Classement thématique série 1848–1945:
I. RELATIONS BILATÉRALES
I.2. Autriche
I.2.2. Réfugiés
Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 1, doc. 61
volume linkBern 1990
more… |▼▶Repository
Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2#1000/44#441* | |
Old classification | CH-BAR E 2(-)1000/44 73 | |
Dossier title | Neuenburgerkonflikt (1806–1856) | |
File reference archive | B.254 |
dodis.ch/41060
Die im Sinne der radicalen Partei ausgefallenen Wahlen in Genf haben mich neuerdings veranlasst, mein strenges und unermüdetes Augenmerk auf die Politik gegenüber der Schweiz zu verfolgen und ich sehe mich zufolge mir durch vertrauliche Mittheilung gemachter Eröffnungen veranlasst, Ew. Titl. die unumwundenen und, wie ich annehmen darf, zuverlässigen Ansichten zu äussern, welche sich in der Politik der Grossmächte kund geben. Wie ich in meiner Depesche vom 26. d. M.2 mitzutheilen die Ehre hatte, ist der Eindruck, welchen die Genfer Wahlen hier hervorgebracht haben, kein günstiger zu nennen und man beurtheilte solche mit einiger Besorgnis gegenüber dem Auslande. Ich bin heute im Falle, in ganz confidentieller Weise von einer Unterredung zu berichten, welche ich deshalb neuerdings mit dem französischen Gesandten, Hr. von Beaumont, hatte. Derselbe hatte vor Kurzem eine sehr ausführliche Unterredung mit dem Fürsten Schwarzenberg, welche grösstentheils die Schweizerangelegenheiten betraf und wobei sich Gesinnungen des Österreichischen Cabinettes kund gaben, welche dem Einflüsse anderer Triebfedern als dem eigenen Ermessen zu Grunde gelegt werden dürften. Die Äusserungen des Fürsten waren in Bezug auf die inneren Angelegenheiten der Schweiz nicht mehr jener wohlwollenden Art und freundschaftlicher Gesinnung, wie noch vor kurzer Zeit; es ist in denselben eine nicht unbedeutende Veränderung eingetreten. Ich will nicht zögern, Ew.Titl. diese Eröffnungen in ihrem ganzen Umfange mitzutheilen, da H. von Beaumont die Güte hatte, mir den vollständigen Inhalt der deshalb an seine Regierung gerichteten Depesche anzuvertrauen: Der Fürst Schwarzenberg begann die Diskussion in einer etwas gereizten Stimmung wegen der Flüchtlingsverhältnisse und äusserte sich, dass er es als eine nunmehrige Nothwendigkeit betrachte, an die Schweiz Forderungen zu stellen, dass diese gefährlichen Elemente, welche fortwährend die Ruhe Europas bedrohen, entfernt und die Schweiz gezwungen werde, Garantien zu geben, dass diesem precären Zustande ein Ende gemacht werde. Die deutschen Cabinette seien damit vollkommen einverstanden und er zweifle nicht, dass Frankreich seine Mitwirkung in dieser Angelegenheit nicht verweigern werde. Man werde die Forderungen an die Schweiz stellen, dass die Flüchtlinge entfernt werden müssten, da es bei der gegenwärtigen Lage Europas eine Hauptbedingung sei, die revolutionären Elemente zu entfernen, wenn die Ruhe des Continentes von Dauer sein soll. Der Fürst äusserte sich ferner, dass im Falle die Schweiz sich weigern würde, den friedlichen Vorschlägen der Cabinette Gehör zu schenken und sie darauf beharre, keinerlei Concessionen zu gewähren, welche eine Garantie für die Zukunft geben, was hauptsächlich in der Beschränkung des Asylrechtes und in der Entfernung der revolutionären Elemente liegen dürfte, man nicht zurück schrecken würde, das mit Waffengewalt zu fordern, was auf friedlich diplomatischem Wege zu erlangen nicht möglich sei. Ein Umstand, welcher H. von Beaumont besonders jedoch beruhigend auffiel, war derjenige, dass der Fürst einer Verständigung mit Russland mit keinem Wort erwähnte. Dies war der ungefähre und wesentliche Inhalt der Worte des Herrn Ministerpräsidenten; wenn es mir auch nicht möglich war, genau den Wortlaut im Gedächtnis zu behalten, so glaube ich doch, dem Sinne derselben in obiger Mittheilung wesentlich gefolgt zu sein. Die Antwort des H. von Beaumont war, wenn auch nicht vollkommen verneinender Art, jedoch noch viel weniger den Ansichten des Fürsten Schwarzenberg entsprechend. Sie lautete im Wesentlichen im folgenden Sinne: Die Regierung Frankreichs erkennt gleich der Österreichischen allerdings die Gefahren an, welche durch die Beherbergung der Flüchtlinge in der Schweiz der allgemeinen Ordnung drohe, und Frankreich sei vielleicht mehr als jeder andere Staat durch dieselben bedroht, da seine Gränzen eine viel gefährlichere Nachbarschaft beherbergen als die Gränzen Österreichs, auch habe die französische Regierung ein genaues Augenmerk darauf gerichtet. Es liege daher allerdings im Interesse der französischen Regierung, in dieser Beziehung die Ansichten des Österreichischen Cabinettes zu unterstützen, jedoch handle es sich um die wichtige Frage, in welchem Sinne Österreich an die Eidgenossenschaft seine Forderungen stellen wolle. Wenn es sich darum handle, von der Schweiz Garantien zu verlangen, welche die internationalen Verhältnisse anbetreffen, dass die Elemente aus dem Gebiete der Eidgenossenschaft entfernt werden sollen, welche Besorgnis erregen können, dass solche geeignet seien, die gesellschaftliche Ordnung in Europa zu bedrohen, was man allerdings von Leuten annehmen könne, welche in einer Umwälzung ihr Element finden, keine Heimath und kein bindendes Eigenthum haben, so könne man dies nur als eine Forderung der Billigkeit betrachten und es liege eben so sehr im Interesse der französischen Regierung wie in demjenigen der anderen Mächte, diesem Grundsätze die Bestimmung und Mithülfe nicht zu versagen. Wolle man dies jedoch durch Waffengewalt erzwingen? die Integrität des eidgenössischen Gebietes verletzen? und vielleicht einen Einfluss auf die inneren Angelegenheiten der Schweiz ausüben? Solchen Ansichten würde sich Frankreich nie geneigt zeigen und entschieden dagegen auftreten, indem es nie zugeben werde, dass die Institutionen der Eidgenossenschaft angegriffen würden. Frankreich garantire die Unabhängigkeit des schweizerischen Gebietes, wenn es auch nicht dagegen opponiren werde, dass man eine Forderung der Beschränkung des Asylrechtes an die Eidgenossenschaft richte, so wolle es doch das Princip des Asylrechtes gewahrt wissen und solches vertheidigen. Die französische Regierung werde allerdings zur Sicherheit seiner eigenen Staaten die Entfernung der Flüchtlinge vom Gebiete der Eidgenossenschaft fordern, allein sie weigere sich entschieden, denjenigen Absichten Gehör zu geben, welche einen Einfluss auf die Institutionen und Integrität der Eidgenossenschaft ausüben wollten. Fürst Schwarzenberg ging sodann auf die Neuenburger Frage über, wobei er die Ansprüche Preussens vertheidigte und eine Bevorwortung von Seite des Österreichischen Cabinetts zu Gunsten Preussens durchblicken liess, indem er auf die Aufrechterhaltung der Verträge von 1815 anspielte. H. von Beaumont erwiederte auf diese Bemerkung des Fürsten sehr treffend, dass die Verträge von 1815 durch die Preussische Regierung durch die Einverleibung des Gebietes von Hohenzollern selbst verletzt worden, und daher nicht darauf gepocht werden könne. Jedenfalls werde Frankreich es nie zugeben, dass der frühere Zustand des Cantons Neuchâtel wieder eingeführt werde, indem der jetzige Zustand den Interessen Frankreichs sowohl als der Schweiz besser Zusage, und die französische Regierung jeder Änderung entschieden entgegentreten werde. Da H. von Beaumont mir mit einem so schmeichelhaften Zutrauen entgegenkam, so sah auch ich mich genöthigt, sein Vertrauen mit gleichem Vertrauen zu erwiedern, indem ich ihm in gedrängter Kürze mittheilte, was Ew. Titl. mir mit Depesche vom 11./ 15. d. M.3 eröffneten. Sehr willkommen wäre es mir jedoch, zu wissen, in welchem Sinne die von dem Bundesrathe gemachten Annäherungen4 von dem preussischen Cabinette aufgenommen worden sind. Ich hielt es für meine Pflicht, Ew. Titl. den genauen Verlauf dieser Eröffnungen mitzutheilen und bitte, solchen als einen streng confidentiellen Beweis der freundschaftlichen Gesinnungen zu betrachten, welche der Gesandte der französischen Republik für den Repräsentanten der Eidgenossenschaft hegt und welche zu erhalten ich eifrig bemüht sein werde, um ferner im Falle sein zu können, diese Angelegenheit zu überwachen. Wenn auch nicht anzunehmen ist, dass die Worte des Fürsten Schwarzenberg eine deklarirte Hostilität gegen die Eidgenossenschaft beurkunden, und mehr vielleicht darauf hinzielten, die Gesinnung der französischen Regierung zu erforschen, so ist es doch jedenfalls höchst wichtig, zu wissen, dass die Absichten nicht ferne liegen, und man bemüht ist, die französische Regierung zu gleichen Ansichten zu bewegen.