Thematische Zuordung Serie 1848–1945:
II. BILATERALE BEZIEHUNGEN
6. Deutsches Reich
6.1. Allgemeine Beziehungen
Abgedruckt in
Diplomatische Dokumente der Schweiz, Bd. 5, Dok. 214
volume linkBern 1983
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Archiv | Schweizerisches Bundesarchiv, Bern | |
▼ ▶ Signatur | CH-BAR#E2300#1000/716#99* | |
Alte Signatur | CH-BAR E 2300(-)1000/716 53 | |
Dossiertitel | Berlin, Politische Berichte und Briefe, Militärberichte, Band 16 (1908–1910) |
dodis.ch/43069
Während des gestrigen Hofballs, anlässlich des «Cercle» der Missionschefs, hat der Kaiser mich in längerem Gespräche herangezogen und mir Folgendes gesagt: «Ich bin Ihnen gegenüber sehr im Rückstände mit dem Ausdruck meiner wärmsten Anerkennung für die so freundliche Aufnahme, welche Herr General von Hühne bei den letzt jährigen Manövern in der Schweiz gefunden, für die zuvorkommende kameradschaftliche Behandlung, welche er von Seiten der Schweizerischen Behörden gefunden. Es liegt mir daran zu sagen, dass General von Hühne einer meiner besten Offiziere ist und dass er mir die günstigsten Berichte über die letzten schweizerischen Manöver überbracht hat. Er hat nicht allein den unerwartet hohen Grad der Ausbildung der Offiziere und Mannschaften, die Ausdauer derselben, sondern namentlich den guten Willen lobend hervorgehoben, welchen die Truppe, aus welchem Kanton sie auch stamme, bei der Erfüllung ihrer Aufgabe zu erkennen gegeben habe. Auch die letzten Manöver haben gezeigt, was gute Zucht, gute Erziehung, guter Wille namentlich zu leisten vermögen; und die Schlussparade, nach anstrengenden Tagen, macht allen, insbesonders dem damaligen Chef des Militärdepartements, Herrn Dr. Forrer, hohe Ehre; ich bitte Sie, ihm meine ganz besondere Gratulation ausrichten zu wollen. Ich sagte Ihnen, dass es mir daran gelegen war einen meiner besten Offiziere zu Ihren Manövern zu entsenden, um zu beweisen, dass wir Wert darauf legen, dass gute Beziehungen zwischen beiden Ländern bestehen; wir müssen an der Grenze gute Freundschaft halten, und General von Hühne, welcher jetzt das XIV. Korps hat, ist von mir angewiesen worden, die besten Beziehungen mit schweizerischen Offizieren zu pflegen; ich wusste auch, dass es dem Schweizerischen Bundesrat erwünscht war, von einem höheren deutschen Offizier bei Anlass der Manöver begrüsst zu werden, statt durch den Vertreter einer ändern Macht, welcher angeblich eine Anzahl vorbereiteter Reden in der Tasche hatte!!»
Dann fing der Kaiser von dem in gewissen Teilen der Schweiz in früheren Jahren gegen Deutschland vorhanden gewesenen Misstrauen zu sprechen an - «dieses Misstrauen ist nicht gerechtfertigt; wir haben gemeinsame Interessen, gemeinsame Grenzen, die uns nicht trennen!» Dann erwähnte er die neuenburgischen Kontingente, die sich bei den Manövern auch sehr tüchtig erwiesen haben sollen.2
Der Kaiser kam wiederholt auf die kameradschaftliche Aufnahme zu sprechen, welche seine Offiziere in der Schweiz gefunden, und bat mich, den Ausdruck seiner Anerkennung dem hohen Bundesrat zu übermitteln. Hier nahm ich Anlass, S.M. für die vielen Zulassungen schweizerischer Offiziere zu längern oder kürzern Kommandos zu danken. Der Kaiser unterbrach mich sofort mit den Worten: «Das tue ich sehr gerne, mit schweizerischen Offizieren haben wir nur gute Erfahrungen gemacht. Was für ausgezeichnete Offiziere haben Sie immerzu uns geschickt!» Dann nannte er den Hauptmann Wille, den er als einen sehr feingebildeten, strebsamen Offizier bezeichnete, der sich in allen Waffen eingehend zu informieren bestrebt gewesen sei; auch gedachte er seines jetzigen Nachfolgers: Hauptmann Hug beim Gardejägerbataillon und anderer Offiziere, die bei deutschen Regimentern kommandirt gewesen sind. Auch kam er auf den Herrn Oberst Korpskommandant Wille zu sprechen, den er vor zwei Jahren bei den Manövern in der Rheinprovinz kennen gelernt hatte; er rühmte ihn als einen ganz hervorragenden Offizier. Im weitern Verlauf des Gesprächs teilte mir der Kaiser mit, dass er zu den diesjährigen Manövern Einladungen an hohe schweizerische Offiziere werde ergehen lassen; und fügte hinzu, er frage sich, wie man auch anderen Offizieren die Möglichkeit geben könnte, den an der Grenze stattfindenden Manövern in grossem Umfange zu folgen. Vielleicht könnte sich dies durch das Tragen eines Erkennungszeichens am Hute machen lassen, meinte er, wie bei den Abzeichen des markirten Feindes. Sodann kamen wir auf die Annahme des schweizerischen Militärgesetzes zu sprechen: es sei eine herrliche Abstimmung gewesen und mache den Herren Bundesräten, die für die Annahme des Gesetzes sich so sehr bemüht haben, grosse Ehre, - noch mehr dem Volk, welches durch diese Abstimmung seinen hohen politischen Sinn bewiesen habe.
Spontan wie er ist, ging dann der Kaiser auf ein anderes Gespräch über und fing über Literatur an zu sprechen und rühmte die Werke von Heer und insbesondere seinen Roman den «König der Bernina!» mit dem Bemerken, die Schweiz könne stolz sein, einen solchen Schriftsteller zu haben. Als ich dem Kaiser mitteilte, Heer sei zu Weihnachten hier gewesen, sagte er: «Ah!» in einem Tone als wollte er sagen: «Wie schade, dass ich ihn nicht gesehen habe.»
Wie Sie aus diesem sehr zusammengedrängten Berichte ersehen wollen, Herr Bundespräsident, hat diese Unterredung viel länger gedauert, als es sonst bei den eher knappen Begrüssungen bei einem «Cercle» die Regel ist. Es lag etwas demonstratives in der Dauer dieses Gesprächs, auch in dem Umstande, dass der Kaiser zum Teil sehr leise mit mir sprach, - (im Cercle stehen die Missionschefs nahe aneinander -) und es ist die Länge unserer Besprechung, auch die Art, wie der Kaiser am Schlüsse derselben mich herzlich begrüsste, von vielen Seiten bemerkt worden. Auf der ändern Seite darf nicht unerwähnt bleiben, dass S.M. sehr häufig sich in Gespräche vertieft, und zwar selbst zu vorgerückter Stunde, wo er ein Fest abschliessen sollte, sich plötzlich wieder mit irgend jemanden in eine Unterhaltung einlässt, die an seiner gegenwärtigen Stimmung und seinem vielseitigen Interesse immer neue Nahrung findet.
Es ist aber nicht zu verkennen, dass bei der gestrigen Unterredung der Kaiser uns deutlich zeigen wollte, welch grosses Interesse er der Entwickelung unserer Wehrkraft beimisst und wie gerne er bereit sein will, uns stets dabei zu unterstützen.3
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