Thematische Zuordung Serie 1848–1945:
II. BILATERALE BEZIEHUNGEN
8. Frankreich
8.2. Handelsvertragsverhandlungen
Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 5, doc. 86
volume linkBern 1983
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E13#1000/38#191* | |
Old classification | CH-BAR E 13(-)1000/38 43 | |
Dossier title | Notizen des Handelsdepartements betr. die Verhandlungen mit Frankreich (1906–1906) |
dodis.ch/42941
Aufzeichnung des Kanzleisekretärs für das Tarif- und Informationswesen der Handelsabteilung, P. Thomann1
NOTIZEN ÜBER DEN STAND DER VORARBEITEN FÜR DIE UNTERHANDLUNGEN MIT FRANKREICH
Der im Departement ausgearbeitete Entwurf einer Liste der schweizerischen Forderungen zum französischen Tarif wurde von der Delegation (Herren Minister Lardy, Nationalräthe Künzli, Frey, Martin, Dr. Laur) unter Beiziehung eines Beamten des Departements (Thomann) in den Sitzungen vom 23. und 31. August und 1. September durchberaten.
Die erste Sitzung eröffnete Herr Bundesrath Müller; er skizzierte die Situation nach einem Résumé (1. Beilage)2, das für den Herrn Bundespräsidenten angefertigt worden war.
In der vorausgehenden allgemeinen Diskussion bemerkt Herr Frey, unsere Tarifforderungen seien hoch gespannt, aber dies sei aus taktischen Gründen nötig. Haben es mit Deutschland und Italien auch so gemacht und mit Erfolg. Übrigens ist uns Frankreich von 1892 und 1895 her viel heraus schuldig. Wir sind damals zu kurz gekommen. Wirkung unseres neuen Tarifes auf französischen Import gar nicht so schlimm (1. Beilage). Sehr wünschbar ist Austausch der Begehren.
Wir müssen bestrebt sein, einen Vertrag mit langer Dauer (bis Ende 1917) zu erwirken; dieser wird dann Vorläufer anderer Verträge Frankreichs sein, und so bringen wir Frankreich vielleicht wieder ins europäische Vertragskonzert hinein, dem es seit 1892 fern blieb und [einen eigenen Weg einschlug. Frey bittet Lardy, Textentwurf aufzustellen.
Lardy: Französische Regierung wünschte lieber nicht zu unterhandeln, Antrag Morel fallen zu lassen und Abkommen von 1895 beizubehalten; aber sie steht unter dem Druck des Parlaments. Die Seidenzollfrage ist mehr politischer als wirtschaftlicher Natur. Wahlmotive. Jetziges Parlament für Abschluss eines Vertrages sehr ungünstig; äusserst protektionistisch, wie verschiedene Einfuhrbeschränkungen (z. B. Vieh) und bezügliche Projekte beweisen. Regierung hätte es dagegen gut im Sinn; Rouvier (Ministerpräsident) und Dubief (Handelsminister) sind alte Freihändler. Rouvier ist aber Deputierter von Mäcon (also gegen unsern neuen Weinzoll). Unsere Liste ist überladen; wenn wir etwas erreichen wollen, müssen wir uns auf speziell schweizerische Artikel beschränken, damit die Konzessionen nicht ändern Ländern (vorab Deutschland) mehr als uns selbst nützen, sonst kommen wir in die gleiche Lage wie 1892 (Kammer verwirft dann, wenn die Regierung auf einen Vertrag mit uns einginge). Im übrigen müssen wir Frankreich die schädigende Wirkung seines Minimaltarifes auf unsere Ausfuhr (Glarner-Artikel, Stickereien, Baumwollwaren, Uhren etc.) vor Augen führen.
Lardy will einen Textentwurf auf Basis des verworfenen Abkommens von 1892 ausarbeiten.
Laur: Unsere Ausfuhr nach Frankreich ist insgesamt mit 6Vi % Zoll belastet, [die]Einfuhr aus Frankreich nur mit 2,8%, neu mit 4%; Landwirtschaft: Einfuhr mit 3'A %, neu 7 %, Ausfuhr mit 12 %.
Frey: Hat den Eindruck, dass Eröffnungen der Regierung in Paris der Ausfluss des in der Kammer am 7. Juli gegebenen Versprechens3 sind, glaubt aber doch, dass Frankreich auf 1906 etwas glaubt tun und seine Handelspolitik mit dem neuen Stand der Dinge glaubte einigermassen in Übereinstimmung bringen zu sollen: daher die weitläufigen Untersuchungen in Parlament und Handelskammern über die Wirkung der neuen europäischen Tarife und Handelsverträge. Wir müssen die französischen Unterhändler und mit ihnen die Regierung durch unseren Vorschlag, Frankreich wieder in die Bahn der europäischen Handelspolitik hineinzuziehen, verblüffen und dann [die]Situation so gut als möglich ausnützen. Also Liste vorläufig lang halten, Verhandlungen in die Länge ziehen, bis zu den Neuwahlen im Frühjahr 1906.
Wenn immer möglich zuerst mit Österreich-Ungarn unterhandeln; dann unsere Stellung gegen Frankreich stärker.
Künzli: Neuwahlen im Mai 1906 bringen uns keine günstige Kammer. Jetzt haben wir den Vorteil eines für unsern Zweck guten Ministeriums. Mit Hinziehen nichts gewonnen. Unsere Begehren auf das Notwendige beschränken. Frankreich ist der stärkere Teil.
[...]
Lardy: [...] Was Dauer des Vertrages betrifft, ist an eine solche bis Ende 1917, wie Frey meint, nicht zu denken. Wahrscheinlich wird die Regierung, wie 1892, die zu vereinbarenden Änderungen am Minimaltarif dem Parlament in Form eines autonomen, unilateralen Gesetzesentwurfes vorlegen wollen (wie übrigens auch 1895), aber dann mit uns Kündigungsfrist von einem Jahr festsetzen, durch Text oder Notenwechsel.
Freywill unbedingt an einer Dauer bis Ende 1917 festhalten.
Lardybemerkt noch, im September können wir schwerlich unterhandeln, weil alles auf der Jagd oder sonst abwesend.
In der darauf folgenden Beratung unserer Forderungsliste werden sodann auf Antrag Lardyeinige Streichungen vorgenommen (Ziegen, Seidenzwirn, Wollengarne, bedruckte Baum Wolltücher in sieben und mehr Farben, Baumwollbänder mit Beimischung von Seide, baumwollene und wollene Wirkwaren, gemischt; Fischernetze, Krawatten, lichtempfindliche Papiere, Karden, Vorbereitungsmaschinen für die Spinnerei, landwirtschaftliche Maschinen, einzelne Parkettbodenteile, Eisenbahnwagen), worin aber Freynicht gern einwilligt.
Lardywill alle Bindungen französischer Zölle weglassen, weil wir doch nur ein Abkommen auf jährliche Kündigung erhalten. Sonst sehen die Franzosen, was wir alles fordern, und wenn wir nachher doch verzichten müssen, setzen wir uns der Gefahr späterer autonomer Erhöhungen aus.
Frey: Nein, auch Bindungen aufnehmen! Frankreich muss wieder mitlaufen in der europäischen Zollpolitik. Unser provisorisches Abkommen von 1892 hat 10 Jahre gedauert, warum also nicht auch einen langfristigen Vertrag? Bindungen bekommen wir gleich im Anfang der Unterhandlungen leicht; später müssen wir sie erkaufen. Bindungen haben für Frankreich nichts Erschreckendes. Wir wollen ja nicht den ganzen Minimaltarif binden, wie im Arrangement von 1892 (Art. 1), nötigenfalls können wir eine Liste aufstellen, wie in der 1892er Konvention mit Spanien.
Künzliund Martinder Ansicht wie Lardy, also keine Bindungen, Laurwie Frey: was wir im neuen Konventionaltarif binden, kann dann später nicht erhöht werden. Im Entwurf unserer Liste kommen nur etwa 20 Bindungen vor.
Frey: Wir werden deren noch mehr bekommen, als uns lieb ist; wenn Frankreich uns da oder dort Konzessionen verweigert, müssen wir uns schliesslich mit Bindungen begnügen.
Thomann: Wir sollten wenigstens, um Liste etwas zu entlasten, alle interpretativen Bestimmungen, deren es eine Menge hat, in die ‹Règles administratives› aufnehmen, wie in den Abkommen von 1892 und 1895. Diese «Règles» brauchen dem Parlament nicht vorgelegt zu werden, gelten aber als vertragliche Abmachungen so gut wie andere Bestimmungen. Wir haben in dieser Hinsicht nichts zu befürchten: Frankreich hat die im Abkommen von 1895 in dieser Form gemachten Zugeständnisse getreulich gehalten (Delegation hiermit einverstanden).
Delegation einigt sich schliesslich auf folgende Grundsätze:
a. Langfristigen Vertrag vorschlagen; wenn nicht erhältlich, aber auch Abkommen auf jährliche Kündung annehmen, und Frankreich verpflichten, Zollerhöhungen 12 Monate voraus an[zu]sagen. Wir gewinnen dann de facto zwei Jahre, weil die Vorbereitungen in Frankreich (Kammer, Senat, Kommissionen) immer ein Jahr dauern.
b. Bindungen aufnehmen.
c. Unterhandlungen erst im Oktober beginnen, damit die Herren der französischen Delegation der Jagd obliegen können und nicht verstimmt in die Konferenz kommen.
[...]4
- 1
- E 13 (B) /194.↩
- 2
- Nicht abgedruckt.↩
- 3
- Handelsminister Dubief erklärte am 7. Juli 1905 vor der Kammer, dass die Regierung mit der Schweiz Unterhandlungen über eine Revision des Abkommens von 1895 einleiten werde. Hierauf beschloss die Kammer, nach wochenlanger Beratung des Antrags Morel, die Diskussion auf unbestimmte Zeit zu verschieben (Hist. Rückblick, undatiert; E 13 (B)/194).↩
- 4
- Am 11. November 1905 schloss sich das Handelsdepartement, am 14. November 1905 auch der Gesamtbundes rat diesen Vorschlägen an.↩