Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 21, doc. 33
volume linkZürich/Locarno/Genève 2007
more… |▼▶Repository
Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2001E#1978/84#7184* | |
Old classification | CH-BAR E 2001(E)1978/84 450 | |
Dossier title | Schiedsverfahren (1946–1960) | |
File reference archive | B.52.31.(01b) • Additional component: Vereinigte Staaten von Amerika |
dodis.ch/14964 Das Politische Departement an die schweizerische Botschaft in Washington1
Im Hinblick auf das am 21. März 19592 vom Internationalen Gerichtshof in
Den Haag in der Angelegenheit Interhandel3 gefällte Urteil beehren wir uns,
Ihnen nachstehend zu Ihrer Orientierung einen kurzen Überblick über den bisherigen Verlauf des Verfahrens sowie über Inhalt und Tragweite des soeben ergangenen Entscheides zu vermitteln.I.
Am 30. September 19574 hatte der Bundesrat beschlossen, den Streitfall betreffend die in den USA gesperrten Vermögenswerte der Interhandel dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag zu unterbreiten mit dem Begehren a) er möge materiell über den Streitgegenstand befinden, und b) subsidiär über die Verpflichtung der Vereinigten Staaten entscheiden, den Rechtsstreit entweder der internationalen Gerichtsbarkeit, einem Schiedsgericht oder einem Vergleichsverfahren zu unterstellen.
Überdies wurde in Aussicht genommen, dem Gerichtshof zu beantragen, er möge im Sinne vorsorglicher Massnahmen die USA Regierung veranlassen,
Streitgegenstand vorliege.
Zu diesem Vorgehen sah sich der Bundesrat damals gezwungen, weil das
Amerikanische Staatsdepartement in einer am 11. Januar 1957 an die Schweizerische Gesandtschaft in Washington gerichteten Note5, die ihm unterbreitete
Anregung auf Einleitung eines Schieds- und Vergleichsverfahrens abgelehnt und gleichzeitig erklärt hatte, dass auch dem Begehren um Aufrechterhaltung des status quo in Bezug auf das Vermögen der Interhandel in den Vereinigten
Staaten nicht stattgegeben werden könne.II.
Nachdem die amerikanische Regierung über die Absicht des Bundesrates unterrichtet worden war6, reichten die schweizerischen Agenten7 dem Internationalen Gerichtshof am 2. Oktober 1957 die prozesseinleitende Klage8 und am
3. Oktober 1957 ein Gesuch9 um Anordnung vorsorglicher Massnahmen ein.
Die mündlichen Verhandlungen über dieses letztere Begehren fanden bereits am 12. und 14. Oktober 195710 statt.
Wie erinnerlich erklärte der Internationale Gerichtshof damals, dass kein
Anlass bestehe, einstweilige Massnahmen anzuordnen. Dieser Entscheid stützte sich im wesentlichen auf zwei Tatsachen, die beide erst nach Einreichen des schweizerischen Begehrens eingetreten waren. Einmal handelte es sich um einen während der mündlichen Verhandlungen in Den Haag ergangenen Entscheid des Obersten Amerikanischen Gerichtshofes, durch den der Interhandel gestattet wurde, dieser Instanz die Frage vorzulegen, ob das Bezirksgericht und der Appellationshof des Distrikts von Columbia endgültig entschieden hätten, als sie gewisse Anträge der erwähnten Gesellschaft ablehnten11. Zum andern hatte die amerikanische Regierung am 19. Oktober 1957, also im Anschluss an die mündlichen Verhandlungen, dem Gerichtshof gegenüber eine Erklärung12 abgegeben, wonach sie nicht beabsichtige, einen Termin für den Verkauf der
Aktien der GAF anzusetzen.III.
Gleichzeitig mit der Ablehnung des Begehrens um vorsorgliche Massnahmen hat der Internationale Gerichtshof damals die Frist für die Einreichung der schweizerischen Denkschrift zur materiellen Begründung der Klage sowie auch den Termin für die amerikanische Klagebeantwortung festgesetzt. Am
13. März 1958 unterbreiteten hierauf die schweizerischen Agenten dem Gericht in Den Haag ein Memorandum13, das die in der prozesseinleitenden Klage vom
2. Oktober 195714 geltend gemachten Rechtsbegehren ergänzte und einlässlich begründete. Die amerikanische Regierung beantwortete diese Prozesseingabe am 16. Juni 195815 mit fünf sogenannten vorgängigen Einwendungen, mit welchen sie die Zuständigkeit des Internationalen Gerichtshofes bestritt, wobei sie im einzelnen geltend machte,
1) der Rechtsstreit sei entstanden, bevor die USA-Regierung die obligatorische Gerichtsbarkeit gemäss Art. 36 des Statuts des Internationalen
Gerichtshofes anerkannt habe (14. August 1946);
2) der Streitfall sei entstanden, bevor die obligatorische Gerichtsbarkeit für die Schweiz Rechtskraft erlangt habe (Hinterlegung der schweizerischen
Beitrittsurkunde 28. Juli 1948);
3) der Instanzenzug vor den amerikanischen Gerichten sei noch nicht erschöpft;
4) die Frage eines Verkaufs der GAF-Aktien unterstehe ausschliesslich der nationalen Zuständigkeit der Vereinigten Staaten;
5) der Klageanspruch der Schweiz falle nicht in den Bereich des Völkerrechts, sondern in denjenigen des Landesrechts (domaine réservé).
Die mündlichen Verhandlungen betreffend diese vorgängigen Einwendungen fanden vom 5.–17. November 195816 in Den Haag statt.IV.
Mit Urteil vom 21. März 195917 hat der Internationale Gerichtshof die erste
(mit 10 gegen 5 Stimmen), die zweite (einstimmig) und die fünfte (mit 14 gegen 1 Stimme) der oben erwähnten Einreden zurückgewiesen. Auf die vierte
Einwendung ist er mit 10 gegen 5 Stimmen nicht eingetreten, während er die dritte amerikanische Einrede mit 10 gegen 6 Stimmen guthiess.
Der Gerichtshof hat damit seine Zuständigkeit für die Beantwortung des
Streitfalles betreffend die in USA gesperrten Vermögenswerte der Interhandel zwar implicite anerkannt, die schweizerische Klage jedoch im gegenwärtigen
Zeitpunkt zur Behandlung noch nicht zugelassen, weil der nationale Instanzenzug in den USA nicht erschöpft sei. Dieser Entscheid hat zur Folge, dass zunächst der Ausgang der durch die Interhandel vor den amerikanischen
Gerichten eingeleiteten Verfahren abgewartet werden muss, bevor sich der
Internationale Gerichtshof erneut mit dem Streitfall befassen kann.
Was die Feststellung des Gerichtshofes betreffend die Nichterschöpfung des
Instanzenzuges anbelangt, so hat der Bundesrat den Internationalen Gerichtshof erst angerufen, nachdem die amerikanische Regierung in ihrer Note vom
11. Januar 195718 ausdrücklich erklärt hatte, dass die Eigentumsfrage betreffend die Vermögenswerte der Interhandel durch die amerikanischen Gerichte endgültig zu Ungunsten der schweizerischen Firma entschieden worden sei.
Der Oberste Amerikanische Gerichtshof hat denn in der Tat auch erst nach
Anhängigmachung des Prozesses in Den Haag die Rückweisung des Falles an das Bezirksgericht von Washington verfügt19. Dieser Beschluss vermochte nicht eine automatische Einstellung des bereits beim Internationalen Gerichtshof anhängig gemachten Prozesses zu bewirken.
Wie oben erwähnt, hat die amerikanische Regierung im Rahmen ihrer vorgängigen Einreden unter anderm auch geltend gemacht, dass ihr Recht auf
Veräusserung der gesperrten Vermögenswerte der Interhandel der Jurisdiktion des Internationalen Gerichtshofes entzogen sei. Im Anschluss an das seinerzeitige schweizerische Begehren um Anordnung vorsorglicher Massnahmen hatte sie allerdings ausdrücklich erklärt, dass sie nicht beabsichtige, eine Frist für den Verkauf der GAF-Aktien anzusetzen. Der Umstand, dass der Gerichtshof auf die Einwendung betreffend das Recht auf den Verkauf der gesperrten
Vermögenswerte nicht eingetreten ist, lässt der Schweiz die Möglichkeit offen, sofern dies notwendig und tunlich erscheinen sollte, das Begehren um einstweilige Massnahmen zu erneuern, um den status quo aufrechtzuerhalten, bis ein endgültiger Entscheid vorliegt.
Bei der schweizerischen Presse hatte das Urteil des Internationalen Gerichtshofes im allgemeinen eine nicht ungünstige Aufnahme gefunden. Die
Zeitungskommentare weisen insbesondere darauf hin, dass der Gerichtshof sich grundsätzlich nicht für unzuständig erklärt habe, so dass der Schweiz die
Möglichkeit offen stehe, vor das Haager Gericht zurückzukehren für den Fall der Erschöpfung des Rechtsweges in USA. Überdies wird der Erwartung oder doch zum mindesten der Hoffnung Ausdruck gegeben, der vorliegende
Entscheid werde dazu beitragen, die seit einiger Zeit im Gange befindlichen
Vergleichsverhandlungen zwischen der Interhandel und dem amerikanischen
Feindgutsverwalter im günstigen Sinne zu beeinflussen20.
- 1
- Schreiben: E 2001(E)1978/84/450. Paraphe: GZ. Dieses Schreiben wurde auch an die schweizerischen Generalkonsulate in New York und San Francisco, an den schweizerischen Beobachter bei der UNO in New York, an die schweizerische Delegation in Berlin und an die Kanzlei der schweizerischen Gesandtschaft in Quito gesandt.↩
- 2
- Vgl. das Urteil des Internationalen Gerichtshofes in Den Haag vom 21. März 1959, K VII(-) 1000/1419/283 und die Telephonnotiz von R. Kohli vom 21. März 1959, E 2808(-) 1974/13/38.↩
- 3
- Zur Frage Interhandel vgl. DDS, Bd. 20, Dok. 65, dodis.ch/11115, vor allem Anm. 2 und 6.↩
- 4
- Vgl. das BR-Protokoll Nr. 1852 vom 30. September 1957, E 1004.1(-)1000/9/605.↩
- 5
- Vgl. die Note des amerikanischen Staatsdepartements an die Schweizer Gesandtschaft in Washington und das Memorandum vom 11. Januar 1957, E 2001(E)1978/84/448 und die Mitteilung vom 8. Februar 1957, ibid (dodis.ch/11116).↩
- 6
- Vgl. die Note der Schweizer Botschaft in Washington an das amerikanische Staatsdepartement vom 1. Oktober 1957, E 2001(E)1978/84/444.↩
- 7
- Es handelt sich bei den Agenten des Bundesrates um G. Sauser-Hall und P. Guggenheim. Die prozesseinleitende Klage wurde von P. Guggenheim eingereicht.↩
- 8
- Vgl. die Klageschrift der Schweizer Regierung an den Internationalen Gerichtshof in Den Haag vom 1. Oktober 1957, E 2001(E)1978/84/449 und die Pressemitteilung des Poltitischen Departements vom 2. Oktober 1957, ibid.↩
- 9
- Vgl. die Anordnung vorsorglicher Massnahmen der Schweizer Regierung an den Internationalen Gerichtshof vom 3. Oktober 1957, ibid.↩
- 10
- Vgl. Affaire de l’Interhandel (Suisse c. Etats-Unis d’Amérique), Procédure orale (12 et 14 octobre 1957), ibid.↩
- 11
- Zur Frage des Gerichtsverfahrens in den Vereinigten Staaten vor 1957 vgl. E 2001(E) 1978/84/468 –469.↩
- 12
- Vgl. das Telegramm der Schweizer Botschaft in Washington ans Politische Departement vom 19. Oktober 1957, E 2001(E)1978/84/449.↩
- 13
- Vgl. Affaire de l’Interhandel, Suisse c/ Etats-Unis d’Amérique, Mémoire du Gouvernement de la Confédération suisse vom 20. Februar 1958, E 4001(D)1973/125/142.↩
- 14
- Vgl. Anm. 6.↩
- 15
- Vgl. die Preliminary Objections of the Government of the United States of America an den Internationalen Gerichtshof vom 16. Juni 1958 und das Schreiben von H. de Torrenté an R. Kohli vom 17. Juni 1958, E 2001(E)1978/84/449.↩
- 16
- Zur Frage der mündlichen Verhandlungen der Einwendungen vgl. E 2001(E)1978/84/450 und E 2815(-)1990/4/8.Vgl. auch den Bericht von G. Sauser-Hall und P. Guggenheim an M. Petitpierre vom 26. November 1958, E 2800(-)1967/59/56.↩
- 17
- Vgl. Anm. 2.↩
- 18
- Vgl. Anm. 5.↩
- 19
- Vgl. das Schreiben von H. de Torrenté an R. Kohli vom 17. Juni 1958, E 2001(E)1978/84/449 und der Gerichtsentscheid des Obersten amerikanischen Gerichtshof vom 16. Juni 1958, E 2001(E)1978/84/469.↩
- 20
- Zur Frage der weiteren Entwicklung der Angelegenheit Interhandel vgl. DDS, Bd. 21, Dok. 120, dodis.ch/14969.↩
Tags
United States of America (USA) (Politics)
United States of America (USA) (General) United States of America (USA) (Economy)