Classement thématique série 1848–1945:
II. RELATIONS BILATÉRALES
II.1. ALLEMAGNE - RELATIONS POLITIQUES
Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 15, doc. 295
volume linkBern 1992
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2809#1000/723#72* | |
Old classification | CH-BAR E 2809(-)1000/723 5 | |
Dossier title | Diverse Einzelfälle (1943–1945) |
dodis.ch/47899
Es sind nun über 8 Tage her, dass ich bei einem Besuch bei Staatssekretär Steengracht vernommen habe, dass Sie im Zusammenhang mit der russischen Antwort Ihren Rücktritt erklärt hätten2. Sie können sich denken, dass mich diese Nachricht überraschte und dass ich mit grösstem Bedauern von ihr Kenntnis nahm.
Herr Steengracht teilte dieses Bedauern und ich möchte beifügen, dass er keineswegs Einwendungen erhob, dass wir uns bemühten, unsere Beziehungen mit Russland zu normalisieren. Er fragte mich nur, ob es richtig sei, dass Deutschland zur Zeit des deutsch-russischen Bündnisses eine Art Druck auf die Schweiz ausgeübt habe, die Beziehungen mit Russland aufzunehmen. Ich antwortete, dass mir davon nichts bekannt sei und dass ich es, wenn es richtig wäre, doch wissen müsste. Ich erinnere mich nur an ein persönliches Gespräch mit Minister Koecher aus jener Zeit, bei dem ich selbst meiner Meinung Ausdruck gegeben hatte, dass vielleicht jetzt der Moment gekommen wäre, um die Beziehungen mit Russland aufzunehmen. Die Reaktion Koecher’s liess aber den Schluss zu, dass er bezüglich solcher Bestrebungen Bedenken hatte. - Aber auch sonst ist man in deutschen offiziellen Kreisen hier offenbar der Ansicht, dass die Frage unserer Beziehungen zu Russland eine schweizerische Angelegenheit sei, in die sich die Deutsche Regierung nicht einzumischen habe.
Wie ich ferner höre, bedauert man auch im Führerhauptquartier Ihren Rücktritt lebhaft. Wohl kennt man dort Ihre Einstellung zum Nationalsozialismus und Ihre Ansicht, was ein Sieg Deutschlands für unser Land zur Folge gehabt hätte. Aber in der veränderten Kriegslage weiss man heute die gerade Linie der schweizerischen Neutralitätspolitik zu schätzen. Man weiss auch, dass Sie sich immer für diese Neutralitätspolitik eingesetzt haben und bedauert den Weggang des Aussenministers, dessen Persönlichkeit eine erhöhte Garantie für die Fortsetzung dieser Politik war.
Ich kann mir denken, dass es schwerwiegende persönliche Gründe gewesen sind, die Sie zu Ihrem Entschluss veranlassten und dass Sie auch dem Lande unerfreuliche und abträgliche Diskussionen ersparen wollten. Aber auch so bleibt doch so vieles übrig, weshalb man Ihren Abschied aus der obersten Landesbehörde aufs tiefste bedauern muss. Ein Mitglied der Berliner Kolonie hat das Ergebnis der folgenden Erwägungen, allerdings in lapidarer Form, zum Ausdruck gebracht wenn er sagt, dass er jetzt überhaupt nichts mehr verstehe.
Wie der Herr Bundespräsident erklärt hat, hat auch nach der russischen Antwort die Schweiz keinen Anlass, die Grundsätze ihrer Aussenpolitik zu ändern. Sicherlich hat unser Land aber auch ein Interesse, diesen Grundsatz der Kontinuität in personeller Hinsicht zu unterstreichen und es ist immer nachteilig, wenn aus irgendwelchen Gründen davon eine Ausnahme gemacht werden muss.
Der Misserfolg unserer Bemühungen bezüglich Russland wird von meinen hiesigen neutralen Kollegen nicht als sehr schwerwiegend betrachtet. Es wird da die Meinung vertreten, dass es Russland hauptsächlich darauf ankam, seine jetzige Machtstellung zu betonen. Wir hatten uns bisher, namentlich mit den öffentlichen Diskussionen in Presse und Parlament, so benommen, als ob es bloss auf uns ankäme, ob die Beziehungen mit Russland aufgenommen werden können oder nicht. Mit ruhigem Blut und geschickter Diplomatie glaubt man in diesen Kreisen, dass es uns möglich sein werde, mit der Zeit die Sache wieder in Ordnung zu bringen. Auch ich teile diesen Optimismus und finde es bedauerlich, dass die ungehobelte russische Antwort, mit der allerdings früheres zurückbezahlt wird, noch gewissermassen mit der Demission des Aussenministers honoriert wird. Es ist ja auch abwegig, den Misserfolg dieser Bemühungen dem Leiter des Politischen Departements zuschreiben zu wollen. Als Sie das Politische Departement übernahmen, wurde mit Russland das Handelsabkommen abgeschlossen und Sie haben die erste Gelegenheit, wo wir nicht mehr vom russlandfeindlichen Ausland umschlossen waren, benützt, um diese Beziehungen wieder aufzunehmen und zu normalisieren. Was vorher verpasst wurde, kann man Ihnen selbstverständlich nicht ankreiden.
Vor allem aber erscheint Ihr Weggang ungerechtfertigt, weil Sie gerade jetzt auf die grössten Erfolge unserer Aussenpolitik zurückblicken können. Nie war die Schweiz in grösserer Gefahr, als bei Beginn Ihres hohen Amtes als Chef des Politischen Departements3. Wenn wir heute unzerstörte Städte und Dörfer, eine gesunde Bevölkerung und eine intakte Wirtschaft haben, so kommt Ihnen, hochverehrter Herr Bundesrat, dabei das grösste Verdienst zu. Mit Meisterschaft haben Sie in dieser kritischen Zeit die Aussenpolitik geleitet und Sie können heute, wo der grösste Sturm vorüber ist, mit berechtigter Genugtuung auf das dem Lande Geleistete zurückblicken. Ich bin überzeugt, dass wenn das Schweizervolk wieder etwas Distanz von den Dingen des Tages genommen hat, es diese Erkenntnis teilen und Ihnen den wohlverdienten Dank abstatten wird.
Für das Vertrauen und die Hilfe, die Sie mir immer entgegengebracht haben, möchte ich Ihnen meinen tiefgefühlten Dank aussprechen. Auch meine Mitarbeiter denken und empfinden wie ich in dieser Sache und schliessen sich meinem Dank an. Einen besonderen Dank bitte ich Sie, Ihrer hochgeehrten Frau Gemahlin zu übermitteln für die Hilfe, die Sie den Unterstützungsbedürftigen meiner Kolonie hat angedeihen lassen.
Neue Aufgaben stehen der schweizerischen Aussenpolitik bevor. Die Normalisierung der Beziehungen mit Russland ist nicht die einzige wichtige. Gerade die Schwierigkeiten, denen wir bei Verfolgung dieses Zieles begegnen, müssen uns veranlassen, mit Frankreich möglichst bald ins reine zu kommen und nicht abzuwarten, bis man uns auch dort von Moskau aus die Suppe versalzt. Die Normalisierung der Beziehungen zu allen Staaten ist ja ein Erfordernis unserer Neutralitätspolitik und trotz der veränderten Machtposition in Europa dürfte noch kein Anlass bestehen, den Grundsatz der Neutralität preiszugeben, sich an einer Kriegsversicherung aktiv zu beteiligen oder die eigene Sicherheit in der Anlehnung an die Atlantikstaaten zu suchen. Mit der Zeit und im Frieden wird vielleicht doch überall die Erkenntnis kommen, dass die Neutralität der Schweiz sich wohl in ein Sicherheitssystem einfügt und dass diese Neutralität nicht nur im Interesse der Schweiz liegt, sondern auch den wohlverstandenen Interessen Europas und der Welt dient.
- 1
- E 2809 1/5. Annotation de M. Pilet-Golaz en haut du document: 23.11.44.↩
- 2
- Cf. No 288.↩
- 3
- Après la mort de G. Motta, M. Pilet-Golaz est devenu Chef du Département politique en mars 1940.↩