Thematische Zuordung Serie 1848–1945:
II. WIRTSCHAFTS-, HANDELS- UND WÄHRUNGSPOLITIK
1. Bilaterale Verhandlungen
1.7. Der Handelsvertrag mit der Türkei
Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 3, doc. 64
volume linkBern 1986
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E13#1000/38#529* | |
Old classification | CH-BAR E 13(-)1000/38 99 | |
Dossier title | Verhandlungen mit der Türkei betr. den Abschluss eines Handels-, Niederlassungs- und Konsularvertrages,T. 1: Korrespondenz über die Frage der Zulassung der Schweizer zum Erwerb von Grundbesitz in der Türkei; Bundesratsbeschlüsse; Abbruch der Verhandlungen durch die Schweiz (1868–1875) |
dodis.ch/42043
Der Bundespräsident und Vorsteher des Politischen Departements, J. J. Scherer, an den schweizerischen Gesandten in Wien, J.J. von Tschudi1
Graf Vogüé, französ: Botschafter bei der Pforte, war, wie es scheint in Paris und suchte letzterer Tage, kurz vor seiner Abreise nach Konstantinopel bei Herrn Kern um eine Unterredung über «die Interessen der Schweizer in der Türkei» nach. Ich theile Ihnen die einschlägigen Stellen des Berichtes des Herrn Kern2 in Abschrift mit und wünsche Ihre Ansichten darüber zu vernehmen3, bevor ich dem Bundesrathe meine Anträge betreffend Beantwortung Ihrer Depesche vom 10. Februar4 in gleicher Angelegenheit unterbreite.
Da der türkische Zolltarif5, nicht der auf 28 Jahre abgeschlossene franz:-türkische Handelsvertrag6, erst im Jahre 1876 revidirt werden soll, so scheint es mir unthunlich diesen Termin abzuwarten um in der Protokollsfrage zum Ziele zu kommen.
Aber auch abgesehen hievon muss wohl überlegt werden, ob es in unserem Interesse liege uns von dem Abhängigkeitsverhältniss, in das wir durch jenen Vertrag gewissermassen zu Frankreich getreten sind, loszusagen und sich dagegen den Chancen von Unterhandlungen über einen Handelsvertrag auszusetzen. Wenn nämlich, was mehr als wahrscheinlich ist, die Türkei immer noch darauf ausgeht, die dort domizilirten Schweizer unter ihre Jurisdiktion zu bringen um dann den Kapitulationen überhaupt auf den Leib zu rücken, so wird sie die Vertragsunterhandlungen mit dieser Forderung eröffnen, oder wenigstens den Vertragsabschluss von der Errichtung eines diplomatischen Postens in Konstantinopel, der Eröffnung Schweiz: Konsulate im Orient, eben von diesem abhängig machen. Wir müssten ein solches Ansinnen selbstverständlich ablehnen; damit wären aber auch – so fürchte ich – die Unterhandlungen überhaupt zu Ende. Dieses sind wohl auch die Gründe, von welchen die bundesräthliche Depesche vom 1. Februar7 als gegen den Abschluss eines Handelsvertrages sprechend, Erwähnung thut.
Auf der ändern Seite ist nicht zu verkennen dass der Genuss der Vortheile des französisch-türkischen Vertrages vom Jahr 1861 und des türkischen Zolltarifs vom nämlichen Jahre unseren Angehörigen im Orient und dem schweizerischen Handel überhaupt sehr zu statten kommt. Es scheinen unsere Landsleute nicht nur kein Verlangen zu haben das Verhältniss zu lösen, sondern wünschen vielmehr bei den Revisionsverhandlungen im Jahre 1876 mitzuwirken, was ihnen ohne Zweifel wie früher zugestanden werden wird.
Ich meine also, unser Programm für die weiteren diplomatischen Schritte sollte zunächst konsequent lauten:
1. Festhalten an den durch den französisch-türkischen Handelsvertrag vom Jahr 1861 und den bezüglichen türkischen Zolltarif dem schweizerischen Handel eingeräumten Vortheilen. Betheiligung der Schweizer an den Verhandlungen über die Tarifrevision.
2. Betreffend Grunderwerb Gleichstellung der Schweizer mit den Angehörigen anderer Staaten durch Unterzeichnung des Protokolls von 18678 oder durch irgend einen anderen Akt. (Declaration, Notenaustausch).
3. Freie Wahl der Schutzmacht für jeden im Orient domizilirten Schweizer.
4. Ablehnung der Entsendung eines ständigen schweizerischen diplomatischen Vertreters nach Konstantinopel.
Da nun die türkische Note vom 6. Januar9 kein Zweifel darüber lässt, dass die Pforte, ohne die Einwirkung anderer Mächte wenigstens, die Verhandlungen über die Protokollsfrage in der bisherigen Weise nicht fortsetzen will und bei dem geistigen & körperlichen Zustande ihres Botschafters in Wien durch diesen auch nicht weiter betreiben lassen kann, so entsteht die Frage:
1. Sollen wir bei den direkten Unterhandlungen beharren oder die Offerte des Herrn Vogüé als unvermeidlich annehmen?
2. Sollen wir im ersteren Falle die offiziöse Verwendung Deutschlands & Englands oder auch Deutschlands allein beanspruchen?
3. Ist es in demselben Falle rathsam einen Unterhändler in besonderer Mission nach Konstantinopel zu schicken oder riskirt man dabei dank der Thätigkeit eines gewissen Diplomaten eine gänzliche Erfolglosigkeit?
Sie werden nach Eintreffen der Antwort von Parnis Effendi auf Ihr Promemoria ohne Zweifel in der Lage sein sich über alle diese Punkte auszusprechen.
Ich füge nur noch bei, dass wenn wir trotz aller vorerwähnten Erwägungen zu Unterhandlungen über einen Handelsvertrag hingedrängt werden sollten, die angedeuteten Präliminarfragen im Voraus und sehr vorsichtig ventilirt werden müssten. Schliesslich mögen noch folgende Aufschlüsse über den mehrerwähnten französisch-türkischen Handelsvertrag Platz finden:
Der Vertrag wurde am 29. April 1861 abgeschlossen & gestützt auf denselben von Delegirten der Vertragsstaaten am 5. Dezember 1861 ein türkischer Zolltarif aufgestellt. Der Vertrag trat mit 1. October 1861 in Kraft und soll 28 Jahre dauern, wobei jedem Theil freigestellt ist am Ende des 14ten & des 21ten Jahres Modifikationen vorzuschlagen. Der Tarif wurde vom 1. October 1861 an 7 Jahre gültig erklärt, in der Meinung, dass wenn nicht ein Jahr vor Ablauf dieser Frist von dem einen oder anderen Theil die Revision des Tarifs verlangt werde, derselbe für weitere 7 Jahre in Kraft bleibe; sodann nach unbenutztem Ablauf dieses Termins abermals 7 Jahre und so fort.
Vertrag und Tarif wurden 1862 in einer Brochure: «Tarif des Douanes Turques, arrêté le 5 Décembre 1861 dans la commission mixte instituée ad hoc» u.s.w. «Publié par les soins de l’Ambassade de France»,
Constantinople, Typographie de Henri Cayol» veröffentlicht10.
P.S. Am 24. Juni. 1864 macht das türkische Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten dem französischen Botschafter Herrn v. Lavalette zu Händen des Schweiz. Gesandten in Paris die Mittheilung: S.Exc. Mr de Thouvenel peut donc donner l’assurance à Mr Kern que le traité de Commerce conclu le 24 Avril dernier avec le Gouvernement de l’Empereur et le tarif qu’en sera le corollaire, seront applicables au commerce de la Suisse11. Es bildet also diese Mittheilung unseren Rechtstitel für die Betheiligung der Schweizer am franz:-türk: Handelsvertag.
- 1
- E 13 (B)/271.↩
- 3
- Tschudi antwortete am 25. 2.18 75: [...] Wie ich Ihnen ebenfalls schon mitzutheilen Veranlassung hatte, findet die Pforte darin, dass die Schweizer in der Türkei unter verschiedenen Protectoraten stehen einen Grund um die Schweiz. Beitrittserklärung zu verweigern; wären sie unter einer Schutzmacht vereint, so hätte der Botschafter dieser Macht ohne Zweifel schon vor Jahren, von dem h. Bundesrathe dazu beauftragt, den Beitritt zum Protocolle ohne Schwierigkeit erlangen können. [...] (E 13 (B)/271).↩
- 4
- E 2200 Wien 1/56.↩
- 5
- Vgl. E 2200 Paris 1/87.↩
- 6
- E 13 (B)/270.↩
- 7
- E 1001 (E) q 1/107, Nr. 609.↩
- 8
- Nicht abgedruckt.↩
- 9
- Vgl. Nr. 61, Anm. 8.↩
- 10
- E 2200 Paris 1/87.↩
- 11
- E 13 (B)/270.↩
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