Abgedruckt in
Diplomatische Dokumente der Schweiz, Bd. 21, Dok. 74
volume linkZürich/Locarno/Genève 2007
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Archiv | Schweizerisches Bundesarchiv, Bern | |
▼ ▶ Signatur | CH-BAR#E2200.48-02#1978/37#452* | |
Alte Signatur | CH-BAR E 2200.48-02(-)1978/37 38 | |
Dossiertitel | EFTA, Genève (1959–1965) | |
Aktenzeichen Archiv | N.52.2 |
dodis.ch/14740
Heute früh liess mich der mit den Wirtschaftsfragen betraute Unterstaatssekretär im Aussenministerium, Crnobrnja, zu sich kommen, um mir den
Wunsch seiner Regierung auszudrücken, mit der schweizerischen Regierung
Besprechungen über eine eventuelle Verbindung Jugoslawiens mit der EFTA zu führen. Er führte zu diesem Thema ungefähr folgendes aus: «Wie Sie bereits wissen, interessieren wir uns seit geraumer Zeit um
Beziehungen zu der EFTA, weil uns durch die Integrationsbestrebungen in
Westeuropa die Gefahr ernstzunehmender Diskrimination droht. Nachdem die sieben Staaten nun ratifiziert haben und das Sekretariat in Genf eingerichtet ist, nachdem sich Aussenminister Kreisky bei den kürzlichen Besprechungen in Belgrad positiv ausgesprochen hat und unser Botschafter in Bern2 ebenfalls eine konstruktive Stellungnahme der zuständigen Stellen im Bundeshaus meldet, sind wir der Meinung, dass nun zu bilateralen Unterhaltungen mit den einzelnen Mitgliedstaaten der EFTA geschritten werden sollte. Wir verfolgen die Bemühungen Finnlands um eine Assoziation mit der EFTA, doch ist es uns bisher leider nicht gelungen, zu erfahren, welche Resultate die ersten Genfer
Besprechungen gehabt haben. Auch wir denken an eine lockere Verbindung mit der EFTA, haben aber dafür weder eine Formel noch haben wir bisher konkrete Vorschläge ausarbeiten können. Unser Wunsch ginge dahin, etwa
Ende dieses Monats sei es in Bern, sei es in Belgrad, Besprechungen mit schweizerischen Bevollmächtigten zu führen, die in erster Linie einer Fühlungnahme und einem Gedankenaustausch in der fraglichen Angelegenheit zu dienen hätte. Ich werde mich in den nächsten Tagen ebenfalls an den österreichischen
Botschafter (Goertz) wenden, später auch an den schwedischen3, möchte Sie aber bitten, Ihre Regierung unverzüglich von unserem Wunsch zu unterrichten und mir deren Stellungnahme mitzuteilen.»
Ich habe die Gelegenheit benützt, Herrn Crnobrnja über die Beziehungen
Jugoslawiens zum Gemeinsamen Markt (EWG) auszufragen. Er antwortete was folgt: «Schon vor ca. 6 Monaten haben wir uns angesichts des grossen Handelsvolumens zwischen unserem Lande und Italien mit der Bitte an die Italiener gewandt, über die möglichen Auswirkungen des EWG-Vertrages auf unseren
Handel Besprechungen zu führen. Die Italiener zeigten sich im Prinzip bereit, zogen die Sache dann aber in die Länge, so dass Unterhaltungen bis jetzt nicht stattfanden. In neuester Zeit erfolgte aber ein Wandel; die Italiener erklärten sich nunmehr bereit, die Frage der Diskrimination mit uns einer Prüfung zu unterziehen. Wir werden in Bälde auf gewöhnlichem diplomatischem Wege in Rom Besprechungen führen und dabei danach trachten, einen Weg zu
finden, auf dem uns Italien für die wesentlichen jugoslawischen Lieferungen in der Zollfrage entgegenkommen könnte. Auch andere Botschafter der
EWG-Gruppe in Belgrad haben uns erklärt, dass ihre Länder bereit wären, in ähnlicher Weise vorzugehen. Natürlich handelt es sich hier ausschliesslich um bilaterale Möglichkeiten. Eine irgendwie geartete Assoziierung mit der
EWG kommt für uns aus den gleichen Gründen nicht in Frage, die schon für die Schweiz und andere Mitglieder der EFTA massgebend waren. Solche
Rücksichten bestehen für uns hinsichtlich der EFTA jedoch nicht. Darum ergreifen wir hier die Initiative.»
Auf meine Frage der möglichen Auswirkungen einer solchen Initiative auf die Haltung des Ostblocks erwiderte Crnobrnja: «Nach der wiederholten negativen Einstellung des SEV4 uns gegenüber, und angesichts der konsequenten Weigerung der Russen, uns die versprochenen industriellen Einrichtungen zu liefern oder auch nur gewöhnliche Lieferkredite zu gewähren, haben wir keinerlei Rücksichten auf den Ostblock zu nehmen.
Für die nächste Zeit rechnen wir auch nicht mit einer Änderung dieser unfreundlichen Politik, und wir müssen uns deshalb unabhängig von derselben um günstigere wirtschaftliche Beziehungen zu Westeuropa bemühen.»
Da die vorstehende Unterredung heute um 12 Uhr zu Ende ging, unser
Kurier jedoch heute abend nach Bern abgeht, war es mir natürlich nicht mehr möglich, meinen österreichischen Kollegen Goertz zu konsultieren. Ich wäre
Ihnen dankbar, wenn sie mich innert nützlicher Frist über die Stellungnahme unserer Behörden zu dieser Initiative wie auch namentlich über die bisherigen,
Jugoslawien betreffenden Unterredungen oder Fühlungnahmen orientieren würden5. In den letzten Monaten wurden wir von Bern aus nur sehr spärlich
über die Angelegenheit orientiert, obwohl dieselbe meines Wissens mehrfach
Gegenstand von Meldungen unserer Botschaft gewesen ist.
Eine Kopie dieses Schreibens geht an die Handelsabteilung des eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartementes zur Kenntnisnahme.
- 1
- Schreiben: E 2200.48(-)1978/37/38. Kopie an die Handelsabteilung des EVD zur Kenntnisnahme.↩
- 2
- S. Smodlaka befindet sich bis und mit dem 22. April in Belgrad.↩
- 4
- Es handelt sich um den Comecon (Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe).↩
- 5
- Vgl. DDS, Bd. 21, Dok. 77, dodis.ch/14681.↩
Tags
Jugoslawien (Politik) Europäische Freihandelsassoziation (EFTA) Europäische Union (EWG–EG–EU) Jugoslawien (Allgemein)