Stand der Wirtschaftsverhandlungen zwischen der Schweiz und Rumänien: Entschädigung verstaatlichten schweizerischen Eigentums, praktische und finanzielle Bedingungen des Handelsverkehrs.
Pubblicato in
Documenti Diplomatici Svizzeri, vol. 18, doc. 66
volume linkZürich/Locarno/Genève 2001
Dettagli… |▼▶Collocazione
Archivio | Archivio federale svizzero, Berna |
Vecchia segnatura | CH-BAR E 9500.2-04(A)1970/356 6/2 |
dodis.ch/7238 Interner Bericht der schweizerischen Gesandtschaft in Bukarest1 BERICHT ÜBER DIE 1. SITZUNG ZWISCHEN DER SCHWEIZERISCHEN UND DER RUMÄNISCHEN DELEGATION, WELCHE AM 30. OKTOBER 1950 IN DEN RÄUMEN DES RUMÄNISCHEN AUSSENHANDELSMINISTERIUMS VON 1900–2130 UHR STATTFAND
Nach Austausch der gegenseitigen Begrüssungsadressen kam Herr Rădulescu auf die Note des Politischen Departementes vom 30. September2 zu sprechen. Er erklärte im Namen der rumänischen Regierung, mit deren Inhalt grundsätzlich einverstanden zu sein. Er bat daraufhin Herrn Minister Troendle, den schweizerischen Standpunkt näher darzulegen. Herr Minister Troendle ging sofort in medias res, d. h. er gab nähere Erläuterungen der in oberwähnter Note aufgeführten Traktandenliste für die in Aussicht genommenen späteren Verhandlungen Schweiz-Rumänien. Herr Minister Troendle führte dabei u. a. aus:
1. In erster Linie müssten Fragen der Vergangenheit abgeklärt und geregelt werden; nämlich:
a) Liquidation der alten Verträge
b) Entschädigung der schweizerischen Interessenten
c) Vergütung von der Schweiz gehörenden Waren, welche infolge Kriegsgeschehen verloren gegangen sind.
ad a) Es handelt sich in der Hauptsache um technische Fragen, insbesondere nämlich um Transferfragen (nicht ausgeführte Transfers wegen Kursdifferenz).
ad b) Hier handelt es sich um die Entschädigung der durch Nationalisierung, Expropriation und Konfiskation geschädigten schweizerischen Staatsangehörigen3. Die Schweiz vertritt dabei den Standpunkt, jeder Staat könne seine Wirtschaft und seine Politik gestalten wie es ihm beliebe; die Schweiz werde sich nie darin einmischen; sie suche vielmehr auf wirtschaftlichem Gebiete mit allen Staaten Kontakt, und zwar auch mit solchen die ihre Wirtschaft nach andern Prinzipien aufbauen. Sobald jedoch schweizerische Interessen durch Massnahmen des Drittstaates getroffen würden, verlange die Schweiz gemäss internationalem Recht volle, adäquate und effektive Entschädigung. Durch die oberwähnten Massnahmen der rumänischen Regierung seien insbesondere schweizerische Interessen in der rumänischen Elektrizitätswirtschaft, im rumänischen Geschäftsleben, in der rumänischen Chemie und in der Lebensmittelindustrie getroffen worden. Das gleiche sei der Fall bezüglich Ländereien, Häuser und Aktien rumänischer Firmen, soweit sich diese Wertpapiere in Schweizerbesitz befanden. Über das Ausmass dieser Schäden würden gegenwärtig in der Schweiz Erhebungen durchgeführt. Die Schweiz verlange, dass jeder Fall individuell behandelt werde. Sollte dies zu allzu grossen Schwierigkeiten führen, müsste sie als Schadenersatz eine Globalsumme heischen.
ad c) Hier handelt es sich um nachstehend aufgeführte Güterkategorien:
aa) Transnistrische Ware gekauft und bezahlt durch die Schweiz (Getreide und Fourrage) requiriert durch russische Truppen. Gemäss Waffenstillstandsvertrag vom 12. September 1944 sei Rumänien gehalten, für diese Schäden aufzukommen, deren Totalwert 3’700’000 Schweizerfranken betragen.
bb) Rumänische Ware bezahlt und Eigentum schweizerischer Käufer, requiriert durch lokale Behörden, weshalb Rumänien ebenfalls Entschädigung leisten müsse.
cc) Waren, die im Transit durch Rumänien verloren gingen. Hier muss in jedem einzelnen Falle abgeklärt werden, ob es sich um Kriegsschäden oder militärische Requirierung handelt, für welch letztere Rumänien schadenersatzpflichtig sei. Es sei im übrigen nicht das erste Mal, dass diese Frage mit den Rumänen besprochen werde. Verschiedene Fälle hätten bereits eine Regelung gefunden, andere hingegen seien wegen Unterbruchs der Verhandlungen unerledigt geblieben.
2. Bezüglich des zukünftigen Warenverkehrs zwischen den beiden Ländern bemerkte Herr Minister Troendle, dass trotz Unterbruch der Besprechungen kein vertragsloser Zustand herrsche. Er erinnerte an den Handelsvertrag vom 25. August 19304 (Convention provisoire) ergänzt am 16. Januar 19335. Diese Dokumente enthalten jedoch einzelne Klauseln, die beidseitig nicht mehr beachtet werden. Da nie gekündigt, seien sie formell immer noch in Kraft. Die Schweiz habe gegen einen Weiterbestand dieser Verträge nichts einzuwenden; eventuell könnten auf Verlangen von Rumänien gewisse dieser Klauseln in einen neuen Vertrag übernommen werden.
Am 29. Juni 1946 sei der letzte Vertrag unterzeichnet worden, zu dem noch als integrierender Bestandteil das Liquidationsprotokoll gehöre6.
Sollte ein textlich neuer Vertrag aufgesetzt werden, müsste zuerst über das Prinzip des gegenseitigen Waren- und Zahlungsverkehrs eine Einigung gefunden werden. Die Schweiz müsse im Prinzip dabei absolute Freiheit im Waren- und Zahlungsverkehr verlangen. Sollte eine derartige Lösung nicht möglich sein, könnte schweizerischerseits nur eine solche akzeptiert werden, die von diesem Prinzip möglichst wenig abwiche. Denn die Schweiz kenne keine Importbewilligung, ausgenommen für gewisse landwirtschaftliche Produkte, für welche sie selber eine begrenzte Bewirtschaftung habe. Vor einigen Monaten seien auch sämtliche Exportbewilligungen abgeschafft worden; 3–4 genau umschriebene Artikel dürfen jedoch nicht ausgeführt werden (Maschinen zur Herstellung von Uhren und Spitzen, Schrott, Knochen), sowie Kriegsmaterial. Sofern der Drittstaat keine Währung besitze, die bedingungslos konvertibel sei, müsse die Schweiz auf ein technisches Abkommen hinzielen, um zu erreichen, dass der Drittstaat in der Schweiz über die notwendigen Disponibilitäten verfüge.
In diesem Rahmen könne die Schweiz einem neuen Vertrag mit Rumänien zustimmen.
Herr Rădulescu replizierte, der Vertrag von 1946 müsse aufgehoben werden, weil er durch die Verhältnisse überholt sei. Die Schweiz möge erklären, was sie vom alten Vertrag beibehalten wolle, sowie was sie neu dazu wünsche.
Was nun aber die angeblich geschädigten schweizerischen Interessen in Rumänien anbelange (Nationalisierung und deren Folgen), so könne er nicht sagen, ob nicht die rumänischen Interessen durch die von der Schweiz verhängte Blockade7 mehr betroffen worden seien, als die schweizerischen in Rumänien. Denn die blockierten rumänischen Guthaben betrügen das vielfache vom Totalwert der angeblich verletzten schweizerischen Interessen in Rumänien. Er ersuche daher Herrn Minister Troendle, eine Liste der verlangten Entschädigungssumme vorzulegen. Ebenfalls sollte eine Liste bezüglich der in Rumänien verloren gegangenen Güter produziert werden. Im übrigen seien auch rumänische Waren in der Schweiz verloren gegangen.
In bezug auf die zukünftigen Handelsbeziehungen behauptete Herr Rădulescu, in der Schweiz bestünde keine freie Wirtschaft. In Rumänien stelle der Handel Staatsmonopol dar und innerhalb desselben sei er absolut frei. Rumänien kenne keinerlei Exportrestriktionen. Rumänien kenne jedoch Import- und Exportpläne; Import- und Exportlisten würden die Basis für eine Vereinbarung mit der Schweiz bilden. Rumänien müsse die Einfügung gewisser Klauseln verlangen, damit die Handhabung der Verträge gesichert sei. Mit der Errichtung eines Frankenkontos in der Schweiz ist Herr Rădulescu einverstanden.
In bezug auf den Vertrag aus dem Jahre 1930 bedingt Herr Rădulescu sich Zeit aus, um dieses Dokument studieren zu können.
Herr Minister Troendle ist höchst überrascht über die Einstellung Rumäniens bezüglich schweizerischer und rumänischer Schäden, denn schliesslich sei in Rumänien nationalisiert und konfisziert worden, dieweilen die Schweiz lediglich eine provisorische Kontrolle eingeführt habe, weil zwischen den beiden Ländern über gewisse Fragen nicht verhandelt werden konnte, über die heute u. a. gesprochen werden kann. Er, Troendle, kenne die rumänischen Guthaben in der Schweiz nicht. – Frühestens im Januar 1951, nach Durchführung der Enquete8 werde eine detaillierte Liste über die schweizerischen geschädigten Interessen in Rumänien eingereicht werden. – Zu dem oberwähnten Punkte c) würde Rumänien ebenfalls eine vollständige Dokumentation vorgelegt werden. Dokumentation, die bereits früher einmal Rumänien unterbreitet worden sei.
Was die zukünftigen gegenseitigen Beziehungen anbelange, sei zu sagen, dass die Schweiz keine Warenlisten mehr zu erstellen wünsche und die Tendenz verfolge, diese wo immer möglich aufzuheben. Solche würden höchstens wegen praktischen Erwägungen belassen werden, doch wären im allgemeinen mit solchen Listen schlechte Erfahrungen gemacht worden, nämlich dann, wenn der Plan des Drittlandes mit den Listen nicht übereinstimme.
Bezüglich des Zahlungssystems bemerkte Herr Minister Troendle, man könne sich auf dem bestehenden Prinzip finden, sofern Rumänien einverstanden sei.
Herr Rădulescu erwiderte, die rumänischen Massnahmen (Nationalisierung, etc.) hätten einen generellen Charakter und seien die Folgen der in Rumänien bestehenden Auffassungen; sie seien gegen keinen Staat gerichtet, demzufolge auch nicht gegen die Schweiz, resp. schweizerische Interessenten. Das erhelle übrigens aus der Tatsache, dass Rumänien auch nach Vornahme dieser Massnahmen in den Schweizerbanken viel Geld deponiert liess. Die Handlungsweise der Schweiz dagegen (Blockierung) sei direkt gegen Rumänien gerichtet gewesen.
Herr Minister Troendle skizzierte die Situation auf dem schweizerischen Markte, die durch eine gespannte Preislage charakterisiert sei, weil nämlich die ganze Welt in der Schweiz verkaufen wolle, um Schweizerfranken zu bekommen. Da die Schweiz in erster Linie Gebrauchsgüter und erst in zweiter Linie Investitionsgüter exportiere, würde es sicher schwierig sein, sich mit Rumänien bezüglich Erstellung von Warenlisten zu einigen. Gegebenenfalls müssten diese Waren unterteilt werden, nach dem Prinzip Waren Interesse 1. Klasse, Waren Interesse 2. Klasse.
Herr Rădulescu erklärte, wenn die Schweiz am Export nach Rumänien interessiert sei, sei Rumänien seinerseits bereit, die bezogenen Waren durch eigene rumänische Waren zu bezahlen. Sie seien einverstanden, Uhren und Textilien im Umfange von je 25% des Gesamtimportes aus der Schweiz zu beziehen, wofür korrespondierende Waren aus Rumänien bezogen werden müssten.
Herr Minister Troendle stellte fest, die Schweiz könne nicht zulassen, dass ein Land bei ihr gleichsam nur die Rosinen aus dem Kuchen der offerierten Waren herauspicke; der besonderen Struktur unserer Wirtschaft Rechnung tragend, müssten wir eine allgemeine Verteilung verlangen, wobei jedoch die Schweiz nicht starr an einem Prozentsatz halte.
Herr Minister Troendle führte im weiteren aus, bis jetzt sei der Handel mit Rumänien bilateral geregelt gewesen. In letzter Zeit habe sich jedoch feststellen lassen, dass im Osten Europas multilaterale Verhältnisse bestünden. Als Beispiel erwähnte Herr Minister Troendle, Bulgarien verkaufe der Schweiz Eier unter der Bedingung, dass ein Teil des Kaufpreises nicht dem bulgarischen, sondern dem rumänischen Clearing überwiesen werde. Die Schweiz habe gegen ein solches Vorgehen nichts einzuwenden, sofern es sich mit ihrem Interesse decke. Doch müsse schweizerischerseits die Frage erhoben werden, ob die importierten Güter in der Schweiz verbraucht werden müssen, oder ob sie reexportiert werden könnten. Dies abzuklären sei wichtig, weil die Schweiz den Reexport nicht verbiete. Dieses multilaterale System falle der Schweiz nicht unbequem, da er die Handelsmöglichkeiten erhöhe.
Herr Minister Troendle bat um Bekanntgabe der rumänischen Stellungnahme zu diesem Problem.
Herr Rădulescu war nicht in der Lage, vor Befragen der übrigen Kominformstaaten eine Antwort zu geben.
- 2
- Vgl. die diplomatische Note von E. Bernath an die rumänische Gesandtschaft in Bern vom 30. September 1949, E 2001(E)1967/113/778; vgl. auch Nrn. 7 und 21 in diesem Band.↩
- 3
- Nicht abgedruckt.↩
- 4
- Vgl. AS, 1930, Bd. 46, S. 503–505.↩
- 5
- Vgl. AS, 1933, Bd. 49, S. 73–78 und S. 79–84.↩
- 6
- Vgl. das Abkommen zwischen der schweizerischen Eidgenossenschaft und dem Königreich Rumänien über den Warenaustausch und den Zahlungstransfer (vom 29. Juni 1946), AS, 1947, Bd. 63, I, S. 165–169.↩
- 7
- Vgl. BR-Prot. Nr. 1938 vom 20. August 1948, E 1004.1(-)-/1/496.↩
Tags
Nazionalizzazione di beni svizzeri