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Die Schweiz und die NNSC. Diplomatische Dokumente der Schweiz zur Geschichte der Neutral Nations Supervisory Commission in Korea 1951–1995, vol. 21, doc. 26
volume linkBern 2023
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2001E-01#1988/16#2724* | |
Old classification | CH-BAR E 2001(E)-01/1988/16 662/6 | |
Dossier title | Schweiz. Delegation in der Neutralen Kommission für die Überwachung des Waffenstillstandes in Korea, Band 6 - 11, 1.12.1954 - 30.6.1955 (1952–1978) | |
File reference archive | B.73.0.1 • Additional component: Korea, Republik |
dodis.ch/9635Der schweizerische Beobachter bei der UNO in New York, Legationsrat Lindt, an den Chef der Abteilung für Internationale Organisationen des EPD, Minister Micheli1
NNSC
Ich beehre mich, Ihnen für die heutige Zustellung auf raschestem Wege der amerikanischen Antwort auf unser Aide-Memoire vom 27. Januar betreffend die NNSC zu danken.2 Die von Mr. Murphy unserer Gesandtschaft in Washington überreichte vertrauliche Note ist in einem Ton gehalten, der einiges Erstaunen erregt. Speziell gilt dies für den Satz: «De telles négociations ne devraient pas être prolongées au-delà de 3 à 4 semaines.»3 Dieser Ton, der gelegentlich sich demjenigen eines Befehles nähert, scheint sich daraus erklären zu können, dass Washington die Schweiz als den Mandatar einzig des UN-Kommandos in der NNSC betrachtet. Dies wiederum lässt sich vielleicht daraus erklären, dass beim State Department unser Aide-Memoire vom 14. April 1953 und insbesondere der Satz:
«... Bien que désignée par l’une des parties belligérantes dans la ‹Commission de surveillance des nations neutres pour l’armistice en Corée›, la Suisse ne pourrait se considérer comme la mandataire de cette partie; l’autre partie ayant donné son agrément à l’appel adressé à la Suisse, celle-ci entend agir, au sein de la commission, pour le compte des deux parties, comme un membre indépendant et impartial, chargé de veiller objectivement à l’observation par les deux parties des clauses de la convention d’armistice.»
in Vergessenheit geraten sei.4
Sowohl im Interesse der Würde der Schweiz als unabhängiger Staat, wie auch unserer Rolle in der NNSC scheint sich mir dieser vertraulichen Note gegenüber eine deutliche eidgenössische Reaktion aufzudrängen. Die Erfahrung zeigt, dass Indiskretionen über vertrauliche Dokumente in Washington nie ausgeschlossen werden können. Eine schweizerische Klarstellung ist deshalb wohl auch notwendig, damit, sollte eine Indiskretion erfolgen, unsere Haltung aktenmässig festgelegt ist.
Der amerikanische Versuch, die Schweiz und Schweden zu bewegen, die heissen Kastanien für die Vereinigten Staaten aus dem Feuer zu ziehen und damit das Odium für eine einseitige Auflösung der NNSC auf sich zu nehmen, ist nicht neu. Dieser Versuch fällt aber in eine neue politische Situation.
Eine Zeit lang hatte es den Anschein, als ob die Spannung in der Meerenge von Formosa als Blitzableiter im Fernen Osten wirke, wodurch das Interesse von Korea abgelenkt würde. Korea schien an politischer Bedeutung einzubüssen. Gleichzeitig schien dort auch eine tatsächliche Entspannung einzutreten. Die Lage änderte sich infolge zweier Momente:
a) Die Nachricht von militärischen Verstärkungen in Nordkorea, die gegenwärtig von einer mobilen Equipe der NNSC untersucht wird. In der amerikanischen Presse beginnt sich die Tendenz abzuzeichnen, die Verstärkungen des Nordens mit gleicher Münze oder sogar mit schärferen Massnahmen zu beantworten. Ich verweise auf beiliegenden Artikel der New York Times (Beilage 1), der folgenden Satz enthält:
«... members of the Joint Chiefs of Staff have made known that some military action might be necessary to halt the supposed massing of men and matériel in North Korea in violation of the armistice, should the United Nations fail to insist on a cessation of the alleged truce violations. Presumably such action could be taken by the unified command, without specific new authorization by any United Nations body.»5
b) Die Erklärung, die Staatssekretär Dulles an der SEATO-Konferenz in Bangkok abgab. Er entwickelte dort die Theorie, wonach im Fernen Osten die drei Fronten – Indochina, Formosa und Korea – strategisch eine Einheit bildeten. Amerika sei entschlossen, an allen diesen drei Fronten vorzugehen, falls Peking an einem der drei neuralgischen Punkte zum Angriff schreiten sollte. Man könnte aus dieser amerikanischen Theorie folgern, dass die Vereinigten Staaten versucht wären, in Südkorea den Druck zu verschärfen. Dies liesse sich dadurch bewerkstelligen, dass die NNSC aufgelöst und damit die Möglichkeit geschaffen würde, die Truppenbestände in Südkorea zu verstärken.
Der Himmel über Korea beginnt sich wieder zu verdüstern. In dieser Situation käme einer einseitigen Auflösung der NNSC, die von der Gegenseite als Bruch des Waffenstillstandsabkommens betrachtet würde, wiederum eine viel grössere politische Bedeutung bei. Die Kastanien sind bedeutend heisser geworden. Damit ist auch die Verantwortung für einen derartigen Schritt gewachsen, da er unter Umständen das Signal für eine dramatische Entwicklung im Fernen Osten geben könnte.
In dieser Situation lässt sich die Frage stellen, ob es für uns nicht von Vorteil wäre, eindeutig zu erklären, dass die Schweiz bezüglich der NNSC keinen unilateralen Schritt unternehmen werde. Dass die Schweiz sowohl eine Beendigung der NNSC, wie die Reduktion ihrer Bestände nur in Aussicht nimmt, wenn beide Waffenstillstandsparteien damit einverstanden sind, ergibt sich wohl schon aus unserem Aide-Memoire vom 27. Januar. Dies jetzt mit aller Deutlichkeit auszusprechen, würde den immer gefährlicher werdenden amerikanischen Anstrengungen, uns im amerikanischen Interesse vorzuschieben und dabei noch als Befürworter unserer Wünsche aufzutreten, einen Riegel schieben.
Dagegen wäre einzuwenden, dass wir uns damit auf unbestimmte Zeit des unbestreitbaren Rechtes jedes Mandatars begäben, sein Mandat niederzulegen. Politisch schliesst aber die Niederlegung des Mandates heute viel grössere Gefahren in sich als dessen Fortführung. Dies ist ganz besonders der Fall, seitdem es Herrn Minister Escher gelungen ist, in Panmunjom eine eindeutige neutrale Linie im besten Sinne zu verfolgen. Von der englischen Delegation erfahre ich, dass in London Berichte eingetroffen sind, wonach unser letzter Missionschef sich allerort das hohe Ansehen einer vollständig unabhängigen und objektiven Persönlichkeit zu verschaffen wusste.6
Der indische Chefdelegierte7 sprach heute bei mir vor und erklärte mir, durch die amerikanischen Pressenachrichten beunruhigt zu sein, wonach Mr. Murphy, Schweden und der Schweiz eröffnet habe, Washington sei mit ihrem Vorschlage einverstanden, dass die NNSC abzuschaffen sei (s. Beilage 2).8 Ich informierte ihn über den Inhalt unserer Demarche vom 27. Januar. Der indische Diplomat erklärte sich betreffs der schweizerischen Haltung beruhigt, fügte aber bei, dass die neue Entwicklung im Fernen Osten die symbolische Bedeutung der NNSC steigere.
- 1
- CH-BAR#E2001E-01#1988/16#2724* (B.73.0.1). Diese an den Chef der Abteilung für Internationale Organisationen des EPD, Minister Pierre Micheli, gerichtete Notiz wurde vom schweizerischen Beobachter bei der UNO in New York, Legationsrat August Lindt, verfasst und unterzeichnet. Die Notiz wurde am 8. März 1955 vom Chef der Politischen Abteilung des EPD, Minister Alfred Zehnder, vom Vorsteher des EPD, Bundespräsident Max Petitpierre, und am 21. März 1955 von Marcel Luy von der Sektion West der Politischen Abteilung visiert.↩
- 2
- Für das schweizerische Aide-mémoire an die US-amerikanische Regierung vom 27. Januar 1955 vgl. dodis.ch/66784, für die Antwort der US-Regierung vom 2. März 1955 vgl. die Beilage des Schreibens des schweizerischen Gesandten in Washington, Minister Henry de Torrenté, an Minister Zehnder vom 3. März 1955, dodis.ch/66786.↩
- 3
- Im Original: «It [the Government of the US] believes that any such negotiations should not be prolonged beyond three to four weeks.» Vgl. die Note der US-Regierung vom 2. März 1955 in der Beilage von dodis.ch/66786.↩
- 4
- Vgl. das schweizerische Aide-mémoire an die US-amerikanische Regierung vom 14. April 1953, dodis.ch/66771.↩
- 5
- Die Beilage 1 wurde im Referenzdossier CH-BAR#E2001E-01#1988/16#2724* (B.73.0.1) nicht abgelegt.↩
- 6
- Für den Schlussbericht des Chefs der schweizerischen NNSC-Delegation, Minister Alfred Escher, vom 5. August 1955 vgl. dodis.ch/66792.↩
- 7
- Krishna Menon.↩
- 8
- Für die Beilage 2 vgl. das Dossier CH-BAR#E2001E-01#1988/16#2724* (B.73.0.1).↩
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