Rekrutierung von deutschen Arbeitskräften für die Schweiz: Die von 1946 bis 1950 erteilten Bewilligungen; Bedeutung der Grenzgebiete. Staatliche Interventionen sind nicht wünschbar.
Imprimé dans
Documents Diplomatiques Suisses, vol. 18, doc. 107
volume linkZürich/Locarno/Genève 2001
Plus… |▼▶Emplacement
Archives | Archives fédérales suisses, Berne | |
▼ ▶ Cote d'archives | CH-BAR#E2001E#1969/121#4315* | |
Ancienne cote | CH-BAR E 2001(E)1969/121 152 | |
Titre du dossier | Entwicklung der fremdenpolizeilichen Beziehungen der Schweiz zu Deutschland. Stagiaireabkommen. Arbeitsmarktliche Beziehungen zwischen Deutschland und der Schweiz (1950–1952) | |
Référence archives | B.41.11.Uch • Composant complémentaire: Deutschland |
dodis.ch/8080
Der Direktor des Bundesamts für Industrie, Gewerbe und Arbeit, M. Kaufmann, an den Chef der Abteilung für Politische Angelegenheiten des Politischen Departements, A. Zehnder1
Mit Schreiben vom 27. Juni2 und 11. ds.3 ersucht uns die Schweizerische Gesandtschaft in Köln zu 2 Eingaben des Herrn Dunand4, des Leiters der Dienststelle für Wanderungsfragen in der Bundesrepublik Deutschland des BIT, Stellung zu nehmen. Sowohl von Ihren Schreiben als auch von den in Abschrift beigelegten Eingaben des Herrn Dunand hat Ihnen die Gesandtschaft eine Kopie zugestellt. Vom zweiten Schreiben und der dazu gehörenden Beilage erhielt auch die Polizeiabteilung eine Abschrift.
Während sich das erste Schreiben, Anregungen des Präsidenten des Landesarbeitsamtes Hessen, Sauer, weitergebend, speziell mit der Lenkung der Rekrutierung deutscher Arbeitskräfte für die Schweiz befasst, gibt die zweite Eingabe dem Vorschlag des Herrn Scheuble, Ministerialdirektor und Leiter der Abteilung für Arbeitsvermittlung im Arbeitsministerium der Bundesrepublik, Ausdruck, die arbeitsmarktlichen Beziehungen zwischen der Schweiz und Deutschland ganz allgemein einer Regelung zuzuführen. Da beide Schreiben, grundsätzlich gesehen, denselben Gegenstand betreffen, nämlich den von deutscher Seite geäusserten Wunsch, die Anwerbung und Vermittlung deutscher Arbeitskräfte für die Schweiz durch Abkommen oder Vereinbarungen zu regeln, gestatten wir uns, sie zusammen zu behandeln.
Die zur Diskussion gestellten Fragen waren zum grössten Teil bereits mit Gegenstand von Besprechungen zwischen Ihrem Departement, der Polizeiabteilung und unserem Amt5. In der Folge ersuchten Sie mit Schreiben vom 2. Juni unsere Gesandtschaft in Köln6, den Bundesarbeitsminister7 darüber aufzuklären, dass wir es vorziehen würden, den Stagiaire-Austausch und weitere Fragen der Zulassung, des Aufenthaltes und der Niederlassung mit der künftigen deutschen Gesandtschaft in Bern weiterzuverfolgen.
Bei dieser Sachlage glauben wir mit Herrn Baechtold, dem Chef der Eidg. Fremdenpolizei, dass es im gegenwärtigen Zeitpunkt nicht opportun wäre, auf die Vorschläge der genannten deutschen Stellen resp. des Herrn Dunand einzutreten. Es sollte u. E. vielmehr zugewartet werden, bis der gesamte Fragenkomplex mit der künftigen deutschen Gesandtschaft diskutiert und dabei abgeklärt werden kann, welche Punkte eventuell Gegenstand von Verhandlungen zwischen der Schweiz und Deutschland bilden sollten8. Wir dürfen es Ihnen überlassen, unserer Gesandtschaft eine entsprechende Antwort zukommen zu lassen9.
Da anlässlich der erwähnten Besprechungen zwischen Ihrem Departement, der Polizeiabteilung und unserm Amt die Frage einer Regelung der Rekrutierung noch nicht akut war, benützen wir die Gelegenheit, Ihnen unsere Auffassung zu diesem Problem darzulegen. Vorab möchten wir anhand einiger Zahlen den Umfang der Einwanderung deutscher Arbeitskräfte seit Kriegsende kurz skizzieren.
[...]10
Dieser Aufstellung ist zu entnehmen, dass die Zureise von Deutschen zur Arbeitsannahme in der Schweiz stark im Ansteigen ist. Dasselbe Bild ergibt sich aus den in den letzten Jahren im Februar durchgeführten Bestandesaufnahmen, welche folgende Bestände kontrollpflichtiger erwerbstätiger deutscher Staatsangehöriger11 aufwiesen:
[...]12
Während die Totalzahl aller kontrollpflichtigen erwerbstätigen Ausländer13 von 1950 auf 1951 um 8% anstieg, betrug die Zunahme der Zahl der deutschen Erwerbstätigen in der Schweiz14 im gleichen Zeitraum ca. 21%.
Über die Herkunft der deutschen Staatsangehörigen aus den verschiedenen Landesteilen gibt unsere Statistik leider keine Auskunft, da die Ausländer ausschliesslich nach ihrer Staatszugehörigkeit ohne Unterteilung nach Gliedstaaten und Provinzen erfasst werden. Es besteht aber kein Zweifel, dass die Mehrheit der in der Schweiz arbeitenden Deutschen aus den angrenzenden Ländern Baden, Württemberg und Bayern stammt. Einen deutlichen Hinweis in dieser Richtung geben die Grenzgängerzahlen, da ja nur die Bewohner der Grenzzone im kleinen Grenzverkehr zirkulieren können. Der oben stehenden Tabelle ist zu entnehmen, dass der Anteil der Grenzgänger an der Gesamtzahl der an deutsche Erwerbstätige erstmals erteilten fremdenpolizeilichen Bewilligungen im vergangenen Jahr 36,5% betrug. Das will also heissen, dass im Jahre 1950 bei mehr als einem Drittel der in die Schweiz einreisenden erwerbstätigen Deutschen die Rekrutierung in der Grenzzone fest gegeben war. Wenn wir es aus den genannten Gründen auch nicht zahlenmässig dokumentieren können, besteht doch kein Zweifel darüber, dass die zum Aufenthalt in die Schweiz einreisenden deutschen Arbeitskräfte ebenfalls seit jeher zum grössten Teil aus den uns direkt benachbarten Gebieten stammen. Diese Tatsache beruht u. a. auf dem Umstand, dass die schweizerischen Arbeitgeber im allgemeinen die Süddeutschen als Arbeitnehmer bevorzugen, weil diese sich erfahrungsgemäss am besten unseren Verhältnissen anzupassen vermögen.
Die geschilderten Rekrutierungsverhältnisse haben sich im Rahmen der historischen grenznachbarlichen Beziehungen im Interesse beider Länder entwickelt. Sie durch staatliche Lenkungsmassnahmen ändern zu wollen, halten wir nicht für angezeigt. Da nach unserem Recht der schweizerische Arbeitgeber völlig frei ist, seine Arbeitskräfte zu rekrutieren wie und wo er will (bei ausländischen Arbeitskräften selbstverständlich unter Vorbehalt der Erteilung von Einreise- und Aufenthaltsbewilligungen), müsste es sich bei einer staatlichen Lenkung um eine einseitige deutsche Massnahme handeln. In letzter Konsequenz liesse sich u. E. eine solche Lenkung nur durchführen, indem die direkte Anwerbung deutscher Arbeitskräfte für die Schweiz verboten und gleichzeitig die Herausgabe der zur Ausreise benötigten heimatlichen Ausweispapiere vom Entscheid darüber, ob der beabsichtigte Stellenantritt in der Schweiz genehm sei oder nicht, abhängig gemacht würde. Eine entsprechende Regelung würde den arbeitsmarktlichen Verkehr mit der Schweiz zweifellos stark hemmen und es müsste damit gerechnet werden, dass sich die schweizerischen Arbeitgeber unter solchen Voraussetzungen wiederum vermehrt von der Rekrutierung in Deutschland zugunsten italienischer und österreichischer Arbeitskräfte distanzieren würden.
Könnte sich eine mit letzter Konsequenz durchgeführte einseitige Lenkung unserer Überzeugung nach nur negativ auf die zwischenstaatlichen wirtschaftlichen und arbeitsmarktlichen Beziehungen auswirken, frägt es sich, ob andererseits nicht eine andere, gemässigtere Form der Beeinflussung schweizerischer Rekrutierungen gefunden werden könnte. In dieser Richtung zeichnet sich eine erfolgversprechende Möglichkeit in der sehr zuvorkommenden Art ab, mit der, wie seitens einiger schweizerischer Firmen betont wird, deutsche Arbeitsämter unsern Arbeitgebern, die ihre Dienste beanspruchen, in der Rekrutierung von Arbeitskräften an die Hand gehen. Gute Erfahrungen auf diesem Gebiete sprechen sich bekanntlich rasch herum und es kann deshalb damit gerechnet werden, dass die schweizerischen Arbeitgeber bei Bedarf an deutschen Arbeitskräften sich in zunehmendem Masse an die deutschen Arbeitsämter wenden werden. Wenn die Arbeitsämter über einen ansehnlichen Teil der Rekrutierungen schweizerischer Arbeitgeber zum vornherein orientiert sind, haben sie es in der Hand, sich gegenseitig zu informieren und gewisse, den arbeitsmarktlichen Verhältnissen in den verschiedenen Gegenden Rechnung tragende Ausgleiche in der Vermittlung von Arbeitskräften vorzunehmen.
Es muss allerdings deutlich darauf hingewiesen werden, dass u. E. einer Vermittlung von Arbeitskräften aus den nördlicheren Teilen Deutschlands ziemlich enge Grenzen gesetzt sind. Neben der Frage der Anpassung an unsere Verhältnisse, die wir bereits weiter oben angeschnitten haben, sind vor allem die Distanzen zu berücksichtigen. Da die z. Zt. im Ausland rekrutierten Arbeitskräfte ausschliesslich zur Deckung eines Hochkonjunkturbedarfes herangezogen werden, kommt für sie in der Regel nur ein vorübergehender Aufenthalt, nicht aber eine dauernde Festsetzung in der Schweiz in Frage. Um Festsetzungstendenzen zu verhindern und auch aus Gründen des Wohnungsmarktes werden diese Arbeitskräfte grundsätzlich nur ohne Familienanhang zugelassen. In dieser Situation muss, besonders wenn die Voraussetzungen für die zusätzliche Beschäftigung von Ausländern noch längere Zeit anhalten sollten, die Möglichkeit bestehen, dass die in Frage stehenden Arbeitskräfte von Zeit zu Zeit ihre Angehörigen aufsuchen können. Für Deutsche aus den nördlichen Landesteilen werden die Kosten für solche Urlaubsreisen nur mehr schwer tragbar sein.
Unsere Erwägungen zusammenfassend, gelangen wir zum Schluss, dass eine straffe staatliche Lenkung der Rekrutierung deutscher Arbeitskräfte weder den deutschen noch den schweizerischen arbeitsmarktlichen Interessen nützen würde und dass sie deshalb wohl abzulehnen sei. Andererseits können wir dem Bedürfnis der beteiligten deutschen Bundesländer, bei der Vermittlung von Arbeitskräften für die Schweiz einen den arbeitsmarktlichen Verhältnissen Rechnung tragenden Ausgleich unter sich zu schaffen, unser Verständnis nicht versagen. Ein, wenn auch nicht durchgreifendes, so doch den Bedürfnissen der Wirtschaft angepasstes Mittel hierzu sehen wir im vermehrten Ausbau der Auslandsvermittlung durch die deutschen Arbeitsämter und in der Koordinierung ihrer diesbezüglichen Bemühungen.
Was die von Herrn Dunand gewünschte Beschaffung von Dokumentierungen über die Rekrutierung deutscher Arbeitskräfte für die Schweiz anbelangt, müssen wir Ihnen leider mitteilen, dass wir, was bei der völligen Freiheit unserer Arbeitgeber in dieser Beziehung ja leicht verständlich ist, über eine solche nicht verfügen.
- 1
- Schreiben: E 2001(E)1969/121/152. Das Schreiben ist von Vize-Direktor M. Holzer in Vertretung des Direktors unterschrieben worden. Handschriftliche Notiz von A. Zehnder vom 2. August 1951: H. Koenig. Gelegentlich mit H. Rothmund besprechen. Ich habe es ihm versprochen.↩
- 2
- Nicht abgedruckt.↩
- 3
- Nicht abgedruckt.↩
- 4
- Nicht abgedruckt.↩
- 5
- Vgl. das Protokoll der interdepartementalen Konferenz vom 29. Mai 1951. Nicht abgedruckt.↩
- 6
- Vgl. E 7175(B)1976/215/15.↩
- 7
- Es handelt sich um Anton Storch.↩
- 8
- Vgl. das Schreiben von A. Zehnder an M. Kaufmann, ebd. (dodis.ch/8908).↩
- 10
- Für die Tabelle vgl. dodis.ch/8080. Pour le tableau, cf. dodis.ch/8080. For the table, cf. dodis.ch/8080. Per la tabella, cf. dodis.ch/8080.↩
- 11
- Fussnote im Text: 2) solche mit Bewilligungen zu befristetem Aufenthalt sowie Grenzgänger, aber ohne Flüchtlinge und Emigranten.↩
- 12
- Für die Tabelle vgl. dodis.ch/8080. Pour le tableau, cf. dodis.ch/8080. For the table, cf. dodis.ch/8080. Per la tabella, cf. dodis.ch/8080.↩
- 13
- Vgl. Anm. 11.↩
- 14
- Vgl. Anm. 11.↩
Tags
République fédérale d'Allemagne (Économie)