dodis.ch/42342
Der schweizerische Gesandte in
Berlin,
A. Roth, an den Vorsteher des Departements des Auswärtigen,
N. Droz1
Streng Confidentiell und nicht zu den Acten
Berlin, 27. Februar 1888
Von bestunterrichteter Seite habe ich gestern betreffend Handelsvertragssituation, mit der Bitte um unbedingte Discretion, nachstehende Andeutungen erhalten:
Bei der Feststellung der deutschen Gegenforderungen2 hat sich der Reichskanzler einfach auf folgende breite Grundlage gestellt: Der Export-Werth derjenigen Positionen, betreffend welche Deutschland von der Schweiz Concessionen verlangt, soll annähernd dem Export-Werth derjenigen Positionen entsprechen, bei welchen Deutschland der Schweiz Concessionen macht.
An dieser Grundlage wird Fürst Bismarck im Falle der Weiterführung der Verhandlungen zweifellos festhalten.
Sollten wir dieser Rechnungsweise gegenüber geltend machen zu müssen glauben, dass einzelne der Hauptforderungen Deutschlands, wie z. B. betreffend die Positionen Getreide, Rindvieh und Holz, von uns namentlich darum nicht zugestanden werden können, weil diese Positionen unsere Hauptkampfartikel Östreich-Ungarn gegenüber bilden d. h. also, dass wir diese Concessionen gestützt auf die Meistbegünstigungsklausel Östreich-Ungarn gegenüber nicht mehr verwerthen könnten, wenn wir dieselben vorher Deutschland gemacht hätten, so ist dem gegenüber zu bemerken, dass man Deutscherseits einem eventuellen Antrage der Schweiz auf strenge Geheimhaltung der betr. Anträge und Zugeständnisse wohl unbedingt zustimmen würde. Wir könnten also bei diesem Verfahren die fraglichen Concessionen zwei Mal «verkaufen», einmal, auf obiger Rechnungsgrundlage, Deutschland und dann gleichzeitig noch Östreich-Ungarn gegenüber, von welchem wir natürlich ebenfalls die Geheimhaltung verlangen müssten.
Diese Bedingung der Geheimhaltung ist bei derartigen Verhandlungen schon oft gestellt und in der Regel auch immer acceptirt worden.
Deutschland gegenüber wäre es für uns darum von grossem Werth, die verlangten Concessionen auf Getreide, Vieh und Holz machen zu können, weil dieselben namhafte Export-Ziffern aufweisen, und weil wir durch diese Zugeständnisse verhindern könnten, dass die deutsche Regierung auf Grundlage der vom Fürsten Bismarck gestellten Bedingung der Compensation der gegenseitigen Export-Werthe, weitere Concessionen auf ändern Artikeln von uns verlange.
Unterhandeln wir zugleich mit Italien, so könnten wir bei dreiseitig durchgeführter Geheimhaltung einzelne Concessionen also sogar dreimal «verkaufen».
Es wäre dann bei diesem Vorgehen einfach darauf zu achten, dass der formelle Abschluss der Verhandlungen möglichst zu dem gleichen Zeitpunkt erfolge.
Sollte etwa das Schicksal unserer Verhandlungen mit Deutschland eventuell später noch von den baumwollenen Stickereien abhängen, so ist Grund für die Annahme vorhanden, dass man uns Deutscherseits bei dieser Position noch entgegenkommen würde.
Deutschland hat überhaupt in den gedachten zwei Anlagen das letzte Wort noch nicht gesprochen. Das mögen wir aber, wie schon bemerkt, als feststehend betrachten, dass der Reichskanzler von der erwähnten Compensationsgrundlage betr. die Export-Werthe nicht abgehen würde.
Ich habe die Gewissheit, dass Vorstehendes genau den mündlichen Mittheilungen meines Gewährsmannes entspricht und bin auch fest überzeugt, dass diese Mittheilungen die Auffassung der deutschen Regierung getreu widergeben, weshalb ich nicht unterlassen wollte, Ihnen dieselben sofort zur Kenntniss zu bringen.