Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 12, doc. 483
volume linkBern 1994
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2300#1000/716#123* | |
Old classification | CH-BAR E 2300(-)1000/716 65 | |
Dossier title | Berlin, Politische Berichte und Briefe, Militärberichte, Band 39 (1938–1938) |
dodis.ch/46743
Der neue französische Botschafter, dem ich heute einen Antrittsbesuch abstattete, ist der Ansicht, dass die ukrainische Frage bald aufgerollt werde. Dem neu geschaffenen Karpatho-Russland sei von der deutschen Aussenpolitik die Rolle zugewiesen, die Keimzelle einer von Russland abgetrennten Grossukraine zu bilden. Der neue Staat soll nicht an Deutschland angegliedert werden, sich aber wie die Tschechoslowakei politisch und wirtschaftlich an Deutschland anlehnen müssen. Deutschland werde versuchen, einen Aufruhr in der Ukraine zu entfachen, was aber bei der Wachsamkeit der russischen G.P.U. doch nicht so einfach sei. In Deutschland würde zurzeit, was mir ja auch Herr von Weizsäcker sagte, die Schlagkraft der russischen Armee als sehr gering angesehen. Diese deutschen Pläne würden aber in Anbetracht der grossen ukrainischen Minderheit in Polen schwierige Fragen mit diesem letztem Staat aufwerfen. Für Frankreich und England sei es eine gewisse Beruhigung, dass der neue Expansionsdrang sich nach dem Osten richte und so die Energien eines jungen Volkes von der Interessensphäre der Westmächte ablenke. Meine Einwendungen, dass diese ukrainische Politik doch noch nicht in der nächsten Zeit aktuell werden dürfte und dass vorher doch noch andere Fragen in Regelung begriffen seien, liess der Botschafter bis zu einem gewissen Grad gelten, meinte aber, dass bei der deutschen Dynamik das Rad rasch drehe.
Bezüglich der italienischen Aspirationen in Afrika bemerkte der Botschafter, dass diese Frankreich nicht ernstlich beunruhigten. Italien wisse, dass die Hoheitsrechte Frankreichs in Tunis nicht zur Diskussion ständen. Italien werde sich hüten, Frankreich in Tunis anzugreifen. Über den Suezkanal könne man sprechen. Als ich die Kolonie Djibouti nannte, lächelte der Botschafter und hüllte sich in Stillschweigen. Bezüglich Spanien bemerkte Herr Coulondre, dass es ein Fehler der französischen Aussenpolitik gewesen sei, zu glauben, es könne in diesem Lande ein Bolschewistenstaat errichtet werden. Der Spanier sei Individualist und Traditionalist und lasse sich daher ein solches autoritäres Regime nicht gefallen. Er sei fest überzeugt, dass auch Franco, falls er im Bürgerkrieg den Sieg davon tragen werde, sich nicht an die Achse anlehnen wird, sondern eine unabhängige spanische Politik einschlagen werde.
Ich hatte Gelegenheit, gestern den Hochkommissar Herr Professor Burckhardt zu sprechen und werde ihn auch über den Sonntag in Danzig besuchen. Ich möchte die Abteilung für Auswärtiges bitten, die folgenden Mitteilungen von Professor Burckhardt als streng vertraulich zu behandeln und davon Umgang zu nehmen, sie im Sammelbericht zu verwerten.
Grund der wiederholten Besuche in letzter Zeit von Herrn Professor Burckhardt in Berlin war, die Nichtanwendung der deutschen Judengesetzgebung auf Danzig zu erreichen. Nun hat er gestern vom Aussenminister die Zusicherung erhalten, dass diese Massnahmen in Danzig sistiert würden. Es ist dies ein schöner Erfolg unseres Landsmannes und nur seinem diplomatischen Geschick zu verdanken.
Er ist auch hier angefragt worden, ob er bereit sei, in nächster Zeit im Aufträge von Polen und Deutschland das Amt eines Treuhänders anstelle des Mandats des Völkerbundes in Danzig zu übernehmen. Dies hat Herr Burckhardt mit Recht abgelehnt. Man hat ihm nun versprochen, dass man ihn gegebenenfalls nicht vor einen «fait accompli» stellen werde, sondern ihn rechtzeitig benachrichtigen würde, sobald Deutschland und Polen darüber einig sind, das Völkerbundsstatut von Danzig aufzuheben und eine Neuordnung in Kraft zu setzen. Zurzeit werde zwischen Deutschland und Polen über die Frage sowie auch über Memel verhandelt. Das Amt des Hochkommissars läuft bekanntlich Ende nächsten Jahres ab. Herr Burckhardt glaubt aber, dass er durch die Verhältnisse gezwungen sein werde, schon im Frühjahr Danzig verlassen zu müssen. Die Haltung Polens in der ganzen Frage sei noch undurchsichtig. Bei der Schwäche Russlands werde Polen aber keine Abenteuerpolitik einschlagen, die auch dem klugen Aussenminister Beck fernliege. Andererseits lege aber auch Deutschland Gewicht darauf, sich nicht mit Polen zu Überwerfen.
Von verschiedenen Seiten habe ich gehört, dass unser Freund, Staatssekretär von Weizsäcker, dienstliche Unannehmlichkeiten hatte. Herr von Weizsäcker hat mir bei meinem letzten Besuch allerdings nichts darüber gesagt. Herr Professor Burckhardt, der auch mit dem Staatssekretär verhandelt, bestätigte mir diese Gerüchte. Man verüble es dem Staatssekretär, dass er während der Septemberkrisis vor der allgemeinen Kriegsgefahr gewarnt habe, und dass er dem Aussenminister sagte, falls es zum Kriege käme, würde er sich wieder bei der Marine melden. Es sei nun Herrn von Weizsäcker der Botschafterposten in Warschau angeboten worden, ein Angebot, das allerdings Herrn von Weizsäcker nicht zusage.