Classement thématique série 1848–1945:
I. RELATIONS BILATÉRALES
I.9. France
I.9.3. Réfugiés
Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 1, doc. 297
volume linkBern 1990
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E21#1000/131#52* | |
Old classification | CH-BAR E 21(-)1000/131 30 | |
Dossier title | Umtriebe von französischen und italienischen politischen Flüchtlingen in Genf, November 1857 - April 1858 (1857–1858) | |
File reference archive | 11.2.1.1.4.2 |
dodis.ch/41296 Proposition du Chef du Département politique, J. Furrer, au Conseil fédéral1
Ich übermittle Ihnen beiliegend eine Verbalnote der französischen Gesandtschaft2, worin die Internirung der eine geheime Gesellschaft bildenden italienischen Flüchtlinge in Genf verlangt wird. Mündlich behielt Hr. Fénelon als selbstverständlich vor, die gänzliche Ausweisung derjenigen zu verlangen, die einer Theilnahme an dem letzten speciellen Attentat3 mit Grund verdächtigt werden können.
Ich erwiederte ihm im wesentlichen Folgendes: Die schweizerischen Behörden und das schweizerische Volk theilen nicht nur den Abscheu der civilisirten Welt gegen das stattgefundene Attentat, sondern sie haben schon längst den Grundsatz manifestirt, dass sie keineswegs fremden Verschwörern und politischen Wühlern ein Asyl geben wollen. Man ist also einig in den Prinzipien; allein die Schwierigkeit liegt oft in der Anwendung und namentlich in der Frage, welche Personen können für schuldig oder wenigstens in erheblichem Grade verdächtig gehalten werden. Eine gerechte und namentlich eine republikanische Regierung kann nicht gegen Schuldige und Unschuldige massenhaft und rücksichtslos dreinfahren, sondern sie muss ihre Maassregeln vor dem Rechtsgefühl der öffentlichen Meinung rechtfertigen können. Wir begreifen wohl, dass man nicht einen vollen juristischen Beweis verlangen kann, da es sich nicht um eine Bestrafung, sondern um sichernde Praeventiv-Maassregeln gegen grosse Gefahr und verdächtige Individuen handelt, allein zwischen einem solchen Beweis und gar nichts oder einer blossen allgemeinen Anklage gegen eine Menge Personen ist denn doch ein grosser Unterschied und ich erwarte, dass uns alle Beweismittel, welche der Process in Paris an die Hand gibt, wie die Positionen, Briefe, und überhaupt alle Indicien mitgetheilt werden, die auf Genf überhaupt oder auf einzelne dortige Individuen sich beziehen. An der Bereitwilligkeit, internationale Pflichten zu erfüllen, dürfen Sie nicht zweifeln und zwar nicht nur beim Bundesrath, sondern auch bey der kantonalen Behörde, und ich muss es daher als Irrthum erklären, wenn in der Note von mauvais vouloir der letztem die Rede ist. Dies ungefähr meine Antwort.
Der Herr Gesandte erwiederte, dass er diese Erklärung und dieses Begehren mittheilen werde; allein er glaube nicht, dass mit einzelnen Maassregeln zugewartet werden könne, bis diesem Begehren allfällig in gewünschtem Umfange entsprochen werden könne und vielleicht inzwischen das Leben des Kaisers neuerdings bedroht werde. Es seyen für nothwendige Sicherheits-Maassnahmen hinreichende Anhaltspunkte vorhanden. Das Treiben der italienischen Flüchtlinge sey seit Jahren notorisch, wie die Ereignisse in Sardinien beweisen, woher fast alle Ausgewiesenen nach der Schweiz gekommen seyen. Er könne mir als wahr betheuern, dass sie seit Monathen geheime Gesellschaften halten, in welchen Attentate auf den Kaiser anhaltend und lebhaft discutirt worden seyen, was er von einer Person wisse, die dabei gewesen sey. Wenige Tage vor dem Attentat (was er erst seither erfahren) seyen zwey gefährliche Individuen, Italiener, von Genf nach Paris gereist. Ferner habe er von drei Seiten vernommen, dass vor etwa 4–5 Tagen der Flüchtling Graziosi (der uns schon als einer der gefährlichsten denuncirt ist) geäussert habe: Es mache das Misslingen des Attentates nichts; sie besitzen nun ein Instrument, das den Kaiser früher oder später erreichen werde u. s. w.
Ich mache Sie nun auf folgende Punkte aufmerksam:
1. Die frühem denuncirenden Mittheilungen sind, so viel ich mich erinnere, auch durch die Sardinische Gesandtschaft confidentiell bestätigt.4
2. Das Departement der Justiz besitzt Mittheilungen eines gut placirten schweizerischen Ehrenmannes, dem ich unbedingten Glauben schenke. Diese bestätigen auch alles; nur sind sie natürlich nicht bestimmt über den Inhalt der geheimen Verhandlungen der Flüchtlings-Gesellschaft.
3. Es besteht ein Dekret des Bundesrathes, nach welchem die italienischen Flüchtlinge nicht in Genf seyn, sondern internirt werden sollen.5 Diesem entgegen haben sie in Masse dort sich wieder angesammelt.
Ich glaube nun, es sollte, weitere Maassregeln Vorbehalten, einstweilen jedenfalls etwas gethan werden, zumal Genf jetzt gut disponirt ist. Vielleicht wäre es am besten, nicht einen officiellen Commissair, aber einen der dortigen Regierung angenehmen Vertrauens-Mann in aller Stille nach Genf zu schicken, der die französische Note und meine Unterredung mit dem Gesandten vertraulich mittheilen und mit Hrn. Fazy die einstweiligen Maassregeln berathen würde. Dem letztem wäre auch zu erklären, dass unsre Berichte nicht nur von fremden Gesandtschaften, sondern auch von zuverlässigen schweizerischen Quellen herrühren. Jedenfalls muss schnell gehandelt werden, weil die heute eingegangene Erklärung zur Bereitwilligkeit der Ausweisung von heute an alle Verantwortlichkeit auf den Bundesrath wirft, was wohl der Hauptzweck dieses Schreibens ist. Vielleicht scheint es Ihnen angemessen, unter Vorbehalt weiterer Maassnahmen einstweilen die Ausweisung oder Internirung derjenigen Italiener zu beschliessen, welche als besonders gefährlich uns bezeichnet wurden.
Ich ersuche Sie, mich von Ihren Beschlüssen6 durch Protocollauszug in Kenntnis zu setzen, da das politische Departement bei dieser Sachlage auch betheiligt ist.
P.S. Ich halte dafür, dass von dieser Note einstweilen in der Presse nichts erwähnt werde, weil sonst polizeyliche Massnahmen sehr leicht erschwert werden könnten.
- 1
- E 21/52.↩
- 2
- Lettre du Ministre des Affaires étrangères de France, A. Walewski, au Ministre de France à Berne, A. de Salignac-Fénelon, du 20 janvier 1858, non reproduite.↩
- 3
- Attentat perpétré par F. Orsini contre Napoléon III le 14 janvier 1858.↩
- 4
- Billet du 17 novembre 1857, non reproduit.↩
- 5
- Cf. No 50, note 6.↩
- 6
- Le 25 janvier 1858 le Conseil fédéral charge J. Dubs, Président du Conseil d’Etat de Zurich, d’une mission confidentielle à Genève. J. Dubs ayant refusé, le Conseil fédéral désigne A. O. Aepli, conseiller aux Etats de Saint-Gall(E 1004 1/32, no 285). Cf. le rapport final d’A. O. Aepli au Conseil fédéral sur sa mission, du 8 février 1858, non reproduit.↩