Classement thématique série 1848–1945:
II. RELATIONS BILATÉRALES
A. AVEC LES ÉTATS LIMITROPHES
1. Allemagne
1.1. Affaires politiques et militaires
Lettre du Chef de la Division des Affaires étrangères du Département politique, P. Bonna, au Ministre de Suisse à Berlin, H. Frölicher du 24.9.1940 (CH-BAR#E2001D#1000/1553#6210*).
Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 13, doc. 383
volume linkBern 1991
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
Archival classification | CH-BAR#E2001E#1000/1571#24* | |
Dossier title | Beilagen 1 bis 269 gem. Inhaltsverzeichnis (1939–1945) | |
File reference archive | A.15.40.1 |
dodis.ch/47140
In Beantwortung Ihrer Zuschrift vom 11. dieses Monats2 beehre ich mich Ihnen mitzuteilen, dass mir vor ungefähr einer Woche vertraulich gesagt wurde, dass die in Frankreich gefundenen Dokumente, die unseren Generalstab belasten, zu einer diplomatischen Aktion Anlass geben werden. Es sei aber auch nicht ausgeschlossen, dass die Dokumente vorderhand «aufs Eis» gelegt würden, um sie in einem späteren Zeitpunkt zu verwenden. - Unser Gesuch um Öffnung der elsässischen Grenze wurde abgelehnt, weil, wie ich ebenfalls vertraulich erfuhr, der Aussenminister auf unserer Note den Randvermerk anbrachte: «Kommt jetzt nicht in Frage». - Die Sprengung der Eisenbahnbrücke in Savoyen und die bisherige Nichtöffnung der Zufahrt über Bellegarde lassen verschiedenen Vermutungen Raum. - Unser Gesuch, die Fluglinie Schweiz-München wieder zu eröffnen, wurde aus allgemeinen politischen Gründen bisher verweigert. - Man stösst an eine Wand, wenn man die Frage der Internierten in der Schweiz erörtern möchte. Die Aktion der deutschen Ferienkinder ist aufgegeben worden. - Der Chef des Transportamtes, Herr Matter, hat ebenso wie die Gesandtschaft wenig Entgegenkommen gefunden bei seinen Bemühungen, den Abtransport der schweizerischen Güter in den besetzten Gebieten in die Wege zu leiten. Alles dies sind Symptome einer gespannten Lage. Herr alt Bundesrat Musy3 wird wohl in der Zwischenzeit dem Herrn Bundespräsidenten über seine Eindrücke, die nicht günstig waren, Bericht erstattet haben. Auch Herr Oberstleutnant Ilsemann, der kürzlich in Berlin war, äusserte sich dahin, dass in leitenden Kreisen eine Unzufriedenheit mit der militärischen und politischen Führung unseres Landes festzustellen sei. Die Gefahren, die unser Land bedrohen, sind daher zweifellos vorhanden. Man muss sich auch darüber klar sein, dass in einigen Monaten unsere Vorräte zu Ende gehen und dass die Achsenmächte unsere gesamte Zufuhr kontrollieren. Durch die mobilisierten Divisionen am Gotthard werden sich die Achsenmächte also kaum beeindrucken lassen. Der Wirklichkeitssinn, den der Bundespräsident in Lausanne forderte, sollte die Einsicht in diese Realitäten vermitteln. Es ist nicht ratsam, vor den Gefahren den Kopf im Sande zu verstecken und abzuwarten, was sich ereignen werde. Besser ist es eine Lösung zu suchen, solange man noch eine gewisse Bewegungsfreiheit hat und nicht erst dann, wenn man aus dem letzten Loch pfeift. Wenn ich vorgeschlagen habe, ein Bekenntnis zur Mitarbeit im neuen Europa zu äussern, - eine Mitarbeit, die im wesentlichen auf wirtschaftlichem Gebiet liegt - so bedeutet dies keine Preisgabe wesentlicher Grundsätze. Die völkerrechtliche Neutralität steht nicht zur Diskussion. Niemand verlangt von uns, dass die Schweiz sich am englischen Krieg oder an einem anderen beteilige. Dagegen kann man sich der Tatsache nicht verschliessen, dass das machtpolitische Gleichgewicht, auf dem unsere bisherige Neutralitätspolitik beruhte, nicht mehr besteht und dass sich daher auch unsere Neutralitätspolitik den neuen Verhältnissen anpassen muss. Es nützt nichts an Grundsätzen festzuhalten, die auf nicht mehr bestehenden Voraussetzungen beruhen. Wenn vor dem Zusammenbruch Frankreichs der positive Gehalt unserer Neutralitätspolitik in der Formel Ausdruck fand: Gleichmässig freundschaftliehe Beziehungen mit allen Nachbarstaaten, so wurde damit zum Ausdruck gebracht, dass unser demokratisches Land keine ideologische Aussenpolitik macht. Nach dem französischen Zusammenbruch ist dies selbstverständlich. Sogar die Sozialisten sind ja jetzt damit einverstanden. Auch sie sehen heute ein, dass wir uns nicht gegen die Achsenmächte stellen können. Die erwähnte Formel hat daher heute ihren Sinn verloren. Oder will man sich etwa an das britische Weltreich anlehnen, von dem wir durch die Achsenmächte abgeschnitten sind? Die Bereinigung des Verhältnisses zu Deutschland und Italien erfordert vielmehr eine Stellungnahme zu dem neuen Europa. Ich brauche übrigens für diese Problemstellung keine Lanze zu brechen, nachdem der Herr Bundespräsident in Lausanne darüber gesprochen hat. Das günstige Echo, das seine Ausführungen in Deutschland gefunden haben, zeigt, dass mein Rat nicht abwegig war.
Im übrigen nehme ich mit Genugtuung davon Kenntnis, dass Sie bereit sind, mit der Methode der «Bausteine» weiterzufahren. Darf ich darauf hinweisen, dass ich noch keine endgültige Antwort bezüglich der Zulassung der deutschen Studenten erhalten habe, und dass die Korrespondenten von Schweizerzeitungen, deren Ankunft mir in Aussicht gestellt wurde, noch nicht in Berlin eingetroffen sind. Auch mit der Beantwortung der Frage der Zulassung des Landesleiters und der Kreisleiter sollte nicht zugewartet werden. Bei der Animosität, die hier gegen den General besteht, wäre es auch nützlich, wenn wenigstens die in Aussicht genommenen Veränderungen in der Umgebung des Generals zur Tatsache würden. Meine übrigen Ratschläge, die zwar bei Ihnen keine Gnade fanden, will ich nicht wiederholen, obwohl ich sie nach wie vor für richtig und dringlich halte. Vielleicht erwägt das Politische Departement auch die Frage, ob es nicht an der Zeit wäre, dass die Polnische und die Norwegische Gesandtschaft in der Schweiz ihre Tätigkeit einstellen, nachdem die betreffenden Regierungen nirgends mehr eine Souveränität ausüben. Dies hindert ja nicht, dass man den betreffenden Funktionären einen ehrenvollen Aufenthalt in der Schweiz ermöglicht.
Es ist, wie gesagt, ein Lichtblick, dass die deutsche Presse von den Äusserungen des Bundespräsidenten in Lausanne auf Weisung des Auswärtigen Amtes in freundlicher Weise Kenntnis nahm, ebenso von der Tatsache, dass der Herr Bundespräsident Vertreter der sogenannten nationalen Erneuerung empfangen und angehört hat. Hoffentlich lässt sich der Bundesrat nicht durch die Kritik der Parteipresse irremachen. Die gleichen Kreise, die die kluge Neutralitätspolitik von Herrn Motta sabotierten, versuchen auch heute in ihrer Verblendung eine kluge Nachkriegspolitik4, von der wohl die Existenz unseres Landes abhängt, zu verunmöglichen. Dies sollte daher unter allen Umständen verhindert werden.
- 1
- Lettre: E 2001 (E) 1/8. Annotation de Pilet-Golaz en haut: Donné connais [sance]verb [a]\ [ement]au C [onseil]([édéral]le 20.9.40 de la première partie.↩
- 2
- Non reproduite.↩
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