Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 7-I, doc. 168
volume linkBern 1979
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
Archival classification | CH-BAR#E7350#1000/1104#2* | |
Dossier title | Deutschland (1914–1918) | |
File reference archive | 1 |
dodis.ch/43913 Le Chef du Département de l’Economie publique, E. Schulthess, au Ministre de Suisse à Berlin, Ph. Mercier1
In Ihrem Bericht vom 25. Januar 19192 an das Politische Departement teilen Sie mit, dass Sie im Auswärtigen Amt eine ernste Verstimmung gegen die Schweiz konstatiert hätten, weil einmal die Schweiz mit Frankreich über die Lieferung von Saar-Kohle verhandelt habe, ohne gegen die dadurch begangene Verletzung der Waffenstillstandsbedingungen zu protestieren, und sodann, weil sie in der Frage des deutschen Warenbesitzes sehr zurückhaltend sei. Wir beehren uns, Ihnen zu Ihrer Aufklärung über diese Punkte folgendes mitzuteilen:
1) Mitte Dezember reiste eine Delegation der Kohlenzentrale in das okkupierte links-rheinische Kohlengebiet, um den Bezug von Kohle für die Schweiz zu studieren.3 Dieser Kommission wurde vom alliierten Kommando in Saarbrücken eröffnet, dass nach Weisung von Paris über die Saargruben disponiert werde, und dass man bereit sei, der Schweiz 30’000 Tonnen monatlich zur Verfügung zu stellen. Herr Konsul Löwengard von der hiesigen deutschen Gesandschaft, mit welchem wir die Frage besprochen hatten, erklärte, er begreife ohne weiteres, dass die Schweiz ihr möglichstes tue, um aus dem Saargebiet Kohle zu bekommen. In seinem Einverständnis wurde die Gesandtschaft in Paris beauftragt, bei der Entente dahin zu wirken, dass der Schweiz der Bezug von Saarkohle ermöglicht werde, d.h. dass man den Zechen gestatte zu liefern und dass man auch die entsprechenden Transporte ermögliche und fördere. Es wurde ausdrücklich nicht etwa verlangt, dass Frankreich oder die Entente der Schweiz Kohle liefere.
Die Antwort, welche in Paris erteilt wurde, lautete nun klipp und klar dahin, dass Frankreich bereit sei, der Schweiz Kohle zu liefern, und dass der Preis in Paris bestimmt werde und dort zu bezahlen sei. Es ist nun ohne weiteres klar, dass wir angesichts der ausserordentlichen Kohlennot diese ausgestreckte Hand niemals zurückweisen konnten und durften, mit der Begründung, wir wünschen nicht von Frankreich Kohle zu beziehen, sondern wir möchten die Kohle unter Mitwirkung der Entente von Deutschland bekommen. Es konnte doch wirklich nicht unsere Sache sein, gegen eine möglicherweise vorliegende Verletzung der Waffenstillstandsbestimmungen zu protestieren und uns dadurch den Bezug der dringend notwendigen Kohle zu verunmöglichen. Herr Löwengard, den wir orientierten, schien dies ohne weiteres zu verstehen.
Es ist also festzustellen, dass die Intervention der Schweiz dahinging, Frankreich möchte den Bezug von Saarkohle ermöglichen, dass die Antwort aber lautete, Frankreich will selber liefern.
Wir haben also den Versuch gemacht, die Saarkohle von den Alliierten im Einklang mit dem Waffenstillstandsvertrag, d.h. als deutsche Lieferungen, zu erhalten, konnten aber, nachdem man sich in Paris auf einen ändern Boden stellte, unmöglich deshalb den Bezug überhaupt ablehnen.
2) Was die Ausfuhr des deutschen Warenbesitzes in der Schweiz anbelangt,4 so ist es durchaus unrichtig, dass die Schweiz diese Ware im eigenen Interesse zurückbehalten wolle. Wir haben im Gegenteil ausdrücklich festgestellt, dass, abgesehen von Rohbaumwolle und einigen wenigen ändern Artikeln, die Schweiz an diesem Warenbesitz gar kein Interesse hat und von ihrem Standpunkte aus die Ausfuhr so bald als möglich freigeben könnte. Nun ist ja bei den schweizerischdeutschen Verhandlungen immer und immer wieder betont worden, und auch die hiesige deutsche Gesandtschaft stellt sich durchaus auf diesen Boden, dass der Schweiz nicht zugemutet werden kann, den deutschen Warenbesitz zur Ausfuhr freizugeben, wenn die Entente hiezu ihre Zustimmung nicht gibt. Diese Zustimmung haben wir nachgesucht, bis heute aber nicht erhalten.
Mit Bezug auf die Rohbaumwolle ist festzustellen, dass wir allerdings die Idee aufgeworfen haben, Deutschland, welches ausserordentlich Mühe hatte, sich Schweizer-Devisen zu verschaffen, könnte durch den Verkauf dieser Baumwolle in der Schweiz Mittel erhalten, um deutsche Schulden in der Schweiz zu bezahlen. Die Baumwolle ist uns auch zur Beschäftigung der Spinnerei-Arbeiter ausserordentlich erwünscht. Die hiesige deutsche Gesandtschaft schien der Anregung sehr sympathisch gegenüber zu stehen und hat, offenbar ohne ausdrückliche Ermächtigung aus Berlin, den Verkauf von 3500 Ballen angeboten. Gestern ist uns nun der Vorschlag gemacht worden, 8000 Ballen zu verkaufen, wenn die Schweiz den Rest, ca. 20’000 Ballen, bis zum 1. April zur Ausfuhr freigebe. Wir haben diesen Vorschlag sofort unserem Delegierten in Paris, der gegenwärtig dort verschiedene hängige Fragen zu erledigen sucht, weitergegeben. Wir sind unserseits mit Vergnügen bereit, dem Vorschlag zuzustimmen.
Auch in diesem Punkte beruht also die Verstimmung im Auswärtigen Amt ganz offenbar auf Missverständnissen. Wir haben übrigens vor 2 Tagen Gelegenheit gehabt, diese beiden Punkte mit dem hiesigen deutschen Gesandten, Herrn Dr. Müller, zu besprechen, und er hat unser Vorgehen in jeder Hinsicht verstanden und gebilligt und sich nicht recht erklären können, weshalb man in Berlin anderer Meinung sei. Wir bitten Sie, gelegentlich auch das Auswärtige Amt in dieser Hinsicht aufzuklären.