dodis.ch/42312 Der schweizerische Gesandte in
Berlin,
A. Roth, an den Bundespräsidenten und Vorsteher des Politischen Departements,
N. Droz1
Für Ihre interessanten Mittheilungen vom 21tend. M.2 bin ich Ihnen sehr zu Dank verpflichtet.
Über die bewussten Details des italienisch-östereichisch-deutschen Bündnisses kann ich Ihnen zur Zeit noch nichts Zuverlässiges mittheilen. Man beobachtet diesbezüglich im Auswärtigen Amte die grösste Reserve, und Bekannte von mir (deutsche Collegen), welche sonst von dort her über Alles unterrichtet sind, haben mich versichert, dass sie bis jetzt in dieser Frage nichts Genaueres haben in Erfahrung bringen können. So viel glaube ich aber den mir gewordenen Mittheilungen entnehmen zu dürfen, dass die fraglichen Compensationen für Italien eher in seiner Mittelmeer-Interessensphäre zu suchen sein dürften, wenn wirklich in dem in Frage liegenden Bündniss speciell von Compensation die Rede ist.
Dass Ihnen Herr von Bülow von der deutsch sozialistischen Presse in der Schweiz gesprochen hat, wundert mich keineswegs; denn ich weiss, dass der Fürst Bismark über diese Elaborate sich gelegentlich sehr schroff ausspricht, und dass man hier an officieller Stelle in letzter Zeit namentlich über eine anlässlich der Reichstagswahlen von Zürich aus lancierte Zeitung, in welcher die Vertreter der Regierung, der Kaiser sogar nicht ausgeschlossen, als Diebe illustriert wurden, im höchsten Grade aufgebracht war.
Die allgemeine Situation betreffend ist zu erwähnen, dass nach der Ansicht der officiellen und officiösen Kreise in dem Verhältnisse zwischen Deutschland und Frankreich wirklich eher eine «Détention» eingetreten zu sein scheint. Ob, wie Viele annehmen möchten, u.A. auch der Besuch von Lesseps in Berlin im Sinne dieser détention ausgelegt werden kann, lasse ich dahingestellt. Ich constatiere nur, dass man sich hier grosse Mühe giebt, den grossen Gelehrten mit der grösst möglichsten Zuvorkommenheit zu behandeln.
Andrerseits sollen auch die Beziehungen Deutschlands zu Russland trotz der neuesten Vorgänge in Bulgarien sich nicht nur nicht verschlechtert, sondern eher noch besser gestaltet haben, als sie es schon waren. Aus bester Quelle ist mir nämlich gestern mitgetheilt worden, dass der russische Botschafter, Graf Schouwalow, vor zwei Tagen dem Grafen Bismark in sehr verbindlicher und beruhigender Weise die bestimmtesten Zusicherungen gemacht habe, betreffend die Absicht Russlands, sich auch bei der neuen Lage der Dinge jeder gewaltsamen Einmischung in die bulgarische Frage zu enthalten.
Ferner wird auch eine Annäherung Englands an Italien in der Frage der Mittelmeer-Politik signalisiert und insofern für die Verbesserung der Situation escomptiert als dieselbe eine weitere Isolierung Frankreichs involviere.
Heute hat der Reichstag die Regierungsvorlage betreffend die Friedenspraesenz-Stärke der deutschen Armee, wie Sie den heutigen Abendzeitungen entnommen haben werden, in dritter Lesung, und somit definitiv angenommen; es steht zu erwarten, dass die Promulgation des Gesetzes in der allerkürzesten Frist erfolgen wird. Die Vorarbeiten für die sofortige Ausführung desselben sind durchwegs beendigt.
Mit diesem Factor, d.h. mit dem Motiv des «Bangemachens», um die gedachte Vorlage durchzubringen, haben wir somit bei Beurtheilung der Kundgebungen der Kaiserlichen Regierung über die allgemeine Lage von nun an nicht mehr zu rechnen.