dodis.ch/42075
Der Bundespräsident und Vorsteher des Politischen Departements,
E. Welti, an den schweizerischen Gesandten in
Rom,
G. B. Pioda1
Ich bescheinige Ihnen den Empfang Ihrer Depesche vom 18. d. M.2 betreffend die Gotthardconferenz. Vor allem muss ich Sie ersuchen Ihre Mittheilungen zu ergänzen. Sie sagen in Ihrem Schreiben nicht was Sie mit jedem einzelnen Minister gesprochen haben und ebensowenig welcher derselben Ihnen die Mittheilung über den Beschluss gemacht habe die Conferenz nicht zu beschicken. Es ist uns von Wichtigkeit hierüber Aufschluss zu erhalten und im Weitern namentlich auch zu erfahren welchen Standpunct Sie selbst eingenommen und welche Gründe Sie geltend gemacht haben um den Standpunct den wir in unserer Depesche vom 20. März3 einnehmen zu wahren. Diese Sache ist von der grössten Wichtigkeit und die von Italien beabsichtigte Antwort ganz geeignet das Gotthardunternehmen in höchstem Grade zu gefährden. Wie der Bundesrath bereit ist alle ihm durch die Verträge auferlegten Pflichten zu erfüllen, so wird er ebenso bestimmt alle Zumuthungen ablehnen, welche ihm ohne Rechtsgrund gemacht werden. So wird er aus Art. II des Vertrages vom 15. Oct. 18694 nie die Pflicht ableiten lassen den beiden ändern Staaten Vorschläge zu machen in welcher Weise die finanzielle Lage der Unternehmung verbessert werden kann. Die aus jenem Artikel hervorgehende Pflicht ist von uns durch die Note vom 20. März erfüllt d. h. wir haben den beiden Seiten davon Kenntniss gegeben, dass sich das Unternehmen auf Grund des Vertrages vom 15. Oct. 1869 nicht durchführen lasse; in bezug auf alles weitere anerkennen wir keine andere Pflicht als sie den beiden ändern Staaten auch obliegt. In diesem Sinne werden wir uns auf eine Antwort, wie Sie dieselbe in Aussicht stellen, bestimmt aussprechen.
Diese Antwort von Italien und Deutschland wird aber auch in anderer Beziehung Consequenzen nach sich ziehen, welche wahrscheinlich weder in Rom noch in Berlin beabsichtigt sind. Kommt die Conferenz in den nächsten Monaten nicht zu Stande, so unterliegt es keinem Zweifel, dass Ende September die Arbeiten im Tunel aufhören werden. Dieser Stillstand wird den Rücktritt der subventionirenden Cantone zur Folge haben und wenn sich dazu noch die Aussicht gesellt, dass ein Theil der Gotthardlinie nicht gebaut werden soll, so ist die allergrösste Gefahr vorhanden, dass die Schweiz nicht einmal im Stande sein wird bei einer neuen Combination nur die jetzigen Subsidien aufzubringen. Es ist mit einem Wort zu fürchten, dass die Einstellung der Arbeiten den Ruin des ganzen Unternehmens nach sich zieht.5 Da diess nicht die Absicht von Italien und Deutschland sein kann, so sollten diese Staaten auch nicht zu Mitteln greifen, welche über den Zweck hinausgehen. Wollen sie keine Conferenz von Experten, so sind wir bereit sofort eine diplomatische Conferenz anzunehmen, nachdem man uns Zeit zu den nöthigen Vorstudien gelassen hat.
Ich ersuche Sie nun dringend in diesem Sinne zu wirken und bemerke, dass es mir angenehm gewesen wäre, Ihre Nachricht telegraphisch zu erhalten, da zu befürchten ist, dass bei der Ankunft dieses Briefes die Antwort aus Berlin oder Rom schon abgegangen ist.
Über den Schlusssatz Ihres Schreibens füge ich noch folgende Bemerkung bei: Wenn man sich im dortigen Ministerium an dem Berichte der Direction gestossen hat, so mögen Sie darauf erwiedern, dass die Anschauungen und Urtheile der Direction den Bundesrath in keiner Weise berühren und dass es daher sonderbar ist, wenn man das Verhalten gegen den letztem von jenem Berichte abhängig machen will. Was die Sache selbst anbetrifft, so ist es eine unbestreitbare Thatsache, dass die beiden ändern Staaten sich in der Kostenberechnung ebenso geirrt haben wie die Schweiz und dass der letzteren an diesem Irrthum keine Schuld beigemessen werden kann, die nicht auch die beiden ändern träfe. Aus diesem Grund anerkennen wir auch keine Pflicht gegenüber den Folgen dieses Irrthums eine andere Stellung einzunehmen als die Mitcontrahenten.