Richtlinien für die Wirtschaftsverhandlungen mit Italien: italienische Häfen, Warenverkehr, italienische Schulden und Voraussetzungen für einen neuen Kredit.
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Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 16, doc. 11
volume linkZürich/Locarno/Genève 1997
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E1004.1#1000/9#459* |
Old classification | CH-BAR E 1004.1(-)1000/9 458 |
Dossier title | Beschlussprotokolle des Bundesrates Juni 1945 (1945–1945) |
dodis.ch/306 BUNDESRAT
Protokoll der Sitzung vom 15. Juni 19451 1306. WIRTSCHAFTSVERHANDLUNGEN MIT ITALIEN
Protokoll der Sitzung vom 15. Juni 19451
Das Volkswirtschaftsdepartement berichtet was folgt:
«Schon vor der Befreiung Oberitaliens bekundete die italienische Regierung den Wunsch, eine Delegation für Wirtschaftsverhandlungen mit der Schweiz nach Bern zu entsenden2. Sofort nach dem Eintritt der Waffenruhe in jenem Gebiete antworteten wir, dass wir uns freuen würden, wenn jene Delegation anfangs Juni hierher kommen könnte. Sie soll nun nächste Woche hier eintreffen.
Durch den Besuch des Schweizer-Amerikaners Oberst Jenny, Chef der Unterkommission für öffentliche Werke und Arbeiten der alliierten Kommission in Italien, vom vergangenen Monat April3 erhielten wir bereits gewisse Einblicke in die voraussichtlichen Bedürfnisse und Liefermöglichkeiten Italiens. Oberst Jenny gab uns auch von dem Wunsche der italienischen Regierung Kenntnis, der Schweiz so rasch als möglich Erleichterungen hinsichtlich des Transits und insbesondere für die Benutzung des Hafens von Genua zu gewähren. Er erklärte zudem des Bestimmtesten, dass wir Abmachungen über den schweizerisch-italienischen Warenaustausch nicht mit den Alliierten, sondern mit Italien zu treffen hätten. Immerhin ging aus seinen Ausführungen ebenso klar hervor, dass die italienische Regierung hinsichtlich der Ausfuhr nicht frei sei, sondern der Zustimmung der Alliierten bedürfe, und dass diese viele, auch für uns wichtige Waren mehr oder weniger für sich reservierten.
Die Berichte, die wir von unserer Gesandtschaft in Rom in den letzten Monaten bekommen haben4, bestätigen die Richtigkeit der Mitteilungen von Oberst Jenny. Es geht daraus vor allem auch hervor, dass die massgebenden italienischen Behörden den eifrigsten Wunsch haben, die Wirtschaftsbeziehungen mit der Schweiz möglichst rasch wieder aufzunehmen. Darüber, wie diese Wiederaufnahme des Warenaustausches vor sich gehen sollte, würden nach jenen Berichten die Meinungen innerhalb der zuständigen italienischen Ministerien noch auseinander gehen. Offenbar rechnet aber die italienische Regierung mit einem schweizerischen Kredit zur Überbrückung der Übergangszeit, in der Italien sicherlich noch nicht in der Lage sein wird, die Ausfuhr nach der Schweiz in einem normalen Umfange wieder aufzunehmen.
Wir gewärtigen nun, mit was für Vorschlägen die italienische Verhandlungsdelegation an uns herantreten wird. Von schweizerischer Seite gesehen, stellen sich bei den Verhandlungen vor allem die folgenden Hauptprobleme:
1. Benützung italienischer Häfen.
Am dringlichsten ist für uns, so rasch als irgendwie möglich, die italienischen Häfen, insbesondere diejenigen von Genua (für Waren im allgemeinen) und Savona (für Kohlen und Pyrit), wieder benutzen zu können. Ein Entscheid in dieser Frage wird in erster Linie von den alliierten Behörden abhängen. Wir müssen aber erwarten, dass sich die italienische Regierung ihrerseits nach Kräften bemüht, die Erlangung eines positiven Entscheids durch eigene Schritte zu beschleunigen zu suchen.
2. Italienische Warenlieferungen.
Es gibt eine Reihe von für unsere Industrie wichtigen Rohstoffen und Halbfabrikaten, für deren Bezug wir einstweilen, auch aus Transportgründen, vorwiegend auf Italien angewiesen sein werden. Wir nennen vor allem Pyrit, Schwefel, Tonerde, Rohseide, Borax und Borsäure, Hanf und Hanfgarne. Ausserdem ist die Wiederaufnahme der traditionellen italienischen Lieferungen auf dem Gebiete der landwirtschaftlichen Erzeugnisse (Reis, Frühgemüse und Früchte, Heu, Wein, Orangen und Zitronen usw.) insofern ausserordentlich wichtig, als ohne sie eine kräftige Speisung des Clearings gar nicht denkbar ist.
3. Schweizerische Lieferungen.
Italien war als Nachbarland stets ein sehr bedeutender Abnehmer schweizerischer Waren. Wir dürfen diesen Markt heute, wo uns grosse frühere Absatzgebiete verschlossen sind, weniger als je vernachlässigen, zumal wir mit dem Wettbewerb der durch die Besetzung begünstigten angelsächsischen Staaten zu rechnen haben.
4. Abtragung der italienischen Clearingschulden.
Wie Sie aus der Ihnen in der Sitzung vom 1. dies5 vorgelegten Antwort auf eine Anfrage der Finanzdelegation der eidgenössischen Räte ersehen konnten, widmen wir auch der Frage der Abtragung der italienischen Clearingschulden unsere volle Aufmerksamkeit. Es handelt sich insgesamt um rund 320 Millionen Franken, zu denen hinzu noch ungefähr 60 Millionen Franken als Saldo eines seinerzeit durch die schweizerischen Banken dem italienischen Clearinginstitut gewährten Kredits kommen, wofür der Bund gegenüber der Nationalbank die Haftung übernommen hat. Wie wir in jener Antwort ausführten, ist an eine baldige Abtragung jener Schulden durch Italien kaum zu denken. Wir werden aber verlangen, dass in ein Wirtschaftsabkommen auch Vereinbarungen über sofort einsetzende Schuldentilgungen aufgenommen werden, die zum mindesten die wichtige symbolische Bedeutung einer Bestätigung des Willens zur Abtragung jener Schulden haben werden.
5. Neuer Kredit.
Wie wir ebenfalls schon in der erwähnten Antwort auf die Anfrage der Finanzdelegation der eidgenössischen Räte bemerkten, konnte unsere ständige Verhandlungsdelegation anlässlich der Besprechungen mit Oberst Jenny nicht umhin, in Aussicht zu stellen, dass allenfalls eine schweizerische Vorausleistung in der Höhe von 50–60 Millionen Franken in Erwägung gezogen werden könnte. Um einen solchen Kredit werden wir kaum herumkommen, da, wie alle andern Länder, die durch den Krieg heimgesucht wurden, auch Italien bis auf weiteres kaum in der Lage sein wird, seine Einfuhr voll durch die Ausfuhr zu finanzieren. Es ist dies im Verkehr mit der Schweiz umsoweniger zu erwarten, als von jeher die Frühgemüse und frühen Früchte einen Hauptbetrag zur Speisung des Clearings leisteten, und nun die Saison für solche Lieferungen für dieses Jahr bereits vorbei ist.
Unumgängliche und erste Voraussetzungen für eine schweizerische finanzielle Vorausleistung wird jedoch sein, dass wir die italienischen Häfen Genua und Savona raschestens in einem für unsere Landesversorgung ausschlaggebenden Ausmass wieder benützen können, zumal dieser Transitverkehr auch weitgehend zur Speisung des Clearings beitragen soll.
Es wäre verfrüht, sich schon jetzt über die Modalitäten einer solchen schweizerischen finanziellen Vorausleistung näher auszusprechen. Immerhin lässt es sich sehr wohl denken, intern-schweizerisch die Finanzierung des Kredits in ähnlicher Weise durch einen Bankenkredit vorzunehmen, wie sie gemäss unserm Bericht vom 8. dies über die Wirtschaftsverhandlungen mit Belgien für einen Vorschuss an dieses Land in Erwägung gezogen wird6.»
Antragsgemäss wird beschlossen:
Das Volkswirtschaftsdepartement wird ermächtigt auf der skizzierten Grundlage mit Italien zu verhandeln.
- 1
- E 1004.1 1/458.↩
- 2
- Vgl. den Brief der schweizerischen Gesandtschaft in Rom an die Handelsabteilung des EVD vom 2. Februar 1945, E 7110/1967/32/821.Italien/9.↩
- 3
- Vgl. die Notiz von J. Vollenweider an J. Hotz vom 4. April 1945, E 7110/1967/32/821.Italien/8.↩
- 4
- Ebd.↩
- 5
- Vgl. dodis.ch/1228.↩
- 6
- Vgl. DDS, Bd. 15, Dok. 334, dodis.ch/47938, Dok. 335, dodis.ch/47939.↩
Relations to other documents
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