Entschluss Peróns, diplomatische Beziehungen zur UdSSR aufzunehmen: aussenpolitische Folgen. Unpopularität der USA.
Pubblicato in
Documenti Diplomatici Svizzeri, vol. 16, doc. 77
volume linkZürich/Locarno/Genève 1997
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Archivio | Archivio federale svizzero, Berna | |
▼ ▶ Segnatura | CH-BAR#E2300#1000/716#196* | |
Vecchia segnatura | CH-BAR E 2300(-)1000/716 99 | |
Titolo dossier | Buenos Aires, Politische Berichte und Briefe, Band 10 (1944–1952) |
dodis.ch/295 Der schweizerische Gesandte in Buenos Aires, E. Feer, an den Vorsteher des Politischen Departements, M. Petitpierre1 ARGENTINIEN UND RUSSLAND
Die erste Amtshandlung Peróns nach seiner Einsetzung als vom Volke gewählter Präsident Argentiniens2 war die Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit Sowjetrussland. Dieser Akt, der von beiden Seiten mit viel Propagandafeuer begleitet worden ist, kam hier für niemanden überraschend. Es war bekannt, dass Präsident Farrell als gläubiger Katholik und Offizier alter Tradition eine instinktive Abneigung gegen Sowjetrussland hegte und immer wieder betont hatte, dass, solange er Präsident sei, er sich nicht entschliessen könne, ohne zwingenden Grund, die Beziehungen zu Russland wieder aufzunehmen.
Für den Obersten und jetzigen General Perón fielen diese Bedenken nicht mehr ins Gewicht. Im Gegenteil darf gesagt werden, dass es überraschend gewesen wäre, wenn Perón nicht sofort die Beziehungen zu Sowjetrussland wieder aufgenommen hätte, lagen doch für ihn genügend innen- und aussenpolitische Gründe vor, um ihm diesen Schritt als recht verlockend erscheinen zu lassen.
Wenn die russischen Zeitungen berichten, das argentinische Volk hätte die Aufnahme dieser Beziehungen dringend verlangt, um einen Bundesgenossen zu finden, der es aus den Klauen des angelsächsischen Kapitalismus befreit, so ist dies natürlich Unsinn. In Argentinien denkt nur die ganz kleine kommunistische Partei an Russland und diese hat bekanntlich im Wahlkampf gegen Perón Stellung genommen und gründlich verloren3. Auch die Begründung mit wirtschaftlichen Notwendigkeiten, welche die russische Presse der Anbahnung der Beziehungen gibt, ist recht hinfällig. Richtig ist nur, dass die seit Wochen hier anwesende sowjetrussische Handelsdelegation die argentinische Regierung mit wirtschaftlichen Vorteilen geködert hat, um dem argentinischen Volk und der Welt einen Schritt plausibler zu machen, der sonst ohne weiteres schwer verstanden werden kann.
Für diejenigen, die hinter die Kulissen sehen können, sind die jetzt zwischen Argentinien und Russland getroffenen Abmachungen ausschliesslich ein Schachzug im Weltspiel der Machtpolitik. So hat Russland, das noch vor kurzem, wie jedermann in Erinnerung ist, alles tat um Argentinien von der Organisation der Vereinigten Nationen fernzuhalten und als faschistischen Seuchenherd zu isolieren, plötzlich eine seiner bekannten zynischen Schwenkungen vorgenommen. Was sind die Gründe? In hiesigen angelsächsischen Kreisen sieht man auf russischer Seite zwei ausschlaggebende Motive:
Erstens: Sowjetrussland möchte die Zusammenschweissung der westlichen Hemisphäre zu einem Defensiv-Block verhindern. Bekanntlich sind die Vereinigten Staaten seit Kriegsende bemüht, eine Konferenz über gemeinsame Defensiv-Massnahmen sämtlicher amerikanischer Länder zustandezubringen, welche Konferenz bis jetzt nur an den Differenzen mit Argentinien gescheitert ist. Die Konferenz wurde immer weiter hinausgeschoben. Als Vorbereitung hiezu haben aber bereits lose Besprechungen der Generalstäbe der einzelnen Staaten stattgefunden mit dem Zweck, die Vereinheitlichung der Bewaffnung der ganzen Hemisphäre durchzuführen. Die Reise des früheren argentinischen Generalstabschefs von der Becke nach Washington, die im Einverständnis mit dem Präsidenten Perón erfolgt, soll mit diesen Plänen zusammenhängen. Es liegt auf der Hand, dass diese Pläne dem ewig misstrauischen Sowjetrussland nicht genehm sind und es deshalb versucht, dieselben zu durchkreuzen. Andererseits hofft aber Perón, die Drohung der Einnistung der Russen auf dem amerikanischen Kontinent den Vereinigten Staaten gegenüber ausspielen zu können, um von diesen eher das Kriegs- und Verkehrsmaterial zu erhalten, das Argentinien schon so lange sehnlichst wünschte, das ihm aber aus politischen Gründen von Washington vorenthalten wurde.
Zweitens: Die bekannte Spannung zwischen den angelsächsischen Ländern und Russland hängt hauptsächlich damit zusammen, dass die Russen in ihrer Interessensphäre allein Herr und Meister sein wollen. Es passt ihnen nicht, dass die Vereinigten Staaten und Grossbritannien hinsichtlich des Schicksals der kleinen osteuropäischen Länder ein Mitspracherecht haben wollen. Um sich eine Gegenposition zu verschaffen, sind deshalb die Russen bemüht, in Südamerika Fuss zu fassen und sie packen den Kontinent an seiner Achillesferse, nämlich Argentinien, an. Es handelt sich also in letzter Linie um einen machtpolitischen Störungsversuch, welches Motiv hier in Buenos Aires ganz deutlich zutage tritt.
Dass dem Präsidenten Perón die russischen Pläne zur Zeit ins Spiel passen, ist, wie bereits angedeutet, leicht verständlich. Die neuen Beziehungen zu Russland helfen ihm aussenpolitisch, Argentinien aus seiner isolierten Stellung innerhalb der Vereinigten Nationen zu befreien; innenpolitisch sind sie ihm willkommen als Schachzug gegen seine Gegner der extremen Linken, die sich bis jetzt immer bemüht hatten, der Arbeiterschaft klarzumachen, Perón sei im Grunde ein Nationalsozialist und ein Faschist und habe alle seine sozialpolitischen Versprechungen der Arbeiterschaft gegenüber nur gemacht, um die Präsidentschaft zu erringen.
In den Kreisen der «Peronistas» stehen zur Zeit die Aktien Russlands hoch, diejenigen der Vereinigten Staaten tief. Symbolisch für diese Situation waren die Vorgänge gelegentlich der eben stattgefundenen Feierlichkeiten bei der Machtübernahme des Generals Perón. Die russische Handelsdelegation, die allerdings diplomatischen Charakter besitzt, aber keineswegs als Botschaft akkreditiert war, erhielt bei der Feier im Parlament besonders in die Augen fallende Plätze und wurde auch zu den Banketten eingeladen, die sonst nur für die Missionschefs bestimmt waren. Nachdem Präsident Perón den Notenaustausch mit dem Führer der Sowjet-Handelsdelegation über die Aufnahme der Beziehungen unterzeichnet hatte, begab er sich zu einem Empfang im Parlament, der den ausländischen Spezialmissionen gewidmet war und, wie ich aus allerbester Quelle höre, fand, nachdem sich die ausländischen Delegationen verabschiedet hatten, im Parlament eine grosse Verbrüderungsfeier zwischen den Sowjetrussen und den «Peronistas» statt, die bis tief in die Nacht hinein dauerte.
Auf der andern Seite wurde der neue amerikanische Botschafter Messersmith bei der Fahrt der Diplomaten vom Kongress in die Casa Rosada (das Haus des Präsidenten) öffentlich ausgepfiffen. (Der Aussenminister Bramuglia hat sich tags darauf in aller Form bei Herrn Messersmith entschuldigt.) Ausserdem hatte es das Aussenministerium darauf angelegt, den amerikanischen Botschafter bei all den stattgefundenen Feierlichkeiten so niedrig, wie dessen Rang es überhaupt gestattete, zu placieren. Der frühere nordamerikanische Präsident Hoover, der zur Zeit ebenfalls hier weilt, um im Auftrag von Präsident Truman für UNRRA möglichst grosse Lebensmitteltransporte nach Europa zu mobilisieren, wurde beim Bankett in der Casa Rosada so placiert, dass es nicht nur von den Amerikanern als Beleidigung empfunden wurde. Dies alles sind Symptome und wer die Argentinier kennt, weiss, dass sie einer vorübergehenden Laune entspringen und keineswegs eine dauerhafte Einstellung zu bedingen brauchen.
Die Presse macht sehr viel Aufhebens von den wirtschaftlichen Vorteilen, die Argentinien und Russland aus der Anbahnung von Handelsbeziehungen erwachsen würden. Ich bin in dieser Beziehung mehr als skeptisch und auch die Handelsattachés der amerikanischen und der britischen Botschaft glauben nicht an die Echtheit und Dauerhaftigkeit solcher Beziehungen. Wenn die Russen hier polnische Kohle billiger verkaufen als die Vereinigten Staaten oder Südafrika sie liefern können, oder wenn sie Argentinien Leinöl und argentinisches Leder teurer bezahlen als die Angelsachsen, so ist dies offenkundig ein Versuch, dem argentinischen Volk Sand in die Augen zu streuen, denn auf die Dauer sind derartige Konkurrenzverhältnisse unnatürlich und nicht lebensfähig. Sowjetrussland verspricht jetzt auch, Argentinien als Gegenleistung Traktoren, Camions und landwirtschaftliche Maschinen zu liefern. Inoffiziell spricht man davon, dass Argentinien einen Teil der russischen Beute an deutschen Waffen erhalten soll. All das passt sehr schön zusammen und macht den Argentiniern eine kindische Freude, weil sie damit die Nordamerikaner ärgern können. Aber niemand nimmt hier diese Dinge für seriös oder dauerhaft. Das argentinische Volk hegt keine spontanen Sympathien für Sowjetrussland und schon die hier allmächtige katholische Kirche wird dafür sorgen, dass allenfalls von oben her genährte Freundschaftsgefühle einen gewissen Kühlpunkt nicht überschreiten.
- 1
- Politischer Bericht (Kopie): E 2300 Buenos Aires/10.↩
- 2
- Vgl. DDS, Bd. 16, Dok. 69, dodis.ch/294.↩
- 3
- Vgl. ebd.↩
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