Thematische Zuordung Serie 1848–1945:
II. BILATERALE BEZIEHUNGEN
10. Italien
10.2. Handelsvertragsverhandlungen
Abgedruckt in
Diplomatische Dokumente der Schweiz, Bd. 5, Dok. 22
volume linkBern 1983
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Archiv | Schweizerisches Bundesarchiv, Bern | |
▼ ▶ Signatur | CH-BAR#E13#1000/38#303* | |
Alte Signatur | CH-BAR E 13(-)1000/38 70 | |
Dossiertitel | Korrespondenz des Handelsdepartements, u.a. mit der Schweizer Gesandtschaft in Rom und der Schweizer Handelsvertragsdelegation in Rom; Anträge des HD an den Bundesrat; Notizen; Telegramme; italienische Forderungen betr. Einfuhr in die und Ausfuhr aus der Schweiz; Bundesratsbeschlüsse (1904–1904) |
dodis.ch/42877
Antrag des Vorstehers des Handels-, Industrie- und Landwirtschaftsdepartementes, A. Deucher, an den Bundesrat1
Der Bundesrat hat in seiner Sitzung vom letzten Freitag, 20. dies, von den von unsern Unterhändlern telegraphisch mitgeteilten beidseitigen letzten Forderungen und Offerten Kenntnis genommen.
Der Status derselben geht aus der beiliegenden Zusammenstellung hervor, die den Herren Mitgliedern des Bundesrates seither zugestellt worden ist2.
Letzten Samstag abend verlangte unsere Delegation telegraphisch Weisung, «ob sie auf Fortsetzung der Verhandlungen bis zum Abschluss oder Abbruch dringen soll». Vorher hatte das Departement telegraphiert, dass die Tribuna Suspension der Unterhandlungen melde, und wir uns im Ungewissen befinden, ob dies richtig sei und ob die Delegation allenfalls Instruktionen erwarte. In den letzten Mitteilungen derselben war hierüber nichts angedeutet.
Das Departement ersuchte nun die Delegation noch am gleichen abend um Mitteilung, ob sie weitere Konzessionen an Italien befürworte und uns Vorschläge machen könne oder ob sie vorziehe, abzureisen. Im letzteren Falle finden wir es nicht nur unbedenklich, sondern sogar unerlässlich, dass die wichtigsten beidseitigen Offerten und Begehren summarisch protokolliert werden.
Zum Zwecke der Entgegennahme einer Antwort besammelte sich die Delegation des Bundesrates Sonntag vormittags. Die Antwort blieb jedoch aus und es wurde provisorisch folgende Weisung nach Rom telegraphiert:
Delegation des Bundesrates soeben Beratung gehalten. Da wir auf unser Telegramm von gestern abend 8 Uhr noch ohne Antwort, können wir Ihnen keine bestimmte Instruktion erteilen. Delegation überlässt es Ihnen, zu beurteilen, ob Sie durch weiteres Unterhandeln glauben ein Resultat erzielen zu können. Sie glaubt, dass zurzeit ein förmlicher Bruch noch vermieden werden sollte. Wenn Sie weitere schweizerische Konzessionen für zweckmässig halten, gewärtigen wir Ihre Vorschläge. Übrigens ist die bundesrätliche Limite für Butter, Fleisch, Eier, Geflügel und Käse von Ihnen noch nicht ganz erschöpft. Wenn Sie vorziehen abzureisen, um hier mündlich zu konferieren, erklärt sich die bundesrätliche Delegation jetzt schon damit einverstanden, ersucht Sie jedoch bestimmt, vorher gegenseitig unterzeichnetes Protokoll über alle wichtigeren letzten Offerten und Forderungen beider Teile aufzunehmen, auch wenn dies mehrere Tage erfordern sollte.
Die Antwort der Delegation auf das Telegramm von Samstag lief gegen abend ein. Sie hat folgenden Wortlaut:
Morgen Sitzung in Aussicht. Wenn Bundesrat uns anweist, Versuche fortzusetzen, befürworten wir Mouchoirs 90 und 100. Ganzseidene Marcelines, etc. und schwarz 3,50 Lire; andere 4,50 Lire. Halbseiden schwarz 3.-; farbig 4.-. Bänder annehmen. Plattstich konfektioniert bis 400; seidene 600. Kautschuk verzichten. Octroi in bundesrätlicher Fassung verzichten. Auf schweizerischem Tarif ausser Tafeltrauben Ochsen, alt, 45.- oder Einheitssatz für alle 40.-. Wein 12 bis 15 Grad 9.-. Wenn Bundesrat Unterbruch vorzieht, würden wir Erklärung wiederholen, dass, wenn 18. September kein beidseitig ratifizierter Vertrag, dann differentielle Behandlung; selbstverständlich würde protokolliert.
Zur Beantwortung dieses Telegramms trat die Delegation des Bundesrates gestern, Montag, morgens 8 Uhr, zu einer Beratung zusammen und gelangte zu folgender Instruktion an die Unterhändler:
Bundesrätliche Delegation acceptiert Ihre Vorschläge betreffend Ochsen 45 oder einheitlich 40, Wein 12 bis 15 Grad 9, Tafeltrauben 2,50 und Verzicht auf Kautschuk. Über Mouchoirs, Seide und Stickereien haben wir Glarus, Zürich, St. Gallen angefragt. Werden Bescheid telegraphieren. Bitten italienische Offerten für Bänder, weil wertlos, zugunsten der Gewebe ganz zurückzugeben. - Auf Beschränkung der Octroigebühren können Sie verzichten, aber nur, wenn Gleichstellung von Schweizerkäse mit sämtlichen italienischen Sorten, nicht nur mit gleichartigen, gewährt wird. - Für den Fall, dass diese letzten Vorschläge nicht angenommen werden, ermächtigt Sie die bundesrätliche Delegation zur freundschaftlichen Unterbrechung, also nicht zum eigentlichen Abbruch, ist aber mit der von Ihnen beabsichtigten Erklärung betreffend differentielle Behandlung sehr einverstanden.
Die von Zürich, Glarus und St. Gallen telegraphisch eingeholte Ansicht der Vertreter der Seidenweberei, Mouchoirsdruckerei und Stickerei wurden unsern Unterhändlern ebenfalls noch am selben abend telegraphisch mitgeteilt3. Die Seidenweberei beharrt auf das Entschiedenste auf ihren letzten Forderungen und will deshalb für ganzseidene Gewebe nicht über 300 und 350 Lire, für halbseidene nicht über 300 Lire gehen, weil sonst, was richtig ist, auch unsere weit wichtigeren analogen Minimalforderungen gegenüber Deutschland unhaltbar wären. Sie erklärt, von ihrem Standpunkte aus würde sie vor einem einstweiligen Abbruche nicht zurückschrecken.
Die Druckerei stimmt den Vorschlägen unserer Unterhändler zu, würde also 90 und 100 annehmen, mit dem Bemerken, dass diese Konzessionen als ihre äussersten zu betrachten seien.
Die Stickerei hat sich mit 400 Fr. für konfektionierte Ware eventuell schon früher einverstanden erklärt, nur ist aus dem Telegramm der Unterhändler nicht sicher zu entnehmen, was letztere unter konfektioniert verstehen; das Departement hat deshalb telegraphisch Aufschluss verlangt, der zur Stunde noch nicht eingelangt ist. Betreffend Seidenstickereien können 600 angenommen werden. Je nachdem aber der Zoll auf Seidengewebe ermässigt wird, wäre es vorteilhafter, wenn der ermässigte Zuschlag von 260 Fr. zum Zoll des Grundgewebes angenommen würde, den Italien anfänglich statt dem von uns verlangten Einheitszoll offerierte. Im Hauptpunkte des Nähzuschlages und der noch streitigen Ausdehnung des ermässigten Zollansatzes von 300 Lire auf verschiedene wichtige Spezialitäten kann St. Gallen nicht nachgeben.
Letzten Samstag abend traf auch ein telegraphisch avisierter Bericht von Herrn Minister Pioda ein, aus welchem hervorgeht, dass die leitenden Staatsmänner in Italien es für sicher halten, dass ein Vertrag auf Grundlage unserer letzten Offerten und Forderungen vom Parlament verworfen würde, dass sie es deshalb vorziehen, auf den Abschluss eines solchen zu verzichten4. Da der Zollkrieg in jedem Falle unvermeidlich sei, ist es nach ihrem Dafürhalten besser, er breche mangels einer Verständigung aus als infolge der Verwerfung eines neuen Vertrages. Wir beantragen:
Zustimmung zu der oben angeführten, von der Delegation des Bundesrates erteilten Instruktion an unsere Unterhändler5.
- 1
- E 13 (B)/222. Handelsvertrags-Unterhandlungen mit Italien.↩
- 2
- Das Resumé dieser Zusammenstellung lautet: Insgesamt betrachtet, hat Italien bis jetzt noch keine unserer ausschlaggebenden äussersten Forderungen ganz erfüllt. Beim Käse fehlt die Beschränkung der Octrois, bei Seidengeweben handelt es sich noch um Differenzen von 50 bis 200 Fr., bei den bedruckten Mouchoirs fehlen noch 15 Fr., bei Stickereien besteht eine bedeutende Meinungsverschiedenheit über die dem ermässigten Zoll zu unterstellenden wichtigsten Artikel und über den Nähzuschlag; bei den Dynamomaschinen soll ein grosser Teil der Transformatoren höher als bisher belastet werden. Wohl wird sich, ausgenommen vielleicht die Druckerei, keine der bezüglichen Industrien auf den Boden stellen, dass wegen ihr allein mit Italien gebrochen werden solle. Die Zugeständnisse, die wir verlangen, werden aber von den betreffenden Vertretern nachhaltig als diejenigen hingestellt, ohne welche es uns nicht möglich sein werde, unsern Export wieder etwas auszudehnen, oder ihn auf die Länge auch nur auf dem bisherigen Niveau zu erhalten, und ohne die also der Hauptzweck unserer Unterhandlungen als verfehlt betrachtet werden müsste. Anderseits ist allerdings zu konstatieren, dass die wichtigsten, und eigentlich ausschlaggebenden italienischen Forderungen, nämlich diejenigen für Wein und Vieh, ebenfalls noch nicht erfüllt sind, und dass noch einiges Entgegenkommen von unserer Seite möglich ist; auch ist von den äussersten Limiten des Bundesrates betreffend Butter, Fleisch, Eier, Geflügel und Weichkäse von unserer Delegation noch nicht völlig Gebrauch gemacht worden (E 13 (B) / 222).↩
- 3
- Angefragte Stellen: Zürcher Seidenindustrie-Gesellschaft, Verein schweizerischer Druckindustrieller in Ennenda, Max Hoffmann in St. Gallen ab Vertreter der Stickereiindustrie.↩
- 4
- Nicht abgedruckt (E 13 (B) / 222).Pioda hatte mit Giolitti, Tittoni, Luzzatti und Rava Besprechungen geführt.↩
- 5
- Der Bundesrat folgte in der Sitzung vom 24. Mai 1904 diesem Antrag (E 1004 11221). Am 25. Mai 1904 telegrafierte der schweizerische Gesandte in Rom an das Politische Departement: Luzzatti m’a fait dire par Malvano que négociations commerce suspendues avec intention de les continuer; il serait reconnaissant au Gouvernement fédéral s’il voulait continuer à maintenir secret complet sur négociations afin éviter que presse des deux pays commence polémique. Luzzatti craint que communication officielle faite hier soir Département Commerce puisse être interprétée par public comme signifiant rupture et lui saurait gré s’il voulait prévenir cette interprétation. Malvano assure que entrefilet Tribuna d’il y a quelques jours n’est pas une communication officieuse (E 13 (B)/222).↩
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