügbaren Truppen des Völkerbundes (Staat östlich der Schweiz, Tschecho-Slowaken, Südslawen) können gegen Frankreich besser im Verbände des Hauptheeres im Norden verwandt werden, als zu einer Nebenunternehmung von zweifelhaftem Werte durch die Schweiz.
e.) Gegen mehrere Staaten.
Haben sich mehrere Staaten zum Widerstand gegen den Völkerbund entschlossen, so kann wohl angenommen werden, dass die Exekution sich in der Hauptsache zunächst gegen den stärkern davon richtet; ist dieser niedergeworfen, dann ist die Überwindung des oder der ändern nur noch eine leichte Sache, wenn er oder sie den Widerstand nicht von selbst aufgeben. Es lassen sich natürlich die verschiedensten Fälle denken, infolgedessen beschränken wir uns hier auf die hauptsächlichsten Möglichkeiten.
Gegen Deutschland und den Staat östlich der Schweiz. Hier wird es sich in erster Linie darum handeln, Deutschland niederzuwerfen; das kann am besten geschehen, wenn zunächst, wie unter a.) dargelegt wurde, die Hauptkraft von Westen her so angesetzt wird, dass durch den Zusammenschluss der durch Franken vorgehenden Teile des Westheeres des Völkerbundes mit den Tschecho-Slowaken und Polen eine Trennung von Nord und Süd in Deutschland stattfmdet, und dann ein Teil nach dem ändern niedergeworfen wird. Die Südslawen und Italiener sind gewiss imstande, soviel Kräfte des Staates östlich der Schweiz auf sich zu ziehen, dass eine nennenswerte Einwirkung der Streitkräfte dieses Staates auf die Lage in Deutschland ausgeschlossen ist.
Gegen Deutschland und Italien. Auch hier dürfte es sich empfehlen, zunächst alle Kräfte, die nicht unumgänglich zur Sicherung gegen Italien notwendig sind, gegen Deutschland einzusetzen; ist dieses nach den unter a.) zusammengefassten Grundsätzen niedergeworfen, so kann gegen Italien nach c.) vorgegangen werden. Den südslawischen und einem Teil der französischen Streitkräfte käme in der ersten Periode der Exekution (Kampf gegen Deutschland) die Sicherung gegen Italien zu, wobei auch die Flotte mitzuwirken hätte. Sollte auch der Staat östlich der Schweiz in diesem Kriege auf Seite Deutschlands und Italiens mitwirken, so würde das lediglich zur Folge haben, dass die Südslawen grössere Anstrengungen machen müssten, um ihrer Aufgabe gegen Italien und gleichzeitig gegen den Staat östlich der Schweiz gerecht zu werden; unter Umständen müsste ein Teil des tschechoslowakischen Heeres gegen den Staat östlich der Schweiz eingesetzt werden, bis die Entscheidung gegen Deutschland gefallen wäre; in keinem dieser Fälle wäre jedoch eine Änderung der bei Behandlung der Exekution gegen die Einzelstaaten in Bezug auf die Bedeutung der Schweiz dargelegten Grundsätze notwendig. Im Gegenteil: je grösser das Kampfgebiet wird, um so geringer wird der Einfluss einer von der Schweiz aus angesetzten Offensive.
Gegen Frankreich und Italien ist das Zusammenfassen aller verfügbaren Streitkräfte gegen Frankreich nach d.) um so notwendiger, als Italien einen Teil seiner Streitkräfte Frankreich zur Verfügung stellen könnte. Kraftvoller Einsatz der Armee des Staates östlich der Schweiz und Südslawiens muss das nach Möglichkeit zu verhindern suchen. Ist Frankreich bezwungen, so kann die Exekution gegen Italien nach den unter c.) entwickelten Grundsätzen durchgeführt werden. Besondere Bedeutung käme in diesem Falle der Tätigkeit der Flotten des Völkerbundes im Mittelmeere zu, die sowohl gegen Frankreich als gegen Italien wirksam wäre.In keinem der möglichen Fälle einer Exekution gegen einen Nachbarstaat der Schweiz könnte der Durchmarsch der Truppen des Völkerbundes durch die Schweiz einen erheblichen Einfluss auf die Entscheidung ausüben; im Gegenteil: die Gesamtlage wird immer derart sein, dass die grossen Schläge fern von den Grenzen der Schweiz fallen. Der Einsatz von Völkerbundstruppen aus der Schweiz heraus würde deshalb eine Schwächung der Kraft bedeuten infolge Zersplitterung der verfügbaren Streitkräfte des Völkerbundes auf Nebenkriegschauplätze.
Anderseits bildet das von den eignen Kräften verteidigte Gebiet der Schweiz eine wertvolle Anlehnung, sowie Rücken- und Seitensicherung aller Armeen, die in der Nähe der Schweiz operieren, wie auch der Weltkrieg es mit aller Deutlichkeit erwiesen hat.Wir haben aber noch den Fall ins Auge zu fassen, wo man uns den Weg zum Völkerbund damit zu ebnen und zu erleichtern suchte, dass man sowohl auf aktive Teilnahme der Schweiz an einer Vollstreckung, als auf Benützung schweizerischen Gebietes Seitens des Völkerbundes verzichten würde. - Dann hätten wir, gemäss Statut (Pacte), nur die Verpflichtung einzugehen, durch die wirtschaftliche Absperrung an der Zähmung des oder der Widerspenstigen teilzunehmen. Man wird nicht verfehlen, uns zu erklären, der Weltkrieg habe uns gelehrt, dass die Teilnahme an der Sperre uns auf keinen Fall erspart würde, wie es auch von 1914-19 der Fall gewesen sei. Wir übernähmen mit dem Eintritt in den Bund, der uns ganz wesentliche wirtschaftliche und politische Vorteile sichere, nur eine selbstverständliche Pflicht, der wir uns überhaupt nicht entziehen könnten.
Ich halte dafür, dass das Timeo Danaos et dona ferentes niemals entschiedener zutreffen kann als in diesem Falle. Das Eingehen der uns zugemuteten Pflicht zur Teilnahme an einer vom «Rate der Völker» beschlossenen Sperre ist gleichbedeutend mit dem Auf geben der Neutralität, wie sie bisher vom Schweizervolke verstanden und gehandhabt wurde.
Der Vergleich mit den Verhältnissen, die der Weltkrieg für uns geschaffen hat, ist nicht zutreffend. Erstlich sind wir zur Vornahme gewisser wirtschaftlicher Absperrungen zuerst von der einen und infolge davon dann auch von der ändern Partei gegen unsern Willen gezwungen worden. Wir haben Sperre nach beiden Seiten ausgeübt und waren in der so geschaffenen heiklen Lage bestrebt, soweit möglich auch in dieser Beziehung beiden Kriegsparteien gegenüber uns aktiv und passiv gleich zu verhalten. Etwas ganz anderes aber wäre es, wenn wir zum voraus uns verpflichteten, im Exekutions- bzw. Kriegsfall zwischen Nachbarmächten zu Gunsten der einen Seite gegen die andre Seite den Verkehr abzubrechen. Was dieser Abbruch zudem alles in sich schlösse, das kann man sich, nach den Erfahrungen des Weltkrieges, leicht vorstellen: Ausweisung der «feindlichen» Ausländer, Beschlagnahme feindlichen Vermögens und Gutes, Abbruch des Geschäftsverkehrs mit Firmen, in denen «feindliches» Kapital steckte oder vermutet würde, und mit Personen, bei denen im dritten und vierten Gliede noch «feindliches» Blut gewittert würde, usw., usw. Der Völkerhass und die Begierde nach Macht und Besitz machen erfinderisch auch hinsichtlich der Plagen, die unbeteiligten Dritten auferlegt werden. - Das hat der Weltkrieg uns gelehrt.
Neutralität bedeutete für uns bisher unzweifelhaft Nichteinmischung in die Händel der ändern Staaten, noch dazu grundsätzlich und im voraus für alle Fälle durch die Verfassung erklärt. Gehen wir diese Sperreverpflichtung des Völkerbundes ein, so verlassen wir unbestreitbar diesen sichern Boden, auf dem stehend es uns gelungen ist, in den Wirren dieser Zeit nicht nur die von aussen drohenden Gefahren, sondern auch die innern Schwierigkeiten zu überwinden. Meines Erachtens liegt gerade hier eine der grössten Gefahren, der wir uns durch dieses Aufgeben der Neutralität aussetzen. Die zukünftigen Gruppierungen der Völker vorauszusehen ist nicht möglich. Unbedingt anzunehmen aber bleibt, dass der aufs Höchste gesteigerte Gegensatz von Deutschland und Frankreich sich nicht so bald verwischt und es muss damit gerechnet werden, dass dieser Gegensatz auch bei den Massnahmen des Völkerbundes auf unabsehbare Zeit eine wesentliche Rolle spielen wird. Was unser dann wartet, wenn wir uns pflichtgemäss auf die eine Seite schlagen müssen, ist leicht zu ermessen.
Der Fall ist ein ganz andrer, wenn die Lage in concreto so ist, dass wir uns entschliessen, im eignen Interesse uns auf die Seite des Völkerbundes zu stellen und mit ihm gemeinsam vorzugehen. Beispielsweise, wenn es sich um eine Vollstrekkung handelt gegen ein uns selbst direkt oder indirekt bedrohendes bolschewistisches Staatswesen. Das wäre nichts anderes, als was wir uns unter allen Umständen zu tun Vorbehalten, wenn wir tatsächlich angegriffen werden. Dann ist unsre Neutralität durch den Gegner beiseite geschoben und nicht von uns selbst verlassen.
Wir geben aber durch den Eintritt in den Völkerbund nicht nur unsre herkömmliche Neutralität, sondern auch unsre in der Verfassung begründete Unabhängigkeit preis. Die Garantiemächte von 1815 hatten zudem noch erklärt, dass die Schweiz auch von jedem fremden politischen Einflüsse frei sein solle. Das eine wie das andre ist dahin, wenn wir als Kleiner in den Bund der Grossen eintreten, die das nun errungene Imperium mundi durch den Völkerbund sanktionieren und legalisieren wollen.
Es kann gar keinem Zweifel unterliegen, dass insbesondere bei Abschluss von Handels- und Niederlassungsverträgen, bei Verkehrs- und Zollfragen und in Dutzenden von ändern zwischenstaatlichen Beziehungen die Zugehörigkeit zum Völkerbund hereinspielen und ihre Rücksichten verlangen wird. Wir werden dann förmlich gezwungen sein, dem Rechnung zu tragen und unser Selbstbestimmungsrecht wird dementsprechend aufs fühlbarste eingeschränkt.Die Frage des Beitritts zum Völkerbunde berührt überhaupt unsere militärische Stellung und die Landesverteidigung in ihrem Innersten. Aus diesem Grunde halte ich mich für verpflichtet, mich dem h. Bundesrate gegenüber dazu ohne Rückhalt zu äussern.
Unsere Neutralitäts-Erklärung will nicht nur sagen, dass wir uns in jedem Kriegsfälle vollkommen unparteiisch verhalten werden, sondern auch dass wir mit unsrer ganzen Wehrkraft dafür einstehen, damit im Interesse Aller diese Haltung von allen Kriegführenden geachtet, unser Gebiet unberührt, unsre Selbständigkeit unangetastet bleibe. Ein Staat ist nur selbständig, wenn er sein Dasein auf eigne Kraft stützen kann und will. Durch den Eintritt in den Völkerbund geben wir diesen Willen zur Selbständigkeit auf und die Rückwirkung auf die militärische Gesinnung und auf die Wehrfähigkeit unsrer Bevölkerung kann nur die allerverderblichste sein. Die Zugehörigkeit zu diesem Bunde der Grossen, zu der neuzeitlichen «heiligen Allianz» wird in Bälde zum bequemen Ruhekissen für alle diejenigen werden, die nur auf die Gelegenheit warten, die Last der Wehrpflicht von sich zu werfen, die beim ungestörten Erwerb und bequemen Genuss ihnen im Wege ist, ja diese Zugehörigkeit wird unfehlbar zum mächtigen Hebel des Antimilitarismus werden. Der Gedanke, dass wir es den Enkeln schuldig sind, ihnen das Erbe der Väter, die auf eigener Kraft und Tat ruhende Souveränität, unversehrt zu erhalten, dieser Gedanke wird rasch verblassen und der wirtschaftlich-merkantile, materielle Geist zur Alleinherrschaft gelangen. Damit aber wäre unser Vasallentum auf alle Zeit besiegelt.
Nicht genug kann sodann betont werden, wie die Lage der Schweiz, im Herzen des innerlich zerrissenen Europas, das Land bei allen zu erwartenden Vollstrekkungsaktionen unfehlbar zum Kriegschauplatz machen wird. Jede Vollstreckung bedeutet zweifelsohne Krieg und wenn wir die Neutralität preisgeben, sei es auch nur durch Teilnahme an einer einseitigen Sperre, so wird der davon betroffene Staat mit Recht und ohne weiteres uns als Gegner ansehen und behandeln. Die Folge aber ist der Einmarsch des einen Heeres und sehr wahrscheinlich auch der des ändern. Was es für ein Land bedeutet, heutzutage Kriegschauplatz zu sein, braucht niemandem auseinandergesetzt zu werden. Für ein kleines Land wie die Schweiz ist es der vollständige Ruin auf Jahrzehnte hinaus. Was wir bei der Teilnahme am Völkerbund riskieren, ist weit mehr als es für irgend ein anderes Land sein könnte. - Man lasse uns aus dem Spiel wie bisher und begnüge sich mit dem Dienste, den unsre Neutralität erwiesenermassen allen Nachbarn leistet.
Noch sei mir ein Wort gestattet über den besondern Anlass, der mir geboten wurde zur Beschäftigung mit den einschlägigen Fragen. Der Bundesrat hat mich dieser Tage durch sein Politisches und sein Mil.-Departement auffordern lassen, einige Offiziere vorzuschlagen, die in Paris vor einer militär. Kommission der Friedensdelegation die strategische Lage der Schweiz darzulegen hätten im Hinblick auf deren aktive oder passive Beteiligung an Vollstreckungshandlungen des Völkerbundes. Neben den Welschschweizern Oberst Eug. Borei, Vuilleumier, Oberstlt. Guill. Favre nannte ich als geeignet die Deutschweizer Oberstdiv. Pfyffer, Oberst Alf. Wieland, Oberstlt. A. Schwarzenbach, die Majore i. Gst. Von der Mühll & Iselin, da nach meinem Gefühle unsre beiden Volksstämme bei der wichtigen Mission vertreten sein sollten. Von den genannten Deutschschweizern musste Hr. Pfyffer wegen Landesabwesenheit fallen gelassen werden; die ändern wurden als bei der Entente nicht genehme Personen, wie gleicherweise Oberst Eug. Borei, abgelehnt. So blieben schliesslich die 2 welschen Offiziere übrig, die, wenn man von den vorerwähnten Bedenken absieht, durchaus geeignet und auch der Aufgabe gewachsen sind. Ich muss immerhin mein Bedauern darüber aussprechen, dass man in der Rücksicht auf die Entente in einer Frage des allgemeinen Völkerbundes so weit ging, dass die deutsche Schweiz in der Abordnung nicht durch einen der ihren vertreten war. Dabei muss ich aber noch im besondern feststellen, dass es sich bei der Mission nicht um eine Vertretung und Abordnung der Armee, sondern um eine militärische Abordnung des Politischen Departements oder des Bundesrates handelte, dem allein der Entscheid zustand.
Die Aufgabe, welche die Mission in Paris erfüllen sollte, war eine militärische: sie sollte einer militärischen Kommission der Friedensdelegation darlegen, bzw. nachweisen, dass weder die aktive Teilnahme der Schweiz an einer Vollstreckung des Völkerbundes, noch die Gestattung der Benutzung schweizerischen Gebietes für eine solche Vollstreckung von wesentlichem Wert für die Ziele des Völkerbundes wäre, sondern dass die Aufrechterhaltung unsrer Neutralität vielmehr auch heute noch im Interesse der europäischen Staaten liege, wie es anno 1815 von den Garantiemächten in der Kongressakte festgestellt wurde. Darüber habe ich den beiden Offizieren meine Auffassung mitgeteilt im Sinne der vorstehenden Darlegungen.
Die Frage der Teilnahme an einer wirtschaftlichen Absperrung war uns vom Politischen Departement nicht gestellt worden, wie denn die Abordnung überhaupt die grundsätzliche Frage des Beitritts der Schweiz zum Völkerbund in Paris gar nicht zu behandeln hatte. Bei den vorliegenden Darlegungen konnte ich sie nicht übergehen, weil sie die Mitwirkung bei einer Sperre und die Landesverteidigung ebensowohl berührt wie die beiden ändern Verpflichtungen, die uns der Entwurf des Völkerbund-Vertrages auferlegen würde.
Neben der militärischen Instruktion, die ich den Herren auf den Weg gab und die sie durch eignes Studium der betreffenden Fragen an Hand unsrer Akten hier noch ergänzten, hatten die beiden Offiziere vor ihrer Abreise die Mitteilungen entgegenzunehmen, welche die HH. Professor Max Huber, Bundespräsident Ador und Bundesrat Calonder, Chef des Politischen Departements, ihnen zu machen wünschten und von denen ich keine Kenntnis habe. Ich muss demgemäss auch selbstverständlich jede Verantwortung ablehnen, die aus der Teilnahme von Offizieren der Armee an den Verhandlungen in Paris abgeleitet werden wollte.
Meine Stellung, als Vertreter der Landesverteidigung, zum Völkerbund habe ich in vorstehendem Memorial dargelegt und ich kann nur unbedingt erklären, dass ich den Beitritt der Schweiz zum Völkerbunde als das Aufgeben der Selbständigkeit und immerwährenden Neutralität und als ein Unglück für unser Land betrachten würde. Das Memorandum (des Bundesrates?) vom 8. Februar 19193 will zwar an der Neutralität festhalten, übergeht aber die Frage der Teilnahme an der Absperrung des unbotmässigen Staates oder Staatenbundes mit Stillschweigen. Dies und der weitere Umstand, dass nach Zeitungsmeldungen die Verlegung des Völkerbundsitzes in die Schweiz eifrig betrieben wird, lässt vermuten, dass man den Eintritt in den Bund für möglich hält, wenn nur die Verpflichtungen der militärischen Kooperation und der Gestattung des Durchmarsches uns erlassen werden. Es kann nun nicht zweifelhaft sein, dass die Wahl einer Schweizerstadt als Sitz des Bundes die Frage unsres Beitritts aufs schwerste präjudizieren würde. Die Sache ist jedoch zu ernst und zu folgenschwer, als dass die Stelle, die in erster Linie die Fragen der Landesverteidigung zu bearbeiten hat, dazu schweigen dürfte. Der Eintritt in den Völkerbund bedarf unfehlbar der Genehmigung durch das Volk, denn er schliesst eine Änderung des verfassungsmässigen Grundsatzes der Neutralität in sich. Wie aber soll das Volk in voller Freiheit seine Stimme darüber abgeben, wenn durch die Wahl des Sitzes den Völkerbund-Staaten bereits zu verstehen gegeben wurde, dass die Frage im Grunde für uns schon erledigt sei.
In eine solche Lage dürfen weder Räte noch Volk versetzt werden und wir können den h. Bundesrat nur dringend ersuchen, dem Lande die vollkommen freie Wahl vorzubehalten zwischen der Beibehaltung der bisherigen Neutralität und deren Aufgabe um den Preis der Zugehörigkeit zum Völkerbunde. Man wird möglicherweise versuchen, uns den Nichtbeitritt zum Völkerbund entgelten zu lassen; von den Staaten aber, die für die Gerechtigkeit und Freiheit in den Krieg gezogen sind, sollte das nicht zu befürchten sein. - Andrerseits wissen wir, was die Neutralität uns war und ist; was der Völkerbund uns an Gewinn bringt, das wissen wir nicht.
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The Vorarlberg question (1919)