Classement thématique série 1848–1945:
V. POLITIQUE MILITAIRE
Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 15, doc. 112
volume linkBern 1992
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E5795#1000/951#89* | |
Old classification | CH-BAR E 5795(-)1000/951 4 | |
Dossier title | Persönliche Korrespondenzen, Notizen und Protokolle des Generals, vorwiegend militärische Angelegenheiten (1944–1944) | |
File reference archive | 1.C.1 |
dodis.ch/47716
Exposé du Chef de l’Etat-Major Général de F Armée, J. Huber, sur la situation politique et militaire de la Suisse1
EXPOSÉ DES CHEFS DES GENERALSTABES ÜBER DIE BEURTEILUNG DER LAGE, GEHALTEN AM 31.3.44 ANLÄSSLICH DER KONFERENZ DES GENERALS MIT DEN A.K.KDT.
A.
Die kürzliche Besetzung von Ungarn durch deutsche Streitkräfte hat Armeekommando und Bundesrat veranlasst, unsere militärische und politische Lage einer neuen Überprüfung zu unterziehen.
Für die Beurteilung der Lage, wie sie sich für das Armeekommando darstellt, sind folgende Überlegungen massgebend:I. Angriff auf die Schweiz seitens Deutschlands
Eine akute Gefahr ist heute in keiner Weise erkenntlich; jedenfalls ist sie geringer als seinerzeit anlässlich der alliierten Landung in Italien.
Eine latente Gefahr ist ständig vorhanden, jedoch nicht anders als seit dem Sommer 1941 (deutscher Angriff auf Russland). Aus der Besetzung von Ungarn können, wie ich später ausführen werde, meines Erachtens keine Parallelen in Bezug auf die Schweiz gezogen werden, abgesehen davon, dass dieses Ereignis erfreulicherweise wieder einmal manchen Eidgenossen die Augen über die vorhandene latente Gefahr sowie darüber öffnet, dass die deutsche Skrupellosigkeit zur Wahrung der eigenen Interessen auch heute noch unverändert vorhanden ist und dass für das gesamte Tun und Lassen der deutschen Machthaber nur die Erfolgswahrscheinlichkeiten massgebend sind.
Verfolgt man jedoch die Entwicklung der Ereignisse ständig und mit nüchterner Überlegung, so sind diese Feststellungen nichts neues.
Die anlässlich der Besetzung Ungarns da und dort eingetretene Beunruhigung in Bezug auf die Schweiz überraschte nicht daher und ist mir nicht recht erklärlich. Tage wie Aschermittwoch, Iden des März, Karfreitag, Ostern sind nicht anders als andere Tage des Jahres; wenn sie da und dort mit dem Beginn militärischer Aktionen zusammenfielen, so ist dies ausschliesslich dem Umstand zuzuschreiben, dass im fraglichen Zeitpunkt die mangelnde Bereitschaft des Anzugreifenden die grössten Erfolgsmöglichkeiten bot. Weiter zu gehen, wäre Aberglauben.
Man besetzt nicht Länder aus blosser Freude am Besetzen, sondern man tut es, wenn hiefür genügend wichtige Gründe vorhanden sind. Man besetzt auch nicht Flugplätze eines fremden Landes, wenn nicht Erdtruppen in genügender Stärke bereitgestellt sind, um sofort nachstossen zu können.
Auf Grund sicherer Nachrichten, welche das Armeekommando erhalten hat, waren die deutschen Streitkräfte am 1.3.44 wie folgt eingesetzt:
[...]2
Diese Verteilung dürfte bis heute im allgemeinen gleich geblieben sein; eher ist noch mit einer Zunahme der Streitkräfte im Osten und Südosten zu rechnen, was eine Verminderung in den ändern Räumen, mit Ausnahme von Italien bedeutet.
Für den Einsatz gegen die Schweiz kommen demnach heute im Maximum die 2 in Deutschland stehenden, sowie die 2 unbekannten Orts befindlichen Offensiv-Divisionen, also total 4 Divisionen für den sofortigen Einsatz in Betracht.
Bei der Besetzung von Ungarn scheinen mir mehr wirtschaftliche Interessen im Vordergrund gestanden zu haben, insbesondere die Beschaffung von Arbeitskräften und Nahrungsmitteln, als Ersatz für die verlorengegangene Ukraine. Die Aktion war nach zuverlässigen Meldungen seit Monaten vorbereitet; das Vorhandensein des betreffenden Vorbereitungsstabes in Pressburg war durch das Büro Hausamann dem Nachrichtendienst des Armeekommandos seit langem gemeldet. Der Zusammenbruch der deutschen Südostfront bewirkte lediglich die Auslösung der Aktion.
Im Gegensatz dazu ist es um den Vorbereitungstab in München seit längerer Zeit still geworden; Generaloberst Dietl, der den Feldzug gegen die Schweiz führen sollte, ist noch immer in Lappland und dürfte, insbesondere hinsichtlich der Lage in Finnland, dort noch weiterhin ausreichend zu tun haben.
Wie bereits angeführt, müssen für eine kriegerische Aktion vernünftigerweise auch ausreichende Gründe vorhanden sein. In Bezug auf die Schweiz können dies sein:
1. Sicherstellung der Alpenpässe und Bahnen durch die Alpen. Der Nachrichtendienst hat seinerzeit ausgerechnet, dass ein Zugriff Deutschlands auf diese notwendig sei, wenn mehr als 10 Divisionen in Italien stünden. Seit letzten Herbst befinden sich südlich der Alpen 18 Divisionen; trotzdem hat sich die Besetzung der Schweiz offenbar als noch nicht notwendig erwiesen.
2. Sicherstellung des durch den Jura geschützten Couloirs für den militärischen Verkehr nach und von Süd- und Zentralfrankreich. Die Bahnverbindungen durch die Belfortersenke sind für diesen Zweck zweifellos günstiger. Zu Punkt 1 und 2 ist gemeinsam zu bemerken, dass die durch unser Land führenden Kommunikationen verteidigt und zerstört werden; dies ist den Deutschen bekannt. Sie werden also eher auf das greifen, was sie ohnehin bereits im Besitz haben, als unbrauchbar gemachte Anlagen zuerst zu erobern.
3. Sicherstellung der Schweiz als Eckpfeiler der engern Festung Europa oder besser gesagt der Festung Grossdeutschland. Dieses Moment bedeutet für uns zweifellos die grösste Gefahr. Diese ist jedoch heute noch durchaus latent. Auch bei einer Invasion im Westen werden wir noch genügend Zeit haben, um die notwendigen Massnahmen zu treffen.
4. Wirtschaftliche Gründe:
a) Behändigung der schweizerischen Arbeitskraft: Unsere arbeitsfähigen Männer werden kämpfen.
b) Vorräte: Diese sind verhältnismässig gering und dürften für die Versorgung Deutschlands kaum eine wesentliche Rolle spielen, wenn sie überhaupt behändigt werden können.
c) Industrieanlagen und Eisenbahnmaterial: Die Zerstörung bzw. Unbrauchbarmachung ist vorbereitet und wird durchgeführt.
Das wirtschaftliche Potential der Schweiz wird daher im Falle eines Angriffs Deutschlands sehr gering sein, was den Deutschen bekannt ist.
5. Ideologische Gründe
Eine Eroberung der Schweiz kann in Betracht kommen zur «Mehrung des dritten Reiches».
Die massgebenden Stellen Deutschlands sind sich heute darüber klar, dass der Krieg verloren ist. Der Krieg wird heute in der Hoffnung verlängert, dass es doch noch zu einem Kompromissfrieden komme, wobei man sich keiner Täuschung darüber hingibt, dass die bisherige Beute (Frankreich, Belgien, Holland, Dänemark, Tschechei, Polen, Balkan) herausgegeben werden muss. In gleicher Weise muss in Bezug auf die Schweiz gerechnet werden. Das Postulat der Einverleibung der Schweiz in Deutschland hat demzufolge nur mehr propagandistischen Wert.
Der in Bezug auf eine Aktion gegen die Schweiz zu erwartende Erfolg müsste den Einsatz rechtfertigen. Dies scheint mir nicht gegeben zu sein. Insbesondere ist ein Vergleich mit Ungarn nicht zulässig, wo der alte Admiral Horthy gleich wie früher der alte Hacha und der alte Marschall Pétain durch Täuschungsmanöver in eine Falle gelockt und handlungsunfähig gemacht worden sind. Es ist heute erwiesen, dass die ungarische Armee den Befehl erhalten hat, die deutschen Truppen freundlich zu empfangen. Ferner scheinen in Ungarn zahlreiche Quislinge ihren Einfluss ausgeübt zu haben. Bei entschlossenem Widerstand wäre es nicht möglich gewesen, dass 100000 Deutsche 700000 mobilisierte Ungarn mit leichter Mühe unter ihre Gewalt brachten und innert kürzester Frist die Hauptstadt, die Flugplätze und die Bahnen besetzten.
In dieser Beziehung ist bei uns besser vorgesorgt, nicht zuletzt durch die Weisung des Bundesrates und des Armeekommandos vom 16.4.403 betreffend Verhalten der nicht unter den Waffen stehenden Wehrmänner bei Überfall, welche heute jeder Wehr mann in seinem Dienstbüchlein trägt:
«Wenn durch Radio, Flugblätter und andere Mittel Nachrichten verbreitet werden sollten, die den Widerstandswillen von Bundesrat und Armeekommando anzweifeln, so sind solche Nachrichten als Erfindung der feindlichen Propaganda zu betrachten. Unser Land wird sich gegen jeden Angreifer mit allen Mitteln und aufs äusserste verteidigen.»
Ferner sei auf die entsprechenden Weisungen in den vorbereiteten Plakaten betreffend Verhalten der Zivilbevölkerung im Kriegsfall hingewiesen, welche gleichzeitig mit den Plakaten betreffend Generalmobilmachung und Mobilmachung bei Überfall angeschlagen werden.II. Angriff der Alliierten auf die Schweiz
Aus Richtung Italien besteht heute zweifellos noch keine Gefahr.
Eine Invasion im Westen ist heute in Bezug auf den Zeitpunkt noch unbestimmt. Vielfach wird sie erst auf Ende Mai 1944 erwartet (vgl. rotes Nachrichtenbulletin vom 14.3.44)4. Sie kann früher eintreten, aber auch später. Auf alle Fälle werden wir aber genügend Zeit haben, um die notwendigen Massnahmen zu treffen.B.
1. Wenn es trotzdem als notwendig befunden werden sollte, die Armee über Ostern zu verstärken, so böte dies an sich eine günstige Gelegenheit, um nutzbringende Übungen (stilles Aufgebot oder Aufgebot von Regimentern durch gelbe Plakate) durchzuführen. Ich glaube aber, man sollte ausserordentliche Massnahmen wirklich nur bei Bedarf treffen.
Immerhin bin ich bereit, meinen Befehl vom 29.3.445 betreffend Urlaube über die Osterfeiertage zurückzuziehen und es bei der bisherigen Regelung der Beurlaubung von je lh der Bestände bewenden zu lassen.
2. Der gemäss Befehl des Generals vom 22.2.446 ausgearbeitete Ablösungsplan sollte beibehalten werden. Ein Mehr an Truppen scheint mir heute zwecklos. Sollte sich die Gefahr in der Luft erhöhen, so können jederzeit zusätzliche Fl.u.Flab.Trp. aufgeboten werden. Diese sind jedoch schon jetzt so mit Dienstleistungen belastet, dass eine vermehrte Inanspruchnahme nur bei Notwendigkeit erfolgen sollte. Auch sonst sollte die Anpassung an die Lage je nach der Entwicklung erfolgen.
3. Die von der Gruppe Ib auf 30.3.44 erstellte Beurteilung der Lage7, welche ich erst nach der Ausarbeitung meiner Beurteilung erhielt, stimmt im wesentlichen mit dieser überein; sie enthält noch einige Rückblicke und Prognosen für die Zukunft. Ich meinerseits beschränkte mich auf die momentane Lage, was für die heute zu fassenden Entschlüsse genügt.
- 1
- E 5795/89. Le document est daté du 1er avril 1944. Cf. aussi E 27/9911/1.↩
- 2
- Für die Tabelle vgl. dodis.ch/47716. Pour le tableau, cf. dodis.ch/47716. For the table, cf. dodis.ch/47716. Per la tabella, cf. dodis.ch/47716.↩
- 3
- Cf. DDS, vol. 13, doc. 277, dodis.ch/47034.↩
- 4
- E 27/9693/8.↩
- 5
- E 27/5667.↩
- 6
- Cf. E 5795/362.↩
- 7
- Rapport du Service de Renseignements de l’EMG, E 27/9911/1.↩