Die Kontakte zwischen hohen schweizerischen und ausländischen Offizieren lassen zu wünschen übrig: Treffen mit hohen ausländischen Offizieren in der Schweiz werden abgelehnt. Eine zu grosse Zurückhaltung kann den schweizerischen Interessen schaden.
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Documents Diplomatiques Suisses, vol. 18, doc. 80
volume linkZürich/Locarno/Genève 2001
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Archives | Archives fédérales suisses, Berne | |
▼ ▶ Cote d'archives | CH-BAR#E5800#1000/952#40* | |
Ancienne cote | CH-BAR E 5800(-)1000/952 2 | |
Titre du dossier | Schreiben Oberst Bracher an Chefs des EMD betr. Fragen der Neutralität (vermehrter Kontakt mit ausländischen militärischen Persönlichkeiten), 23.2.1951 (1951–1951) | |
Référence archives | 2 |
dodis.ch/7120
Der Direktor der Eidgenössischen Militärverwaltung, H. Bracher, an den Vorsteher des Militärdepartements, K. Kobelt1
BETRIFFT: FRAGEN DER NEUTRALITÄT
Im Zusammenhang mit einigen Vorfällen der letzten Zeit möchte ich mir erlauben, Ihnen im Nachstehenden einige Überlegungen zu übermitteln, die ich auf Grund sehr konkreter Äusserungen von alliierter Seite (nicht Montgomery)2 gewonnen habe.
In alliierten Kreisen wird heute mit einem gewissen Bedauern festgestellt, dass hohe militärische Persönlichkeiten in der Schweiz wohl mit aller Höflichkeit empfangen, aber behandelt würden, als ob sie mit einer ansteckenden Krankheit behaftet wären. Die schweizerischen ebenbürtigen Persönlichkeiten liessen sich meistens verleugnen, sodass das Gefühl eines sehr deutlichen Vakuums je länger je mehr aufkomme. Diese Feststellungen sind auf folgende Erscheinungen zurückzuführen:
1. Rede- und Vortragsverbot für General de Lattre3.
2. Verhinderung einer Kontaktnahme höherer schweizerischer Militärs mit General König anlässlich einer kürzlichen Durchreise4.
3. Verhinderung einer Kontaktnahme mit General Spaatz anlässlich seines letztjährigen Besuches5. Er habe weder ein Mitglied der Regierung noch hohe Offiziere der Luftwaffe zu Gesicht bekommen.
4. Das Gleiche wird festgestellt in Bezug auf den Besuch des stellvertretenden Oberkommandierenden der alliierten Armeen 1943–1945, Lord Tedder6.
5. Ablehnung einer Einladung des italienischen Generalstabschefs an höhere schweizerische Militärs zu einer freundschaftlichen Kontaktnahme7.
6. Auch Montgomery habe das Gefühl, dass man jeglichem engeren Kontakt mit ihm ausweiche.
Alle diese Feststellungen seien sowohl in Paris wie in London und Washington zur Sprache gekommen, da alle vorgenannten Besucher in der Schweiz sich in den verschiedenen Organisationen des Atlantikpaktes jeweils treffen, und hätten mit Bedauern eine Entfremdung mit der Schweiz feststellen lassen.
Persönlich bin ich der Auffassung, dass diese Feststellungen wohl in den meisten Fällen zutreffen und auf konkrete Weisungen des Bundesrates zurückzuführen sind. Da sie sich nun aber auszuwirken beginnen, wäre es vielleicht an der Zeit, wenn gelegentlich im Bundesrate über diesen Punkt eine kurze Aussprache gepflogen würde.
In diesem Zusammenhange dürfte es vielleicht immerhin wertvoll sein, daran zu erinnern, dass vor dem Kriege, in den Jahren 1936–1939, der Kontakt mit ausländischen militärischen Persönlichkeiten lange nicht so rigoros unterbunden wurde wie jetzt. Ohne mich über die Zweckmässigkeit des damaligen Austausches aussprechen zu wollen, möchte ich lediglich in Erinnerung rufen, dass der damalige Oberstkorpskdt. Wille8 und teilweise auch Oberstdiv. Bircher9 einen recht engen Kontakt pflegten mit hohen deutschen Offizieren. Wille hat jeweilen über diese Gespräche in der LVK Bericht erstattet oder auch den Departementschef durch kurze Notizen orientiert. Auf der anderen Seite pflegte Oberstkorpskdt. Guisan einen regen Meinungsaustausch mit hohen französischen Offizieren10, über den er ebenfalls in der LVK jeweils Bericht erstattete. Schliesslich hat Oberstkorpskdt. Labhart als Chef der Generalstabsabteilung 1938 Paris besucht und dort ebenfalls die Spitzen der französischen Armee gesprochen11. Zuzugeben ist, dass die Aktenfunde in La Charité12 uns einigen Unwillen von Seiten der deutschen Leitung verschafften. Andererseits ist es aber wohl mehr nur einem Zufall zuzuschreiben, dass die Amerikaner beim Durchstöbern der Akten der deutschen Heeresleitung nach Kriegsschluss nicht auf ähnliche Dokumente gestossen sind, da sie zweifelsohne irgendwo aufbewahrt wurden.
Alle diese Zusammenhänge scheinen mir der Bedeutung wert, um gelegentlich einer Würdigung unterzogen zu werden; denn es könnte sich mit der Zeit wohl die Frage stellen, ob es angezeigt ist, auf die Gefahr hin, unhöflich und unnahbar zu sein, sich jeglichem Verkehr mit hohen ausländischen Militärs zu widersetzen, wie es anderseits auch denkbar ist, dass unter den heutigen Verhältnissen vielleicht dieses Vorgehen doch richtig ist. Man wird sich aber dann nicht wundern dürfen, wenn uns je länger je mehr von alliierter Seite Schwierigkeiten bereitet werden.
- 1
- Schreiben: E 5800(-)-/1/2.↩
- 2
- Vgl. die Nrn. 30 und 35 in diesem Band.↩
- 3
- Vgl. E 2001(E)1967/113/72 sowie NR-Prot. vom 27. September 1950, E 1301(-)-/ I/399, S. 123–162 (dodis.ch/8149).↩
- 4
- Vgl. E 2001(E)1968/78/186.↩
- 5
- Nicht abgedruckt.↩
- 6
- Vgl. E 5001(F)-/1/13.↩
- 7
- Vgl. DDS, Bd. 17, Dok. 85, dodis.ch/4182, vgl. auch E 27/12743.↩
- 8
- Vgl. DDS, Bd. 14, Dok. 382, dodis.ch/47568, Annex II, Anm. 9.↩
- 9
- Vgl. DDS, Bd. 14, Dok. 27, dodis.ch/47213, Dok. 39, dodis.ch/47225 und Annex, 87 und 256.↩
- 10
- Vgl. DDS, Bd. 13, Dok. 355, dodis.ch/47112, Dok. 369, dodis.ch/47126, Dok. 429, dodis.ch/47186 sowie DDS, Bd. 14, Dok. 7, dodis.ch/47193 und Annex, 349 und 356, Anm. 4.↩
- 11
- Zur Reise von J. Labhart nach Paris konnten keine Akten ermittelt werden.↩
- 12
- Vgl. Anm. 9.↩