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Documenti Diplomatici Svizzeri, vol. 23, doc. 129
volume linkZürich/Locarno/Genève 2011
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Archivio | Archivio federale svizzero, Berna | |
▼ ▶ Segnatura | CH-BAR#E7111C#1976/4#2* | |
Vecchia segnatura | CH-BAR E 7111(C)1976/4 1 | |
Titolo dossier | Délégation économique permanente (1964–1966) | |
Riferimento archivio | 1.EE.1.03 |
dodis.ch/31815 Bericht der Handelsabteilung des Volkswirtschaftsdepartements für die Ständige Wirtschaftsdelegation1
Definitiver Beitritt der Schweiz zum GATT
Die Schweiz ist seit mehr als sieben Jahren provisorisches Mitglied des GATT, und zwar auf Grund einer Deklaration vom 22. November 19582. Was sie bisher von einer definitiven Mitgliedschaft ferngehalten hat, ist die Tatsache, dass sie sich die Durchführung ihrer landwirtschaftlichen Schutzgesetzgebung, verkörpert im Landwirtschaftsgesetz3, im Getreide4 und Alkoholgesetz5, hat vorbehalten müssen, einer Gesetzgebung, die mit Artikel XI des GATT-Statuts (Verbot mengenmässiger Einfuhrbeschränkungen) nicht vereinbar ist. Insbesondere die grossen Agrarexportstaaten der gemässigten Zone – USA, Kanada, Australien, Neuseeland, die Niederlande, um die wichtigsten zu nennen – hätten bei einer Abstimmung über den schweizerischen Vollbeitritt gegen uns gestimmt. Für die Schweiz aber erschien es aus allgemein-politischen Erwägungen nicht angezeigt, es unter solchen Umständen auf eine Abstimmung überhaupt ankommen zu lassen.
Die Schweiz steht mit dem System ihres landwirtschaftlichen Einfuhrschutzes allerdings keineswegs allein6. Viele andere Länder in einer vergleichbaren Lage (d. h. Industriestaaten der westlichen Welt) handhaben eine gleichartige Ordnung, deren praktische Wirkung in der Regel viel weiter geht als die der schweizerischen Gesetzgebung. Seit drei Jahren ist die Schweiz der erste Agrarimporteur der Welt pro Kopf der Bevölkerung; sie hat Grossbritannien auf die zweite Stelle verwiesen. Im Unterschied zur Schweiz aber haben alle diese Länder dem Artikel XI des GATT ihre Reverenz dadurch abgestattet, dass sie seine Gültigkeit formell anerkennen und als Endziel ihrer Politik die schliessliche Beseitigung aller landwirtschaftlichen Einfuhrbeschränkungen proklamieren. Die Schweiz konnte und kann eine solche Erklärung, die mit den vom Schweizervolk angenommenen drei Gesetzen in eklatantem Widerspruch stehen würde, nicht abgeben. Den Vertragsparteien des GATT aber schien bis vor kurzem, offenbar zur Vermeidung eines Präzedenzfalles, die Proklamation wichtiger als die Wirklichkeit in Gestalt der tatsächlichen Einfuhrleistung, und unserm Lande blieb der Weg zur Vollmitgliedschaft im GATT – mit der hauptsächlichen Konsequenz, dass das Stimmrecht uns nicht zusteht – verschlossen.
Eine Änderung dieser Situation hat sich seit dem Beginn der Kennedy-Runde angebahnt. Die Kennedy-Runde7 hat bekanntlich nicht nur zum Ziel, den industriellen Zollschutz drastisch zu reduzieren (die Arbeitshypothese ist eine Herabsetzung der industriellen Zolltarife um 50%); sie will auch den Welthandel mit Agrarprodukten neu regeln, mit dem Ziel, den Zugang zu den Märkten zu sichern und auszubauen. Mit dieser Zielsetzung ist das stillschweigende Eingeständnis verbunden, dass Ergebnisse, die Aussicht haben, von beiden Seiten, insbesondere auch den Agrarexportländern, als befriedigend betrachtet zu werden, nicht mehr von einer blossen Wiederholung des Lippenbekenntnisses zu Artikel XI des GATT-Statuts erwartet werden können.
Dieser Erkenntnis entsprechend ist die Grundregel für die Agrarverhandlung in der Kennedy-Runde, beschlossen von der GATT-Ministertagung am 21. Mai 19638, gehalten. Sie lautet wörtlich wie folgt: «Etant donné l’importance de l’agriculture dans le commerce mondial, les négociations commerciales devront créer des conditions acceptables d’accès aux marchés mondiaux pour les produits agricoles». Dementsprechend erging an die Verhandlungspartner der Auftrag zur gemeinsamen Ausarbeitung der «Règles qui gouverneront, et méthodes qui régiront, la création de conditions acceptables d’accès aux marchés mondiaux pour les produits agricoles à l’effet de promouvoir un développement et une expansion significatifs du commerce mondial de ces produits».
Die Schweiz hat, wie alle andern Teilnehmer an der Kennedy-Runde, dieser Resolution9 ebenfalls zugestimmt. Unsere Erwartung war und ist, dass das Resultat der Kennedy-Runde auf dem Gebiete der Landwirtschaft der schweizerischen These Recht geben wird, die wir dem GATT gegenüber von Anfang an verfochten haben, nämlich, dass ausschlaggebend für die Bewertung des Beitrags eines Landes an die Ziele des GATT auf dem Gebiete der Landwirtschaft nicht das Bekenntnis zu abstrakten und unrealistischen Grundsätzen sein sollte, sondern vielmehr die effektive Leistung. Unsere Hoffnung ist m. a. W., dass die «Regeln und Methoden», die gemäss dem Beschluss der GATT-Minister vom 21. Mai 196310 sich aus der Kennedy-Verhandlung ergeben werden, so gestaltet sind, dass sie sowohl von der Schweiz wie von ihren Partnern angenommen werden können. Damit wäre das Problem der schweizerischen Vollmitgliedschaft im GATT automatisch gelöst.
Die Kennedy-Runde sollte, da die massgebliche amerikanische Gesetzgebung am 30. Juni 1967 ausläuft, bis zu diesem Zeitpunkt beendet sein. Gerade im Bereich der Landwirtschaft sind die Fortschritte bisher gering gewesen; es erscheint als mehr denn zweifelhaft, ob es gelingen wird, die Landwirtschaftsverhandlungen fristgerecht zu positiven Ergebnissen zu führen. Damit wäre die Herstellung der Vollmitgliedschaft unseres Landes im GATT neuerdings ad Kalendas graecas vertagt. Die Aussichten, dass, wenn die an sich unvermeid lichen Gespräche über eine Neuordnung des Welthandels mit Agrarprodukten wieder aufgenommen werden, die Zielsetzung so realistisch sein würde wie in der Kennedy-Runde – «Zugang zum Markt» als Hauptkriterium – müssen als sehr unbestimmt bezeichnet werden.
Unter diesen Umständen erschien es als angezeigt, sofort einen neuen Versuch einzuleiten, der Schweiz die definitive Mitgliedschaft im GATT zu verschaffen. Zu diesem Schluss sind unabhängig voneinander sowohl der Generaldirektor des GATT, der uns sehr wohlgesinnte Herr Wyndham White, wie auch wir selbst gelangt. Der hier beiliegende Entwurf11 zu einem Bes chluss der GATT-Vertragsparteien samt Beitrittsprotokoll ist dazu bestimmt, uns den Weg zu unserm Ziel zu ebnen. Die Konstellation erscheint der Erreichung dieses Ziels zurzeit als günstig.
Die weitern Erwägungen, die uns nahelegen, die gebotene Gelegenheit zu ergreifen, sind im einzelnen die folgenden:
1. Die beiliegenden Texte sind darauf angelegt, die Schweiz zum Vollmitglied des GATT zu machen so, wie sie ist. Dies bedeutet vor allem und in erster Linie, dass die Vorbehalte der Schweiz mit Bezug auf ihre landwirtschaftliche Schutzgesetzgebung ohne jede Beschränkung in das Beitrittsprotokoll übernommen werden. Auch die «Remarque générale» in der schweizerischen Konzessionsliste von 195812 bleibt unverändert. Keinem Lande ist bisher ein so ausdrücklicher und vorbehaltloser Dispens für seinen Agrareinfuhrschutz gewährt worden. Darüber hinaus wird ein Beschluss der GATT-Vertrags parteien dieses Inhalts einer internationalen Anerkennung der schweizerischen Landwirtschaftsgesetzgebung gleichkommen.
2. Es ist sehr wünschenswert, dass die Schweiz in der Landwirtschaftsverhandlung der Kennedy-Runde mit der Autorität der Vollmitgliedschaft auftreten kann, da es ja um die Ausarbeitung neuer Regeln und Methoden für den Weltagrarhandel geht. Die schweizerischen Gesichtspunkte sollten in diesem Zusammenhang voll berücksichtigt werden können. Aber auch ausserhalb der Kennedy-Runde werden im GATT, vor allem auf dem Gebiete der Entwicklungshilfe13, immer wieder Massnahmen beraten, welche die Agrareinfuhr betreffen (z. B. die Behandlung tropischer Produkte). Dass die Schweiz an Abstimmungen über solche Gegenstände teilnehmen kann, ist keineswegs unwesentlich.
3. Der übrige Inhalt des Beschlussesentwurfs und des Entwurfs zu einem Beitrittsprotokoll ist für uns unbedenklich. Es handelt sich grösstenteils um technisch-juristische Bestimmungen, die mit dem Übergang von der provisorischen zur definitiven Mitgliedschaft zusammenhängen. Hervorgehoben zu werden verdient einzig der Passus auf Seite 1 unten/Seite 2 oben des Protokoll-Entwurfes («Prenant acte de ce que la Suisse est disposée …»), der von der Situation handelt, die nach einem Misserfolg der Kennedy-Runde auf dem Gebiete der Landwirtschaft bestehen würde. Für diesen Fall erklärt sich die Schweiz bereit, gemeinsam mit den Vertragsparteien des GATT zu verifizieren, dass trotz des Bestehens der schweizerischen Vorbehalte hinsichtlich der Agrareinfuhr unser Land «annehmbare Bedingungen des Zugangs zu ihrem Markt für Agrarprodukte» bietet. (Der Text in Anführungszeichen ist wörtlich aus der Resolution der Minister vom Mai 196314 übernommen). Es kann kein Zweifel darüber bestehen, dass diese Überprüfung positiv verlaufen wird, und zwar aus folgenden Gründen:
a) Aus der Statistik15 ergibt sich eindeutig, dass die Schweiz zur Spitzengruppe derjenigen Länder gehört, die jahraus jahrein, beträchtliche Agrareinfuhren aufweisen. Dies ist umso bemerkenswerter, als die Tendenz in so bedeutenden und traditionellen Zuschussgebieten wie einzelnen Mitgliedstaaten der EWG (vor allem Deutschland) als Folge der gemeinsamen Agrarpolitik der Gemeinschaft durch eine zunehmende Erschwerung des Marktzugangs für die Produkte der Agrarexportländer gekennzeichnet ist.
b) Die Agrarexportstaaten werden sich hüten, im Falle eines Fehlschlages der Kennedy-Runde von der Schweiz allein zusätzliche Konzessionen zu verlangen. Solche Zugeständnisse würden in erster Linie der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft zugute kommen; alle Drittstaaten aber haben ein eindeutiges Interesse daran, dass ihre Verhandlungskraft gegenüber der EWG und ihrer gemeinsamen Agrarpolitik nur in einer Verhandlung eingesetzt wird, in der man, unter dem Titel der Reziprozität, von der EWG gleichwertige Gegenleistungen verlangen kann.
c) Die Schweiz wird die Gespräche mit den Vertragsparteien unter dem erwähnten «Prenant acte»-Passus ihrerseits als wohletabliertes Vollmitglied des GATT führen. Sie wird aus Überzeugung und mit überzeugenden Argumenten darauf hinweisen können, dass der Zugang zum schweizerischen Markt für Agrarprodukte, verglichen insbesondere mit dem, was andere leisten, nach wie vor durchaus «annehmbar» ist. Bei dieser Feststellung werden sich die GATT-Vertragsparteien zu beruhigen haben.
Aus allen diesen Überlegungen sind wir der Auffassung, dass, wie mit Herrn Generaldirektor Wyndham White vereinbart, das Thema des schweizerischen Vollbeitritts zum GATT auf die Traktandenliste der GATT-Jahrestagung von Ende März/Anfang April16 dieses Jahres gesetzt werden sollte. Umfassende diplomatische Vorbereitungen, deren sich vornehmlich das GATT-Sekretariat annimmt, sind im Gange, um der Schweiz wenn immer möglich eine einstimmige Aufnahme17 ins GATT zu sichern18.
- 1
- Notiz: E 7111(C) 1976/4 Bd. 1 (1.E E.1.03).↩
- 2
- Deklaration über den provisorischen Beitritt der Schweizerischen Eidgenossenschaft zum Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommen (GATT) vom 22. November 1958, AS, 1959, S. 1741–1744. Vgl. ferner das BR-Prot. Nr. 2074 vom 3. Dezember 1956, dodis.ch/11275 und das BR-Prot. Nr. 107 vom 16. Januar 1962, dodis.ch/30449.↩
- 3
- Vgl. DDS, Bd. 23, Dok. 17, dodis.ch/31396, Anm. 5.↩
- 4
- Bundesgesetz über die Getreideversorgung des Landes vom 7. Juli 1932, BS 9, S. 439–478 und Bundesgesetz betreffend die Änderung des Bundesgesetz über die Getreideversorgung des Landes vom 17. Dezember 1952, AS, 1953, S. 389–400.↩
- 5
- Bundesgesetz über die Revision des Bundesgesetzes über die gebrannten Wasser (Alkoholgesetz) vom 25. Oktober 1949, BBl 1949, II, S. 722–729.↩
- 6
- Vgl. dazu DDS, Bd. 23, Dok. 17, dodis.ch/31817 und die Notiz Négotiation Kennedy, Elargissement du Marché Commun vom 23. März 1966, dodis.ch/31651.↩
- 7
- Zur Kennedy-Runde vgl. DDS, Bd. 23, Dok. 1, dodis.ch/30938, Anm. 8.↩
- 8
- Vgl. dazu Doss. E 2001(E) 1976/17 Bd. 139 (C.41.103.3.02).↩
- 9
- Resolution Dispositions à prendre en vue d’abaisser ou de supprimer les droits de douane et les autres obstacles aux échanges; questions connexes et mesures concernant l’accès aux marchés pour les produits agricoles et les autres produits primaires vom 22. Mai 1966, Doss. wie Anm. 8.↩
- 10
- Vgl. das Schreiben von A. Weitnauer an die Mitglieder der Ständigen Wirtschaftsdelegation vom 30. Mai 1963, Doss. wie Anm. 8.↩
- 11
- Projet. Décision relative à l’accession de la Suisse à l’Accordgénéral sur les tarifs douaniers et le commerce vom 10. Februar 1966, Doss. wie Anm. 1.↩
- 12
- Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen. Warenliste der Schweizerischen Eidgenossenschaft, AS, 1959, S. 1820 –1890. Für die «remarque générale» vgl. S. 1890.↩
- 13
- Für eine Übersicht über die schweizerische Entwicklungszusammenarbeit vgl. DDS, Bd. 23, Dok. 100, dodis.ch/31763.↩
- 14
- Vgl. Anm. 8.↩
- 15
- Vgl. dazu die Antwort von H. Schaffner auf die Interpellation von E. Duft vom 29. Juni 1966, dodis.ch/31613.↩
- 16
- Vgl. das BR-Prot. Nr. 672 vom 1. April 1966, E 1004.1(-) 1000/9 Bd. 708.1.↩
- 17
- Vgl. dazu Doss. E 2001(E) 1978/84 Bd. 211 (C.41.103).↩
- 18
- Vgl. dazu das Protokoll über den Beitritt der Schweiz zum Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommen vom 1. April 1966, AS, 1966, S. 964–971. Das Protokoll trat am 1. August 1966 in Kraft. Vgl. ferner das BR-Prot. Nr. 938 vom 10. Mai 1966, dodis.ch/32079 und die Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung über den Beitritt der Schweiz zum Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommen (GATT) vom 10. Mai 1966, BBl, 1966, I, S. 713–729.↩
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Agricoltura Questioni legate all'adesione a organizzazioni internazionali Kennedy Round (1963–1967)