Classement thématique série 1848–1945:
2. RELATIONS BILATÈRALES
2.8. FINLANDE
Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 14, doc. 367
volume linkBern 1997
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2300#1000/716#320* | |
Old classification | CH-BAR E 2300(-)1000/716 158 | |
Dossier title | Helsinki, Politische Berichte und Briefe, Militärberichte, Band 4 (1942–1943) |
dodis.ch/47553
Ich war dieser Tage auf dem Sommersitz des Staatspräsidenten zu Gast geladen. Diese sonst gar nicht übliche Auszeichnung ist noch mit der Schweizerreise von Marschall Mannerheim2 in Verbindung zu bringen, und ich entledige mich denn auch des ausdrücklichen Auftrages von Herrn Ryti, Ihnen und dem Bundesrat seinen besondern Dank für die freundliche Aufnahme des Marschalls zu übermitteln. Wegen Erkrankung meiner Frau konnte die früher schon ergangene Einladung erst jetzt zur Ausführung gelangen.
In Gesprächen über politische Tagesfragen war Präsident Ryti eher zurückhaltend. Es ist immer wieder erstaunlich festzustellen, wie die Elemente Licht, Luft und Wasser des kurzen nordischen Sommers den der Hauptstadt und dem Arbeitstisch entrückten Finnen die Mühen und Sorgen des Alltags vergessen lassen. Er will wenigstens nicht daran erinnert werden.
Immerhin möchte ich folgendes festhalten:
1. Hinsichtlich der Beziehungen Finnlands zu Russlandbestätigte mir Herr Ryti, was ich Ihnen in allen meinen Berichten zur Kenntnis brachte: Die Erfahrungen, die Finnland in seiner leidvollen Schicksalszeit machte, ausschalten jeglichen Glauben an abgegebene Versprechen und eingegangene Verpflichtungen des östlichen Nachbars. Es liegen keine positiven Tatsachen vor, die als Grundlage für einen dauerhaften Frieden oder auch nur für die Anbahnung von Friedensgesprächen dienen könnten. Es ist auch keine solche Fühlungnahme im Gang. So gross auch die Kriegsmüdigkeit sein mag, wird Finnland die Waffen niemals um den Preis eines halben Friedens niederlegen. Die finnische Armee steht andauernd in Defensivstellung. Zur Änderung dieser Haltung liegt heute keine Veranlassung vor.
2. Diese Einstellung bestimmt zwangsgemäss die Beziehungen Finnlands zu Deutschland. Meinen vorsichtigen Andeutungen über angebliche augenblickliche Spannungen wich Herr Ryti aus; um so stärker betonte er die oekonomische und militärische Unterstützung, die Finnland bis heute doch nur von Deutschland erhalten habe, und die jede Kritik an der Waffenbrüderschaft verstummen lassen müsse.
Die soeben erfolgte Rückkehr finnischer Freiwilliger von der Ostfront zeigt mit aller Deutlichkeit, dass der gemeinsame Kampf unter dem Hackenkreuz immer wieder stachlige Probleme aufwirft. Dem Abzug dieser Freiwilligen gingen lange schwierige Verhandlungen voraus. Berlin weigerte sich vorerst entschieden, weil man dies auf der Feindseite als Demonstration und als Verbeugung vor Washington betrachte. Schliesslich musste man aber nachgeben, doch sind noch gar nicht alle Freiwilligen zurückgekehrt. (Es dürfte sich um etwa eintausend Mann handeln.) Darauf verlangte Berlin eine grosse Parade der Rückkehrer in Helsinki, was in der Regierung und im Hauptquartier sehr geteilte Aufnahme und schliesslich entschiedene Ablehnung fand. Herr von Blücher vermochte sein Begehren nicht durchzusetzen. Die Parade fand dann in seiner Gegenwart und in Anwesenheit des Chefs der finnischen Heimattruppen und anderer höherer Offiziere in Hangö statt. Eine Nachfeier wurde nach Tammerfors verlegt. Herr McClintock stellt mir in Abrede, dass diese Rückkehr der Freiwilligen unter amerikanischem Druck erfolgt sei, wie es hier gesagt wird, und dass sie wohl kaum grossen Eindruck in Washington hervorrufe.
3. Das gegenwärtige Verhältnis Finnlands zu den Vereinigten Staaten beurteilte der finnische Staatspräsident mit einer Deutlichkeit, die nichts zu wünschen übrig lässt. Heute ist es ganz gleichgültig geworden, was Finnland mache oder was es unterlasse, sein Verhalten vermöge nicht mehr bestimmend auf einen Entscheid von Washington einzuwirken. Finnland sei heute der geschobene Bauer auf dem russisch-angelsächsischen Schachbrett, ein willkommenes willenloses Tauschobjekt im politischen Handel mit Moskau. Wenn der Kreml Entgegenkommen zeige, werde ihm Finnland durch den Abbruch der Beziehungen mit amerikanischer Kaltblütigkeit geopfert; begegne aber Washington Schwierigkeiten, werde es Helsinki wieder ein freundlicheres Gesicht zeigen.
Herr Ryti ist der Ansicht, die am Beginn der Konferenz von Hot Springs von der Sowjetunion abgegebene Erklärung sei dahin zu deuten, dass Moskau kein Verständnis für eine solche Nahrungsmittelkonferenz habe, solange die Sowjetunion selbst nicht vorerst in genügendem Masse mit Lebensmitteln beliefert werde. Moskau sei demnach unzufrieden. (Der heutige Radio meldet eine versöhnlichere Stimmung des Russen am Schluss der Konferenz.)
Ferner zwinge der amerikanische Vorstoss gegen Attu, ein Sprungbrett nach russisch-Kamtschatka, Stalin dazu, sich mit der Benützung russischer Stützpunkte durch die Alliierten einverstanden zu erklären. Dies werde er aber nicht ohne Gegenpfand tun.
Schliesslich bezeuge die Abwesenheit Stalins von der Konferenz in Washingtonund das Schweigen über den Inhalt der Briefe, die durch Botschafter Davies zwischen Roosevelt und Stalin gewechselt wurden, dass wohl beachtenswerte Meinungsverschiedenheiten zwischen den angelsächsischen Mächten und der Sowjetunion bestünden.
An diesem wechselvollen politischen Interessenspiel müsse Finnland heute ein müssiger Zuschauer bleiben.
4. Mit grosser Besorgnis beurteilte Herr Ryti das zukünftige Schicksal Europas, das, wie immer auch der Ausgang des Weltkrieges sein werde, nur verlieren könne. Man müsse sich klar vor Augen halten, dass sich das Schwergewicht der Weltpolitik heute schon aus Europa verlagert habe, dessen Einwohnerzahl ein Federgewicht bedeute im Vergleich zu den Hunderten von Millionen der Vereinigten Staaten, Russlands, Chinas und des ehemaligen grossbritannischen Imperiums.
Herr Ryti ist ein ausgezeichneter Kenner Englands (er beherrscht als einzige Fremdsprache nur Englisch). Der nüchterne und erfahrene Finanzpolitiker meint, Englands Schicksal liege heute schon gänzlich in den Händen Amerikas, das eines Tages die Wechsel präsentieren werde, die London jetzt unterschreibe. Englands Real-Vermögen sei heute schon verloren und alle «investments» erschüttert, so dass sich Washington an den wertvollsten noch bleibenden Kronschätzen des britischen Empires schadlos halten werde. Washington werde das Zentrum der Welt.
5. Meine Frage, wie die heutige Lage Schwedens einzuschätzen sei, beantwortete Herr Ryti, er glaube, die Gefahr einer aktiven militärischen Beteiligung des Nachbarlandes am Weltkrieg sei solange ausgeschlossen, als die Sowjetunion den Krieg nicht gewinne. Gehe sie aber als Sieger hervor, werde sie in ihrem Expansionsdrang nach dem atlantischen Ozean auch an der schwedischen Grenze nicht Halt machen. Eine Invasion der Alliierten in Norwegen sei immerhin möglich, sie werde aber stets nur als Ablenkungsmanöver zu bewerten sein, und es sei kaum wahrscheinlich, dass Schweden dadurch in den Krieg hineingezogen werden könnte.
Mein hiesiger schwedischer Kollege teilt die Auffassung von Herrn Ryti, soweit sie sich auf die Invasion bezieht, bemerkt aber, das Überfluten Schwedens durch eine aus Finnland vordringende rote Armee sei eine finnische Behauptung, die man in Stockholm immer wieder zu hören bekomme, deren Berechtigung man aber bestreite.
Im Aspekt der gegenwärtigen militärischen Ereignisse (Italien) beurteilt der finnische Staatspräsident die Lage der Schweiz gefährlicher als die Schwedens.
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