dodis.ch/41338

Le Conseil fédéral au Ministre de Suisse à Paris, J. C. Kern1

Von verschiedenen Seiten haben wir in Erfahrung gebracht, dass die Stimmung in Italien gegen die Schweiz überhaupt und gegen die dort niedergelassenen Schweizer insbesondere von Tag zu Tag eine bedenklichere werde. Zuerst kamen daherige Vorstellungen aus dem Toskanischen und jezt erneuern sie sich aus Mailand.2 In lezterer Stadt wurde der Chef des Konstruktions-Etablissements l’Elvetica, Herr Schlegel aus St. Gallen, weil er die Arbeitszeit auf 5 Stunden täglich beschränken musste, von seinen Arbeitern so arg misshandelt, dass an seinem Aufkommen gezweifelt wird, während die Polizei, wie es scheint, nicht die gehörige Kraft hat, die Autorität des Gesezes aufrecht zu erhalten.

Sodann wurde samstags den 24., troz der Verordnung über das Anschlägen von Plakaten, also sozusagen unter den Augen der Behörden, eine Proklamation an die Strasseneken angeheftet, in welcher die Tessiner aufgefordert werden, sich von der Schweiz zu trennen und Italien sich einzuverleiben. Dieses Aktenstük, von dem eine Abschrift hier folgt3, hat natürlich für die Schweiz nur untergeordnete Bedeutung, es erlangt aber durch den Umstand Gewicht, dass es, wie bemerkt, entgegen der in Mailand bestehenden Verordnung hatte angeheftet werden können und dass es somit den Behörden am Willen oder an der Kraft gebrach, den Skandal zu verhüten. Die Animosität gegen die Schweizer schöpfte dann namentlich aus dem 97ten Turiner-Bülletin4 neue Nahrung, worin nämlich die Vorgänge von Perugia in leidenschaftlichster Weise dargestellt sind. Wir haben dagegen bei der sardinischen Regierung remonstrirt5, indem wir darauf drangen, dass diese Bülletins künftig in einem würdigen und unparteiischen Tone gehalten werden. Wir haben auch gegen die Vorgänge in Mailand reklamirt und zwar mit der hier abschriftlich beiliegenden Note vom heutigen Tage.

Wir laden Sie ein, Tit., dem französischen Ministerium von diesen Vorgängen Kenntnis zu geben und es demselben nahe zu legen, wie sehr es auch im Interesse Frankreichs liege, dass Vorfälle der bezeichneten Art sich nicht wiederholen und dass den in Italien domizilirenden Schweizern ausreichender Schuz und Sicherheit für Leben und Eigenthum gewährt werde.6

Die Schweiz hat ihr Programm vom 14. März7 gewissenhaft zur Ausführung gebracht; sie hat gegen die kriegführenden Mächte eine durchaus loyale und unpartheiische Neutralität beobachtet, sie darf daher auch für sich Gerechtigkeit in Anspruch nehmen und verlangen, dass sie nicht durch ein von Leidenschaft eingegebenes, durch Verleumdung in Wort und Presse genährtes Verfahren in ihrer Stellung beeinträchtigt und am Ende in eine Position hinein getrieben werde, welche Frankreich wie Sardinien gleich unangenehm sein müsste. Wir sind von dem französischen Ministerium übrigens vollkommen überzeugt, dass es die Animositäten und die grundlosen Verdächtigungen, welche in Italien sich breit machen, nicht theilt, sondern dass es gerne bereit ist, die schwierige Stellung der Eidgenossenschaft zu würdigen und der Art und Weise, wie die Schweiz die übernommene Mission bis dahin ausgeführt hat, volle Gerechtigkeit widerfahren zu lassen; umso mehr dürfen wir daher erwarten, dass Frankreich seinen grossen Einfluss bei Sardinien einseze, damit dieses den so wohl begründeten Begehren der Schweiz volle und begründete Rechnung trage.

Um Sie von Allem, was bis anhin vorgegangen, vollständig zu orientiren, legen wir die Schreiben bei, welche wir in dieser Angelegenheit theils an die Konsulate von Turin, Livorno und Genua8, theils an unsere Agentschaft in Mailand9 erlassen haben.

Indem wir der Hoffnung Raum geben, dass Ihre einschlagenden Bemühungen bei dem französischen Ministerium von dem besten Erfolge begleitet sein mögen, benuzen wir usw.