Classement thématique série 1848–1945:
I. RELATIONS BILATÉRALES
I.9. France
I.9.5. Question de Savoie
Pubblicato in
Documenti Diplomatici Svizzeri, vol. 1, doc. 376
volume linkBern 1990
Dettagli… |▼▶Collocazione
Archivio | Archivio federale svizzero, Berna | |
▼ ▶ Segnatura | CH-BAR#E2#1000/44#1630* | |
Vecchia segnatura | CH-BAR E 2(-)1000/44 263 | |
Titolo dossier | Frage der Besetzung der Provinzen Chablais und Faucigny durch eidg. Truppen beim Übergang Savoyens an Frankreich [Turinervertrag vom 24.3.1860] (1860–1860) | |
Riferimento archivio | B.137.1 |
dodis.ch/41375
Ich komme soeben aus einer Audienz bei Thouvenel, die über eine Stunde gedauert hat. Um heute Abend Rapport abgehen lassen zu können, muss ich das Gesagte möglichst zusammendrängen, fast mehr in Form von Notizen als in förmlicher Ausführung.
Ich begann damit, dass ich ihm eine von Genf angelangte Depesche vorlegte, woraus sich ergab, dass Publicationen in ganz Savoyen affichirt seyen mit der Erklärung, «la Savoie votera entre le Piémont et la France.» Ich erklärte, eine solche Abstimmung schliesse die uns gegebenen Zusicherungen betreffend Überlassung von Chablais und Faucigny aus, sei mit derselben im Widerspruch.
Ich erklärte dann, die Schweiz wäre geneigt gewesen, sich mit Frankreich auf die bekannte Combination zu verständigen, immerhin unter Vorbehalt, dass die ganze Frage vor die garantirenden Mächte Europas gebracht werden müsse. Erhalte die Schweiz nicht ganz bestimmte positive Zusicherung, dass Chablais und Faucigny ihr annexirt werde, so ferne eine Majorität in einer separaten Abstimmung sich für die Schweiz erkläre, so werde sich die schweizerische Regierung höchst wahrscheinlich genöthigt sehen, gegen Sardinien und Frankreich eine Protestation gegen Veränderung des Status quo einzureichen und die Mächte um Intervention zum Schuz der schweizerischen Neutralität anzurufen.
Ich hob hervor, welchen Eindruck es bei dem ganzen Schweizervolk machen müsse, wenn nun auf einmal, nachdem durch 3 verschiedene Organe ihr die bekannten Zusicherungen gegeben worden seien, eine Abstimmung angeordnet werden sollte, welche die Ausführung jener Zusicherungen unmöglich mache. Hätte man uns – fügte ich bei – gesagt, man werde uns Chablais und Faucigny überlassen, aber nur dann, wenn die Mehrzahl von ganz Savoyen über démembrement, für Ablösung von zwei Provinzen stimme, so hätten wir schon damals gewusst, dass damit gar nichts zugesichert sei, da jedermann voraus sehen könne, dass eine solche Abstimmung stets in verneinendem Sinn ausfallen müsse.
Ich berührte ferner die nachtheilige Rükwirkung, welche dieses Verfahren selbst gegen Frankreich nothwendig haben müsse. Die in der Mehrheit für Annexion gestimmten Provinzen Chablais und Faucigny werden nun massenhaft für Verbleiben bei Piemont stimmen.
Ich verwies auf die Stellung, die sich in Frankreich gegenüber den Mächten nun selbst noch weit bedenklicher mache, als sie schon bisher war. Man habe allgemein geglaubt, Frankreich sei entschlossen, durch Abtretung der bekannten Provinzen die Interessen der Schweiz zu berüksichtigen. Wenn nun die Note der Schweiz erkläre, nein, es sei dies nicht der Fall, die auch England gegenüber ausgesprochene Zusicherung bleibe unerfüllt; wenn die Schweiz nun förmlich die Handhabung der uns geleisteten Garantie von den Mächten verlange, so werden die Debatten und Abstimmungen z. B. im englischen Parlament noch einen ganz ändern Charakter annehmen als bisher, u.s.w.
Es liege, fügte ich zum Schluss bei, noch in der Hand der kaiserlichen Regierung diese so bedenklichen Consequenzen abzuwenden, wenn sie eine Abstimmung anordne, wornach Chablais und Faucigny, so ferne sich die Mehrheit für Anschluss an die Schweiz erkläre, schweizerisch werden sollen.
Thouvenel erklärte, dass er mehreren meiner Betrachtungen volle Gerechtigkeit widerfahren lassen müsse. Er bedaure, wenn diese Frage eine solche Wendung nehmen müsse. Er berührte dann, welch fatalen Eindruk es habe machen müssen, aus dem «Blue book» zu entnehmen, dass es die Schweiz gewesen sei, welche gegen Frankreich zuerst und zu einer Zeit, wo noch gar nichts Bestimmtes vorlag, Frankreich entgegengearbeitet habe; er klagte über Manöver aller Art, mit denen man von Genf aus der Annexion an Frankreich entgegenarbeite, wie es noch jezt geschehe. Frankreich seze keinen grossen Werth darauf, Chablais und Faucigny zu besizen, werde es auch jezt gerne der Schweiz überlassen, wenn man sich überzeugen könne, dass ein démembrement nicht zur Folge habe, dass dann Frankreich den übrigen Theil von Savoyen nicht erhalte. Aber nach den ihm zugekommenen renseignements werde eine Zertheilung Savoyens Beibehaltung des status quo zur Folge haben, der der Schweiz Zusagen möge, den aber Frankreich nie und nimmer zugeben könne.
Der Abstimmungsmodus, den ich ihm vorgewiesen habe, werde geändert werden, es werde nicht so abgestimmt, wie meine Depesche von Genf melde. Der Abstimmungsmodus sei noch nicht definitiv festgestellt. Ich möchte ihm meine Einwendungen gegen denselben, wenn auch nur in Form von Notizen schriftlich eingeben, er werde dieselben in Erwägung ziehen und nochmals untersuchen, ob sich irgend eine Combination finden lasse, wornach meinem Begehren entsprochen werden könne, ohne dass für Frankreich die Annexion für den übrigen Theil von Savoyen auf das Spiel gesezt werden müsse, u.s.w.
Ich versprach ihm, die Hauptpunkte meines Vorbringens zu notiren, hatte aber, schon ehe ich in die Audienz ging, die 2 Punkte, mit denen ich zu schliessen mir vornahm, niedergeschrieben und las ihm solche vor. Sie liegen bei sub Beil. A.2
Ich schloss endlich damit, dass ich die schweizerischen Behörden und ihre Representanten rechtfertigte gegen die ihnen Eingangs gemachten Vorwürfe. Sie haben gethan, was die Wahrung der Rechte und Interessen ihres Landes ihnen zur Pflicht machte. Schliesslich ersuchte [ich]ihn, meine Eröffnungen auch dem Kaiser mittheilen zu wollen, insbesondere, was ich über die Abstimmungsweise vorgebracht habe. Er möge beifügen, dass ich jede Stunde bereit sei, meine Auffassung der Situation und mein Urtheil über die Folgen, die das unserm Begehren entgegenstehende Verfahren nach sich ziehen werden, dem Kaiser persönlich auseinanderzusezen und ich würde mich besonders glüklich schäzen, wenn es so möglich würde, einen ernsten Conflikt zwischen Frankreich und der Schweiz, den ich sehr befürchte eintreten zu sehen, abzuwenden.
Dies die Hauptzüge einer langen und oft auch warmen und etwas lebhaften Verhandlung. Nun bin ich auch schuldig, Ihnen meine Ansicht mitzutheilen, was in nächster Zeit unmassgeblich zu thun sei.
Der Bundesrath sollte sofort eine Protestation an Piemont und Frankreich ausarbeiten, um dieselbe in Verbindung mit einer den Schuz der schweizerischen Neutralitätsrechte verlangenden Note an die sämmtlichen Wienercongressmächte abgehen lassen zu können, sobald wir ganz sicher wissen, dass Frankreich eine separate Abstimmung in Chablais und Faucigny ausschliesst. Ich vermuthe, die Note Frankreichs an die Mächte werde einer der nächsten Tage schon von hier abgehen. Wenigstens ist dies auch die Meinung von Cowley. Thouvenel erklärte nicht bestimmt: «Nein, und er wisse den Tag noch nicht ganz genau.» So wie ich die bestimmte Erklärung habe, wie abgestimmt wird, werde ich Ihnen telegraphiren. Wir werden gut thun, nach meiner Ansicht jezt, wo die Situation eine ganz andre ist als bisher, in ruhiger gemessener Sprache, gänzlich abstrahirend von unserm Eventuale3 das Begehren zu stellen, dass der Status quo bleibe. Es ist dies bundesrechtlich der einzig richtige Standpunkt, wenn man die Garantie anruft. Man weicht dann auch der Missdeutung aus, als sei es auch von uns auf agrandissement abgesehen, und hat dann, weil die Frage mit Central-Italien zusammenhängt, auch solche Mächte für uns, die mehr aus Rüksicht gegen Annexion von Toskana als aus Sympathie für die Schweiz für unser Begehren sich aussprechen werden.
Ich habe Herrn Fazy natürlich das Ergebnis der Audienz mitgetheilt und auch die obangedeuteten Ansichten, die ich Ihnen vorlege. Er erklärte sich damit ganz einverstanden. Ich muss ihm das Zeugnis geben, dass er nach Allem, was ich erfahren konnte, hier mit Eifer und Wärme die schweizerischen Intressen vertheidigt hat. Sie mögen dann ferner in Erwägung ziehen, ob es am Plaze sei, wenn es zur Absendung der Note kommt – was höchstwahrscheinlich ist –, ob vielleicht eine ausserordentliche Mission an einzelne Orte, z. B. England, nun am Plaze sei. Ich bemerke zum Voraus, dass ich finde, ich könnte eine solche nicht übernehmen, theils weil es durchaus nöthig ist, dass immer jemand hier auf dem Posten sei, theils wegen der Erschwerung aller weiterer Unterhandlungen, die es hier für mich nach sich zöge.
Halten Sie für angemessen, General Dufour in Verbindung mit mir zu beauftragen, nochmals Versuche zu machen, ob nicht auf dem Wege von Vorstellungen direkte beim Kaiser unserm Begehren Eingang verschafft werden könne, so ersuche ich Sie dringend, doch ja nicht etwa zu glauben, dass ich mich durch eine Abordnung eines Envoyé extraordinaire irgendwie verlezt fühle. Im Gegentheil werde ich mich von ganzem Herzen freuen, wenn es gelingt, durch einen solchen Versuch unser Ziel zu erreichen. Die Interessen des Vaterlandes über Alles. Zudem stehe ich ja mit Dufour auf dem freundschaftlichsten Fusse. Ich wiederhole, ich beantrage es meinerseits selbst, wenn Sie irgend glauben, dass es zum Zwecke führe oder auch nur zu etwelcher Beruhigung in unserm Lande beitrage.
Hr. Fazy brachte mir soeben eine Depesche aus dem Courrier des Alpes, die ich sub Beil. B. beilege.4 Er glaubt, diese Depesche komme aus den bureaux des Ministeriums des Äussern. Ich weiss darüber nichts Näheres und gebe solche, wie ich sie erhalten habe.
Noch muss ich der Wahrheit in Bezug auf zwei andre Personen, welche in lezter Zeit hier waren, Zeugnis geben. Ich weiss aus verschiedenen Quellen, dass die Herrn Vogt (Ständerath) und Klapka hier mit patriotischem Eifer Prinz Napoleon gegenüber unsre Intressen verfochten haben. Leider ohne allen Erfolg.
[PS:] Ich sende Ihnen diesen Bericht durch meinen Bedienten Penseyres als Expressen. Er hat aber strenge Ordre, nicht zu sagen, dass er von mir komme und Depeschenträger sey. Sorgen Sie dafür, dass auch bei uns nichts hierüber verlautet. Es ist so seltsam, wenn bei uns über Sendung eines Depeschenträgers so viel Aufhebens gemacht wird, was bei ändern Gesandtschaften so häufig vorkommt, ohne dass je ein Blatt nur ein Wort davon sagt. Es ist aber auch klüger indem es immer Misstrauen voraussezt.
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