dodis.ch/42424
Le Ministre de Suisse à
Berlin,
A. Roth, au Chef du Département des Affaires étrangères,
N. Droz1
Persönlich und confidentiell
Berlin, 19. Februar 1890
Ich danke Ihnen verbindlichst für Ihren Bericht vom 17. d. Mts.2 betreffend Ihre Unterredung vom 15. d. Mts. mit H.v. Bülow. Diese Mittheilungen sind für mich der Schlüssel für die Lösung der Frage, warum der Reichskanzler mich gestern zu sich berufen und warum derselbe so besonders accentuirt hat, dass die Berliner-Conferenz keinen diplomatischen Charakter haben solle und werde.
Diese Auffassung des Reichskanzlers steht indes in erklärtem Widerspruche zu den kaiserlichen Erlassen und zu dem bei dem Kaiser auch heute noch vorhandenen Willen, wonach die Berliner-Conferenz entschieden den Charakter von diplomatischen Unterhandlungen haben soll. Auch mit dem Versuche, die Conferenzberathungen auf die Kohlenfrage zu concentriren, bezw. die Fragen der Sonntagsruhe, der Frauen- und der Kinderarbeit als nebensächlich bei Seite zu schieben, wird der Kanzler auf den Widerstand des Kaisers stossen. Die Frictionen zwischen Kaiser und Kanzler werden also fortbestehen und meine deutschen Gewährsmänner zeigen sich mit Rücksicht auf die eventuellen Folgen dieser tiefen Differenzen in hohem Grade beunruhigt. Es gährt zur Zeit an den obersten massgebenden Stellen gewaltig. Und wenn Sie in Erwägung ziehen wollen, dass der Kanzler, welcher in seinen Sympathien und Antipathien fremden Staaten gegenüber sehr «changeant» ist, und im besondern wenig Verständniss und Geschmack für unsere politischen Zustände hat, seine 75 Jahre zählt und aus Gesundheitsrücksichten oder aus anderer Veranlassung von heute auf morgen zurückzutreten in die Lage kommen könnte, während der erst 30 Jahre zählende und mit einem festen Willen ausgestattete Kaiser für die Schweiz anerkannt sehr freundlich gestimmt ist, so werden Sie gewiss mit mir zu der Ansicht gelangen, dass es unserseits ein grosser politischer Fehler wäre, wollten wir uns zur Rettung der Berner-Conferenz an den Strohhalm anklammern, welchen uns der Fürst entgegenhält, anstatt dem Kaiser ohne Rückhalt entgegenzukommen. Darüber, dass, sollte der Fürst mit seiner Tendenz betreffend möglichste Beschneidung der Berliner-Conferenz wider Erwarten durchdringen, wir auf Deutschlands Theilnahme an unserer Conferenz und zwar mit der Absicht die Sache zu fördern trotzdem nicht rechnen dürften, werden Sie nach Kenntnisnahme meines gestrigen telegr. Berichtes3 keinen Zweifel haben.
Wie auch immer ich mir die Situation zurechtlege, so kann ich mich je länger je mehr der Empfindung nicht entziehen, dass wir es später schwer bereuen würden, wenn wir jetzt dem Wunsche des Kaisers auf Vertagung der Berner Conferenz, und zwar ohne Terminansetzung, nicht entsprechen.