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Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 1, doc. 4
volume linkBern 1990
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2#1000/44#426* | |
Old classification | CH-BAR E 2(-)1000/44 44 | |
Dossier title | Ernennung von Schultheiss J. Robert Steiger, Luzern, zum eidg. Kommissar an der Nordgrenze und Berichte Steigers, Dez. 1848 - März 1849 (1849–1849) | |
File reference archive | B.253 |
dodis.ch/41003 Le Commissaire fédéral dans les cantons limitrophes de l’Allemagne, J.R. Steiger, au Conseil fédéral1
In Folge Ihrer Bevollmächtigung2 hatte ich gestern und heute mit Seiner Hochwohlgeboren, dem Freiherrn von Marschall, grossherzoglich-badischem Ministerresidenten bei der schweizerischen Eidgenossenschaft eine vertrauliche Besprechung über die Angelegenheit der deutschen Flüchtlinge in der Schweiz.
Derselbe eröffnete mir, dass die grossherzoglich-badische Regierung der schweizerischen Eidgenossenschaft das stets geübte Asylrecht in keiner Weise bestreiten wolle, dass sie aber von der Ansicht ausgehe, dass diesem Rechte auch die Pflicht zur Seite gehe, durch die Ausübung dieses Asylrechts die internationalen, völkerrechtlichen Verhältnisse in keiner Weise zu stören; dass aber nach ihrer Ansicht diese Pflicht nur dann erfüllt werde, wenn – was auch andre Staaten wie Frankreich thun – alle Flüchtlinge internirt werden, und wenn man denselben nicht gestatte, durch eine aufreizende, eigens dazu geschaffene Presse die Nachbarstaaten zu beunruhigen. Er müsse deshalb darauf insistiren, dass die Flüchtlinge ohne Ausnahme überall internirt werden, dass diejenigen schweizerischen Beamten, welche denselben zur Missbrauchung des Asylrechts Vorschub geleistet, zur Ordnung gewiesen, und die aufreizenden Pressen der Flüchtlinge überwacht werden. Ohne dieses seien die dem Asylrecht zur Seite gehenden Verpflichtungen nicht erfüllt, was Baden und die deutsche Reichsgewalt nicht zugeben können. Er habe von Seiner Regierung und auch von der deutschen Reichsgewalt die Anweisung erhalten, im beidseitigen Interesse, nämlich im Interesse Deutschlands und der Schweiz, die Beilegung der obwaltenden Differenzen anzubahnen, und freue sich, dass der Bundesrath durch sein Kreisschreiben vom 30. November3 so wie durch die Abordnung eines eidgenössischen Kommissärs zur Vollziehung seiner Beschlüsse diejenigen Grundsätze an den Tag gelegt habe, welche geeignet seien, diese Differenzen wirklich auszugleichen.
Ich erwiderte dem Freiherrn von Marschall: dass ich vom hohen Bundesrathe bloss den Auftrag erhalten habe, seine Eröffnungen entgegenzunehmen; indessen wolle ich mir doch einige Bemerkungen erlauben, die übrigens nur meine individuellen Ansichten ausdrücken sollen.
Die Schweiz werde am Asylrechte im weitesten Sinne für alle politisch Verfolgten unter allen Umständen festhalten und sich von keinem auswärtigen Staate vorschreiben lassen, wie sie dasselbe auszuüben habe. Die Schweiz werde nach allen Seiten hin ihre Unabhängigkeit behaupten, und zwar gegen diejenigen, welchen sie Asyl gewähre, mit der gleichen Eifersucht, wie gegen ganze Staaten, daher auch nie und nimmer zugeben, dass asylgeniessende Flüchtlinge dasselbe zur Beunruhigung von Nachbarstaaten missbrauchen. Die Schweiz werde aber immerfort selbst entscheiden, ob oder wann das Asylrecht missbraucht worden
Diese Grundsätze habe die Eidgenossenschaft schon unterm 28. Februar abhin4 und zu wiederholten Malen seither sowohl in Kreisschreiben an die Stände, als in den Antwortsnoten an die Regierung des Grossherzogthums Baden und die deutsche Reichsgewalt deutlich und bestimmt ausgesprochen.5
Die Bundesversammlung durch ihren Beschluss in Sachen der italienischen Flüchtlinge6 wie der Bundesrath durch sein Kreisschreiben vom 30. November und durch die Abordnung eines eidgenössischen Kommissars nach den nördlichen Gränzkantonen hätten nur die Politik des abgetrettenen Vororts und der Tagsatzung fortgesetzt, jedoch in dem weitern Umfange, als die neue Bundesverfassung auch die Fremdenpolizei mehr der Gewalt des Bundes unterstelle. Nach den sorgfältigsten Untersuchungen habe es sich auch ergeben, dass diese alten Grundsätze der schweizerischen Politik im ganzen Umfange der Eidgenossenschaft befolgt und namentlich gegen Deutschland hin niemals verletzt worden seien. Die Anschuldigungen in den sogenannten Aktenstücken der Frankfurter Oberpostamts-Zeitung hätten sich alle samt und sonders entweder als irrig, oder unwahr, oder entstellt erwiesen.7 Ein Factum allein, der Brief von Schönfeld in Winterthur sei richtig. Schönfeld aber sei von den Behörden des Kantons Zürich an die Gerichte gewiesen, so dass von einer Zurechtweisung schweizerischer Beamter nie und nirgends die Rede sein könne.
Ebenso wenig stehen weder den Kantonen noch dem Bunde Preventivmaassregeln gegen die Presse zu. Durch die Verfassungen der Kantone und des Bundes sei die Pressefreiheit in ihrem ganzen Umfange gewährleistet. Der Missbrauch derselben werde durch die Gerichte bestraft; habe man sich über die Presse zu beklagen, so müsse man eben den Richter anrufen; fremden Regierungen könne man ein besseres Recht nicht einräumen, als die schweizerischen Regierungen selbst besitzen.
Übrigens könne ich zur Beruhigung sagen, dass im Kanton Basel-Stadt und Land gar keine politischen deutschen Flüchtlinge sich mehr befinden, dass im Kanton Aargau kaum 10 Individuen, und zwar sämtlich in den inneren Theilen des Kantons sich aufhalten; dass Zürich nur 9, Schaffhausen nur 6, und Thurgau nur 18 beherbergen. Von allen diesen habe kein einziger sich am zweiten Aufstande betheiligt. Alle diejenigen, welche das Asylrecht missbraucht haben, seien aus der Schweiz fortgewiesen worden, so namentlich auch Löwenfels, Thielmann und Neff, welche sich in der letzten Zeit zu Dörnach aufgehalten haben.8
Ohne gemahnt zu werden, hätten die Behörden von Bern die Probenummer der Beckerschen «Revolution» mit Beschlag belegt9, woraus doch sattsam hervorgehe, dass die Schweiz alles erfüllt habe und fortan erfüllen werde, was Recht und Pflicht gebieten.
Baden und die deutsche Reichsgewalt könnten füglich einsehen, dass sie auf unrichtige Suppositionen hin Maassregeln gegen die Schweiz theils ergriffen, theils angedroht haben, die ihren eigenen Ländern empfindlicher als der Schweiz fallen müssten. Beruhigung des badischen Oberlandes würde eine ausgedehnte Amnestie am sichersten herbeiführen. Dies möchte ich, hätte ich ein Wort mitzusprechen, empfehlen.
Herr von Marschall anerkannte alles dieses, glaubte aber auf einer ausnahmslosen Internirung aller Flüchtlinge bestehen zu sollen, und namentlich auch auf einer weitern Internirung derjenigen im Thurgau, welche sich zu nahe bei Konstanz befinden, umso mehr, als die schweizerische Polizei nicht so ausgestattet sei, um hinreichende Garantien zu geben, wie das Kreisschreiben vom 30. November dieses auch wirklich verlange.
Ich suchte ihm aber begreiflich zu machen, dass die Humanität erfordere, dieselben daselbst zu belassen, weil durch eine weitere Internirung ihre schuldlosen Familien in Konstanz leiden müssten, weil sie sich nach den Zusicherungen der thurgauischen Regierung ganz ruhig verhalten, weil kein Einziger derselben am zweiten Aufstande betheiligt, und strenge Überwachung ihrer Schritte angeordnet sei, und weil überhaupt der Schweiz und den einzelnen Kantonen zustehen müsste, selbst zu entscheiden, welche Maassregeln zu ergreifen seien, um die Flüchtlinge in den Schranken ihrer Pflichten zu erhalten. Wenn in der Schweiz der Polizeistaat auch nicht wie in Baden ausgebildet sei, so habe sich unsere Polizeigewalt in der neuesten Zeit nie für inkompetent erklären müssen, Ruhe und Ordnung zu behaupten; die Kraft und das Ansehen des Gesetzes seien bei uns mächtiger als die Polizeigewalt.
Die Unterredung war übrigens angenehm freundschaftlich, und ich zweifele nicht, dass bald die alten freundschaftlichen Verhältnisse zwischen der Schweiz einerseits und Baden und der deutschen Reichsgewalt anderseits hergestellt sein werden.
Ob nun Hochdieselben in Folge dieser Besprechung sich bewogen finden, die in der Nähe von Konstanz sich aufhaltenden Flüchtlinge im Thurgau mehr zu interniren, das muss und will ich Ihrem weisen Ermessen überlassen.10
Bei diesem Anlasse habe ich noch die Nachricht beizufügen, dass nach einer heute erhaltenen Mittheilung der Regierung von Baselland11 Ihre Beschlüsse vom 8. dieses12 vollzogen sind, und dass mit Vorwissen der Regierung von Baselland gegenwärtig im ganzen Kanton kein einziger deutscher Flüchtling mehr sich befindet.
Ich halte nun, Herr Präsident, meine Herren, meine Sendung für vollendet, und werde daher morgens mich nach Luzern begeben, um dort meine seit mehr als 6 Wochen unterbrochenen Geschäfte wieder zu übernehmen.
Einen General- oder Schluss-Bericht halte ich für überflüssig. Er könnte bloss eine Wiederholung des bereits Mitgetheilten sein. Sollten Sie indessen einen solchen wünschen, oder hinsichtlich meiner Sendung noch etwas anderes verfügen, so bin ich bereit, Ihre Aufträge entgegenzunehmen.13
- 1
- Rapport: E 2/426.↩
- 2
- Du 6 décembre 1848, non reproduite.↩
- 3
- No 3.↩
- 4
- Circulaire du Directoire fédéral aux cantons (D 307).↩
- 5
- Circulaires du Directoire fédéral aux cantons des 31 mars, 17 mai, 5 juillet et 5 octobre 1848 (E 2/418); notes du Directoire fédéral au Ministre résident de Baden près la Confédération, A. von Marschall, du 23 mai (D 308) et du 2 août 1848 (D 309); notes du Directoire fédéral à l’envoyé extraordinaire de l’Empire germanique à Berne, F. Raveaux, des 5 octobre et 4 novembre 1848 (D 309).↩
- 6
- Arrêté fédéral du 27 novembre 1848 (Cf. No 1, annexe).↩
- 7
- Cf. la circulaire du Conseil fédéral aux cantons limitrophes de l’Allemagne du 23/25 novembre 1848 (E 21/75) et les réponses de Zurich du 9 décembre 1848, de Thurgovie du 16 décembre 1848 et de Bâle-Ville du 2 décembre 1848 (E 21/75, publiées dans FF 1848/491, p. 195–206, 211 –240), ainsi que les réponses de Schaffhouse du 4 décembre 1848 et d’Argovie du 5 janvier 1849 (E 21/75).↩
- 8
- Cf. PVCF du 8 décembre 1848 (E 1004 1/1, no 182 b.)↩
- 9
- Cette saisie, prononcée par le préfet de Bienne, a été levée par un arrêté du Conseil d’Etat de Berne le 4 décembre 1848 (E 21/78).↩
- 10
- Cf. No 13, note 8.↩
- 11
- Non retrouvée.↩
- 12
- Die Regierung von Baselland wurde unter Verantwortlichkeit und unter Vorbehalt fernerer Verfügungen beauftragt, diejenigen Flüchtlinge, welche das Asylrecht durch Betheiligung am zweiten Aufstande im badischen Oberlande missbraucht haben, aus dem Kanton fortzuweisen. Die übrigen Flüchtlinge dürfen in keiner unter Liestal gelegenen Gemeinde geduldet werden. (E 1004 1/1, no 182 a).↩