Language: German
12.11.1943 (Friday)
CONSEIL FÉDÉRAL Procès-verbal de la séance du 12.11.1943
Minutes of the Federal Council (PVCF)
Nouvelles mesures commerciales suisses.

Classement thématique série 1848–1945:
III. RELATIONS ÉCONOMIQUES INTERNATIONALES
III.2. LES ALLIÉS
III.2.1. NÉGOCIATIONS ÉCONOMIQUES AVEC LES ALLIÉS
How to cite: Copy

Printed in

Philippe Marguerat, Louis-Edouard Roulet (ed.)

Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 15, doc. 37

volume link

Bern 1992

more… |
How to cite: Copy
Cover of DDS, 15

Repository

dodis.ch/47641
CONSEIL FÉDÉRAL
Procès-verbal de la séance du 12 novembre 19431

1985. Wirtschaftsverhandlungen mit Grossbritannien und den U.S.A.

Das Volkswirtschaftsdepartement berichtet folgendes:Am 4. November 1943 hat der Bundesrat als Abwehrmassnahme gegen die zunehmenden Einmischungen britischer und amerikanischer Vertretungen in die Wirtschaftsbeziehungen schweizerischer Firmen zu ihren ausländischen Abnehmern ein Verbot erlassen, das die Eingehung irgendwelcher Verpflichtungen gegenüber fremden Vertretungen betreffend den Warenverkehr untersagt2. Der Bundesrat wollte mit diesem Verbot ein Mittel des Wirtschaftskrieges treffen, das in den letzten Monaten von den Westmächten zur Anwendung gebracht wurde: die Bedrohung schweizerischer Firmen mit der «schwarzen Liste». Mit diesem Mittel sollten eine grosse Reihe wichtiger Unternehmungen der Metall- und Maschinen-Industrie dazu gebracht werden, ihre künftigen Ausfuhren nach den Achsenmächten unter den mit beiden kriegführenden Staatengruppen zwischenstaatlich vereinbarten Exportkontingenten zu halten.

Als der Bundesrat das zur Wahrung der staatlichen Souveränität und zum Schutze der betreffenden Firmen notwendig gewordene Verbot erliess, war er gleichzeitig entschlossen, ihm möglichst bald neue schweizerische Vorschläge folgen zu lassen, welche geeignet sein sollten, den bekannten Forderungen der Regierungen Grossbritanniens und der U.S.A. nach einem raschen und substantiellen Abbau bestimmter Ausfuhrpositionen nach Möglichkeit entgegenzukommen. Diese neuen Vorschläge sollen die in den schweizerischen Wirtschaftsbeziehungen zu den Westmächten wünschbare Entspannung herbeiführen, die Beendigung der fremden Einmischungen in die privatrechtlichen Verhältnisse schweizerischer Firmen und insbesondere die Streichung der Firma Gebr. Sulzer von der «schwarzen Liste» bewirken, der Schweiz vermehrte Zufuhren aus Übersee öffnen, sowie eine Atmosphäre schaffen, in welcher die Behandlung der uns am 30. September 1943 aus London übermittelten komplexen Traktandenliste im Sinne gegenseitiger Verständigung erst denkbar erscheint. (Vgl. Anlage). Es ist klar, dass schweizerische Vorschläge, die ein so hoch gestecktes und vielseitiges Ziel erreichen sollen, entsprechend gestaltet werden müssen. Sie müssen die hauptsächlisten Elemente der von den fremden Vertretungen gegenüber den bedeutendsten Exportfirmen der Metall- und Maschinenbranche erhobenen Forderungen enthalten, um damit die ganze Diskussion auf die für die Schweiz einzig mögliche Ebene der zwischenstaatlichen Verhandlungen und Vereinbarungen zu bringen. Die Entwicklung seit dem letzten Sommer weist eindeutig daraufhin, dass nun eine Einbeziehung der sog. «Plafondgruppe II» in die Abbauvorschläge, trotzdem sie typische Erzeugnisse der schweizerischen Friedensproduktion in sich schliesst, notwending wird. Gerade das Beispiel der Firma Gebr. Sulzer zeigt, dass eine Versetzung auf die «schwarze Liste» auch wegen Exporten erfolgen kann, deren Beschränkung bisher nicht im Vordergrund der Diskussion stand, die jetzt aber mit der weiteren Entwicklung des Kriegsgeschehens in den Augen der britisch/amerikanischen Blockadebehörden erhöhte Bedeutung erhalten haben. Eine Differenzierung des Abbaus, je nachdem es sich um typisches Kriegsmaterial, kriegswichtige Erzeugnisse der Maschinen-Industrie oder ausgesprochene Friedensprodukte handelt, wird dabei wohl noch möglich sein. Sie muss mit aller Energie versucht werden, da sie allein den wirtschaftlichen Interessen der Schweiz einigermassen gerecht zu werden vermag. Ferner ist notwendig, dass die für Deutschland und für die «Übrigen Achsenstaaten» (ohne Italien) vorzusehenden Exportbeschränkungen einander möglichst gleichgeschaltet werden; denn die alliierten Blockadebehörden blicken stets auf das Gesamtgebiet der europäischen Achsenmächte, das sie blockadepolitisch als Einheit erfassen.In Verfolgung dieser Richtlinien kommen wir in Zusammenarbeit mit dem «Verein Schweiz. Maschinen-Industrieller» und dem «Vorort des Schweiz. Handels- und Industrie-Vereins» zu einem neuen schweizerischen Vorschlag, welcher für das erste Halbjahr 1944 folgende Ausfuhrbeschränkungen vorsieht:

1. Das Kriegsmaterial im engeren Sinne (Waffen, Munition und Zünder) sowie eine Gruppe von Erzeugnissen der Maschinenindustrie, die als kriegswichtig zu bezeichnen sind, (Flugzeugbestandteile, Werkzeugmaschinen, Kugellager, Radios, Präzisionswerkzeuge) sollen von bisher 40% auf 20% der wertmässigen Ausfuhr des Jahres 1942 kontingentiert werden.

2. Eine zweite Gruppe (Uhrmacherwerkzeuge, Chronographen, astronomische, geodätische und mathematische Instrumente) wird von bisher 40% auf 25% der Ausfuhrwerte des Jahres 1942 reduziert.

3. Eine dritte Gruppe von Maschinen, Instrumenten und Apparaten (Posit. M 9, 947) soll von bisher 50% auf 40% der Ausfuhrwerte des Jahres 1942 herabgesetzt werden.

4. Eine vierte Gruppe umfasst die meisten der bisher nicht kontingentierten Positionen der sog. «Plafondgruppe II», das sind Maschinen und Apparate, deren Verwendung keine ausgesprochene kriegsnahe ist. Ihre Ausfuhr soll auf dem Wertniveau des Jahres 1942 mit 50% per Halbjahr stabilisiert werden.

5. Da ein gleichmässiger und schematischer Abbau aller von den Westmächten inkriminierten Positionen, sowohl mit Rücksicht auf die Arbeitsbeschaffung wie in bezug auf die Beziehungen mit den in Frage kommenden dritten Staaten, nicht möglich erscheint, müssen als Ausnahmen von den bisher genannten Abbaugruppen für eine Reihe wichtiger Ausfuhren Sonderkontingente erreicht werden. Es gilt dies für die folgenden Produkte:

884/89b Textilmaschinen (für übrige Achsenländer ohne Deutschland)

MDy Dynamo-elektr. Maschinen & elektr. Transformatoren

aller Art

M 3 Wasserkraft- und Winddruckmaschinen, Pumpen

M 4 Dampfmaschinen (für übrige Achsenländer ohne Deutschland)

M 5 Krafterzeugungsmaschinen, Dieselmotoren und Traktoren

914 a/d Automobile und Bestandteile (für Deutschland)

917 a/b Fahrradbestandteile (für übrige Achsenländer ohne Deutschland)

6. Im weitern soll wenigstens für die Ausfuhr nach Deutschland eine erneute starke Exportsteigerung vor Jahresende und vor Kontingentierungsbeginn dadurch abgebremst werden, dass für eine Gruppe von gegenwärtig noch nicht kontingentierten Ausfuhren vorbeugend Höchstbeträge für das 4. Quartal 1943 angesetzt werden.

Die angeführten Ausfuhrbeschränkungen bedeuten einen tiefen Eingriff in die bisherigen schweizerischen Exportmöglichkeiten. Ihre Durchsetzung müsste im ersten Halbjahr 1944, im Vergleich zur durchschnittlichen Ausfuhr im Jahre 1942 zu einer Ausfuhrverminderung von etwa 85 Millionen Franken gegenüber Deutschland und von rund 11 Millionen Franken gegenüber den übrigen europäischen Achsenmächten (ohne Italien) d.h. von insgesamt 90-100 Millionen Franken führen. Indem die Schweiz diese Exporteinschränkungen auf sich nimmt, bringt sie das Opfer einer nicht genau abzuschätzenden, jedoch sicher nicht unbedeutenden Arbeitslosigkeit; zugleich gefährdet sie erneut ihre künftigen Warenbeziehungen zu den Achsenmächten und damit unter Umständen einen wesentlichen Teil ihrer Versorgung.

Was speziell Deutschland betrifft, so sind zwar in formeller Beziehung anlässlich der letzten Verhandlungen alle Vorbehalte in Bezug auf allfällige, während der Vertragsdauer eintretende neue schweizerische Ausfuhrkontingentierungen gemacht worden; dies schliesst jedoch nicht aus, dass die Durchführung dieses Vorbehalts Störungen in den vielfältigen Wirtschaftsbeziehungen mit Deutschland verursachen kann, obwohl die Schweiz vertragsrechtlich zu den in Frage stehenden Massnahmen einwandfrei befugt ist.

Anderseits liegen die Schwächen des neuen schweizerischen Vorschlags einmal offenkundig in der Globalbehandlung aller übrigen Achsenstaaten sowie in den «Sonderkontingenten», welche für eine Reihe von Positionen nicht nur keinen Abbau auf der Basis der Ausfuhren im Jahre 1942 bringen, sondern eine Erhöhung gewisser schweizerischer Exporte nach den Achsenländern anstreben. Sie bedürfen einer eingehenden mündlichen Begründung. Im weiteren mag die Basierung des Vorschlags auf das den Alliierten wenig genehme Jahr 1942 Schwierigkeiten in seiner Durchsetzung schaffen; die britisch/amerikanischen Blockadebehörden gehen in letzter Zeit immer wieder vom Begriff der Vorkriegsausfuhren (pre-war exports) aus und tendieren deutlich darauf, diese zum Masstab des neutralen Wirtschaftens im Kriege zu nehmen.Die vorgeschlagene wesentliche Beschränkung ihrer Ausfuhr muss die Schweiz an folgende Voraussetzungen knüpfen:

1. Einstellung der alliierten Einmischungen in die privaten Verhältnisse der Firmen der schweizerischen Industrie.

2. Streichung der Firma Gebr. Sulzer A.G., Winterthur von der Statutory list, und, sofern eine Versetzung auf die amerikanische Proclaimed list in der Zwischenzeit erfolgen sollte, Streichung auch von dieser letzteren.

3. Wiederherstellung aller Zufuhrquoten für Nahrungs- und Genussmittel wie sie bis zum April 1943 bestanden hatten, sowie Wiedereinräumung von Futtermittelkontingenten.Die Bekanntgabe der neuen schweizerischen Vorschläge an die britisch/amerikanischen Blockadebehörden war auf Anfang dieser Woche in Aussicht gestellt worden. Dies ist in allgemeinen Zügen am 10. November 1943 auf telegraphischem Wege erfolgt. Um jedoch der Entschliessung des Bundesrates nicht vorzugreifen und um die Möglichkeit offen zu lassen, die für die künftige Gestaltung unserer Beziehungen zu den Westmächten entscheidend wichtigen neuen Vorschläge eventuell durch einen schweizerischen Delegierten in London vortragen und damit mit den Regierungen Grossbritanniens und der U.S.A. wieder ins Gespräch zu kommen, hat eine volle telegraphische Übermittlung noch nicht stattgefunden.»

Antragsgemäss wird daher beschlossen :

1. Von diesem Bericht wird im Sinne von Instruktionen an den Delegierten in zustimmendem Sinne Kenntnis genommen;

2. Prof. P. Keller, Delegierter für Handelsverträge, wird nach London delegiert, um mit den britisch/amerikanischen Blockadebehörden über die in Ziffer IV aufgeführten alliierten Gegenleistungen zu verhandeln;

3. Prof. P. Keller wird im weitern beauftragt, die in der vorgelegten Traktandenliste, welche die Regierung Grossbritanniens und der U.S.A. der schweizerischen Regierung am 30. September 1943 zugestellt haben, genannten Verhandlungsgegenstände Nr. 2, 5, 8 und 9 zu erledigen; hinsichtlich der übrigen Traktanden soll er sich dagegen auf Abklärungen begrenzen, die künftigen Verhandlungen, welche durch eine später zu bestellende erweiterte schweizerische Delegation zu führen wären, als Vorbereitung dienen können.

4. Sowohl die Schweizerische Nationalbank wie auch die Britische Treasury legen grosses Gewicht auf die formelle Inkraftsetzung des im letzten Jahre vorbereiteten Entwurfs eines gegenseitigen Finanzabkommens, das seit Anfang des Jahres 1943 von der Nationalbank praktisch eingehalten wird, ohne dass sie die Sicherungen des Abkommens besitzt. Es ist vorauszusehen, dass für eine befriedigende Regelung der künftigen Zufuhren aus Übersee (Ziffer IV. 3 oben) sowie des « enemy content» der formelle Abschluss des Finanzabkommens von Bedeutung werden wird. Mit dem Abschluss des Finanzabkommens war früher schon die für die schweizerische Ausfuhr nach dem Westen bedeutsame Frage der Zulassung eines «enemy content» (Feindanteil an Schweiz. Exportwaren) bis zu 25% verknüpft gewesen; diese Voraussetzung wäre aufrecht zu halten. Das Departement wird dem Bundesrat zu dieser Frage in den nächsten Tagen Antrag stellen.

1
E 1004.1 1/439. Absent: Celio.
2
Cf. No 35.