Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 6, doc. 426
volume linkBern 1981
more… |▼▶Repository
Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
Archival classification | CH-BAR#E1004.1#1000/9#11251* | |
Dossier title | Beschlussprotokoll(-e) 15.05.-15.05.1918 (1918–1918) |
dodis.ch/43701
CONSEIL FÉDÉRAL
Procès-verbal de la séance du 15 mai 19181
1394. Wirtschaftliches Abkommen mit Deutschland
Procès-verbal de la séance du 15 mai 19181
Herr Bundespräsident Calonder berichtet über die Besprechung, die vormittags zwischen der bundesrätlichen Delegation und Herrn Geschäftsträger Clinchant stattgefunden hat.
Herr Clinchant hat nur wiederholt2, was er sowohl Herrn Bundespräsidenten Calonder gegenüber, zum Teil wenigstens, als auch Herrn Bundesrat Schulthess gegenüber ausführlicher mitgeteilt hatte. Besonders wiederholte er die Ankündigung der schweren Folgen, die Frankreich für den Fall androhe, dass die Ansprüche Frankreichs nicht erfüllt würden.
Herr Clinchant hat sich auch darüber beschwert, dass er über den Verlauf der Unterhandlungen mit Deutschland nicht unterrichtet worden sei.
Herr Bundespräsident Calonder erachtet diese Beschwerde als unbegründet, indem der französische Geschäftsträger, soweit dienlich, unterrichtet worden sei.
Herr Clinchant hat zum Schluss den Wunsch ausgesprochen, dass die Verhandlungen nicht abgeschlossen werden möchten, sondern dass ihm noch etwa drei Tage eingeräumt würden, um nach Paris drahten und sich mit seiner Regierung in Verbindung setzen zu können.
Herr Bundespräsident Calonder hat hierauf Herrn Clinchant zugesichert, seinen Wunsch dem Bundesrat vorzulegen, indem er indessen gleichzeitig betonte, dass er nicht genauer unterrichtet sei, wie weit im gegenwärtigen Zeitpunkt die Verhandlungen mit Deutschland vorgerückt seien.
Herr Bundesrat Ador fügt zu diesen Mitteilungen hinzu, dass ihm die Sachlage aus dem Grunde als eine schwere erscheine, weil aus den Auseinandersetzungen Clinchants hervorgehe, dass diese ihrem Inhalt nach und auch sozusagen wörtlich auf einer Depesche seiner Regierung beruhen. Besonders zu beachten scheint Herrn Ador der Wunsch des Geschäftsträgers zu sein, die französische Regierung nicht vor ein Fait accompli zu stellen, weil in diesem Falle die angekündigten Massnahmen der französischen Regierung eintreten würden.
Aus diesem Grunde erklärt Herr Ador, dass es ihm unbegreiflich erscheine, wenn es sich, was er gehört habe, bewahrheiten würde, dass die Herren Unterhändler das Abkommen schon unterzeichnet haben.
Zu diesem Punkte bemerken indessen die Herren Frey und Laur, dass es sich nur um eine bedingte Unterschrift handle und dass, wenn eine neue Situation eintreten werde, die Unterschriften wieder zurückgegeben würden. Herr Frey hat keinen Zweifel, dass die deutsche Delegation die Unterzeichneten Exemplare wieder zurückgeben werde.
Zur Sache selbst sprechen sich die Herren Frey und Laur sehr éntschieden gegen das Vorgehen Frankreichs aus, das der Würde der Schweiz zu nahe trete und ihrer Souveränität Abbruch tue. Nichts wäre verhängnisvoller, als den Ansprüchen Frankreichs nachzugeben. Es gehe nicht an, dass die Schweiz ihre internationalen Verträge in Paris müsse kontrollieren lassen.
Die Herren Bundespräsidenten Calonder und Bundesrat Motta betonen dieser Auffassung gegenüber, dass die Ansprüche der beiden Mächte, die in der Vereinbarung mit Deutschland zur Erledigung kommen müssen, derart ineinander verflochten seien, dass es keineswegs eine Entwürdigung bedeute, wenn man sich mit jedem der beiden Staaten auseinandersetze. Man könne über die Kohlenkontrolle Deutschlands nicht sprechen, ohne über das Angebot Frankreichs im klaren zu sein.
Nachdem die Herren Frey und Laur sich entfernt haben, nimmt der Bundesrat seine Beratung auf.
In der Beratung wird auf der einen Seite geltend gemacht:
Die Verhandlungen mit Deutschland sind so weit gediehen, dass die Unterzeichnung des Abkommens vorgenommen werden muss, wenn man nicht den Abbruch der wirtschaftlichen Beziehungen mit Deutschland gewärtigen will. Der Wunsch Clinchants, den Abschluss um einige Tage zu verschieben, ist begreiflich. Doch hält es schwer, ihm zu entsprechen.
Es ist überaus schwierig, eine Entscheidung zu treffen, weil nach allem die Schweiz vor die Alternative gestellt wird: Bruch mit Deutschland oder Bruch mit Frankreich, was wenigstens die wirtschaftlichen Beziehungen anlangt. Was diese Möglichkeiten, wenn sie zur Wirklichkeit werden sollten, für Folgen haben können, ist unschwer auszudenken. Es sollte indessen doch gelingen, Frankreich davon zu überzeugen, dass die Stellung der Schweiz, die sie Deutschland gegenüber in dem Abkommen eingenommen hat, und dass das, was die Schweiz in den Verhandlungen mit Deutschland erreicht hat, auch der Auffassung Frankreichs genügend Rechnung trägt.
Mehrfach wird daraufhingewiesen, dass gerade eine nicht geringe Schwierigkeit darin besteht, sich über die Folgen Rechenschaft zu geben, die aus der Weigerung Frankreichs, die schweizerische Auffassung anzuerkennen, entstehen werden.
Die Gefahr ist keine geringe, dass die Spannung zwischen Frankreich und der Schweiz noch verstärkt wird, wenn das erstere, trotz vergeblichen Bemühungen seitens der Schweiz, auf seinem Standpunkte beharrt und die Schweiz sich in der Folge dennoch genötigt sieht, das Abkommen mit Deutschland abzuschliessen.
Auf der ändern Seite wird im wesentlichen folgendes hervorgehoben:
Ein Bruch mit den alliierten Staaten wäre bedenklicher als alles andere, da die Lebensmittelzufuhr der Schweiz von der Haltung dieser Mächtegruppe abhängt. Die Verhandlungen mit Deutschland sind wohl weit vorgeschritten, doch ist nichtsdestoweniger nicht zu erwarten, dass ein Aufschub um einige Tage Deutschland veranlassen wird, die wirtschaftlichen Beziehungen abzubrechen.
Die Erklärung Clinchants und seiner Regierung bildet ein Novum, gestützt auf welches die Parteien nach Recht und Billigkeit verlangen können, die Sachlage neuerdings in Erwägung zu ziehen. Das Gesuch des französischen Geschäftsträgers, seine Regierung nicht vor ein Fait accompli zu stellen, kann ohne schwere Folgen nicht unberücksichtigt gelassen werden.
Herr Bundesrat Ador stellt daher den Antrag, noch einen letzten Versuch zu machen, eine Verschiebung der Unterzeichnung um einige, vielleicht fünf Tage zu verlangen. In dieser Zeit wäre es möglich, Frankreich von der Richtigkeit der Handlungsweise der Schweiz zu überzeugen.
Herr Bundesrat Decoppet unterstützt den Antrag des Herrn Bundesrats Ador. Er legt vor allem darauf Gewicht, dass die formelle Rechtfertigung der Verschiebung darin liege, dass über eine wichtige Voraussetzung, die in der Vereinbarung mit Deutschland enthalten ist, nämlich über die Bedeutung des französischen Angebotes, grundsätzliche Zweifel entstanden seien. Es müsse daher in erster Linie, bevor eine Unterzeichnung erfolgen könne, die Richtigkeit oder Unrichtigkeit dieser Voraussetzung klargelegt werden.
Herr Bundesrat Haab kann sich dazu verstehen, dem Antrage der Herren Bundesräte Ador und Decoppet beizutreten. Er erklärt indessen jetzt schon, dass er dem Abkommen mit Deutschland seine Zustimmung geben werde, auch wenn Frankreich ablehnend antworten sollte.
Sehr nachdrücklich weist Herr Haab auf die unbedingte Notwendigkeit hin, dass der Bundesrat einen einstimmigen Beschluss fassen müsse. Denn die Einstimmigkeit im Rate bilde die Voraussetzung der Aufrechterhaltung der Ruhe und der Eintracht im eigenen Lande, ganz abgesehen von dem Gewicht unserer Stimme in den Verhandlungen mit dem Auslande.
Herr Bundespräsident Calonder ist der Auffassung, dass die Ansicht, wie sie besonders Herr Decoppet vertritt, in formeller Beziehung stichhaltig ist. Die Schweiz hat in die Vereinbarung eine Voraussetzung aufgenommen, die sich nach den letzten Erklärungen Frankreichs, so wie sie aufgenommen wurde, nicht zu erfüllen scheint. Es kann sich um ein Missverständnis handeln, das vor allen Dingen aufgeklärt werden muss. In diesem Sinne wäre auch Herrn Clinchant Mitteilung zu machen.
Auch Herr Bundespräsident Calonder dringt darauf, dass sich der Bundesrat zu einem einstimmigen Beschlüsse zusammenfinden sollte.
Herr Bundesrat Motta, der dem Verschiebungsantrag zustimmt, wirft die Frage auf, welche Schritte während der zur Verfügung stehenden Zeit unternommen werden sollen. Er regt an, ob es nicht wirksam wäre, zur Unterstützung des schweizerischen Gesandten und zur Aufklärung der Sachlage eine mit dem Gegenstände völlig vertraute Persönlichkeit nach Paris zu senden.
Herr Vizepräsident Müller will sich beizutreten bereitfinden lassen, immerhin kann er Bedenken und Befürchtungen nicht völlig unterdrücken. Herr Bundesrat Schulthess bedauert, neben anderem, dass durch einen Verschiebungsbeschluss den Unterhändlern, die mit Hingebung tätig gewesen sind und das Beste erreicht haben, was zu erreichen war, nicht der Dank werde, den sie verdienen.
Einstimmig wird beschlossen:
1. Die Unterzeichnung des Abkommens wird bis zum 21. Mai verschoben, so dass der Bundesrat in seiner Dienstagsitzung entgültig entscheiden kann.
Hievon wird den schweizerischen Unterhändlern sofort Mitteilung gemacht.
2. Herr Geschäftsträger Clinchant wird kurz über den Beschluss der Suspendierung durch den Herrn Bundespräsidenten unterrichtet werden.
3. Der Herr Bundespräsident wird des weiteren mit dem Gesandten des Deutschen Reiches Rücksprache nehmen und ihm von der Sachlage Kenntnis geben.
4. Die Entscheidung über die Frage, ob eine geeignete Persönlichkeit nach Paris entsendet werden soll, wird vorerst verschoben3.
5. Die Schritte, die bei der französischen Regierung zu unternehmen sind, werden die Herren Bundespräsident Calonder und Bundesrat Schulthess in gemeinsamem Einverständnisse anordnen.
- 2
- A la séance du 14 mai du Conseil fédéral, F. Calonder a fait état d’une démarche du chargé d’affaires de FranceClinchant. Celui-ci a précisé 1 ) que la France maintient son offre de livrer 85 000 tonnes de charbon, tout en ajoutant que la Suisse devait obtenir de l’Allemagne un prix qui ne soit pas supérieur au prix français et 2) que les marchandises arrivant via Cette ne soient pas soumises au contrôle allemand. Cf. E 1004 1/268, no 1391.↩
- 3
- Lors de sa séance du soir, le Conseil fédéral désignera deux délégués, E. Laur et P. Mosimann. Cf. E 100411/268, no 1395.↩
Tags
Economic and financial negotiations with the Central Powers (World War I)