Classement thématique série 1848–1945:
IV. POLITIQUE HUMANITAIRE
IV.3. ATTITUDE DE LA SUISSE À l'ÉGARD DES JUIFS
Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 15, doc. 281
volume linkBern 1992
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E4800.1#1967/111#206* | |
Old classification | CH-BAR E 4800.1(-)1967/111 48 | |
Dossier title | Zum Flüchtlingsbericht Prof. Ludwig: Unterlagen zur Stellungnahme von Herrn BR von Steiger, verschiedene Dokumentationen (1938–1944) | |
File reference archive | 1.015 |
dodis.ch/47885 Le Chef de la Division de Police du Département de Justice et Police, H. Rothmund, au Ministre de Suisse à Berlin, H. Frölicher1 Mein lieber Herr Frölicher,
Ich war fast drei Wochen abwesend, zunächst dienstlich, dann habe ich endlich einmal vierzehn Tage Ferien machen können. So habe ich Sie leider verpasst, und hätte doch brennend gern mit Ihnen über die Judenfrage gesprochen.
Nach meiner Rückkehr fand ich das Schreiben der Abteilung für Auswärtiges vom 20. Oktober2, mit dem Sie ersucht werden, vorstellig zu werden.
Ich nehme an, Sie wissen, dass die Anregung von mir ausgegangen ist. Ich lege Durchschlag meiner Notiz3 vom 24. und meines Briefes an Herrn Bonna vom 25. September 1944 bei.
Wie Sie den Beilagen entnehmen, dachte ich mir die Sache etwas anders: energische Reklamation wegen der unangemeldeten 318 Juden, die uns die Gestapo an die Grenze gestellt hat. Zugleich Erklärung, die restlichen 1300 dieses Transportes aus Ungarn ebenfalls übernehmen zu wollen, wenn sie ordnungsgemäss gemeldet und nach der Schweiz überführt werden. Für alle ändern noch in Deutschland sich befindenden Juden Intervention gegen die Deportationen und Angebot für Ernährung und Bekleidung.
Der Zweck dieses Schreibens ist natürlich nicht etwa der, Sie zu veranlassen, sich nicht an die Ihnen von der Abteilung für Auswärtiges erteilten Instruktionen zu halten. Ich möchte nur, dass Sie über den Ausgangspunkt genau informiert sind, und auch über meine Einstellung als Chef der Polizeiabteilung und der Fremdenpolizei.
Der wichtigste Punkt in der ganzen Sache ist der, ob das Auswärtige Amt bezw. Herr von Steengracht die Kurage hat, Ihre Intervention an Herrn Himmler weiterzugeben. Ich hatte Gelegenheit, diese Frage mit einem genauen Kenner der Verhältnisse zu erörtern. So einfach wird es nicht sein. Es kann Herrn von Steengracht aber ein gehöriger Stupf gegeben werden, wenn Sie ihm zu verstehen geben, dass die ganze Frage vom Chef der Fremdenpolizei aufgeworfen worden ist, dem er ja auch den Aufenthalt von Frau Steengracht und Kind4 und die Bewilligung ihrer vorübergehenden Ausreise (ohne das Kind) zu verdanken hat. Herrn von Steengracht wäre es sicherlich recht unangenehm, wenn die Frage des Auslandsaufenthaltes seiner Frau und seines Kindes in gewissen Kreisen in Berlin diskutiert würde, da man ihm Zweifel in den Endsieg zumuten könnte.
Diese Überlegungen gehören nicht zu den schönsten, die zu machen ich fähig bin. Aber es geht hier um hunderttausende von Menschenleben und darum, gegebenenfalls einem Mann die vielleicht fehlende Kurage etwas unelegant beizubringen. Da darf ein sonst bei uns nicht übliches Druckmittel wohl verantwortet werden. Das ist denn auch der Hauptgrund meines heutigen Schreibens.
Dass es uns sehr ernst ist damit, die noch verbleibenden Juden zu retten, mögen Sie daraus ersehen, dass auf eine Mitteilung unserer Gesandtschaft in Budapest hin von Ende vergangenen Monats, dass die ungarische und die deutsche Regierung vereinbart hätten, 8000 ungarische Juden nach der Schweiz reisen zu lassen, vorgestern telegraphisch geantwortet worden ist, wir seien grundsätzlich bereit, sie aufzunehmen. Allerdings haben wir eine Rückversicherung der Abnahme durch die Amerikaner, werden aber wahrscheinlich diese Leute längere Zeit bei uns unterbringen müssen. Die Sache ist umso schwieriger, als die Aktion bis zum 15. November durchgeführt sein muss. Es ist aber erklärt worden, die Transportmittel bis an die Schweizergrenze würden von den Ungarn und von den Deutschen gestellt.
Auch diese Zusage kann uns nicht hindern, die 1300 ungarischen Juden aus Bergen-Belsen, über die Ihnen die Abteilung für Auswärtiges geschrieben hat, aufzunehmen. Bloss dürfen sie uns nicht wie die 318 schon in der Schweiz anwesenden einfach an die Grenze gestellt werden. Ich bitte Sie sehr, über diese Manieren sich energisch zu beschweren.
Wenn wir nun so viel positive Hilfe auf uns nehmen, so haben wir sicherlich einen Titel, der uns erlaubt, sehr deutlich gegen weitere Deportationen Stellung zu nehmen. Ich füge noch bei, dass in den letzten paar Wochen aus der Gegend von Beifort und aus dem Val d’Ossola über 25 000 neue Flüchtlinge eingereist sind, während in den letzten Monaten nur rund 8000, von denen 6000 entwichene Kriegsgefangene und 2000 französische Zivilflüchtlinge, die Schweiz verlassen haben. Wir nähern uns also der Zahl von 100000 Flüchtlingen!
Ich hoffe sehr, es werde Ihnen möglich sein, die Intervention mit Erfolg an die richtige Stelle zu bringen. Nach allem was ich von verschiedenen Seiten gehört habe, besteht in der nächsten Umgebung von Herrn Himmler deutlich das Bestreben, weitere Judenverfolgungen einzustellen, sodass die in Betracht fallenden hohen Parteistellen wahrscheinlich ganz froh sind, wenn von unserer Seite gestupft wird. Auch wenn nicht sofort positiv reagiert wird, sondern vielleicht Bedingungen für Ernährung und Bekleidung gestellt werden, so ist trotzdem zweierlei gewonnen: der Stein ist im Rollen und es darf erwartet werden, dass während der Dauer der Verhandlungen keine neuen Deportationen erfolgen. Das ist ja auch die Taktik von Saly Mayer, der selbstverständlich so lange weiterverhandelt als die Gegenseite mitmacht. Bloss verbraucht er sich dabei.
Ich hoffe, diese Aufklärungen persönlicher Natur können Ihnen nützlich sein, und sende Ihnen, mit bestem Dank für Ihre Bemühungen, meine freundschaftlichsten Grüsse.