Classement thématique série 1848–1945:
II. RELATIONS BILATÉRALES
II.6. CHINE
Abgedruckt in
Diplomatische Dokumente der Schweiz, Bd. 15, Dok. 148
volume linkBern 1992
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Archiv | Schweizerisches Bundesarchiv, Bern | |
▼ ▶ Signatur | CH-BAR#E2809#1000/723#33* | |
Alte Signatur | CH-BAR E 2809(-)1000/723 2 | |
Dossiertitel | Chine (1944–1944) | |
Aktenzeichen Archiv | 3.1 |
dodis.ch/47752
Der chinesische Geschäftsträger, Herr Jen Ki-Sin, spricht verabredungsgemäss heute um 10 Uhr 30 vor, um mir im Auftrag seiner Regierung erneut mitzuteilen, dass es chinesischerseits sehr begrüsst würde, wenn die Schweiz sich zur Entsendung eines diplomatischen Vertreters, sei es eines Geschäftsträgers oder natürlich noch lieber eines Gesandten, nach Chungking entschlösse.
Herr Jen fügt bei, er habe unlängst Gelegenheit gehabt, gesprächsweise Herrn Bundesrat Pilet-Golaz von diesem Wunsche Kenntnis zu geben; Herr Pilet-Golaz habe erwidert, die Entsendung eines Gesandten könne kaum in Frage kommen, vielleicht aber diejenige eines Handelsdelegierten. Wenn es sich dagegen um einen höhern diplomatischen Beamten handle, so wäre allerdings genauere Prüfung der Frage noch nötig. Herr Jen bemerkt ferner, Herr Pilet-Golaz habe ihm im Prinzip eine Audienz zugesichert, zu der er gemeinsam mit dem General Kuei2, dem Freunde des Marschalls und frühem Militärattachés in Berlin, erscheinen würde. Er habe das Gesuch bereits durch das Protokoll eingeleitet, verstehe aber, dass die bevorstehende Juni-Session3 den Chef des Politischen Departements stark absorbiere.
Ich habe Herrn Jen, nunmehr zum dritten oder vierten Male4, unsern Standpunkt in aller Ruhe und Freundschaft dargelegt; nämlich 1) den Grundsatz, unsere eigene Aussenvertretung - gleich wie das diplomatische Korps in Bern - möglichst unverändert in dem Zustande zu belassen, in dem es sich bei Kriegsausbruch, anfangs September 1939, befunden habe; 2) die Schwierigkeit, Herrn Generalkonsul Fontanel, der ja auch heute noch in Chungking beglaubigt ist, von den wichtigen und schwierigen Aufgaben abzuziehen, die er in Shanghai zu erledigen hat, und ihn nach Chungking zu senden (nebenbei, auf welchem Wege?), wo er praktisch nichts zu tun hätte. Es sei in der Tat offensichtlich, dass wir in den Gebieten, die gegenwärtig von der Regierung des Marschalls Chiang Kai-Chek kontrolliert werden, sozusagen keine Interessen haben; die Anwesenheit eines diplomatischen Vertreters hätte also keine andere Bedeutung als die einer politischen Geste. An den Gefühlen aufrichtiger Freundschaft des Bundesrates könne aber die Regierung von Chungking, die einzige von ihm anerkannte chinesische Regierung, nicht zweifeln, und es sei sicherlich unser Wille, diese Freundschaft zu pflegen und die Beziehungen auszubauen. Dafür müsse man uns aber etwas Zeit lassen, und es sei nötig, eine günstige Gelegenheit abzuwarten.
Herr Jen, wie immer sehr geschmeidig und freundschaftlich, insistiert in der Form nicht allzusehr; aber es ist offensichtlich, dass es sich für seine Regierung um eine Frage handelt, der sie aus Prestigegründen einiges Gewicht beilegt. Herr Jen ermangelt denn auch nicht, auf die wirtschaftliche Bedeutung der schweizerisch-chinesischen Beziehungen für die Nachkriegszeit hinzuweisen, und recht geschickt findet er auch den «Rank», daran zu erinnern, dass Schweden demnächst einen Gesandten nach Chungking senden werde, der mit der Ermächtigung eintreffen soll, ein Abkommen über die Abschaffung der Kapitulationen, einschliesslich der Konsulargerichtsbarkeit, abzuschliessen. Über letztere Frage folgt eine besondere Notiz nach5. Erneut verweist er auf den Vorgang von Vichy, wo wir nicht gezögert hätten, den bei der französischen Regierung beglaubigten Gesandten an den neuen Sitz der Regierung nachfolgen zu lassen. Es fiel mir immerhin nicht schwer, die grundlegende Verschiedenheit der beiden Vorgänge ins Licht zu rücken.
Abschliessend erkläre ich, dass ich mich der Wichtigkeit der vorliegenden Frage vollauf bewusst sei, dass wir sie gründlich prüfen werden und dass ich meinem Chef einlässlich darüber berichten würde.
Zur Sache selbst darf ich daran erinnern, dass ich meiner Besorgnis wegen unserer Beziehungen zu Chungking wiederholt Ausdruck gegeben habe. Bei der grossen Rolle, die China als eine der leitenden vier Grossmächte zu spielen berufen scheint, halte ich dafür, wir dürfen uns nicht mit einer rein dilatorischen Behandlung begnügen und China mit leeren Vertröstungen hinzuhalten suchen. Die Frage ist grundsätzlich verschieden
1. von derjenigen der Wiederaufnahme der Beziehungen mit der USSR,
2. von derjenigen der Entsendung eines diplomatischen Vertreters zu den Exilregierungen, und
3. von derjenigen der Anbahnung von de facto-Beziehungen mit einem aus dem Kriegsgeschehen neu entstandenen «Staate» (Kroatien, soziale fascistische Republik Italien).
In der Tat sind die Beziehungen mit der Chungking-Regierung nie abgebrochen worden; sie hat ohne Unterbrechung eine Gesandtschaft in Bern unterhalten, und Herr Fontanel ist bei ihr als Geschäftsträger beglaubigt worden, lange bevor sie ihren Sitz von Nanking nach Chungking zu verlegen genötigt war. Seine Beglaubigung dauert nach wie vor an, und lediglich Umstände höherer Gewalt hindern ihn daran, sein Amt bei ihr auszuüben. Die Chungking-Regierung ist auch keine «Exil-Regierung», da sie auf dem nationalen Hoheitsgebiet residiert und den grössern Teil dieses Gebiets effektiv beherrscht. Ihre Legitimität vollends kann nicht in Zweifel gezogen werden: es handelt sich nicht einmal um die Rechtsnachfolgerin der frühem Nanking-Regierung, sondern es ist die nämliche Regierung wie die, bei der der Bundesrat seinen letzten Geschäftsträger in China beglaubigt hat.
Wenn schon eine Parallele zum Vergleich herangezogen werden soll, so könnte sie (neben Vichy) vor allem in Rom gefunden werden. Mit dem zu erwartenden Übergang von Rom in den Besitz der Alliierten dürfte sich allerdings die Frage unserer Vertretung bei der Badoglio-Regierung voraussichtlich in absehbarer Zeit fast von selbst klären, wogegen kaum damit gerechnet werden kann, dass Chungking schon so bald wieder in den Besitz von Shanghai gelangen werde6.
- 1
- E 2809 1/2. Paraphe: VR. Rédigé par C. Stucki et adressé au Chef du Département politique, M. Pilet-Golaz, qui l’a lu le 22 juin 1944.↩
- 3
- Il s’agit de la session de juin des Chambres fédérales.↩
- 4
- Le Chef du Département politique, M. Pilet-Golaz, a rencontré le 23 mars 1942 et le 13 novembre 1942 le Chargé d’Affaires de Chine, qui a eu un entretien avec C. Stucki le 31 août 1943 (cf. le compte-rendu de cette visite adressée par C. Stucki à P. Bonna (E 2001 (D) 3/80).↩
- 5
- Non retrouvé.↩
- 6
- Carl Stucki soulève enfin les problèmes de la nomination du personnel diplomatique suisse en Chine.↩
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Unabhängiger Staat Kroatien (1941-1945)