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Documents Diplomatiques Suisses, vol. 13, doc. 127
volume linkBern 1991
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Archives | Archives fédérales suisses, Berne | |
▼ ▶ Cote d'archives | CH-BAR#J1.1#1000/1392#48* | |
Ancienne cote | CH-BAR J 1.1(-)1000/1392 5 | |
Titre du dossier | Faszikel 18: A-L (1921–1941) | |
Référence archives | 08.18 |
dodis.ch/46884
Le Haut-Commissaire de la Société des Nations à Danzig, C. J. Burckhardt, au Chef du Département politique, G. Motta1
Für 24 Stunden bin ich in Basel und fahre Morgen Abend nach Danzig zurück.
Vorgestern Donnerstag Nacht wurde mir telephonisch mitgeteilt, dass Reichskanzler Hitler mich auf dem Obersalzberg zu sprechen wünsche. Ich wurde gestern früh im Flugzeug geholt und verbrachte 2 Stunden in Privataudienz in dem seltsamen Haus aus Granit, das Herr Hitler sich auf einem Felskegel auf 1900 m Höhe errichten liess und das man durch das Innere des Felsens mittelst eines Fahrstuhles erreicht.
Die Ereignisse haben sich in den letzten Wochen in Danzig überstürzt. Ich denke, dass Sie, Herr Bundesrat, genau orientiert sind, möchte aber dem eigentlichen Inhalt und Anlass dieses Briefes zwei Worte vorausschicken, um Verschiedenes richtigzustellen, was in der Schweizer Presse irrtümlich dargestellt wurde.
In Kürze: im Juni befand der deutsche Reichskanzler sich im Irrtum (den Ribbentrop veranlasste und bestärkte), Polen werde im Stiche gelassen werden und werde sich ausser Stande befinden, im Fall einer plötzlichen Lösung der Danzigerfrage einzugreifen. Ich erlaubte mir damals, Ihnen Kenntnis von meinem spontanen Kontakt mit dem italienischen Botschafter in Berlin zu geben und seine Intervention zu erwähnen; in einem besonders kritischen Moment setzte ich mich mit dem Gauleiter Ostpreussens Koch in Verbindung, nach unserem eindringlichen Gespräch begab sich dieser nach Berlin, durchbrach die Consigne und gelangte bis zu Hitler, dem er die Unterhaltung wiedergab. Einige Zeit darauf liess Hitler den Danziger Gauleiter kommen, und dieser suchte mich gleich nach seiner Rückkehr auf. Er sagte nur: «Der Führer hat mir neue Instruktionen gegeben, es soll hier alles ruhig bleiben, unsere Konflikte lokaler Art sollen wir langsam abbauen, nicht kapitulationsartig, aber stetig, so dass wir über den Herbst kommen, dann kann das Danziger-Problem warten, wenn es sein muss 2 bis 3 Jahre. Ich wollte Sie nun fragen, da kein direkter Kontakt besteht, ob Sie vermitteln, all diese laufenden Fragen zwischen Senat und polnischer Vertretung behandeln wollen; der Führer sagt, dieser Notenkrieg müsse aufhören.» Es gab viele Spannungsmomente, u.a. die Tatsache, dass die Polen entgegen den bestehenden Abmachungen unangemeldet massive Militärtransporte auf ihren Bahnen durch das Freistaatgebiet führten. (Das hat vor allem zu den milit[ärischen\ Massnahmen in Danzig geführt, natürlich leugnen die Polen die Wichtigkeit dieser Sache.)
Ich machte nun den Polen die Eröffnung von der günstigen Wendung der Lage, einer Wendung, die zu einem bestimmten Teil das Ergebnis meiner Bemühungen war. Die Polen reagierten wie immer (Komarnicki ist typisch für diese Art!). Sie sagten: «Aha, er hat Angst!», und das erste, was sie machten, war die Eröffnung von Wirtschaftssanktionen, die den Danziger Export (Exportziffer 120 Millionen Gulden) um 15 Millionen schädigen.
Hier nun interveniert eine jener für das Nazi-Regime bezeichnenden Absurditäten, eine erbärmliche personelle Angelegenheit - ich schilderte Ihnen einmal in Genf diese tragischen und jämmerlichen Verhältnisse: Herr Forster hatte mir seinen Auftrag übermittelt, hatte aber, wie er selbst zugab, damit Greiser gegenüber einige Tage gewartet; er hoffte, «dieser werde sich durch einen Streich die Nase brechen». Und so geschah; der von Natur gutmütige Greiser, der immer nazistischer als ein Nazi tun muss, antwortete auf diesen wirtschaftlichen Druck mit einer Note giftigsten Inhaltes und der Drohung, die polnischen Zollinspektoren an der Ausübung ihres Amtes zu verhindern. - All das hat Hintergründe, diese Inspektoren gehören vielfach nicht dem Zolldienst, sondern dem dritten Büro an, die Polen leugnen es natürlich. - Wie dem sei, ein Subalternbeamter, Regierungsrat Beil, schrieb an den Chef der polnischen Inspektoren sua sponte einen Brief, in dem er diesen Passus aus der Senatsrede zitierte. Nun dieses Zitat war der Anlass zu dem polnischen Ultimatum und zwar deswegen - rein äusserlich - weil der leichtsinnige, elegante Kartenspieler, der polnische Generalkommissar - ein charmanter Mensch -, den subalternen Regierungsrat Beil mit dem Volkstagspräsidenten Beyl verwechselte2. Die wirklichen Hintergründe aber sind andere: Freitag Morgen teilte ich Chodacki mit, der Präsident Greiser sei bereit, in meinem Büro mit ihm zusammenzutreffen und alle Fragen, Zollinspektoren wie Wirtschaftssanktionen, in freundlichem Geiste zu besprechen.
Chodacki telephoniert von Gdynia an Beck, das Resultat: Aha Schwäche! Das Ergebnis muss für Beck der Opposition gegenüber eingeheimst werden, und somit auf den Beilschen Brief hin telephoniert Chodacki nach mehreren geistigen Getränken um ein Uhr nachts an den ahnungslosen Greiser, den man aus dem Bett holt, und sagt ihm: «in einer halben Stunde erhalten Sie eine ultimative Note, lassen Sie einen Übersetzer holen, das Ultimatum läuft um 6 Uhr Abends ab.» Die Note kennen Sie. Um zehn Uhr früh ruft Greiser zuerst mich, dann wieder Chodacki an und sagt der Wahrheit entsprechend, «nie wurde ein solcher Befehl erteilt, die Note ist ohne Grundlage, sie beruht auf einem Missverständnis». Chodacki telephoniert an Beck: «Danzig kapituliert, ich verlange aber noch eine schriftliche Bestätigung», Beck lässt den französischen und den englischen Botschafter kommen und schmettert in die Welt, «Danzig und das Reich vor meinem Ultimatum in die Knie gebrochen!», und die Weltpresse von Vancouver bis Basel schreibt das ab.
Ich gestehe, dass ich sehr niedergeschlagen war. Wieviel Arbeit war dadurch vergeblich geworden. Natürlich haben die Danziger Nationalsozialisten, in ihrer oft verbrecherischen Hybris jahrelang das Gesetz gebrochen, Unsinn auf Unsinn begangen; aber jetzt in dieser Sache waren sie im Recht. Ich befürchtete die allerschwersten Folgen. An dem bewussten Samstag kam Chodacki um 8 Uhr früh zu mir und sagte, «ich habe dieses Ultimatum überreicht» etc., etc., «ich evacuiere bis drei Uhr Nachmittags Frauen und Kinder, lassen Sie Ihre Familie abreisen». Ich antwortete meiner Stimmung entsprechend. Die Folgen liessen nicht auf sich warten; was Forster anbetrifft, so konnte ich am Sonntag ihn aus seiner primitiven Wut noch einmal befreien, ihn veranlassen, die Note beantworten zu lassen - auf die Form der Beantwortung konnte ich allerdings keinen Einfluss nehmen. Ich hütete mich zu sagen, dass auf meine an Chodacki gerichtete Frage: «Frauen und Kinder evacuieren, an welche Massnahmen denken Sie denn?», dieser geantwortet hatte: «Schwerste wirtschaftliche Massnahmen, und wenn die Danziger die ostpreussische Grenze öffnen, dann bombardieren wir die Stadt! » - Diese Drohung kam dann am nächsten Tag in der polnischen Presse, und jetzt liess man Lipski zu Weizsäcker kommen, und dieser erklärte: jeder polnische Angriff auf Danzig bedeute Krieg, - was auch die Konzequenzen seien.
In diesem Moment, 24 Stunden später, liess Hitler mich nach Berchtesgaden kommen, es führt zu weit, das lange Gespräch wiederzugeben, strengstens confidentiell will ich nur sagen, dass er das Schlimmste verhindern möchte und in Danzig selbst nichts unternehmen wird, wenn die Ändern ruhig bleiben! Sodann hat er mich sondiert, ob die Engländer ihm jemand zu direkten Verhandlungen schicken würden. Morgen Samstag kommt ein Herr vom Foreign-Office zu mir nach Basel.
Und nun die Hauptsache und der Anlass dieses Briefes: Hitler sagte mir: «Die schweizerische Neutralität ist für mich absolut unverletzlich, die Schweiz ist gut vorbereitet, sie deckt meine Flanke. Wenn es zum Krieg kommen sollte, wird die Schweiz ihre Neutralität nach jeder Seite verteidigen?» Ich antwortete: «Herr Reichskanzler, ich bin nicht als Schweizer hier, ich habe keinerlei offizielle Eigenschaft als solcher, aber als Schweizer Staatsbürger darf ich Ihnen sagen, mein Vaterland wird seine Neutralität in allen Fällen mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln verteidigen» - darauf Hitler: «Die Schweiz kann darauf rechnen, dass sie von meiner Seite nicht das Geringste zu fürchten hat.» - Ich erwiderte: «Darf ich das Herrn Bundesrat Motta sagen?» Hitler: «Ich bitte Sie sehr darum!» Vielleicht wäre es gut, diesen Ausspruch bei nächster Gelegenheit Hitler gegenüber erwähnen zu lassen.
Verzeihen Sie, Herr Bundesrat, dieses lange Schreiben; nach Danzig kann es nicht beantwortet werden, ich bitte, im Herbst die Freude zu haben, Sie wiederzusehen. Ein interessantes Licht auf die ganze Lage wirft der Umstand, dass ich gebeten wurde zu veranlassen, dass von einem eventuellen englischen Besuch die Wilhelmstrasse nicht in Kenntnis gesetzt werde!
- 1
- Lettre: J.I.l 1/5. Cette lettre, manuscrite, se trouve dans une enveloppe adressée par Burckhardt personnellement.↩
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Éclatement de la Seconde Guerre mondiale (1939) Ville libre de Dantzig