Thematische Zuordung Serie 1848–1945:
I. KIRCHENPOLITIK
1. Der Kulturkampf
1.4. Die Beilegung des Kulturkampfes
Darin: Ruchonnet berichtet, der Fall des angeblichen Weihbischofs Savoy sei erledigt. Alle betroffenen Kantone ausser Genf seien mit der Rückkehr Mermillods einverstanden. Im Gegensatz zur Genfer Regierung soll der Bundesrat auf der Integrität des Bistums Lausanne und Genf beharren. Annex vom 6.4.1883 (CH-BAR#E22#1000/134#1671*).
Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 3, doc. 235
volume linkBern 1986
more… |▼▶Repository
Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
Archival classification | CH-BAR#E1004.1#1000/9#7003* | |
Dossier title | Beschlussprotokoll(-e) 14.04.1883 (1883–1883) |
dodis.ch/42214
Protokoll der Sitzung des Bundesrates vom 14. April 18831
1878. Mermillod-Angelegenheit
Nach Eingang der Antworten der beteiligten Regierungen Freiburg, Waadt, Neuenburg und Genf auf das herwärtige Schreiben2 vom 22. März abhin (Prot. No 1445), erstattet das politische Departement Bericht über die Frage der Aufhebung des gegen Herrn Kaspar Mermillodam 17. Februar 1873 erlassenen Ausweisungsdekretes.3 Dieser Bericht, welcher seit dem 6. dies auf dem Kanzleitisch aufgelegt war, schliesst auf Grund einlässlicher Erörterung mit der Empfehlung der Annahme des nachfolgenden Beschlussesentwurfes:
Der schweizerische Bundesrat,
in Anbetracht des Beschlusses vom 17. Februar 1873, durch welchen dem Herrn Kaspar Mermillod der Aufenthalt auf schweizerischem Gebiet untersagt wird;
in Anbetracht des Wortlautes des genannten Beschlusses, wonach dieses Verbot vom Tage an aufhören wird, wo Hr. Mermillod dem Bundesrat oder dem Statsrat des Kantons Genf erklären wird, auf jede ihm vom heil. Stuhl zuwider den Beschlüssen der eidgenössischen und kantonalen Behörden übertragenen Funktionen zu verzichten;
in Anbetracht, dass diese Bestimmung das Amt eines apostolischen Vikars für den Kanton Genf im Auge hatte, welches der heil. Stuhl dem Hrn. Mermillod am
16. Januar 1873 verliehen hatte und welches dieser leztere troz der gegenteiligen Beschlüsse des Bundesrates und des Statsrates von Genf ausüben zu wollen erklärt hatte;
in Anbetracht, dass Mgr. Mermillod in seinem unterm 16. März 1883 an den Bundesrat gerichteten Schreiben ausdrüklich erklärt hat, dass das apostolische Vikariat von Genf seine Endschaft erreicht habe;
in Anbetracht, dass eine ähnliche Erklärung auch in der am 13. gl. Mts. von S.E. dem Kardinal Jakobini, Statssekretär des hl. Stuhles, Unterzeichneten Note enthalten ist, welche dem Bundesrat durch Mgr. Mermillod zugestellt wurde4;
in Erwägung, dass durch diese Erklärung den Bedingungen Genüge geleistet ist, welche der Beschluss vom 17. Februar 1873 für die Aufhebung des gegen Hrn. Kaspar Mermillod erlassenen Verbotes des Aufenthaltes auf schweizerischem Gebiet feststellt;
in Betracht jedoch anderseits, dass die Rükkehr von Mgr. Kaspar Mermillod in den Kanton Genf im gegenwärtigen Augenblike die bedenklichsten Folgen für die öffentliche Ordnung und für den Frieden zwischen den Konfessionen nach sich ziehen könnte;
in Betracht, dass die Regierung von Genf den Bundesrat auf diese Gefahr, sowie auf die Aufregung aufmerksam machte, welche sich der überwiegenden Mehrheit der genferischen Bevölkerung bemächtigen müsste, wenn nach Allem, was im Jahre
1873 geschehen, Mgr. Mermillod mit dem Titel eines Bischofs von Genf zurükkehren würde;
im Hinblik auf Art. 50, Alinea 2 der Bundesverfassung5, wonach den Kantonen sowie dem Bunde Vorbehalten bleibt, die geeigneten Massnahmen zur Handhabung der Ordnung und des öffentlichen Friedens unter den Angehörigen der verschiedenen Religionsgenossenschaften zu treffen;
im Hinblik endlich auf die am 27. März 1883 von der Regierung von Genf gefasste Schlussnahme und ihre Zuschrift6 an den Bundesrat vom gleichen Tage, beschliesst:
1. Der Beschluss vom 17. Februar 1873 ist aufgehoben. Immerhin wird in Anwendung der obenerwähnten Bestimmung des Art. 50, 2 Alinea der Bundesverfassung Monsignor Kaspar Mermillod der Aufenthalt auf Genfer-Gebiet bis zu einem neuerlichen Entscheide des Bundesrates untersagt.
2. Was die dem Mgr. Mermillod verliehene bischöfliche Würde anbelangt, so werden die Rechte der beteiligten Kantone und besonders diejenigen, welche für den Kanton Genf aus seinem konstitutionellen Geseze vom 19. Februar 1873 und seinem Geseze vom 25. Oktober 1876 über die christkatholische Diözese der Schweiz hergeleitet werden können, gänzlich Vorbehalten.
Herr Vicepräsident Welti nimmt den am 22. vor. Mts. gestellten Antrag7 wieder auf, dahingehend:
1. das gegen Herrn Kaspar Mermillod von Carouge unterm 17. Februar 1873 erlassene Ausweisungsdekret wird als dahingefallen erklärt.
2. Mit diesem Beschluss soll allfälligen Einsprüchen eines Diözesankantons gegen Zulassung des Bischofs Mermillod zur Amtsführung in keiner Weise vorgegriffen sein.
Herr Bundesrat Droz stellt folgenden Antrag:
Die ersten 6 Alinea der Erwägungen gleich wie der Departementalantrag, sodann an Stelle der 4 lezten Erwägungen und der Disposition folgende Fassung:
In Betracht jedoch anderseits, dass die Regierung von Genf, mit Schlussnahme vom 27. März 1883 und mit Zuschriften gleichen Tags und vom 5. April an den Bundesrat8, erklärt hat: sie betrachte es «als eine Verlezung der Souveränität und der Verfassung des Kantons, wenn Hr. Mermillod prätendire, gegen den Willen des States den Titel eines Bischofs von Genf zu tragen und die Funktionen eines solchen auszuüben;» – und der Zustand der Gemüter in Genf sei derart, dass die Anwesenheit des Hrn. Mermillod im Kanton «die ernstlichsten Folgen für den konfessionellen Frieden» nach sich ziehen könnte;
in Betracht, dass dieser Widerstand verschiedene bundesrechtlich wichtige Fragen hervorruft, welche der Bundesrat einer spätem Prüfung Vorbehalten muss; dass aber inzwischen ein Entscheid über den Beschluss vom 17. Februar nicht zu verschieben ist,1. Der Beschluss vom 17. Februar 1873 tritt mit heute ausser Wirksamkeit. Dagegen wird bis auf weitern Entscheid des Bundesrats Mgr. Mermillod sich enthalten, das Gebiet des Kantons Genf zu betreten.
2. Mitteilung des gegenwärtigen Beschlusses an die Regierungen von Freiburg, Waadt, Neuenburg und Genf, sowie an Mgr. Kaspar Mermillod.
Nach gewalteter Beratung einigt man sich dahin:
1. die lezten 4 Erwägungen des Antrages des politischen Departements werden gestrichen und durch folgenden Saz ersezt:
betreffend den Beschluss der Regierung von Genf vom 27. März 1883 und ihr unter gleichem Tage an den Bundesrat gerichtetes Schreiben, in Erwägung, dass alles, was die Organisation der Kirche betrifft, unter Vorbehalt der Bestimmungen der Bundesverfassung, in die Kompetenz der Kantone fällt;
(Diese Beschlussfassung für den Fall der Nichtannahme der Anträge des Departements und des Herrn Droz).
2. Der Eingang des Dispositivs 1 des Departementalantrages wird einstimmig angenommen.
3. In Dispositiv 2 wird das Zitat des Gesezes vom 25. Oktober 1876 über die christkatholische Diözese der Schweiz gestrichen.
4. In Dispositiv 2 werden die Worte: ceux (droits) qui découlent ersezt durch: ceux qui peuvent découler.
Für den Antrag des politischen Departements sowie denjenigen des Hrn. Bundesrat Droz, betreffend Aufnahme eines Zusazes zu Dispositiv 1 im Sinne des Verbotes des Aufenthaltes in Genf nebst entsprechender Begründung stimmt jeweilen einzig der bezügliche Antragsteller.
Der Beschluss lautet somit:
Der schweizerische Bundesrat,
in Anbebracht des Beschlusses vom 17. Februar 1873, durch welchen dem Hrn. Kaspar Mermillod der Aufenthalt auf schweizerischem Gebiet untersagt wird;
In Anbetracht des Wortlautes des genannten Beschlusses, wonach dieses Verbot vom Tage an aufhören wird, wo Hr. Mermillod dem Bundesrat oder dem Statsrat des Kantons Genf erklären wird, auf jede ihm vom heil. Stuhl zuwider den Beschlüssen der eidgenössischen und kantonalen Behörden übertragenen Funktionen zu verzichten;
in Anbetracht, dass diese Bestimmung das Amt eines apostolischen Vikars für den Kanton Genf im Auge hatte, welches der hl. Stuhl dem Herrn Mermillod am 16. Januar 1873 verliehen hatte und welches dieser leztere troz der gegenteiligen Beschlüsse des Bundesrates und des Statsrates von Genf ausüben zu wollen erklärt hatte;
in Anbetracht, dass Mgr. Mermillod in seinem unterm 16. März 1883 an den Bundesrat gerichteten Schreiben ausdrüklich erklärt hat, dass das apostolische Vikariat von Genf seine Endschaft erreicht habe;
in Anbetracht, dass eine ähnliche Erklärung auch in der am 13. gl. Mts. von S.E. dem Kardinal Jakobini, Statssekretär des hl. Stuhles, Unterzeichneten Note enthalten ist, welche dem Bundesrat durch Mgr. Mermillod zugestellt wurde;
in Erwägung, dass durch diese Erklärung den Bedingungen Genüge geleistet ist, welche der Beschluss vom 17. Februar 1873 für die Aufhebung des gegen Hrn. Kaspar Mermillod erlassenen Verbotes des Aufenthaltes auf schweizerischem Gebiet feststellt und – betreffend den Beschluss der Regierung von Genf vom 27. März 1883 und ihr unter gleichem Tage an den Bundesrat gerichtetes Schreiben, dass alles, was die Organisation der Kirche betrifft, unter Vorbehalt der Bestimmungen der Bundesverfassung, in die Kompetenz der Kantone fällt, beschliesst:
1. Der Beschluss vom 17. Februar 1873 ist aufgehoben.
2. Was die dem Mgr. Mermillod verliehene bischöfliche Würde anbelangt, so werden die Rechte der beteiligten Kantone und besonders diejenigen, welche für den Kanton Genf aus seinem konstitutionellen Geseze vom 19. Februar 1873 hergeleitet werden können, gänzlich Vorbehalten.
- 1
- E 1004 1/133.↩
- 2
- Alle Schreiben in: E 22/1671.↩
- 3
- Bericht und Antrag vom 6. 4.1883 sind als Annex abgedruckt, der Ausweisungsbeschluss im BBl 1873,1, S. 363 f.↩
- 4
- Beide Schriftstücke in: E 22/1671.↩
- 5
- AS 1874-1875, 1, S. 17.↩
- 6
- E 22/1671.↩
- 7
- Vgl. Nr. 233, Anm. 5.↩
- 8
- Beide Schreiben in: E 22/1671.↩