Politische Taktik des UNO-Generalsekretärs Hammarskjöld.
Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 19, doc. 62
volume linkZürich/Locarno/Genève 2003
more… |▼▶Repository
Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
Archival classification | CH-BAR#E2210.5-02#1970/17#212* | |
Dossier title | Conversations avec Hammarskjöld et Conférences de presse du Secrétaire général (1953–1959) | |
File reference archive | Inf.IV.2 |
dodis.ch/9574
Der schweizerische Beobachter bei der Organisation der Vereinten Nationen in New York, A. Lindt, an den Vorsteher des Politischen Departements, M. Petitpierre1
Ich beehre mich, Ihnen über mein heutiges Gespräch mit Herrn Hammarskjöld zu berichten, der gestern nach New York zurückgekehrt ist.
Der Generalsekretär erzählte zuerst von seiner Europareise und sagte, dass die erfreulichsten Ergebnisse seiner Fahrt die Besprechungen in Bern2 und London gewesen seien. Er hätte wieder einmal feststellen können, dass zwischen den Auffassungen des Eidgenössischen Politischen Departementes und des Foreign Office Ähnlichkeit besteht. Seine Unterredungen mit dem Quai d’Orsay litten unter dem Umstand, dass seine Gesprächspartner ihre Gedanken mehr auf die Bildung einer neuen Regierung als auf die aussenpolitischen Probleme konzentrierten.
1. Die politische Taktik des Generalsekretärs.
H.3 ging daraufhin dazu über, zu erläutern, wie er sich seine Stellung als Generalsekretär vorstelle. Indes sein Vorgänger4 sich in den Fragen der Tagespolitik stark zurückgehalten hatte und sich darauf beschränkte, in grossen Abständen die Initiative für allgemeine politische Démarchen zu ergreifen, ist H davon überzeugt, dass es die Aufgabe des Generalsekretärs sein müsse, ständig einen politischen Einfluss auszuüben. Um dies zu verwirklichen, gibt es zwei Wege:
a) die Beeinflussung der öffentlichen Meinung durch öffentliche Stellungnahmen, die mit allen Mitteln der modernen Propaganda verbreitet werden;
b) die Einwirkung auf die Haltung von Delegationen und Regierungen durch persönliche Gespräche.
H. glaubt, dass nur einer dieser beiden Wege gewählt werden kann. Er hat sich für den zweiten entschieden und damit bewusst auf jedes öffentliche politische Auftreten verzichtet. Ohne es ausdrücklich gesagt zu haben, beabsichtigt H. seine grössere Aktivität den Beziehungen zwischen den Vereinigten Nationen und Amerika, und den Beziehungen zwischen den beiden Blöcken zu widmen. Jede öffentliche Stellungnahme, sei sie auch noch so objektiv, müsste ihn in Konflikt mit diesem oder jenem Staate und auf alle Fälle mit einem Teil der amerikanischen öffentlichen Meinung bringen. Er ist deshalb bestrebt, durch vollständige Diskretion in seiner persönlichen Einflussnahme eine Vertrauensbasis zu schaffen. Er fasst diese seine politische Taktik mit folgenden Worten zusammen: vollständiges Schweigen nach aussen, höchste Aktivität in den persönlichen Beziehungen.
Dabei weiss er, dass die öffentliche Meinung der Welt wahrscheinlich enttäuscht sein wird über die scheinbare Passivität des Generalsekretärs. Aus der Überzeugung heraus, dass in der gegenwärtigen Konstellation keine andere Möglichkeit einer politischen Wirksamkeit für ihn besteht, nimmt er dies in Kauf. Es ist ihm auch bewusst, dass er seine Wahl zum grossen Teil der Tatsache verdankte, dass er aus dem Beamtendienst hervorgegangen ist. Er fürchtete deshalb, dass unter Umständen das Foreign Office nicht mit der Auffassung seiner Stellung als einer politischen einverstanden sein werde. Seine Gespräche mit Selwyn Lloyd, dem britischen Minister of State im Foreign Office, haben aber erwiesen, dass London mit ihm vollständig übereinstimmt. Schliesslich befolgt ja das Foreign Office dieselbe Taktik der Diskretion nach aussen und der starken Aktivität in der vertraulichen Diplomatie.
H. hat seine Auffassung des Postens des Generalsekretärs auch mit Vyshinski anlässlich seiner Unterredungen über die Neubesetzung des einem Russen zustehenden Postens eines beigeordneten Generalsekretärs (siehe meinen Brief vom 22. Mai5) besprochen. Nach ziemlich langen und harten Diskussionen hat Vyshinski der Auffassung Hammarskjölds zugestimmt. Damit glaubt H. die Voraussetzungen für eine klare, jeder Zweideutigkeit baren Zusammenarbeit mit der Sowjetunion geschaffen zu haben.
2. Korea6. Syngman Rhee treibt ein politisches Spiel, das durch eine starke Beimischung orientalischer Taktik besonders schwer verständlich ist. Wenn H. auch nicht vollständig die Möglichkeit ausschliesst, dass Rhee in seiner «Steckköpfigkeit» selbst eine Selbstmordpolitik ins Auge fasst, glaubt er doch, dass sich das Problem lösen lasse.
Am stärksten beschäftigt ihn gegenwärtig eine technische Frage. Seiner Auffassung nach kann die nach dem Waffenstillstand7 einzuberufende Generalversammlung ihre Aufgabe – die Organisierung der Politischen Konferenz8 – nur dann erfüllen, wenn sie ständigen Kontakt mit einer Delegation Pekings unterhält. Selbstverständlich komme es nicht in Frage, dass diese Delegation in der Generalversammlung selbst sprechen werde. Sie müsse aber in New York zur Besprechung aller technischen Fragen vorhanden sein. Obwohl wissend, wie unpopulär seine Forderung im State Department sein muss, ist er entschlossen, auf dieser Einreise einer Peking Delegation gegenüber Amerika zu bestehen. Den Ausweg, die Generalversammlung, wie von einzelnen Delegationen in Aussicht genommen worden war, an einen Ort ausserhalb der USA einzuberufen, lehnt er als unwürdiges Ausweichen von Schwierigkeiten ab.
- 1
- Schreiben (Kopie): E 2210.5(-)1970/17/5.↩
- 2
- Hammarskjöld traf am 28. Mai 1953 mit M. Petitpierre zusammen.↩
- 3
- Dag Hammarskjöld.↩
- 4
- Trygve Lie.↩
- 5
- Nicht ermittelt.↩
- 6
- Vgl. Thematisches Verzeichnis in diesem Band: Die Guten Dienste.↩
- 7
- Der Waffenstillstand trat am 27. Juli 1953 in Kraft.↩
- 8
- Vgl. Nr. 69, Anm. 12, in diesem Band. Auf die Anfrage D. Hammarskjölds nach der Bereitschaft der Schweiz, die politische Konferenz über Korea in der Schweiz durchzuführen, erhielt A. R. Lindt eine positive Antwort. Vgl. das Telegramm des EPD an A. R. Lindt vom 16. Juni 1953. Nicht abgedruckt.↩
Tags
North Korea (Politics) Good offices China (Politics) United States of America (USA) (Politics) South Korea (Politics)