Classement thématique série 1848–1945:
IV. POLITIQUE HUMANITAIRE
IV.5. ACTIVITÉS D’ENTRAIDE INTERNATIONALE
Imprimé dans
Documents Diplomatiques Suisses, vol. 15, doc. 55
volume linkBern 1992
Plus… |▼▶Emplacement
Archives | Archives fédérales suisses, Berne | |
▼ ▶ Cote d'archives | CH-BAR#E2001D#1000/1553#7808* | |
Ancienne cote | CH-BAR E 2001(D)1000/1553 485 | |
Titre du dossier | Beteiligung der Schweiz am Wiederaufbau Europas. Projet «S» (1943–1945) | |
Référence archives | B.55.48.05.Uch |
dodis.ch/47659 Le Chef de l’Office de Guerre pour l’Industrie et le Travail, E. Speiser, au Conseil fédéral1
Die Beteiligung der Schweiz am Wiederaufbau Europas ist ein Problem, das mehr und mehr die Gemüter beschäftigt und auch Gegenstand von ernsthaften Studien geworden ist. Die Erklärungen bei der Gründung der U.N.R.R.A. und die Bereitstellung eines 100 Mill. Kronen Kredites durch Schweden, als Beitrag zum Wiederaufbau, lassen erkennen, dass auch neutrale Länder in irgend einer Form Stellung beziehen müssen2.
Wenn die folgenden Ausführungen einiges zur Abklärung des Problems beitragen und einen vielleicht gangbaren Weg aufdecken, so ist ihr Zweck erfüllt.
Vor allem gilt es m.E. einen klaren Trennungsstrich zu ziehen zwischen Geschäft und Wohltätigkeit. Versuche, beides zu verbinden, sind nie glücklich und haben immer einen unsympathischen Beigeschmack3.
Eine charitative Hilfe der Schweiz an die verarmten Nachbarländer sollte deshalb spontan, ohne Hintergedanken und offene oder versteckte Zumutung von Gegenleistungen und vor allem unmittelbar nach Abschluss eines Waffenstillstandes erfolgen4.
Daneben stellt sich als ganz getrenntes Problem die Aufgabe für die Schweiz, auf strikter kommerzieller Basis am Wiederaufbau Europas mitzuhelfen. Hier handelt es sich um Arbeitsbeschaffung für unsere Ingenieure und Architekten und unsere exportfähige Industrie, somit um reine Wirtschaftsfragen, die nüchtern und sachlich vom Gesichtspunkte des finanziellen Risikos, der handelspolitischen Auswirkungen und der Kapital- und Arbeits-Märkte aus behandelt werden müssen. In der, unter Beziehung von Bundesstellen5 organisierten Studiengruppe haben wir m.E. den richtigen Kern für die zu schaffende Organisation, die initiativ wirken, gleichzeitig aber auch eine unsachliche Zersplitterung der Kräfte verhindern soll. Ich glaube, diese Aufgabe ist in guten Händen und die richtige Dosierung des Gremiums mit Vertretern des Bundes und der Wirtschaft sorgt dafür, dass sachlich gearbeitet werden kann6.
Weniger abgeklärt ist die Frage, wie und ob die Schweiz auf dem Gebiete der Wohltätigkeit helfen will, und ich gestatte mir hier eine konkrete Anregung zu machen. Dass unser Land und seine Bevölkerung hier eine klare Pflicht hat, wenn wir bei Kriegsende unversehrt sind, drängt sich auf, und wir sollten handeln ohne auf mehr oder weniger sanfte Mahnungen der präsumptiven Siegerstaaten zu warten. Unsere Leistung darf auch nicht den Charakter eines «Sühnegeldes» für unser Verharren in der Neutralität, oder einer teilweisen Rückzahlung eines nationalen Kriegsgewinnes tragen. Es handelt sich um ein einfaches Gebot der Menschlichkeit und der spontanen Hilfsbereitschaft, das gar keiner weiteren Deutung bedarf und die linke Hand soll nicht wissen, was die rechte tut7.
Die schweizerische Aktion sollte vollkommen autonom und ohne jegliche Bindung an die U.N.R.R.A. oder ähnliche ausländische und internationale Gebilde erfolgen8.
Die Grösse unserer Leistung soll unserem Wohlstand und unserem nationalen Einkommen angemessen sein. Ich schlage vor, einen Betrag von 200 Mill. SFr. ins Auge zu fassen, wovon die Hälfte durch das Volk und die Hälfte durch den Bund übernommen würde, d.h. der Bund würde sich verpflichten, die Leistungen des Schweizervolkes bis zu einem Betrag von 100 Mill. Fr. zu verdoppeln9. Der «private» Beitrag müsste zum grössten Teil von der Wirtschaft, zum kleinern von der Bevölkerung selbst beigesteuert werden. Das ganze entspräche einer Kaufkraft von Fr. 50.– pro Schweizerbürger.
Für die Form der Hilfe soll der Grundsatz gelten, dass nur Waren und kein Geld verteilt werden. Bei der ersten Gelegenheit nach Abschluss eines Waffenstillstandes sollen Eisenbahnzüge die Schweiz verlassen mit Schuhen, Kleidungsstücken, Pharmazeutika, Möbeln und Lebensmitteln und event, gewissen ändern Gütern10. Ich denke auch an bei Kriegsende überflüssig gewordene Armeebestände aller Art, die sonst im Inland abgesetzt werden müssten, wie Baracken, Spitaleinrichtungen, Decken, Schuhe, etc. Ein Hauptwert dieser Schweizerhilfe wird darin bestehen, dass sie die erste ist, die den verarmten Ländern zukommt11. Wenn wir warten, so kommen uns die Ändern zuvor, und unsere Leistung verliert, praktisch und psychologisch, an Wert. Die unvermeidliche Geringfügigkeit des schweizerischen Beitrages, verglichen mit dem, was andere Staaten tun können, kann nur durch Raschheit aufgewogen werden12. Bis dat qui cito dat! Diese Überlegung bedingt, dass sofort mit der Organisation der Hilfsaktion begonnen wird. Die Waren müssten jetzt, wenn nicht schon gekauft, so doch «auf Abruf» bereitgestellt werden13.
Heute wäre unsere Wirtschaft in der Lage, die nötigen Quantitäten der genannten Waren zur Verfügung zu stellen14.
Trotzdem ich eingangs gesagt habe, Geschäft und Wohltätigkeit sollen nicht verquickt werden, bin ich doch verpflichtet, auch die wirtschaftlichen Folgen der vorgeschlagenen Aktion zu berücksichtigen. Hier ist nun festzustellen, dass die Versorgung unseres Landes speziell auf dem Gebiete der Textilien und Schuhe wesentlich besser ist, als man für den 5. Kriegs winter hätte erwarten dürfen. Diese gute Versorgungslage, verbunden mit der Zurückhaltung des Publikums, das trotz allem Zureden überzeugt ist, es werde bald wieder Friedensqualität zu Friedenspreisen kaufen können15, hat bereits zu ernstlichen Störungen des Geschäftsganges und der Beschäftigung geführt. Detaillisten und Grossisten fürchten Lagerverluste und halten mit Bestellungen an die Fabriken zurück. Wenn nun bekannt wird, dass eine Kaufkraft von 200 Mill. Fr. unmittelbar nach dem Waffenstillstand16, also gerade am Tage, an dem der gefürchtete grosse Preissturz eintreten könnte, ausgelöst wird, so dürfte das so beruhigend wirken, dass schon jetzt neue Aufträge erteilt werden und eine gewisse Geschäftsbelebung entsteht. (Diese Erwägungen wären nicht propagandistisch auszuwerten, aber als Chef des K.I.A.A. bin ich verpflichtet, sie zu machen)17.
Wichtig ist, dass alle Lieferungen vollkommen gratis erfolgen, damit keinerlei Vorbelastung unserer Clearing-Guthaben, und damit eine Erschwerung des zukünftigen kommerziellen Exportes entsteht18.
Ich will diese ersten Ausführungen kurz fassen, aber doch nicht den Eindruck aufkommen lassen, ich übersehe mangels Sachkenntnis die vielen Schwierigkeiten.
Ich bin mir bewusst, dass eine grosse Organisation geschaffen werden muss, und dass verschiedene grundsätzliche Fragen entschieden werden müssen. Für die meisten habe ich mir, persönlich, meine Meinung gebildet, aber hier beschränke ich mich darauf, sie zu skizzieren.
1. Sammlung der 100 Millionen.
(Circa 1/4-1/3 sollten durch die Bevölkerung aufgebracht werden, 2/3-3/4 durch die Wirtschaft, wobei jede Wirtschaftsgruppe (Industrie, Banken, Versicherungen, Grosshandel, Detailhandel, Landwirtschaft, Gewerbe, Transport-Anstalten, etc.) über ihre Fachverbände ein bestimmtes Wunschkontingent zuerteilt erhielten).
2. Verwaltung und Anlage der gesammelten Beträge.
3. Einkauf der Waren.
(Hier muss man eng mit den Brancheverbänden Zusammengehen, nachdem von einer Instanz (s. unter 4 und 5) ein Verteilungsschlüssel festgesetzt ist. Unternehmen, die selber Produkte, die für die Aktion in Frage kommen, herstellen oder besitzen, könnten ihren Beitrag in natura leisten.
Als Preis kommt höchstens ein «billiger Ausverkaufspreis» in Frage.
Kein Unternehmen kann sich durch einen Geldbeitrag ein Vorrecht für Berücksichtigung beim Wareneinkauf ausbedingen19.
4. Verteilung der Waren.
(Am ehesten durch das schweizerische (nicht internationale) Rote Kreuz. Unsere Gaben müssen das rote und das weisse Kreuz tragen)20.
(Für die Wahl der zu beschenkenden Länder habe ich persönlich bestimmte Ideen, die nicht hier zu erörtern sind).
(Vorverhandlungen mit den Blockade- und (eventl.) Gegenblockade-Mächten werden nötig sein, damit nicht im letzten Moment Hindernisse entstehen)21.
5. Ein zentraler Organismus in der Schweiz muss geschaffen resp. gewählt werden, der alles vorbereitet und durchführt22.
6. Die kriegswirtschaftlichen Instanzen (K.E.A. und K.I.A.A.) müssen zwecks Regelung der Rationierungs- und Kontingentierungsfragen rechtzeitig begrüsst werden23.
Ich will aber dieses Schreiben nicht durch die Aufzählung von Schwierigkeiten und Aufgaben beschweren, die alle überwunden werden können, und die jetzt noch gar nicht zur Diskussion stehen.
Es liegt mir nur daran, noch einmal zu betonen: eine Aktion, wie die skizzierte, liegt in der Luft und wird vom Volke erwartet. Was fehlt, ist nur noch die klare Formulierung. Meines Erachtens darf keiner Partei24 und noch weniger einer einzelnen Persönlichkeit gestattet werden, die Sache taktisch oder propagandistisch für eigene Ziele auszuwerten. Das Prestige dafür muss einzig und allein dem Bundesrat, als dem Repräsentanten des ganzen Schweizervolkes zufallen.
Zusammenfassend formuliere ich: die Schweiz muss sofort bei Kriegsschluss ihre Speicher öffnen, ohne Rücksicht auf Dank oder Belohnung. Kein Reicher darf auf seinem Überfluss sitzen bleiben, wenn seine Nachbarn hungern und darben, und Wohltaten, auch ohne jeden Hintergedanken, sind nie umsonst.
Ich stehe jederzeit zur Verfügung des hohen Bundesrates in dieser wie in jeder ändern Angelegenheit.
- 1
- Lettre: E 2001 (D) 3/485. Cf. aussi E 6100 (A) 23/2046 et la notice de Pilet-Golaz du 20 janvier 1944 (E 2001 (D) 3/485).↩
- 2
- L’« United Nations Relief and Rehabilitation Administration » a été fondée officiellement le 9 novembre 1943 à Washington. Cf. E 2001 (D) 1968/74/21.Le journaliste Walter Bosshard, de la Neue Zürcher Zeitung, a rédigé à ce sujet un rapport confidentiel dont le Chef du DPF, M. Pilet-Golaz, recommande la lecture aux membres du Conseil fédéral le 11 janvier 1944 (E 2001 (D) 3/491, cf. aussi E 2001 (E) 1/207). Le Département d’Etat américain avait désigné un représentant en Suisse pour les opérations de reconstruction en Europe: R. Tyler a un entretien avec le Délégué du Conseil fédéral aux Oeuvres d’Entraide internationale, E. de Haller, qui note que: Mr. Tyler ne croit pas que la nouvelle parue dans la presse, selon laquelle la Suède aurait adhéré à l’«UNRRA», soit exacte. Il pense, comme moi, que les pays réellement neutres ne peuvent pas faire partie de cette association de belligérants tant que dure la guerre. On peut tout au plus imaginer une collaboration occasionnelle dans certaines entreprises spécifiques de secours, à titre rigoureusement humanitaire. Nous avons cherché à imaginer, Mr. Tyler et moi, les méthodes qui pourraient être appliquées par l’«UNRRA» pour la distribution des secours après la guerre. Mr. Tyler admet que l’«UNRRA» s’abstiendra scrupuleusement de combiner son action de secours avec l’exécution d’un programme politique d’idéologie alliée (rééducation de la mentalité des vaincus, etc.); une telle confusion serait à son avis catastrophique. Il considère que l’on ne pourra pas ne pas recourir aux organisations locales existantes des pays intéressés pour les transports et la distribution des secours, vu l’impossibilité pratique de mettre sur pied un personnel ad hoc. Selon Mr. Tyler, on recourra sans doute aux services du CICR, qui a acquis, pendant la guerre, une grande expérience dans ce domaine. Mr. Tyler a l’intention de reprendre contact avec moi lorsqu’il aura reçu des précisions sur la nature de son mandat. (Notice du 26 novembre 1943, E 2001 (E) 1/155).↩
- 5
- M. Pilet-Golaz a souligné ces quatre derniers mots, a ajouté un point d’interrogation et un point d’exclamation dans la marge et y a écrit: inofficiellement.↩
- 6
- M. Pilet-Golaz a ajouté un point d’interrogation et un point d’exclamation dans la marge et y a écrit: Première démarche.↩
- 7
- M. Pilet-Golaz a souligné dans la marge ces deux dernières phrases et y a écrit: tout à fait juste.↩
- 8
- M. Pilet-Golaz a ajouté un point d’interrogation et un point d’exclamation dans la marge et y a écrit: pas possible.↩
- 9
- M. Pilet-Golaz a souligné dans la marge ces deux dernières phrases et y a écrit: un peu prématuré.↩
- 10
- M. Pilet-Golaz a souligné cette phrase dans la marge et y a écrit: mais les Navycerts, les autorisations?↩
- 24
- Ed. de Haller a écrit dans la marge: Duttweiler.↩
Tags