Beitritt zum Europarat 1963

«Der Europarat ist der Ort, wo wir aus nächster Nähe das ‹Klima› Europas erspüren können», stellte SP-Nationalrat Max Weber an der Sitzung einer vom Bundesrat eingesetzten Arbeitsgruppe im November 1963 fest (dodis.ch/34192). Am 6. Mai desselben Jahres war die Schweiz dieser europäischen Organisation mit Sitz in Strassburg beigetreten.

Hoffnung auf Einfluss auf die europäische Integration

Die Arbeitsgruppe – ein den Bundesrat beratendes Gremium führender Köpfe aus Politik, Wissenschaft und Verwaltung – diskutierte damals zum Thema «Die Schweiz und die Probleme der westlichen Welt» und beschäftigte sich somit auch mit der Rolle der Schweiz im Europarat. In einer Zeit, als grosse Unklarheit darüber herrschte, in welche Richtung sich die europäische Einigungsbewegung und das transatlantische Verhältnis entwickeln würden, hoffte nicht nur Weber, selber parlamentarisches Mitglied des Europarats, die Schweiz könnte über den Europarat Einfluss auf die Debatten nehmen.

Kein Beitritt aus Neutralitätsgründen

Als der Europarat 1949 gegründet wurde, stand für den damaligen Aussenminister, Bundesrat Max Petitpierre, ein Beitritt der Schweiz nicht zur Debatte (dodis.ch/5020). Nach seiner Auffassung verunmöglichte die strikte Neutralitätspolitik die Beteiligung an einer «politischen» Organisation. Durch die Mitarbeit der Schweiz in den «technischen» Organen des Europarats kam es in den folgenden Jahren zu einer schrittweisen Annäherung. Seit 1961 entsandte die Bundesversammlung Beobachter nach Strassburg; 1962 unterbreitete ihr der Bundesrat einen Bericht, der eine Vollmitgliedschaft nahelegte (dodis.ch/32085).

«Eine exzellente Schule für den Dialog»

Im Januar 1963 konnte Bundespräsident Willy Spühler dem Generalsekretär des Europarats berichten, die Landesregierung sei hoch erfreut, «dass ein neues Band im Begriff ist, sich den zahlreichen Verknüpfungen, die unser Land traditionellerweise mit den anderen Staaten dieses Kontinents verbinden, hinzu zu gesellen» (dodis.ch/30487, Original französisch). Führende Parlamentarier sahen im Beitritt eine «Stärkung der heiklen Position der Schweiz in Europa und der Welt» (dodis.ch/30453). Der Europarat sei «eine exzellente Schule, um mit anderen Ländern in den Dialog zu treten» (ibid., Original französisch).

Fehlendes Frauenstimmrecht kein Hinderungsgrund

«Wo immer, auch auf politischem Gebiet, eines unserer Anliegen verteidigt werden muss», bekräftigte Bundesrat Spühler 1966 in einem Interview, «vernimmt man im Europarat stets die Stimme der Schweiz.» (dodis.ch/31607) Die Tatsache, dass die Schweizer Frauen damals vom Stimm- und Wahlrecht ausgeschlossen waren sowie die konfessionellen Ausnahmeartikel in der Bundesverfassung stellten für den Beitritt zum Europarat keinen Hinderungsgrund dar (dodis.ch/31471). Der vom Europarat 1950 verabschiedeten Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) sollte die Schweiz allerdings erst 1974 beitreten.