Thematische Zuordung Serie 1848–1945:
II. WIRTSCHAFTS-, HANDELS- UND WÄHRUNGSPOLITIK
1. Bilaterale Verhandlungen
1.4. Die Verhandlungen mit Österreich-Ungarn
1.4.1. Der Handelsvertrag
Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 3, doc. 286
volume linkBern 1986
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2200.53-06#1000/1751#676* | |
Old classification | CH-BAR E 2200.53-06(-)1000/1751 100 | |
Dossier title | Zoll (1886–1886) | |
File reference archive | XIX |
dodis.ch/42265
Der Vorsteher des Handels- und Landwirtschaftsdepartements, N. Droz, an den schweizerischen Gesandten in Wien, A. O. Aepli1
Wir bestätigen Ihnen den Empfang Ihres geschätzten Berichts vom 21. ds.2 über die Unterredung mit dem Chef der 1. Sektion im oesterreichischen Ministerium des Aeussern betreffend die, die Schweiz berührenden Zollerhöhungen und danken Ihnen wärmstens für Ihre angelegentlichen Bemühungen in dieser Angelegenheit.
Ihre Nachrichten scheinen die Vermuthung durchaus zu bestätigen, dass in den massgebenden Kreisen eine Schädigung des Schweiz. Exportes zu Gunsten der oesterreichischen Industrie gewünscht werde und dass der Vorwand, französische und deutsche Zollerhöhungen zu erwidern, benützt worden sei, um eine neue, möglichst ausgedehnte Verschärfung des gegenseitigen Zolltarifs überhaupt durchzuführen.3
Unter diesen Umständen glauben wir von einem offiziellen Eingreifen in den Lauf der oesterreichischen Zolltarifvorlage nicht die Wirkung erwarten zu dürfen, welche dadurch vielleicht erzielt werden könnte, wenn es sich wirklich nur um Repressalien gegen Frankreich und Deutschland handelte. Da eine solche Beschränkung nicht beabsichtigt wird, glauben wir, dass von weiteren Schritten im bisherigen Sinne vorderhand abgesehen werden könne. Wir haben bereits in unserm vorletzten Schreiben4 hervorgehoben, dass die Stimmung gewisser Interessentenkreise in der Schweiz ohnehin auf eine Kündung des oesterreichisch-schweizerischen Handelsvertrages drängt und dass im Hinblick darauf die Veranstaltung einer Enquête5 über den Handelsverkehr zwischen der Schweiz und Oesterreich-Ungarn in nahe Ausicht genommen ist; wahrscheinlich wird die Anhandnahme dieser Untersuchungen in Folge der neuen oesterreichischen Tarifoperationen beschleunigt werden. Wir bitten Sie jedoch, diese Bemerkung als konfidentiell betrachten zu wollen, da es immerhin fraglich ist, ob man zu dem Resultate gelangen werde, dass die Kündung des Vertrages opportun wäre. Einstweilen sind zu einer einigermassen zuverlässigen Schätzung unseres Exportes nach Oesterreich-Ungarn wenig sichere Anhaltspunkte vorhanden. Die amtliche oesterreichische Zollstatistik, von welcher Sie uns in dankenswert - her Weise ein Exemplar übermittelt haben6, unterscheidet gleich der bisherigen, schweizerischen Statistik, nur die Grenzstrecken des Waareneingangs, nicht die wirklichen Herkunftsländer, so dass sie für den angedeuteten Zweck nicht verwendbar ist. Eine bessere Orientirung wird die neue schweizerische Handelsstatistik gestatten, wenn einmal die Ergebnisse des Jahres 1885, oder wenigstens des ersten Halbjahres, vorliegen werden. Einstweilen hat die Schweiz. Zollverwaltung versuchsweise den Verkehr der hauptsächlichsten Artikel im Monat Januar veröffentlicht, und da in dieser Publikation die Bestimmungsländer der Ausfuhr, sowie auch die Werthdeklarationssummen bereits angegeben sind, gestattet sie wenigstens einen provisorischen, interessanten Einblick in unsere Exportbeziehungen zu Oesterreich, wobei zwar stets im Auge zu behalten ist, dass nicht alle Artikel aufgeführt sind; dass es sich ferner nur um einen Monat handelt und dass in den angegebenen Quantitäten vielleicht Waaren inbegriffen sind, die zwar nach Oesterreich, speziell nach Wien, fest verkauft wurden, von hier aus aber nach den angrenzenden Donauländern verhandelt und nicht im Reiche selbst konsumirt werden; auch mag die Contrebande sich auf diesen und jenen Artikel kostbarer Natur erstrecken.
Wir übermitteln Ihnen in besonderer Verpackung ein Exemplar dieser Publikation. Zu Ihrer leichtern Orientirung über den Verkehr mit Oesterreich haben wir beiliegenden Auszug7 anfertigen lassen.
Das Total der Deklarationssummen, welche in dieser Monatstabelle für den Export nach Oesterreich-Ungarn angegeben sind, ergiebt 1.901,383 fs., was, mit 12 multiplizirt, einem Jahresexport von rund 23 Millionen Franken entsprechen würde. Vermuthlich wird der wirkliche Gesammtexport im Jahre 1885 bedeutend grösser sein. Aber auch wenn er das Doppelte betragen sollte, stünde er unserm Export nach Deutschland, der im Jahr 1883 nach der deutschen Statistik 229 Millionen Franken betrug, und demjenigen nach Frankreich, der sich im gleichen Jahre auf 123 Millionen Franken belief, bedeutend nach. Anderseits kommt, was die Schweiz allein an Getreide, Mehl, Zucker, Wein und Weingeist von Oesterreich bezieht, annähernd dem Betrag von 30 Millionen Franken gleich, ist also möglicherweise gleichbedeutend mit dem Betrag der gesammten schweizerischen Ausfuhr nach diesem Lande.
Diejenigen schweizerischen Artikel, welche durch die Zollerhöhung am meisten berührt erscheinen, sind Chokolade, Baumwollgarn, Baumwollgewebe, Stickereien, Kammgarn, seidene und halbseidene Stoffe und Bänder, Uhren und Musikdosen. Im Januar 1885 wurden von diesen Artikeln folgende Quantitäten nach Oesterreich ausgeführt:
[...]8
Nach dieser Zusammenstellung wäre Oesterreich für keinen dieser Artikel ein Hauptabnehmer; nichtsdestoweniger aber immerhin ein bedeutender Konsument für einfaches, rohes Baumwollgarn, bedruckte Baumwollgewebe, Seidenstoffe, wovon indessen die glatten durch den oesterreichisch-italienischen Konventionalzolltarif bis Ende 1887 noch gegen eine Erhöhung des Zolles geschützt sind, und für Uhren. Was die bedruckten, gefärbten und buntgewobenen Baumwollgewebe anbelangt, so dürften dieselben zu einem ansehnlichen Theil von Wiener Handelshäusern nach den umliegenden Gebieten weiter verhandelt werden.
Mit Bezug auf die Frage, ob die genannten Artikel vorwiegend von Deutschland und Frankreich her in Oesterreich eingeführt werden, ergiebt sich aus der amtlichen Statistik dieser Länder folgende Zusammenstellung:
[...]9
Es scheint hiernach, dass Deutschland jedenfalls hinsichtlich der Baumwollgewebe, der Seidengewebe und des Wollengarns von den oesterreichischen Zöllen stärker berührt wird als die Schweiz. Die oesterreichische Einfuhr von Stickereien ist überhaupt nicht sehr bedeutend im Vergleich zur schweizerischen Gesammtausfuhr von ungefähr 40,000 q., selbst wenn in Folge der Ermittlungen des Kaufmännischen Direktoriums in St. Gallen10 angenommen wird, dass die oesterreichischen Bezüge nicht nur 130 q., sondern 400 q. jährlich betragen; der oesterreichische Bedarf an den gangbarsten Artikeln der Stickerei wird zum grössten Theil jetzt schon von den Händen und Maschinen geliefert, die im Vorarlberg für eigene oder für Rechnung von St. Gallerhäusern beschäftigt sind. Was die Uhren betrifft, so wird Niemand daran zweifeln dass sie, abgesehen von Pendeluhren, in wesentlichem Masse nur die Schweiz interessiren und die Thatsache, dass sich nicht nur diese letzteren, sondern auch die spezifisch schweizerischen Artikel Taschenuhren und Musikdosen unter den Positionen befinden, die erhöht werden sollen, und zwar um 50%, lässt zur Genüge ersehen, dass man in den massgebenden Kreisen Oesterreichs die Schweiz keineswegs ausser Spiel zu lassen beabsichtigt, wie es ja überdiess auch im Motivenbericht11 betreffend Stickereien offen ausgesprochen wird.
Der Hauptpunkt der schweizerisch-oesterreichischen Verkehrsbedingungen Hegt übrigens offenbar nicht in den berührten Zollerhöhungen, die unabwendbar erscheinen, aber keine geradezu vitalen Interessen der Schweiz verletzen, sondern im Veredlungsverkehr. Die Forterhaltung der bis jetzt noch vertraglich garantirten, zollfreien Stickereiveredlung etc. ist trotz der Gegenagitationen der rheinthalischen Stickerkreise das wichtigste, schweizerische Interesse, das bei einer allfälligen Vertragserneuerung mit Oesterreich zu wahren sein wird. Die schweizerischen Zeugdruckindustriellen dringen ausserdem darauf, dass von Oesterreich auch das Zugeständniss des zollfreien Druckerei- und Färberei-Verkehrs gemacht werde. Dieselben werden im abweisenden Falle sich wahrscheinlich der Erneuerung eines Vertragsverhältnisses widersetzen, wie man zweifelsohne auch in den weiterblickenderen Kreisen der Stikkereiindustrie jeden Vertrag, der nicht wenigstens die Garantie des bisherigen Veredlungsverkehrs in sich schlösse, für verwerflich hielte.
Wir ersuchen Sie indessen, Herr Minister, die Frage einer Kündung des schweizerisch-oesterreichischen Vertrags und die darauf bezüglichen Verhältnisse einstweilen noch in keiner Weise zur Sprache bringen und auch die hierseits waltende Absicht der Veranstaltung eingehenderer Voruntersuchungen vorderhand geheim halten zu wollen, damit uns noch vollständige Aktionsfreiheit in dieser oder jener Richtung gewahrt bleibt.
- 1
- Schreiben: E 2200 Wien 1/100.↩
- 2
- Nicht abgedruckt.↩
- 3
- Vgl. Nr. 292.↩
- 4
- Nicht ermittelt.↩
- 5
- Vgl. den Bericht des Vororts des Schweizerischen Handels- & Industrie-Vereins über die Wirkungen des Handelsvertrags zwischen der Schweiz und Oesterreich-Ungarn vom 1868. Bern 1886 und das Résumé der Gutachten des Schweizerischen Handels- und Industrievereins und des Schweizerischen Gewerbevereins. Bern 1888 (E 13 (B)/236).↩
- 6
- Nicht ermittelt.↩
- 7
- Vgl. die abgedruckten Tabellen «rarfÆe Übersicht der Ein- und Ausfuhr der wichtigsten Waarenartikel im 1. Quartal 1885. Herausgegeben vom Schweizerischen Zolldepartement, Bern (E 2200 Wien 1/96 und E 13 (B)/236).↩
- 8
- Für die Tabelle vgl. dodis.ch/42265. Pour le tableau, cf. dodis.ch/42265. For the table, cf. dodis.ch/42265. Per la tabella, cf. dodis.ch/42265.↩
- 9
- Für die Tabelle vgl. dodis.ch/42265. Pour le tableau, cf. dodis.ch/42265. For the table, cf. dodis.ch/42265. Per la tabella, cf. dodis.ch/42265.↩
- 10
- Vgl. das Schreibendes Kaufmännischen Direktoriums in St. Gallen an Aepli vom 20. 3.1885 (E 2200 Wien 1/100).↩
- 11
- Vgl. die Regierungsvorlage: Gesetz vom... betreffend Abänderungen des Gesetzes vom 25. Mai 1882, betreffend den allgemeinen Zolltarif des oesterreichisch-ungarischen Zollgebietes (R [eichs]G [esetz]B\ [att]Nr. 47) und den dazugehörigen Einfuhrzolltarif (E 2200 Wien 1/100).↩
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