Thematische Zuordung Serie 1848–1945:
IV. NIEDERLASSUNGS- UND ASYLPOLITIK
1. Niederlassung
1.2. Grunderwerb in der Türkei
Darin: Die persönliche Meinung Tschudis geht dahin, die Schweizer sollten sich unter die türkische Jurisdiktion stellen, da die Türken allen Grund hätten, sie für ihre Pionierrolle im Kampf gegen die Kapitulationen zu belohnen. Annex vom 15.10.1873 (CH-BAR#E2200.53-06#1000/1751#170*).
Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 3, doc. 27
volume linkBern 1986
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E13#1000/38#529* | |
Old classification | CH-BAR E 13(-)1000/38 99 | |
Dossier title | Verhandlungen mit der Türkei betr. den Abschluss eines Handels-, Niederlassungs- und Konsularvertrages,T. 1: Korrespondenz über die Frage der Zulassung der Schweizer zum Erwerb von Grundbesitz in der Türkei; Bundesratsbeschlüsse; Abbruch der Verhandlungen durch die Schweiz (1868–1875) |
dodis.ch/42006
Der schweizerische Gesandte in Wien, J. J. von Tschudi, an den Bundespräsidenten und Vorsteher des Politischen Departements, P. Cérésole1
Nach langem vergeblichem Bemühen ist es mir endlich gelungen die Frage wegen Unterzeichnung des Protokolls bezüglich des türkischen Gesetzes vom 18. Juni 18672,betreffend das Recht der Erwerbung von Grundeigenthum durch Ausländer in den türkischen Staaten, mit dem hiesigen Botschafter der Pforte, wieder in Fluss zu bringen3. Der fast in Permanenz erklärte Ministerwechsel in Konstantinopel und die dermaligen Änderungen der Chefs der hiesigen türkischen Botschaft haben ein höchst unliebsames Hinausschieben dieser Angelegenheit verursacht; zudem sind, wie mir confidentiell mitgetheilt wurde, von Seiten des französischen Botschafters in Konstantinopel, Mr Vogué, mannigfache unsere Wünsche kreuzende Intriguen gesponnen worden. Da Mr Vogué sich engagiert hatte, im Namen des hohen Bundesrathes das Protokoll zu unterzeichnen, und seine ohne bundesräthliches Vorwissen gemachten Propositionen nicht acceptirt worden waren4, so suchte er auf alle mögliche Weise eine directe Verständigung zwischen der Schweiz und der Pforte zu hintertreiben. Noch vor Kurzem wurde von Seite der französischen Botschaft die schweizerische Kolonie in Istambul aufgefordert, durch eine Petition die Unterzeichnung des Protokolls durch Frankreichzu verlangen.5 Mr Vogué möchte eben gerne die Schweiz als Dependenz von Frankreich im Oriente hinstellen; er sieht mit Neid und Ärger, dass eine grosse Anzahl dort niedergelassene Schweizer mit Vorliebe den Schutz des deutschen Reiches und Österreichs nachsuchen, und glaubt nun, wenn er im Namen des Bundesrathes das Protokoll unterzeichne, um so eher wieder die Schweizer unter seiner Protection sammeln zu können.
Schon vor ein paar Wochen wurde mir auf vertraulichem Wege mitgetheilt, dass die Antwort aus Konstantinopel, und zwar ungünstig lautend, in Wien eingetroffen sei, und dass der Botschafter, mit derselben persönlich nicht einverstanden, Anstand nahm, mir dieselbe mitzutheilen. Den Tag vor der Ankunft des deutschen Kaisers in Wien kehrte auch der Botschafter Kabouli Pascha nach Wien zurück, und ich drängte, als ich bei den Festlichkeiten wiederholt mit ihm zusamentraf, mir endlich eine schriftliche Antwort mitzutheilen. Der Botschafter versprach mir eine solche, bat mich aber um eine Unterredung für einen näher zu bezeichnenden Tag. Wie ich wiederum confidentiell erfuhr, wollte er in dieser Unterredung sich mit mir über die möglichst geschmeidige (atténuante) Form der Antwortsnote an mich berathen.
Gestern nun fand meine Unterredung mit Kabuli Pascha statt. Nach einer entschuldigenden Einleitung las er mir die ziemlich lange Note6, die er vom Ministerium des Äussern erhalten hatte, vor. Ihr Inhalt ist ungefähr folgender: Die Pforte wäre gerne bereit, den in der Türkei niedergelassenen Schweizern die nämlichen Vergünstigungen zur Erlangung von Grundbesitz, wie den übrigen Ausländern einzuräumen, wenn sich nicht besondere Schwierigkeiten der Unterzeichnung des Protokolls entgegenstellen würden. Das Protokoll nämlich sei nur eine Folge der Kapitulationen, und enthalte Vergünstigungen für die Nationen, welche im Kapitulationsverhältnisse zur Türkei stehen. Die Schweiz habe keine Kapitulation, folglich könne sie auch nicht dem Protokolle beitreten. Die Pforte strenge sich seit Jahren an, Mittel zu finden, das für sie demüthigende Verhältniss der Kapitulationen endlich verschwinden zu machen. Der Schweiz gestatten, sogar das Protokoll zu unterzeichnen ohne Capitulation mit der Türkei zu haben, hiesse gewissermassen, sich dem Auslande gegenüber noch mehr binden. Die Pforte werde indessen den in den türkischen Staaten niedergelassenen Schweizern gerne gestatten Grundbesitz zu erwerben, wenn sich dieselben nicht nur für diesen sondern auch für alle andere Verhältnisse der türkischen Gesetzgebung unterordnen würden.
Ich erwiderte dem Botschafter, dass ich, ohne vorhergehende Anfrage beim hohen Bundesrathe, ihm jetzt schon auf das Bestimmteste erwidern könne, dass der Bundesrath eine derartige Proposition entschieden ablehnen werde, da er den schweizerischen Staatsangehörigen nicht zumuthen könne, noch werde, sich als Versuchsobjekte für die türkische Justiz herzugeben7; dass auch die jüngsten Vorgänge in Bosnien und in Philippopolis der Art seien, dass ich die Proposition gar nicht officiell zur Kenntnis des hohen Bundesrathes bringen könne, indem ich mich nicht dem Vorwurf aussetzen wolle, ihm Vorschläge unterbreitet zu haben, von denen ich in meiner Stellung zum Voraus wissen müsse, dass sie kurz von der Hand gewiesen werden müssen. Übrigens könne ich nicht umhin, ihm mein Staunen über die Antwort der Pforte, die geradezu unlogisch sei, auszudrücken, nachdem mir einer seiner Vorgänger, Khalil Pascha, früher ganz bestimmt die Versicherung gegeben habe; dass dem Beitritt der Schweiz zum Protokolle keinerlei Schwierigkeiten entgegenstehen und er dies nicht auf eigene Faust sondern im Aufträge des damaligen Ministers des Äusseren, Server Pascha gethan habe.8
Der Botschafter bemerkte mir darauf, dass er mir schon eingangs erklärt habe, dass er persönlich /: er spreche es aber nicht als Botschafter aus: / mit der Antwort der Pforte nicht einverstanden sei, und mir auch gerne zugebe, dass sie nicht logisch sei /:qu’elle manque de logique:/; was die Versprechungen Khalil Pascha’s anbelangt, so habe sich derselbe bei Unterhandlungen nicht immer stricte an die Intentionen der Regierung gehalten, und er sei jedenfalls viel weiter gegangen als er ermächtigt war, er habe daher auch als Minister des Äussern nicht halten können was er als Botschafter versprochen habe. /: Khalil Pascha ist bekanntlich wenige Monate nachdem er das Portefeuille des Äussern übernommen hatte, in Ungnade gefallen und pensionirt worden:/.
Nach längeren Besprechungen machte ich dem Botschafter folgenden Vorschlag: wenn die Pforte aus formellen Gründen bestimmt sich weigere, dass die Schweiz dem Protokolle beitrete und dasselbe unterzeichne, so möchte durch einen Austausch von Noten zwischen dem hohen Bundesrathe und dem türkischen Ministerium des Äussern bestimmt werden, dass die Schweizer, welche unter dem Schutze einer fremden Macht stehen, eben diejenigen Vortheile zur Erwerbung von Grundeigenthum geniessen wie die dieser Macht Angehörigen; dass also die formelle Unterzeichnung des Protokolles durch eine andere Form ersetzt werde und somit möglicherweise die Bedenken behoben werden, die sich nach Ansicht der Pforte der Unterzeichnung entgegenstellen.
Cabouli Pascha fasste meine Proposition mit grosser Befriedigung auf, und versprach, diesselbe auf das lebhafteste bei der Pforte zu vertreten, indem er beifügte, dass er auch noch Gründe geltend machen werde, die sich speciell auf türkische Verhältnisse beziehen.
Wir kamen schliesslich noch auf Wunsch des Botschafters überein, dass er mir meine frühere Note9 kurz in einer Fassung, wie er mir sie vorlegte, beantworten werde, dass ich aber diese Antwort nicht officiell dem hohen Bundesrathe übersende, sondern ihm (dem Botschafter) als Erwiderung auf seine Note meinen Vorschlag10 mittheile, den er sogleich nach Konstantinopel befördern werde, und dass ich erst nach Eintreffen der Rückantwort dann meinen officiellen Bericht dem hohen Bundesrathe machen solle. Ich theile Ihnen daher die beigeschlossene Antwort Cabouli Pascha’s nur confidentiell mit, damit Sie daraus ersehen, welchen Standpunkt die Pforte neuerdings in dieser Frage eingenommen hat.
Im ferneren Verlaufe des Gesprächs fragte ich den Botschafter, ob die Pforte nicht auch dem Beispiele, das Egypten eben jetzt durch Circularschreiben an die Kapitulationsstaaten gegeben habe, folgen werde, indem es denselben proponirte, an die Stelle der Consular-Jurisdiction gemischte Tribunale von fremden und einheimischen Richtern einzusetzen.
Cabouli Pascha erwiderte darauf, dass eine 33jährige Erfahrung, die er sich theils und hauptsächlich im Dienste des Ministeriums des Äussern, theils als Gouverneur von Provinzen und als Handelsminister gesammelt habe, ihm die Überzeugung geben, dass diese gemischten Tribunale ihren Zweck keineswegs erfüllen werden, denn die europäischen Richter werden, wenn sie einige Jahre im Oriente gelebt haben, in der Regel ebenso bestechlich wie die einheimischen, wenn ihnen nicht unverhältnissmässig hohe Besoldungen ausgesetzt werden. Nach seiner Ansicht wäre das einzige Mittel, um die Kapitulationen allmählig abzuschaffen das, dass die europäischen Mächte die Pforte zwingen würden, eine sehr gute Rechtsschule in Konstantinopel zu gründen und die aus dieser hervorgegangenen tüchtigen Juristen zu Richtern zu machen und sehr gut zu besolden. Jede zur Kenntniss der Regierung kommende Ungerechtigkeit oder Bestechlichkeit wäre mit den härtesten Strafen zu belegen.
- 1
- Bericht: E 13 (B)/271.↩
- 2
- Nicht abgedruckt.↩
- 3
- Vgl. DDS2, Nrn. 395, 401, 404 und 411.↩
- 4
- Vgl. DDS 2, Nr. 404.↩
- 5
- Vgl. die Petitionen der Schweizerkolonie in Konstantinopel vom 29.11.1871 an den französischen Botschafter und vom 19.3. 1872 an Bundespräsident Welti(E 13 (B)/271) und das Schreiben von A. Heer an Tschudi vom 26. 9.1873 (E 2200 Wien 1/54).↩
- 6
- Nicht abgedruckt.↩
- 7
- Vgl. den Annex.↩
- 8
- Das Schreiben von Amin Server an Khalil Pascha vom 20. 3.1872führte aus: [...] Pour ce qui est de la proposition de Monsieur de Tschudi de signer le Protocole concernant le droit de propriété immobiliaire en Turquie, le Gouvernement lmp [éria]\ est tout disposé à y accéder.[...] . Vgl. auch das Schreiben von Tschudian Welti vom22. 2.1872(beide Schriftstücke in ; E 13 (B)/ 271).↩
- 9
- Vgl. dieNotedes Bundesrates an das türkischeAussenministerium vom20. 5.1872(E 13 (B)/ 271).↩
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