Classement thématique série 1848–1945:
III. AFFAIRE DE NEUCHÂTEL
Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 1, doc. 261
volume linkBern 1990
more… |▼▶Repository
Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2#1000/44#445* | |
Old classification | CH-BAR E 2(-)1000/44 75 | |
Dossier title | Neuenburgerhandel (1856–1857) | |
File reference archive | B.254 |
dodis.ch/41260
Beim Jahreswechsel sende ich Ihnen zuvor meinen Gruss und heissen Glückswunsch fürs theuer Vaterland und Sie alle!
Nach dem Schlüsse meines letzten Berichtes begab ich mich in Carlsruhe aufs Ministerium des Äussern, wo ich sofort freundlich empfangen wurde und eine sehr lange Conferenz mit dem Hrn. Minister hatte.2 Natürlich wurde die ganze Angelegenheit weitläufig besprochen. Sie kennen indes die ganze Anschauungsweise von Baden durch Herrn von Dusch und durch die Note, welche Sie letzte Woche von ihm erhielten.3 Es bewegte sich alles in diesem Ideenkreise, so dass es ganz unnütz wäre, hierüber zu schreiben. Ich eröffnete sodann mein specielles Mandat über die Stellung Badens in einem allfälligen Kriege; ich verlangte Aufschluss darüber und machte die geeigneten Vorstellungen. Ich musste wiederholt den Herrn Minister, welcher der Frage immer auszuweichen trachtete, darauf zurückführen und erhielt dann die etwas unbestimmte und dennoch deutliche Antwort, er könne eine bindende Erklärung nicht geben für alle Conjuncturen, die eintreten könnten, wobei er nicht ermangelte, darauf hinzuweisen, dass die deutschen Staaten dem Londoner Protokoll beigetreten seyen. Übrigens versicherte er, dass Baden die freundschaftlichsten Gesinnungen hege und gerne alles thun wolle, um die Sache zu einem glücklichen Ende zu führen. Ich konnte mich allerdings von dem grossen Interesse überzeugen, welches dieser Staat an der Vermeidung des Krieges hat.
Ein paar Stunden nach dieser Unterhaltung erhielt ich die telegraphische Depesche, welche mir den Beschluss des Nationalraths meldete.4 Ich gestehe Ihnen, dass ich im ersten Augenblick sehr überrascht war, weil ich am 27ten December bei manchen Mitgliedern beyder Räthe eine bedenkliche Stimmung wahrgenommen hatte und unter dem Eindruck derselben verreist war. Dieses Gefühl machte indess bald einer freudigen Rührung Platz, die gewiss jeder Schweizer bei diesem Bilde der Einigkeit und Aufopferungsfähigkeit empfunden hat. Nach Abrede meldete ich dem Hrn. Minister diese Neuigkeit durch ein Billet, obwohl er sie schon kennen mochte, zumal die Depesche nach richtigem Takt in gewöhnlicher Schrift abgefasst war.
Gestern früh verreisten wir, Hr. Hirzel und ich. In Bruchsal trennten sich unsre Schienenwege; er fuhr nach Frankfurt und ich nach Stuttgart, wo ich um 11 Uhr anlangte und um 1 Uhr Audienz hatte. Hr. Baron von Hügel sprach in sehr wohlwollender Weise über die Schweiz und unsre gegenseitigen freundschaftlichen Beziehungen, bedauerte aber natürlich, dass man es so weit kommen lasse und erklärte mit aller Offenheit, dass Württemberg sich bei der Sache zwar nicht betheiligen werde, dass aber, was die Schweiz begreifen müsse, es etwas ganz andres sey, einen Bundesgenossen nicht zu verhindern, einen Zweck zu verfolgen, den der Bundesrat als berechtigt erklärt habe. Das ist also, in wenigen klaren Worten, die Theorie, auf welche die süddeutschen Staaten ihre Stellung gründen.
Am gleichen Tage, nämlich gestern Abend, begab ich mich nach hieher. Heute darf ich schicklicher Weise keine Audienz verlangen, weil Neujahr ist. Auch habe ich Catarrh und gehe wahrscheinlich gar nicht aus. Morgen werde ich vermuthlich dieselbe Antwort erhalten. Es war vorauszusehen, dass meine Sendung in dieser Hinsicht ohne Resultat seyn werde und vermuthlich auch gewesen seyn würde, wenn sie früher erfolgt wäre. Allein ich benutzte diesen Anlass, um möglichst die Politik der Schweiz zu rechtfertigen und die Vorwürfe zurückzuweisen, dass sie mit unvernünftiger Hartnäckigkeit handle und dass demagogische Tendenzen dahinterstecken.
Noch vergass ich zu bemerken, dass ich in Carlsruhe Herrn v. Malzen besuchte. Er bemerkte unter anderm, Bayern werde nicht einen Angriff von seinem Gebiet aus zugeben, sondern nur den Durchmarsch nach Bregenz. Ich gebe diese in militärischer Beziehung wichtige Bemerkung, wie sie vielleicht unabsichtlich gefallen ist.
Nun noch eine allgemeine Betrachtung über die Situation, wie sie von gebildeten und der Schweiz wohlwollenden Männern hier überall aufgefasst wird. Die Schweiz, so lautet diese Ansicht, habe nun durch ihre Einigkeit und Aufopferungsfähigkeit zur allgemeinen Überzeugung bewiesen, dass sie sich nicht durch Drohung dahin bringen lasse, Recht und Ehre preiszugeben; sie werde ferner mit aller Gewissheit ihren Zweck wegen Neuenburg ohne Krieg erreichen, sie werde mit grosser Achtung in ganz Europa aus dieser Verwicklung hervorgehen, allein es sey jetzt hohe Zeit, wenn es irgend in ehrenhafter Form geschehen könne, zum Frieden einzulenken und zwar je schneller, desto besser. Denn alle dynastischen und ultrareaktionären Interessen halten die Zeit für sehr günstig, die Schweiz zu unterdrücken und sie seyen es, die unablässig zum äussersten Kampfe treiben. Ich füge nur noch bei, dass diese Ansicht auch die meinige ist.
Die gestrige Chiffren-Depesche habe ich hier erhalten und danke dafür.5