Bevorstehende Demarche von Den Haag in der Frage des holländischen Goldes. Gesuch um eine bedeutende Anleihe bei Schweizer Banken.
"Ich wandte natürlich sofort ein, dass diese Probleme auf völlig verschiedenen Ebenen lägen. Die Bundesorgane, die für einzelne Fragen zuständig seien, könnten nicht über Anleihen sprechen und die Banken nicht über die Goldfrage usw. Herr s'Jacob ist sich dessen bewusst, möchte aber trotzdem den Versuch unternehmen."
Pubblicato in
Documenti Diplomatici Svizzeri, vol. 17, doc. 98
volume linkZürich/Locarno/Genève 1999
Dettagli… |▼▶Collocazione
Archivio | Archivio federale svizzero, Berna | |
▼ ▶ Segnatura | CH-BAR#E2801#1968/84#2231* | |
Vecchia segnatura | CH-BAR E 2801(-)1968/84 97 | |
Titolo dossier | Holländisches Gold (W.43.2) (1946–1958) |
dodis.ch/4723
Wie ich Ihnen am letzten Freitag telephonisch meldete, hatte ich von zuverlässiger Seite vernommen, dass in der Goldfrage in nächster Zeit eine neue holländische Initiative zu gewärtigen sei2. Mit Ihrem Einverständnis habe ich mich daraufhin entschlossen, den Generalsekretär des Finanzministeriums, d. h. den unmittelbaren Untergebenen und ersten Mitarbeiter von Minister Lieftinck, Herrn H. L. s’Jacob, aufzusuchen und ihm den schweizerischen Standpunkt in der Goldfrage ausführlich zu begründen, in der Hoffnung, einen übereilten holländischen Schritt, der für beide Teile unangenehme Folgen haben könnte, zu vermeiden. Ich durfte dies um so eher tun, als ich den Betreffenden seit langem gut kenne. Ich konnte mir bei ihm viel eher ein offenes Wort erlauben als beim Finanzminister selber, und ich weiss auch, dass er sich über einen reinen Prestigestandpunkt, auf den sich seine Sachbearbeiter zum Teil festgelegt zu haben scheinen, hinwegzusetzen weiss. Leider war er während der kritischen Phase, als sich das Finanzministerium entschloss, den Bundesrat auf den 18. Juli3 zu Verhandlungen nach Den Haag einladen zu lassen, seit mehreren Monaten in Batavia. Wenn er hier gewesen wäre, hätte sich dieser unglückliche Schritt vielleicht vermeiden lassen.
Herr s’Jacob empfing mich mit der Mitteilung, dass er sich seinerseits eben mit mir in Verbindung habe setzen wollen. Es seien in letzter Zeit eine Reihe von Problemen aufgetaucht, welche die sonst so guten Beziehungen zwischen der Schweiz und Holland belasteten. Dazu rechne er nicht etwa nur die Goldfrage, sondern, wie er freimütig beifügte, auch die entschädigungslose Ausserkraftsetzung der holländischen Banknoten, die Inbesitznahme der in Reichsmark erworbenen holländischen Guthaben von Schweizerbürgern durch den Staat und die Schwierigkeiten, die wegen der affidavit-losen Royal Dutch entstanden seien4. Er wisse sehr wohl, dass auch in der Schweiz eine starke Missstimmung herrsche, die auf die nach schweizerischer Meinung unbefriedigende Lösung dieser Fragen zurückzuführen sei. Die Entwicklung der schweizerisch-holländischen Handelsbilanz gebe ebenfalls zu einiger Besorgnis Veranlassung. Schliesslich nahe der Rückzahlungstermin für gewisse schweizerische Kredite.
Auf der andern Seite – und das war für ihn offenbar der entscheidende Punkt – werde Holland in den nächsten Jahren ein riesiges Industrialisierungsprogramm durchführen müssen. Allein für den Ausbau der Elektrizitätsversorgung Amsterdams habe das Finanzministerium soeben ein Programm von 40 Millionen Gulden für die nächsten drei Jahre bewilligen müssen. Der gesamte Ausbauplan für die Elektrizitätswirtschaft belaufe sich auf Summen, die die 100 Millionen weit überschreiten; dieser Plan sehe eine zehnjährige Durchführungsperiode vor. Holland bestelle zwar nach Möglichkeit in andern Ländern, vor allem in Frankreich, und sei mit der Ausführung der Bestellungen zufrieden. Frankreich werde aber mit Aufträgen überlaufen. Ausserdem wünsche Holland für gewisse Erzeugnisse schweizerische Qualität. Auch im Sektor der weiteren Aufrüstung der Armee und Marine werde das Finanzministerium mit Begehren um Bewilligung von Schweizerfranken bedrängt. – Kurzum, er möchte auf die Frage eines grösseren und langfristigen Schweizer Anleihens, die wiederholt schon in Prüfung stand, zurückgreifen. Er wisse nun wohl, dass solche Verhandlungen Opfer und Bereinigungen erforderten. Deshalb wäre er bereit, sich selber in die Schweiz zu begeben und mit den massgebenden Kreisen eine Verständigung zu suchen.
Ich wandte natürlich sofort ein, dass diese Probleme auf völlig verschiedenen Ebenen lägen. Die Bundesorgane, die für einzelne Fragen zuständig seien, könnten nicht über Anleihen sprechen und die Banken nicht über die Goldfrage usw. Herr s’Jacob ist sich dessen bewusst, möchte aber trotzdem den Versuch unternehmen. Er war letztes Jahr längere Zeit in Paris und hat dort mit derselben Methode gute Ergebnisse erzielt. Übrigens habe kürzlich sein Mitarbeiter Professor Keesing anlässlich eines Aufenthaltes in der Schweiz mit Herrn Fürsprech Schaffner, Delegierten für Handelsverträge, über gewisse der oben aufgezählten Fragen gesprochen und ein nicht ungünstiges Echo nach Hause gebracht. Was genau Herr Keesing vorbrachte, konnte ich nicht erfahren, setze aber voraus, dass nur der handelspolitische Teil damit gemeint sein konnte.
Ich unterstrich schliesslich noch, dass man es sicher in Bern nicht ablehnen werde, auch in der Goldfrage eine Aussprache mit ihm zu haben. Das werde aber des bestimmtesten nur auf der Grundlage des Washingtoner Abkommens5 geschehen können, dessen Vorgeschichte und juristische Tragweite für die Goldfrage ich ihm ausführlich auseinandergesetzt habe.
Es hat natürlich keinen Zweck, Herrn s’Jacob in die Schweiz reisen zu lassen, wenn die Banken zum vornherein nicht geneigt sind, auch nicht nach Bereinigung der sie betreffenden Probleme (Banknoten, Reichsmarkforderungen, Affidavits für die Royal Dutch) auf Verhandlungen über ein langfristiges Anleihen einzutreten. Andererseits sollten Anleihensverhandlungen, falls solche vielleicht ohnehin wieder aufgenommen werden, nicht zum Abschluss gelangen, ohne dass die andern pendenten Probleme, vor allem die leidige Goldfrage, eine für die Schweiz befriedigende Regelung finden. Ich kann auch nicht beurteilen, wie gross das Interesse der schweizerischen Industrie ist, beim Ausbau der holländischen Elektrizitätswirtschaft und bei den mit der Industrialisierung des Landes zusammenhängenden grossen Aufträgen berücksichtigt zu werden.
Ich schicke Kopien dieses Schreibens auch an die Handelsabteilung und das Politische Departement, Rechtswesen, Finanz- und Verkehrsangelegenheiten, sehe dagegen davon ab, die Nationalbank, die Bankiervereinigung und den Vorort des schweizerischen Handels- und Industrievereins von hier aus zu orientieren, in der Meinung, dass dies besser den Berner Stellen vorbehalten bleibt.
- 1
- Schreiben: E 2801(-)1968/84/97.↩
- 2
- Zur gleichen Problematik vgl. das Schreiben von R. Kohli an W. Stucki vom 7. August 1947, E 2200.49(-)1969/270/21 (dodis.ch/5840), BR-Prot. vom 9. Juli 1948, E 1004.1(-)-/1/ 495 (dodis.ch/5841), und die Notiz vom 30. November 1948, E 2001(E)-/1/364 (dodis.ch/5842).↩
- 3
- Vgl. die Note der holländischen Gesandtschaft in Bern an das EPD vom 29. Juni 1948 und das Telegramm Nr. 13 der schweizerischen Gesandtschaft in Den Haag an das EPD vom 26. Juni 1948, E 2801(-)1968/84/97.↩
- 4
- Zu diesen drei Problemen vgl. E 2001(E)-/2/555, E 2001(E)-/1/365, E 2001(E)1967/113/ 440, E 2200.49(-)1969/270/13, 14, 21, und E 2801(-)1968/84/105.↩
- 5
- Zum Washingtoner Abkommen vgl. DDS, Bd. 16, Thematisches Verzeichnis: Allgemeine Finanzbeziehungen.↩
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