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Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 23, doc. 12
volume linkZürich/Locarno/Genève 2011
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E7111C#1976/4#3* | |
Old classification | CH-BAR E 7111(C)1976/4 1 | |
Dossier title | Délégation économique permanente (1964–1966) | |
File reference archive | 2.A.EE.100.01 |
Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E7111C#1976/4#281* | |
Old classification | CH-BAR E 7111(C)1976/4 155 | |
Dossier title | Délégation économique permanente (1964–1964) | |
File reference archive | 4.A.EE.300.01 |
dodis.ch/31817 Protokoll der Sitzung der Ständigen Wirtschaftsdelegation vom 24. Januar 19641
1. Vorbereitung der Kennedy-Runde
Herr Minister Weitnauer orientiert über den Verlauf der vorbereitenden Arbeiten seit Mitte Dezember 1963. Am 16. Dezember wurde die der Ständigen Wirtschaftsdelegation bekannte schweizerische Note2 über das Problem der Disparitäten der EWG-Kommission und den Regierungen der EWG-Länder überreicht. Am 23. Dezember schloss der EWG-Ministerrat seine Marathonsitzung. Der allgemeine Eindruck ist, dass das schweizerische Anliegen zur Kenntnis der EWG-Minister gelangt war. Im Hinblick auf die Kennedy-Runde ist das Ergebnis der EWG-Minister-Sitzung aus zwei Gründen bedeutsam: Erstens wurde eine Einigung über die gemeinsame Agrarpolitik der EWG in ihrer Gesamtheit erzielt, womit die Grundlage für eine Agrardiskussion im Rahmen des GATT geschaffen ist3; zweitens erklärten sich die Minister bereit, den Grundsatz der 50-prozentigen Zollsenkung zu übernehmen. In bezug auf das die Schweiz besonders interessierende Disparitätenproblem4 beschlossen sie, von der bisherigen «30–10»-Formel abzugehen und als Kriterium dasjenige des «double écart» zu fordern, d. h. der hohe Zollansatz muss mindestens das Doppelte des niedrigen betragen, wobei der Unterschied bei Fertigprodukten und Rohstoffen mindestens 10 Prozentpunkte betragen muss. Damit fällt die bisher geforderte untere Grenze weg. Schliesslich bestätigen die EWG-Minister die zusätzlichen Kriterien: Keine Anrufung des Disparitätenargumentes, wenn das Niedrigzollland keine eigene Produktion hat und keine Importe in der betreffenden Position tätigt.
Die weiteren Punkte der schweizerischen Note blieben unberücksichtigt: Berücksichtigung der Disparität nur wenn eine solche geltend gemacht wird, Berücksichtigung der Einfuhrsituation, insbesondere die Bedingung, dass keine Disparität geltend gemacht werden kann für Positionen, für welche ein Drittstaat und nicht das Hochtarifland Hauptlieferant des Niedrigtariflandes ist. Gesamthaft kann gesagt werden, die schweizerische Note habe einen nachhaltigen Eindruck bei den EWG-Gremien hinterlassen und sie auf den «europäischen Aspekt» des Disparitätenproblems aufmerksam gemacht. Die EWG will diesem Aspekt Rechnung tragen durch Konsultationen mit Drittstaaten, die ernste Folgen der Nichtreduzierung der EWG-Zölle um 50 Prozent befürchten müssen. Das neue Kriterium der EWG hat zu neuen Rechnungen Anlass gegeben, wenn auch die von der EWG in Aussicht gestellten Einfuhrstatistiken noch fehlen: Bei insgesamt über 1000 Positionen (von den total 2300 Industriepositionen des Gemeinsamen Tarifs) kann nach dem neuen Kriterium eine Disparität geltend gemacht werden, was eine beunruhigend hohe Zahl ist.
Im Rahmen der seit Ende Dezember regen diplomatischen Aktivität ist die Schweiz von der EWG-Kommission und unerwarteterweise auch von Frankreich zu Konsultationen5 eingeladen worden. Die Besprechungen in Brüssel haben den Eindruck bestärkt, dass die schweizerische Demarche in EWG-Kreisen Eindruck gemacht hat. Die EWG ist unglücklich über die Isolierung, in die sie im GATT geraten ist. Sie ist bereit, dem «schweizerischen Fall» gerecht zu werden, aber vorderhand nicht auf dem Wege einer generellen Regelung. Das würde bedeuten, dass die Regelung bei mehr als der Hälfte der Positionen, bei denen die Schweiz Hauptlieferant der EWG ist, im Rahmen eines «hardship exercice» getroffen würde. Die USA sind sehr interessiert am schweizerischen Fall, erstaunt über die Stellung der Schweiz als zweitwichtigster Abnehmer der EWG und bestrebt, den Fall als Paradebeispiel zu wählen, um die Stupidität der Disparitätentheorie der EWG zu beweisen. Die Schweiz hat den Vereinigten Staaten die Zusicherung gegeben, dass sie sich für eine möglichst umfassende Zollherabsetzung im Rahmen der Kennedy-Runde einsetzen werde und dass sie auf die Anrufung des Disparitätenargumentes gegenüber den USA verzichte. Die Kennedy-Runde wird nur unter der Voraussetzung eines Kompromisses zwischen der EWG, den USA und Grossbritannien zustande kommen. Die beiden letzteren wissen, dass sie sich ihre Disparität etwas kosten lassen müssen. Mit Grossbritannien sollten Besprechungen anlässlich der EFTA-Ministertagung vom 13./14. Februar6 gepflogen werden.
Die Ständige Wirtschaftsdelegation bekräftigt die Bereitschaft der Schweiz, zu einer liberalen Lösung Hand zu bieten, aber auf einer festen Regelung des schweizerischen Falles zu bestehen, sich nicht mit blossen Zusicherungen zu begnügen. Die Schweiz will nicht die USA gegenüber der EWG und umgekehrt die EWG gegenüber den Vereinigten Staaten ausspielen. Die Frage der mög lichen Retorsionen von seiten der Schweiz bedarf erst eingehender Prüfung.
[…] 7
- 1
- Protokoll: E 7111(C) 1976/4 Bd. 1 (2.A.E E.100.01).↩
- 2
- Diese Note wurde während der Sitzung der Ständigen Wirtschaftsdelegation am 11. Dezember 1963 genehmigt, vgl. E 2001(E) 1976/17 Bd. 139 (C.41.103). Am 16. Dezember 1963 wurde die Note von den Botschaftern in Brüssel, Bonn, Paris, Den Haag und Rom den Vertretern der EWG-Länder überreicht, E 7110 1974/31 Bd. 53 (783.0).↩
- 3
- Vgl. dazu DDS, Bd. 23, Dok. 129, dodis.ch/31815.↩
- 4
- Zur Frage der Disparitäten vgl. für Japan die beiden Schreiben von J. de Rham an A. Weitnauer vom 13. Januar 1964 sowie vom 17. Januar 1964, E 2001(E) 1978/84 Bd. 209 (C.41.103), für Frankreich die Notiz Entretien avec M. Wormser sur les «disparités» von A. Soldati an A. Weitnauer vom 14. Januar 1964, ibid. sowie das Schreiben Kennedy round: problème des disparités douanières von A. Soldati an die Handelsabteilung des Volkswirtschaftsdepartements vom 17. Januar 1964, ibid. und für Grossbritannien das Schreiben Royaume-Uni: Kennedy round et disparités tarifaires von J. de Stoutz an die Handelsabteilung des Volkswirtschaftsdepartements vom 22. Januar 1964, ibid.↩
- 5
- Vgl. dazu DDS, Bd. 22, Dok. 182, dodis.ch/30703. Vgl. ferner DDS, Bd. 23, Dok. 168, dodis.ch/31814.↩
- 6
- Vgl. dazu den Bericht von O. Long Rapport sur les réunions ministérielles du Conseil de l’AELE et du Conseil mixte de l’Association AELE/Finlande les 13 et 14 février 1964 à Genève, E 7111(C) 1976/4 Bd. 146 (3.G.E E.221.02). Vgl. ferner Doss. E 2001(E) 1978/84 Bd. 324 (C.41.775).↩
- 7
- Für das vollständige Dokument vgl. dodis.ch/31817.↩