Thematische Zuordung Serie 1848–1945:
IX. LANDESVERSORGUNG
Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 5, doc. 337
volume linkBern 1983
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E1001#1000/6#336* | |
Old classification | CH-BAR E 1001(-)1000/6 336 | |
Dossier title | Anträge des Militärdepartementes Juni - Oktober 1912 (1912–1912) | |
File reference archive | 1.5 |
dodis.ch/43192
Antrag des Vorstehers des Militärdepartementes, A. Hoffmann, an den Bundesrat1
Der Ausbruch des Balkankrieges und die internationale Lage im Allgemeinen machen es uns zur Pflicht, erneuert der Frage näher zu treten, ob und welche Massnahmen in nächster Zeit für die Brodversorgung unserer Armee und unserer Bevölkerung zu treffen seien. Dabei ist es, wie in der Diskussion in einer der letzten Sitzungen des Bundesrates festgestellt wurde, spezielle Aufgabe des Militärdepartements, diejenigen Massnahmen zu erörtern und eventuell in Vorschlag zu bringen, die geeignet sind, die beabsichtigten Wirkungen in verhältnismässig kurzer Zeit hervorzubringen.
Wir stellen nun zunächst an Hand der beiliegenden Berichte des Oberkriegskommissariates über den gegenwärtigen Stand der Versorgung mit Getreide Folgendes fest.
Für die Brodversorgung der Armee steht uns etwas mehr als der bisanhin als normal erachtete Bestand an Weizen, nämlich ca. 1050 Wagen zur Verfügung, wozu noch ca. 20 Wagen Mehl kommen. Damit ist die Brodversorgung für die Armee auf ca. 60 Tage sichergestellt.
Bedenklicher liegen die Dinge hinsichtlich der Brodversorgung des Landes im Allgemeinen.
Die Weizenvorräte in den öffentlichen Lagerhäusern, die Anfang September ca. 2000 Wagen betrugen, sind heute auf ca. 1700 Wagen zurückgegangen, könnten also den Brodbedarf des Landes nur etwa 13 Tage decken. Die Vorräte von Weizen und Mehl bei den Müllern sind auf dem denkbar tiefsten Stande angelangt. Die Lage wäre also geradezu unheimlich, wenn nicht in Betracht gezogen werden dürfte und müsste, dass gerade jetzt unsere Inlandsernte ausgedroschen wird. Der Ertrag dieser Ernte ist früher, auf Grund unvollständiger Produktionsziffern, dahin geschätzt worden, dass sie für die Brodversorgung des Landes auf ca. 70 Tage ausreiche. In der «landwirtschaftlichen Statistik des Kantons Bern pro 1910 und 1911» wird behauptet, die inländische Produktion an Getreide reiche noch heute für 107 Tage aus. Freilich setzt das voraus, dass das Ergebnis dieser Ernte sich zu backfähigem Mehle eigne; der Bericht des Oberkriegskomissariats behauptet nun aber, der Weizen sei wegen zu grosser Feuchtigkeit zum Teil zur Vermahlung ungeeignet und werde daher, wie übrigens auch in ändern Jahren, vielfach zu Futterzwecken verwendet; zufolge der hohen Preise der Futtermittel dürfte ein erheblicher Teil bereits konsumiert sein. Sei dem, wie ihm wolle, so ist mit Rücksicht auf die Möglichkeit der Verwendung wenigstens eines Teils der Inlandsernte die momentane Situation keineswegs eine so schwarze, wie sie etwa dargestellt wird. Dies um so weniger, als wenigstens in der nächsten Zeit das Eintreffen von grossen Zufuhren von amerikanischem Weizen nach Antwerpen und Rotterdam und rheinaufwärts zu gewärtigen ist. Dieser Weizen wird zum grossen Teil in das Land gelangen und nicht in Mannheim, Strassburg, Kehl auf Lager gelegt werden, weil eben die inländischen Konsumenten vollständig auf dem Trockenen sind. Man würde somit bei einer in allernächster Zeit ausbrechenden Conflagration kaum in einer sehr ungünstigen Lage sich befinden.
Anders, wenn diese Conflagration nicht jetzt, sondern erst in einigen Monaten, etwa zu Beginn des Frühlings ausbrechen sollte. Die Inlandsernte wäre dann wohl zum grössten Teil, teils zu Brod- teils zu Futterzwecken consumiert und wir somit in hervorragendem Masse auf die dannzumal im Lande lagernden Importweizen angewiesen; dass aber diese Quantitäten nicht ausreichen werden, hat die Erfahrung der letzten Jahre bewiesen.
Man darf zwar auch hier nicht allzuschwarz sehen und vor allem muss und darf man sich klar machen, dass eine völlige Einkreisung der Schweiz durch Abschneidung aller Getreidefuhren zwar wohl für eine gewisse Übergangszeit möglich ist, dagegen nicht auf eine längere Dauer vorauszusehen ist. Die politische Lage wird es naturgemäss mit sich bringen, dass nach relativ kurzer Zeit seit Ausbruch von Feindseligkeiten eine Annäherung der Schweiz nach irgend einer Seite eintritt. Eine Schweiz im Kampfe gegen alle vier Grenzmächte ist undenkbar und eine Schweiz als dauernd unbeteiligte und neutrale Insel inmitten der Brandung des europäischen Krieges im höchsten Grade unwahrscheinlich. Hat aber einmal nach irgend einer Seite eine Annäherung stattgefunden, so hört dort die Getreidesperre auf. Praktisch kann es sich also nur darum handeln, dass wir für eine gewisse Übergangszeit versorgt seien; wie man diese Übergangszeit einschätzen soll, ist natürlich Sache individueller Auffassung. Ein gewisser Massstab, im Sinne eines unter keinen Umständen zu überschreitenden Maximums für die Brodversorgung des Landes, ist jedenfalls durch den Umfang der Massnahmen für die Brodversorgung der Armee gegeben; man wird also in keinem Fall einen längern Zeitraum für die Brodversorgung des Landes, als 60 Tage in Aussicht nehmen dürfen.
Wie immer man aber das unbedingt nötige Quantum der Vorräte für die Brodversorgung des Landes einschätzen will, so ist das jedenfalls sicher, dass man diejenigen Vorräte, welche z. Zeit vorhanden sind und welche vermöge des normalen Verlaufes der Geschäfte in den nächsten Monaten vorhanden sein werden, als absolut ungenügend bezeichnen muss und dass daher Massnahmen für eine Verbesserung dieser Situation getroffen werden müssen.
[...]2
- 1
- E 1001 1/EMD Anträge 1912.↩
- 2
- Nach eingehender Begründung wird beantragt, auf Kosten des Bundes 1500 Wagen Weizen zu kaufen, diesen Weizen getrennt von den Armeevorräten zu lagern und die Idee von Freilagern zu prüfen. Am 25. Oktober 1912 erhob der Bundesrat diesen Antrag zum Beschluss (E 1004 1/250).↩
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