Bedeutung der Rüstungsindustrie für die schweizerische Landesverteidigung. Zusammenstellung der Ausfuhrbewilligungen für die Kriegsperiode 1940/44.
Abgedruckt in
Diplomatische Dokumente der Schweiz, Bd. 16, Dok. 88
volume linkZürich/Locarno/Genève 1997
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Archiv | Schweizerisches Bundesarchiv, Bern | |
▼ ▶ Signatur | CH-BAR#E27#1000/721#19408* | |
Alte Signatur | CH-BAR E 27(-)1000/721 4764 | |
Dossiertitel | Exposé von R. von Wattenwyl, Chef der KTA, über die Bedeutung der Rüstungsindustrie für die schweiz. Landesverteidigung (1946–1946) | |
Aktenzeichen Archiv | 09.B.1.c |
dodis.ch/157
Der Chef der Kriegstechnischen Abteilung des Militärdepartements, R. von Wattenwyl1
DIE BEDEUTUNG DER RÜSTUNGSINDUSTRIE FÜR DIE SCHWEIZERISCHE LANDESVERTEIDIGUNG
1. Problemstellung
Die Frage der politischen und militärischen Bedeutung der schweizerischen Rüstungsindustrie hat in der letzten Zeit zu allerhand Äusserungen in der Presse und bei politischen Versammlungen geführt2. Dabei wurden im allgemeinen besonders die Gefahren, welche die Rüstungsindustrie für das Land mit sich bringt, unterstrichen. Der Rüstungsindustrie werden hauptsächlich folgende Vorwürfe gemacht:
a. Die schweizerische Rüstungsindustrie habe während des Krieges in sehr starkem Masse zur Verzögerung des Sieges der Alliierten über Deutschland beigetragen3. Sie sei eine der hauptsächlichsten Ursachen der wirtschaftlichen Schwierigkeiten, die uns noch heute von seiten der Alliierten verursacht werden4.
b. Die Tatsache, dass wir eine eigene Rüstungsindustrie, die Kriegsmaterial exportiert, haben, stehe im Gegensatz zu der humanitären Aufgabe der Schweiz und beeinträchtige das Ansehen unseres Landes.
c. Die Rüstungsindustrie bilde einen Anreiz, unser Land zu erobern und gefährde damit in hohem Masse unsere Sicherheit.
d. Die Rüstungsindustrie habe während des Krieges so hohe Gewinne abgeworfen, dass sich Kapitalien bilden konnten, die einen allzu grossen Einfluss auf unser politisches und wirtschaftliches Leben ausüben. Diese Gefahr sei um so grösser, als sich diese Kapitalien zu einem grossen Teil in den Händen von Ausländern oder schlecht assimilierten Papierschweizern befinden.
Da solche Vorwürfe in weiten Kreisen des Landes geglaubt werden, trotzdem sie samt und sonders zum mindesten übertrieben sind, ist es zweckmässig, unter Nennung einiger Zahlenangaben auf die wirklichen Verhältnisse hinzuweisen.
2. Der Begriff der schweizerischen Rüstungsindustrie
Es handelt sich zunächst darum festzustellen, was unter dem Begriff der schweizerischen Rüstungsindustrie zu verstehen ist. Für den Laien besteht die Rüstungsindustrie aus denjenigen Fabriken, welche Waffen, Flugzeuge, Panzerwagen und Munition herstellen und verkaufen. In Wirklichkeit muss als rüstungswichtige Industrie jedes Unternehmen bezeichnet werden, dessen Erzeugnisse direkt oder indirekt der Rüstung eines Staates zugute kommen. Unter Umständen ist es keineswegs die Beschaffung von Waffen und Munition, welche das kriegerische Potential eines Staates am meisten stärken. Die Beschaffung von Werkzeugmaschinen, Kugellagern, elektrischer Apparate aller Art kann unter Umständen viel wichtiger sein als die Lieferung von Kriegsmaterial im engeren Sinne und schon daraus geht hervor, wie ungerecht die Beurteilung ist, die den eigentlichen Waffenfabrikanten von der Öffentlichkeit zuweilen zuteil wird.
Durch die Verordnung des Bundesrates über die Herstellung, Beschaffung und Vertrieb, Einfuhr und Ausfuhr von Kriegsmaterial vom 8. Juli 19385 mit den entsprechenden Ausführungsvorschriften wurde eine Definition des Kriegsmaterials im engeren Sinne, auf die sich die nachfolgenden Ausführungen beziehen, gegeben. Die Verordnung teilt das Kriegsmaterial in fünf Kategorien ein, nämlich:
[...]6
Wenn auch, wie oben gesagt, andere Fabrikate militärisch wichtiger sein können, so ist es doch notwendig, die Diskussion auf obenstehende Kategorien zu beschränken.
Die Industrie, welche das in vorstehendem Verzeichnis enthaltene Material fabriziert, ist einzuteilen in die der Kriegstechnischen Abteilung unterstellten staatlichen Militärwerkstätten und in die private Rüstungsindustrie.
Die staatlichen Militärwerkstätten (eidg. Konstruktionswerkstätte Thun, eidg. Munitionsfabrik Thun, eidg. Munitionsfabrik Altdorf, eidg. Waffenfabrik Bern, eidg. Pulverfabrik Wimmis, eidg. Flugzeugwerk Emmen) stellen ausschliesslich Kriegsmaterial für die schweizerische Armee her und können aus unseren Betrachtungen ausgeschlossen werden. Es ist einzig darauf hinzuweisen, dass sie einen Grossteil der Arbeit an Unterlieferanten vergeben. Während des Krieges waren bis zu 4100 Betriebe mit einer Belegschaft von insgesamt bis zu 62’000 Mann an Aufträgen für die Kriegstechnische Abteilung beschäftigt.
Die private Export-Rüstungsindustrie ist ganz bedeutend kleiner als die Industrie, welche für unsere Armee tätig ist. Die wichtigsten Exportlieferanten während des Aktivdienstes waren die folgenden:
[...]7
[...]8
Hierzu ist noch zu bemerken, dass keine einzige der oben erwähnten Firmen sich auf die Fabrikation von Rüstungsmaterial für das Ausland beschränkt und dass bei sämtlichen in Friedenszeiten die Tätigkeit auf zivilen Gebieten und für unsere Armee überwiegt.
3. Die Lebensbedingungen der Export-Rüstungsindustrie
Die Aufträge, welche die Kriegstechnische Abteilung der Export-Rüstungsindustrie für unsere eigenen Armeebedürfnisse erteilen kann, sind gewöhnlich relativ klein. Zudem erfolgen sie nicht regelmässig, sondern im Gegenteil sehr unregelmässig. Auf Zeiten, in denen grosse Lieferungen und eine besonders grosse Anstrengung für die Kürzung der Liefertermine verlangt werden, folgen unweigerlich Perioden, in denen überhaupt keine Bestellungen von Rüstungsmaterial an diese Firmen mehr erteilt werden können. Es ist mit Bestimmtheit damit zu rechnen, dass bei einer länger andauernden Unterbindung der Kriegsmaterialausfuhr die betreffenden Firmen ihre Waffenund Munitionsabteilungen eingehen lassen müssen. Schon allein die ständige Drohung, die Kriegsmaterialausfuhr zu sperren, hat eine Verkümmerung dieser Betriebe zur Folge, die nicht im Interesse unserer Militärverwaltung liegt. Wir sehen das schon heute an der bei einzelnen Firmen festzustellenden mässigen Bereitschaft, neue Aufgaben zu übernehmen.
Dass einzelne Exportrüstungsfirmen während des Krieges grosse Gewinne erzielt haben, mag zutreffen. Es ist aber in keiner Weise einzusehen, warum solche Gewinne eine grössere Gefahr für das Land bilden sollten, als diejenigen anderer Unternehmen.
Die Behauptung, dass sich viele Rüstungsfirmen in ausländischem Besitz befinden ist falsch. Unseres Wissens befand sich nur die Firma Dornier & Cie.9 in Altenrhein in ausländischem Besitz. Aber gerade diese Firma gehört nicht zu den eigentlichen Exportrüstungsfirmen, da sie nur in sehr bescheidenem Umfang von ca. 4% ihrer Produktion Flugzeugbestandteile exportierte und im übrigen für die Schaffung unserer eigenen Flugwaffe sehr grosse Dienste leistete. Gegenwärtig ist der Status der Aktien dieses Unternehmens nicht abgeklärt. Wir bemühen uns schon seit längerer Zeit darum, aus der Firma ein schweizerisches Unternehmen zu machen und stehen diesbezüglich mit der Schweiz. Verrechnungsstelle und den andern zuständigen Instanzen in Verbindung.
Die Bemerkungen betreffend schlecht assimilierte Schweizer können sich nur gegen den Inhaber der Werkzeugmaschinenfabrik OerlikonBührle richten, der in den Dreissigerjahren eingebürgert wurde. Wir halten den Vorwurf für ungerecht und tendenziös.
4. Der Wert der Rüstungsindustrie für unser Land
Es trifft zu, dass die Export-Rüstungsindustrie bisher für unsere eigene Armee keine allzu grossen Leistungen vollbracht hat und wir können nicht so weit gehen zu erklären, dass die Ausrüstung unserer Armee sehr wesentlich geschwächt worden wäre, wenn unsere Export-Rüstungsindustrie nicht bestanden hätte. Immerhin sind einige sehr beachtliche Entwicklungen von dieser Industrie gemacht worden, die auch unserer Armee zunutze kamen. Wir erwähnen namentlich die folgenden:
Als im Jahre 1939 unsere Fliegerabwehr noch sehr im argen lag, war es möglich, auf eine Anzahl 20 mm Kanonen der Firma Bührle & Co. Oerlikonzu greifen, welche diese ursprünglich in fremdem Auftrag fabriziert hatte. Wenn dieses Geschütz auch seither durch modernere Konstruktionen überholt wurde, so stellte es uns doch im damaligen Zeitpunkt eine sehr willkommene Verstärkung dar, und die Frage ist durchaus berechtigt, ob es nicht richtig gewesen wäre, die Entwicklungsarbeit dieser Firma beizeiten durch einen grösseren Auftrag zu belohnen.
Die Firma Tavaro SAGenfentwickelte vorzügliche Uhrwerkzünder, von denen verschiedene Modelle im Verlauf der Aktivdienstzeit bei unserer Fliegerabwehr und Artillerie zur Einführung gelangten.
Die Firma Hispano-Suiza (Suisse) Genf entwickelte während des Krieges auf Grund langjähriger Erfahrungen ein neues Modell einer 20 mm Kanone, die in Kombination mit einer ausländischen Lafette als Infanterie-Flabkanone in unserer Armee eingeführt wurde und sich gut bewährt hat.
Die Bedeutung der Export-Rüstungsindustrie für unsere Armee hat jedoch während des Krieges immer zugenommen und ist weiter im Steigen begriffen. Die kriegstechnischen Probleme, die heute vorliegen, können unmöglich allein mit Hilfe der staatlichen Betriebe und Versuchsanlagen gelöst werden. Es ist notwendig, für die Lösung dieser Aufgaben nicht allein auf die Mithilfe der wissenschaftlichen Institutionen, sondern auch auf diejenige der Privatindustrie, welche Erfahrungen besitzt, in Anspruch zu nehmen. Darunter befinden sich in erster Linie verschiedene der zur Gruppe der Export-Rüstungsindustrie gehörende Firmen.
Einige der in Gang befindlichen Entwicklungsarbeiten sind so schwierig und teuer, dass keiner privaten Firma zugemutet werden kann, einen wesentlichen Teil ihrer Kapazität dafür zu verwenden, wenn ihr nicht gleichzeitig die Möglichkeit offen gelassen wird, die Resultate für Zwecke des Exportes zu verwenden. Die Tatsache, dass wir über den ganzen Gang der Entwicklung auf dem laufenden gehalten werden und die gesetzlichen Bestimmungen, wonach für den Export von Kriegsmaterial vom Militärdepartement eine Bewilligung eingeholt werden muss, was abgelehnt werden kann, wenn dieser Export den Landesinteressen zuwiderläuft, bilden eine genügende Garantie gegen unerwünschte Aufblähung der Kriegsmaterialexporte. Es muss auch bemerkt werden, dass für gewisse Entwicklungsarbeiten an modernem Kriegsmaterial die staatlichen Betriebe niemals in der Lage wären, in ebenso kurzer Zeit zu ebenso guten Resultaten zu kommen. Es liegt das schon darin begründet, dass die Staatsbetriebe nur selten in der Lage sind, erstklassige Arbeitskräfte zu finden, welche sich mit der gebotenen Honorierung abfinden. Das Verschwinden der schweizerischen Export-Rüstungsindustrie würde sich deshalb in Zukunft viel mehr als in der Vorkriegszeit zum Schaden unserer Armee auswirken.
5. Der Wert der schweizerischen Rüstungsindustrie für das Ausland
Der Wert der schweizerischen Rüstungsindustrie für das Ausland darf nicht überschätzt werden, wenn auch einzelne Qualitätsprodukte Abnehmer finden und ganz besonders für kleine Staaten, die über keine eigene Rüstungsindustrie verfügen, diese Fabriken willkommene Lieferanten darstellen (dies um so mehr, als mit deren Lieferungen keine politischen Verbindungen verbunden sind), so bedeuten diese Lieferungen für Grosstaaten doch nur sehr wenig. Es kann mit Sicherheit gesagt werden, dass die während des Krieges von uns verlangte Kompensation an Stählen, Legierungsmetallen und Buntmetallen für den Export von Kriegsmaterial nach Deutschland für unser Land ganz bedeutend wichtiger war als die Lieferung der betreffenden Waffen und Munition für Deutschland. Die Besitzergreifung unserer Exportrüstungsfabriken wird niemals der wirkliche Zweck eines militärischen Angriffes auf unser Land sein.
6. Zusammenfassung
Aus vorstehendem geht hervor, dass eine eigene Rüstungsindustrie nicht bestehen kann, wenn das Verbot der Ausfuhr von Kriegsmaterial auf die Dauer aufrecht erhalten wird10. Es würde daraus ein nicht zu unterschätzender Schaden für unsere kriegstechnische Weiterentwicklung entstehen.
Es bestehen Mittel, um den Gefahren, welche aus einer allzu grossen Entwicklung der Rüstungsindustrie entstehen könnten, entgegenzutreten. Dazu gehört in erster Linie die Verordnung vom 8. Juli 1938 über Herstellung, Beschaffung und Vertrieb, Einfuhr und Ausfuhr von Kriegsmaterial, ferner der Umstand, dass unsere Militärbehörden als wichtige Auftraggeber für die meisten auch für den Export tätigen Rüstungsfirmen einen gewissen Einfluss auf deren Geschäftsentwicklung haben können und endlich die Tatsache, dass unsere Armut an eigenen Bodenschätzen das Entstehen einer Rüstungsindustrie nach ausländischem Muster zum vornherein verhindert.
Aus vorstehenden Gründen können wir die Aufhebung des bestehenden Verbotes der Ausfuhr von Kriegsmaterial vom Standpunkt unserer eigenen Kriegsmaterialbeschaffung gesehen empfehlen.
- 1
- Bericht: E 27/19408. Dem Dokument beigefügt ist ein kurzer Brief R. von Wattenwyls an das EMD vom 12. September 1946: Export-Rüstungsindustrie. Auftragsgemäss senden wir Ihnen in der Beilage in zwei Exemplaren ein Exposé über die Bedeutung der Rüstungsindustrie für die schweizerische Landesverteidigung.↩
- 2
- Vgl. E 27/19344.↩
- 3
- Über die Kriegsmaterialausfuhr der Schweiz von 1939 bis 1944 vgl. DDS, Bd. 15, Dok. 432, dodis.ch/48036 und Anhänge.↩
- 4
- Vgl. DDS, Bd. 15, Thematisches Verzeichnis: III.2.3. Négociations économiques avec les Alliés à Berne en février et mars 1945. Vgl. auch Thematisches Verzeichnis in diesem Band: Allgemeine Finanzbeziehungen.↩
- 5
- Vgl. AS, 1938, Bd. 54, S. 318–333; siehe auch DDS, Bd. 12, Dok. 426, dodis.ch/46686.↩
- 6
- Für die Tabelle vgl. dodis.ch/157. Pour le tableau, cf. dodis.ch/157. For the table, cf. dodis.ch/157. Per la tabella, cf. dodis.ch/157.↩
- 7
- Für die Tabelle vgl. dodis.ch/157. Pour le tableau, cf. dodis.ch/157. For the table, cf. dodis.ch/157. Per la tabella, cf. dodis.ch/157.↩
- 8
- Für die Tabelle vgl. dodis.ch/157. Pour le tableau, cf. dodis.ch/157. For the table, cf. dodis.ch/157. Per la tabella, cf. dodis.ch/157.↩
- 9
- Gemeint ist die «Dornier-Werke AG»; vgl. E 2001 (E) 1967/113/422.↩
- 10
- Das Ausfuhrverbot für Kriegsmaterial wurde auf Vorschlag von M. Petitpierre am 11. Juni 1946 durch den BR angenommen und für eine Dauer von sechs Monaten in Kraft gesetzt. Vgl. dodis.ch/1411 sowie E 27/19344/4.↩
Verknüpfungen mit anderen Dokumenten
http://dodis.ch/157 | wird erwähnt in | http://dodis.ch/1411 |
Tags
Kriegsmaterialimport Militärpolitik Sicherheitspolitik