Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 15, doc. 264
volume linkBern 1992
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
Archival classification | CH-BAR#E2300#1000/716#783* | |
Dossier title | Paris, Politische Berichte und Briefe, Militärberichte, Band 97-98 (1944–1944) |
dodis.ch/47868 Le Chargé d’Affaires a.i. de Suisse à Berlin, A. Zehnder, au Chef du Département politique, M. Pilet-Golaz1
In den letzten 8 Tagen musste ich wiederholt mit Herren des Auswärtigen Amtes speisen. Es fiel mir auf, dass dabei die Gespräche stets auf zwei Fragen gelenkt wurden: die Stellung des Marschalls Pétain und die Beziehungen der Schweiz zur Sowjetunion: 1) Es stehe einwandfrei fest, erklärten mir die Herren, dass Marschall Pétain seinerzeit mit 2/3-Mehrheit von der französischen Assemblée nationale als Staatschef Frankreichs gewählt wurde. In dieser Eigenschaft wurde er auch von fast allen Ländern der Welt anerkannt. Die Vereinigten Staaten von Nordamerika, die Schweiz, Schweden, etc. unterhielten zur Regierung von Vichy diplomatische Beziehungen. Nachdem Frankreich durch die alliierten Truppen besetzt worden ist, musste Marschall Pétain Frankreich verlassen. Sollte jedoch Frankreich von deutschen Truppen zurückerobert werden so wird Marschall Pétain nach Frankreich zurückkehren. In diesem Falle wird er selbstverständlich seine Tätigkeit als Staatschef wieder aufnehmen. Es handelt sich somit heute lediglich um einen Unterbruch und nicht um das Aufhören der Ausübung der Funktionen. Der Marschall habe in der Tat weder demissioniert und einen Nachfolger für sich bezeichnet, noch erklärt, dass er infolge der Ereignisse sich nicht mehr als Staatschef Frankreichs betrachte. Auf den Einwand, es lägen authentische Äusserungen des Marschalls im Sinne der zuletzt vorstehend erwähnten und deutscherseits verneinten Eventualität vor, wurde stets erwidert, ich dächte wahrscheinlich an den Brief des Marschalls vom 20. August an den Führer, den der Marschall dem Nuntius und Herrn Minister Stucki bekanntgegeben hatte2. Bei einer aufmerksamen Lektion dieses Briefes wird man aber feststellen müssen, dass der Marschall aus seiner Verbringung nach Deutschland lediglich den Schluss gezogen hat, dass er nicht mehr in der Lage sei «d’exercer ses fonctions de Chef d’Etat», nicht aber, dass er «cesse d’être Chef d’Etat». Da der Marschall seit diesem 20. August bis heute keine anderslautende Erklärung abgegeben hat, anerkennt Deutschland3 nur ihn allein als den Staatschef Frankreichs. De Gaulle ist somit ein Usurpator; er bemühe sich übrigens, im Bewusstsein seiner ungeklärten Stellung, eine Konstruktion zu finden, wonach er der unmittelbare Nachfolger von Präsident Lebrun sei. Je mehr Konstruktionen de Gaulle suche, um die Legalität seiner Regierung nachzuweisen, umso mehr bestärkt er die deutsche Regierung in ihrer loyalen Haltung gegenüber Pétain.
2) Die Frage der schweizerischen Beziehungen zur Sowjetunion scheint die Reichsregierung ebenfalls zu interessieren. So wurde mir erzählt, dass nach der Erklärung der Russen vom Sommer dieses Jahres, sie hätten kein Interesse an Ländern, die ihre Beziehungen zur Sowjetunion bisher nicht normalisiert haben, an Sie eine Anfrage wegen der Zulassung eines Korrespondenten der Agentur Tass4 in Bern von Moskau aus gekommen sei. Sie hätten die Anfrage positiv beantwortet, und der Agent sei im September nach Bern gekommen. Das Auswärtige Amt glaube zu wissen, dass Gespräche mit Moskau über diesen Agenten liefen. Ich habe stets erklärt, ich wüsste nichts davon. Der nach Berlin zurückgekehrte Gesandte Schnurre bestätigte seinerseits, dass er nach der mit Ihnen gepflogenen Rücksprache den Eindruck hatte, der Bundesrat strebe nicht die Normalisierung der diplomatischen Beziehungen um jeden Preis an, sondern lasse sich Zeit.
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France (Politics)
Vichy France