Classement thématique série 1848–1945:
2. RELATIONS BILATÈRALES
2.13. IRAN
Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 14, doc. 106
volume linkBern 1997
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2300#1000/716#1049* | |
Old classification | CH-BAR E 2300(-)1000/716 454 | |
Dossier title | Teheran, Politische Berichte und Briefe, Militärberichte, Band 3 (1941–1944) |
dodis.ch/47292 Le Chargé d’Affaires de Suisse à Téhéran, A. Däniker, au Chef du Département politique, M. Pilet-Golaz1
Die Schweizerkolonie während der Besetzung Irans
durch britisch-russische Truppen.
Mit folgendem Bericht habe ich die Ehre, Ihr Departement über die Tätigkeit zu unterrichten, welche die Gesandtschaft unmittelbar vor und während der Besetzung2 eines grössern Teils des iranischen Staatsgebietes entfaltet hat um den Schutz der Interessen der Schweizerkolonie in Iran zu gewährleisten.
Hinsichtlich der ausserhalb der Hauptstadt Teheran, in der Provinz niedergelassenen Landsleute, ist die Gesandtschaft bestrebt gewesen:
a. Vorkehren für deren möglichst wirksamen rechtlichen und tatsächlichen Schutz zu treffen;
b. nötigenfalls sie aus bedrängter Lage zu befreien;
c. mit sämtlichen nach Möglichkeit in Kontakt zu bleiben.
Selbstverständlich blieben diese Massnahmen auf Landsleute in solchen Gegenden beschränkt, die kriegerischen Operationen oder der Okkupation ausgesetzt gewesen sind. An unmittelbaren Gefahren waren sowohl Gewaltakte unzufriedener Volksmassen, speziell Plünderungen seitens beschäftigungslos gewordener Arbeiter, als Ausschreitungen oder Verhaftungen durch eindringende fremde Truppen zu befürchten. Es war ja natürlich nicht vorauszusehen, wie sich die Rote Soviet-Armee der Zivilbevölkerung und im besondern uns Schweizern gegenüber verhalten werde.
Die Gesandtschaft hatte in jeder der bewussten Landesgegenden, in Azerbaïdjan, in den Kaspischen Meeresprovinzen und in Meched, Vertrauensleute ernannt, welche beauftragt waren, den übrigen Landsleuten in der betreffenden Region ihre Weisungen weiterzugeben. Bei Beginn der Invasion durch die Rote Armee empfahl die Gesandtschaft den Koloniemitgliedern sich in Teheran zu besammein. Der grössere Teil der Kolonie hatte schon nicht mehr die Möglichkeit, Fahrzeuge für die Reise nach der Hauptstadt aufzutreiben; es bestand aber ebenso wenig Hoffnung ihnen solche entgegenzuschicken, die die Front der heranrückenden Truppen hätten durchbrechen müssen. Eine Verständigung durch Telephon und Telegraph war ausgeschlossen, denn die meisten Linien waren unterbrochen, die Beamten geflohen und an vielen Orten hatten die russischen Truppen die Apparate demontiert. Einem Schweizer in Mazenderan war auf Veranlassung der Gesandtschaft eine Bahn-Draisine entgegengesandt worden, die er aber zu benützen unterliess. Verschiedene Landsleute, auf Bahnbaulosen und in einer Kohlenmine, hatten, nachdem das gesamte höhere iranische Personal geflohen war, allein auf den Arbeitsstätten ausgeharrt und sich unter unmittelbarer Lebensgefahr mehrere Tage lang gegen Arbeitermassen zu verteidigen, die sie als Geiseln für nicht bezahlte Löhne zurückbehalten und die Lose ausgeplündert haben; in keinem Falle hat die Vorgesetzte iranische Verwaltung etwas für diese Angestellten getan und sie hatten ihre Befreiung ihrem eigenen Geschick zu verdanken.
Sobald die russischen Truppen grössere Teile des Landes zu besetzen anfingen, habe ich den britischen Gesandten ersucht, bei der russischen Botschaft darum einzukommen, dass die Besetzungsbehörden Auftrag erhielten, Schweizerbürger und ihre Interessen in diesen Gebieten zu respektieren. Der Gesandte, Sir Reader Bullard, hielt diesbezügliche Bedenken nicht für begründet; ich habe ihm dennoch später eine Liste3 der in Betracht kommenden Schweizer zuhanden der Soviet-Botschaft überreicht und habe meinen Schritt beim britischen Militârattaché wiederholt. Gleichzeitig ersuchte ich Ihr Departement im gleichen Sinne durch unsere Gesandtschaft in London beim britischen Foreign Office vorstellig zu werden.
Anlässlich einer Unterredung mit dem neuen russischen Botschafter Smirnoff, zu der sich im Anschluss an die Audienz S. M. des Chah am 21. ds. Mts. eine Gelegenheit geboten hatte, konnte ich mich davon überzeugen, dass der Botschafter von meinem Schritt informiert war; er versicherte mir, er habe Anordnungen erteilt, damit die zahlreichen schweizerischen Arbeiter (sic!) in Iran als Neutrale respektiert würden, vorausgesetzt, dass sie nicht prodeutscher Treibereien schuldig befunden würden.
Sämtliche Berichte stimmen darin überein, dass sich die russischen Soldaten gegenüber Privaten und deren Eigentum einer korrekten und disziplinierten Haltung befleissigen. Ausschreitungen sind von keiner Seite gemeldet worden, wohl aber in einzelnen Fällen Requisitionen. Hingegen ist die die russischen Streitkräfte begleitende politische Polizei überall mit grosser Strenge vorgegangen und hat unnachsichtlich nach dem Vorhandensein von Deutschen gefahndet. Schweizer, die aus Azerbaïdjan zurückgekehrt sind, sind täglich mehrstündigen Verhören (unter vorgehaltenen Revolvern) unterworfen worden. Dabei habe regelmässig der deutsche, bezw. italienische Text des Schweizerpasses Verdacht erweckt. Es ist von keiner Seite gemeldet worden, dass irgendwelche Animosität gegenüber der Schweiz zum Ausdruck gebracht worden sei; vielmehr fehle bei den untern Beamten überhaupt jede Kenntnis der Existenz unseres Staates und man habe den deutsch abgefassten Schweizerpass aus rein äusserliehen Gründen einem reichsdeutschen Pass assimiliert.
Von einzelnen Orten, so von Täbriz, wird über die Wirksamkeit einer russischen V. Kolone berichtet, die Hausdurchsuchungen, Plünderungen und willkürliche Festnahmen durchgeführt habe. Ihre Opfer seien ausschliesslich iranische Staatsbürger und Weissrussen. Selbstverständlich leistet die Besetzung durch Truppen der Roten Armee überall dem Wirken der G.P.U. Vorschub.
Anfänglich hielten sich 30 Schweizer in der russisch besetzten Zone auf; diese Zahl ist, nachdem mit einer Ausnahme alle Schweizer von den Eisenbahnbaulosen zurückgekehrt sind, auf 22 zurückgegangen; sie verteilen sich auf die Provinzen Mazanderan (Babolsar, Chahi und Gorgan) und Khorassan (Meched). Über diese sämtlichen Landsleute liegen direkt oder indirekt günstige Berichte vor; mit dem vorerwähnten auf einem Bahnbaulos in der Nähe des Urmiasees (Prov. Azerbaidjan) zurückbehaltenen Schweizer B. Wernli4 und den 3 Schweizerfamilien, Bonnard, Sturzenegger und Weibel, in Meched, konnte bis heute noch keine direkte Verbindung aufgenommen werden.
Was die Schweizer in Teheran betrifft, hatte die Gesandtschaft Vorkehren für deren persönliche Sicherheit im Falle von Bombardements und Ausschreitungen durch allenfalls plündernde Truppen zu treffen. Es stand bis zur Einstellung des militärischen Widerstandes zu befürchten, dass Teheran nach dem Beispiel anderen offener Städte unter Luftangriffen zu leiden haben werde. Daher entschloss ich mich, nach dem Beispiel der britischen, deutschen und italienischen Kolonie, in dem von mir persönlich gemieteten Sommergarten in Schimran ein Lager für unsere Landsleute einzurichten; diese waren sich in der Überzeugung einig, dass vorerst Frauen und Kinder gemeinsam in Sicherheit gebracht werden sollten; zudem bot das Lager ein Heim für jene Familien, welche von den Losen zurückgeströmt waren und in Hotels der Stadt hätten untergebracht werden müssen. Das Lager bestand vom 26. August-2. September; bis 45 Landsleute fanden darin Unterkunft, für ausreichende Verpflegung zu einem bescheidenen Preis war reichlich gesorgt worden; die Erfahrung dieses Schweizerlagers in Teheran stellt ein rühmliches Beispiel einträchtigen Zusammenlebens unter Obhut der Schweizerf ahne dar.
Nachdem keine der vorgeschilderten Gefahren sich eingestellt hatten, ist das Lager nach einer Woche wieder aufgelöst worden. Alsdann am 17. September die Hauptstadt gleichsam über Nacht von den alliierten Truppen besetzt worden ist, bestand keine Veranlassung, die Kolonie von neuem zu besammein und in Sicherheit zu bringen. Die britischen und russischen Truppen halten nur die Aussenquartiere besetzt und sind, wie zum voraus versichert worden ist, in keiner Weise mit der Zivilbevölkerung in Berührung gekommen.
Während mehreren Tagen sind in Teheran private Automobile willkürlich requiriert worden; da die iranischen Behörden Ausländern jeden wirksamen Schutz gegen die Wegnahme der Wagen verweigert haben, erklärte die Gesandtschaft rundweg alle im Eigentum unserer Landsleute stehenden Automobile als ihrem Dienste zugeteilt, versah sie mit dem Schweizerwappen und verabfolgte den Eigentümern einen entsprechenden Ausweis. Dieses Vorgehen machte auch bei ändern Gesandtschaften Schule; es haben sich seither keine Anstände mehr ereignet.
Unsern Landsleuten wurde gestattet, auf Zusehen hin Geldbeträge und Wertsachen kleineren Umfangs bei der Gesandtschaft zu deponieren; die Entgegennahme wurde regelmässig mit dem Vermerk quittiert, die Gesandtschaft lehne jede Verantwortung für die aufbewahrten Gegenstände ab.
Das Gesandtschaftsgebäude war schon vor Ausbruch der Feindseligkeiten und seither ununterbrochen, bei Tag und bei Nacht, von mindestens einem Mitglied des Kanzleipersonals und der Dienerschaft bewacht.
Es sei mit Genugtuung vermerkt, dass sich unsere Landsleute durchwegs eines streng neutralen Verhaltens befleissigten. Der einzige schwere Fall eines Konflikts eines Schweizers mit den Besetzungstruppen ereignete sich in der britischen Operationszone, in Hamadan. Dort wurde unser Landsmann Georges Perrenoud, wegen aufhetzender Propaganda gegen die Okkupationsbehörden verhaftet; ein kriegsgerichtliches Verfahren ist gegen ihn eingeleitet. Ich verweise auf meinen Spezialbericht über den Fall Perrenoud an die Abteilung für Auswärtiges5.
Die Gesandtschaft versuchte sich auch zugunsten der deutschen Frauen schweizerischer Herkunft, Frau von Radanovicz geb. Vischer und Frau Naumann geb. Jaeger und deren Kinder, zu verwenden, nachdem feststand, dass ihre Männer den Okkupationsbehörden ausgeliefert würden und sie selbst das Land zu verlassen hätten. In beiden Fällen wurde das Einreisevisum nach der Schweiz erwirkt um ihnen die Rückkehr zu den Eltern zu ermöglichen. Der britische Gesandte war durchaus bereit, dass die Gesandtschaft diese Frauen und Kinder unter ihren besondern Schutz nehme und deren Heimschaffung veranlasse. Die beiden Damen zogen es jedoch vor, mit dem Convoi deutscher Frauen und Kinder die Rückreise anzutreten; es bleibe dahingestellt, ob sie mein Angebot auf Geheiss der deutschen Gesandtschaft abgelehnt haben. Über eine weitere Schweizerin, Frau Eigner, deren deutscher Ehemann in Täbriz von den Russen festgenommen worden ist, fehlen gegenwärtig noch nähere Auskünfte.
Es sei noch ein Blick auf die Aussichten geworfen, die sich unserer Kolonie in naher Zukunft in diesem Lande eröffnen. Solchen Landsleuten, die infolge der Umwälzung ihre Stelle verloren haben und in Anbetracht geschäftlicher, gesellschaftlicher oder verwandtschaftlicher Beziehungen mit Deutschen vorauszusehen haben, dass ihr weiteres Auskommen in Iran gefährdet sein könnte, ist eine baldige Rückkehr nach der Schweiz nahe gelegt worden. Die Gesandtschaft ist bemüht, ihnen nach Möglichkeit bei Überwindung der mannigfaltigen Schwierigkeiten für die Einholung der erforderlichen Visen behilflich zu sein; da Vertretungen der Achsenmächte heute in Teheran nicht mehr bestehen, ist sie dabei auf ein enges Zusammenwirken mit unserer Vertretung in der Türkei angewiesen.
Doch auch über dem weitern Schicksal der grossen Mehrheit unserer Landsleute in Iran lastet vorläufig noch vollkommene Ungewissheit. Es sei nicht einmal daran gedacht, dass das Land erneut in das Kriegsgeschehen hineingerissen werden könnte und dass dann mit einem nachhaltigeren Widerstand der alliierten Truppen gegen ein Eindringen der deutschen Wehrmacht und somit mit militärischen Operationen grössern Umfangs und tiefgreifenderen Veränderungen gerechnet werden müsste, als sich in diesen letzten Wochen ereignet haben.
Mehr als 2h der erwerbstätigen Mitglieder unserer Kolonie stehen in kontraktlichem Anstellungsverhältnis mit der staatlichen Verwaltung; sie gehören meist den technischen Branchen an. Ihre Verträge schützen sie in den meisten Fällen nicht gegen eine sofortige Entlassung unter Einhaltung einer einmonatigen Kündigungsfrist. Es ist einstweilen nicht zu befürchten, dass der Staat seine kontraktlichen Verpflichtungen gegenüber seinen Angestellten nicht innehalte.
Es muss aber damit gerechnet werden, dass die neue Regierung ihr bisheriges überlastetes Bauprogramm nicht werde aufrechterhalten können. Sowohl der Bau einzelner Fabrikanlagen, wie auch die Vollendung des Eisenbahnnetzes werden namhafte Einschränkungen erfahren oder gar aufgegeben werden.
Die Regierung wird ihre Pläne in engem Einvernehmen mit den Okkupationsbehörden auszuarbeiten haben. Über die Haltung der Russen ist noch nichts sicheres bekannt; jedenfalls verunmöglichen die geschilderten Zustände in der russischen Zone die Wiederaufnahme einer erspriesslichen Bautätigkeit. Die russischen Truppen haben es auch nicht verhindert, dass die Einrichtungen längs des im Bau befindlichen Bahntracé von bewaffneten Banden vollständig ausgeplündert worden sind. Die Gesandtschaft hat deshalb Schweizer dringend davor gewarnt, wiederum auf die Bahnlose zurückzukehren.
Hingegen ist bekannt, dass die Engländer sich ein weitgehendes Mitspracherecht in der iranischen Verwaltung gesichert haben. Sie werden ihr Programm selbstverständlich ganz nach kriegswirtschaftlichen Gesichtspunkten einstellen, sollen aber einer weitern Bautätigkeit durchaus nicht abgeneigt sein. Verhandlungen darüber sind eben eingeleitet worden, von deren Ergebnissen die beruflichen Chancen unserer Kolonie-Angehörigen ganz erheblich abhängig sein werden.
Vom Zuzug weiterer Landsleute nach Iran ist dringend abzuraten.
- 1
- Rapport: E 2300 Teheran/3. Pilet-Golaz a lu et souligné ce rapport le 3 décembre 1941. Le lendemain, P. Bonna l’a lu.↩
- 2
- Sur l’occupation de l’Iran par des troupes anglaises et soviétiques, voir le long rapport politique No 9 de Däniker du 20 septembre 1941, arrivé à Berne le 3 décembre 1941 (E 2300Teheran/3.↩
- 3
- Non reproduite.↩
- 5
- Pilet-Golaz a inscrit un point d’interrogation dans la marge. Sur l’emprisonnement de Georges Perrenoud à Hamadan, cf. E 2001 (D) 3/156.Arrêté par les autorités militaires britanniques en septembre 1941, en raison de ses prétendues sympathies allemandes, puis libéré, et expulsé d’Iran trois semaines plus tard, en dépit des efforts de la Légation auprès des autorités britanniques pour clarifier l’incident; seul incident de cette nature avec les Puissances occupantes selon la lettre du Chargé d’Affaires de Suisse, du 18 novembre 1941.↩
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