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Documenti Diplomatici Svizzeri, vol. 21, doc. 99
volume linkZürich/Locarno/Genève 2007
Dettagli… |▼▶Collocazione
Archivio | Archivio federale svizzero, Berna | |
▼ ▶ Segnatura | CH-BAR#E2001E#1976/17#342* | |
Vecchia segnatura | CH-BAR E 2001(E)1976/17 49 | |
Titolo dossier | Jeanson, Françis, 1922 (1960–1962) | |
Riferimento archivio | A.45.22.Uch |
dodis.ch/15154 Interne Notiz des Politischen Departements1 Verhaftung von Francis Jeanson
Am Abend des 6. Oktober sind von der Bundespolizei, nach minutiöser
Überwachung, mehrere Personen festgenommen worden, darunter die französischen Staatsangehörigen
– Cécile-Rose (dite Marion) Regagnon, Schauspielerin, offenbar die Maitresse von Jeanson;
Für Einzelheiten vgl. die Beilage2.
Gleichzeitig konnte umfangreiches Material über die Tätigkeit der Genannten beschlagnahmt werden. Eine erste Sichtung ergab, dass es offenbar gelungen ist, die Hand auf die schweizerische Zweigstelle des von Jeanson geleiteten «Réseau de soutien» (JeuneRésistance, Comité d’aide au FLN) zu legen, der bekanntlich zum Ziele hat, junge Franzosen zur Desertion aus der französischen Armee zu veranlassen und sie nach dem Ausland durchzuschleusen. Die hauptsächlichsten ausländischen Zweigstellen liegen offenbar, wie sich auch aus dem Material ergibt, in Belgien, Luxemburg und der Schweiz. Jeanson und die Regagnon sind dieser Tage im bekannten «Jeanson-Prozess» in Paris wegen dieser Machenschaften zu je 10 Jahren Gefängnis verurteilt worden3.
Das sichergestellte Material wird noch weiter ausgewertet werden. Doch wird dies angesichts des Umfangs noch einige Zeit erfordern. Schon jetzt steht fest, dass der «Réseau» sich nach verschiedenen Schweizer Städten weiter verzweigte (Lausanne, Neuenburg, Freiburg u. a. m.). Aus den Einvernahmen von
Jeanson und Regagnon war indessen nicht viel herauszuholen. Sie weigerten sich konsequent, irgend jemanden blosszustellen. Ein deliktisches Verhalten nach schweizerischem Recht (Nachrichtendienst u. ä.) scheint ihnen, abgesehen von der fremdenpolizeilichen Seite, nicht vorgeworfen werden zu können. Es stellt sich die Frage, was mit ihnen weiter geschehen soll, umso mehr, als die
Angelegenheit durch den in der gleichen Sache vorübergehend verhafteten, dann aber wieder freigelassenen italienischen Journalisten Silvano Villani, Korrespondent der «Corrieredella Sera», bereits in die Presse gedrungen ist.
Diese Frage bildet am 7. Oktober, 14 Uhr 30, Gegenstand einer Aussprache auf der Bundesanwaltschaft (Dr. Dick, Dr. Amstein, die Kommissäre Maurer und Müller, welcher die Aktion in Genf leitete, sowie der Unterzeichnete). Vom polizeilichen Standpunkt hätte man Jeanson gern einige Tage zurückgehalten, um von ihm vielleicht doch noch nähere Aufschlüsse über den «Réseau» in der
Schweiz zu erhalten. Gegen ein solches Vorgehen sprechen indessen folgende Gründe:
– Bleibt Jeanson in der Schweiz, so wäre – unter dem Vorwand eines Delikts des gemeinen Rechts – wohl schon bald mit einem französischen Auslieferungsbegehren zu rechnen. Dieses müsste zwar abgelehnt werden; es erscheint aber zweckmässig, ihm von vorneherein aus dem Weg zu gehen.
– Wird Jeansons Ausreise aus der Schweiz verzögert, so besteht die Gefahr, dass die anderen Länder Einreisesperren verfügen und wir ihn nicht mehr loswerden können.
– In einem solchen Falle müsste Jeanson, gegen den seit dem 23. August
1960 eine Einreisesperre besteht, interniert werden; abgesehen von der dauernden Belastung, die dies für uns darstellen würde, wäre von Seiten eines nicht unbeträchtlichen Teils der Schweizerpresse mit recht heftiger
Kritik an einer solchen Massnahme zu rechnen.
Die Anwesenden kommen deshalb überein, dass es das kleinste Übel wäre,
Jeanson, der den Wunsch geäussert hat, sich nach der BRD zu begeben, und die Regagnon unverzüglich auszuschaffen, d. h. sie an die deutsche Grenze zu verbringen, wo sie vermittelst ihrer gültigen französischen Pässe in ihrem eigenen Auto legal nach der Bundesrepublik einreisen könnten. Es soll dies wenn möglich noch in der Nacht auf Freitag auf den Samstag oder dann spätestens am Samstag vormittag geschehen. Voraussetzung für das Gelingen ist allerdings, dass die deutschen Grenzorgane sich der Einreise nicht widersetzen.
Formell würde sich die Massnahme hinsichtlich Jeansons auf die gegen ihn schon am 23. August d. J. verfügte Einreisesperre stützen (Art. 23 ANG)4, während gegen «Marion» Regagnon eine gleiche Sperre sofort angeordnet wird. (Die Sperre gegen Jeanson, von der er Kenntnis hatte, die ihm aber bisher formell noch nicht eröffnet werden konnte, hat ihn nicht davon abgehalten, sich praktisch ununterbrochen seit dem 20. Juli in unserem Lande auzuhalten.)
Anderseits werden gegen die ebenfalls noch festgehaltene Rosette Curiel von
Bundes wegen keine Massnahmen getroffen. Es wird vielmehr den Genfer kantonalen Behörden überlassen, sie wegen Verwendung eines falschen Passes zur Verantwortung zu ziehen.
Dr. Dick wird, bevor an die Durchführung geschritten wird, noch Bundesrat von Moos konsultieren. Ich benachrichtige meinerseits den Herrn Bundespräsidenten, der sich einverstanden erklärt.
Die Orientierung der Presse ist vereinbarungsgemäss Sache der Justiz- und
Polizeidepartements5.
P. S. Jeanson und die Regagnon haben die Schweiz heute morgen 4 Uhr bei Basel Richtung Deutschland verlassen. Der Grenzübertritt erfolgte in legaler Weise.
- 1
- E 2001(E)1976/17/49. Paraphe: PO. Diese Aktennotiz wurde von R. Probst verfasst und an M. Petitpierre weitergeleitet.↩
- 2
- Nicht abgedruckt.↩
- 3
- Hinsichtlich des « Jeanson- Prozesses», vgl. den Politischen Bericht Nr. 64 von P. Micheli an M. Petitpierre vom 6. Oktober 1960, E 2300(-)1000/716/355 (dodis.ch/15153).↩
- 4
- Vgl. Bundesgesetz über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer vom 26. März 1931, abgeändert und ergänzt durch das Bundesgesetz vom 8. Oktober 1948, AS 1949, S. 221–227.↩
- 5
- Vgl. Mitgeteilt vom 8. Oktober 1960, E 2001(E)1972/33/40.↩
Tags
Algeria (Politica) Colonizzazione e decolonizzazione